Weitere Zeugen während des Verfahrens von 1982
Die weiteren Zeugen der Anklage waren hauptsächlich Polizeibeamte. Diese sagten aus, wie sie den Tatort vorgefunden haben, welche Beweismittel sie sichergestellt haben und was sie mit diesen Beweismitteln getan haben. Weitere Zeugen waren Joseph Kohn[1] (er hat Mumia Abu-Jamal den Revolver der Marke Charter Arms verkauft), Joseph Grimes[2] (der Fingerabdruckexperte), Anthony L. Paul[3] (der Waffenexperte der Polizei), Dr. Charles Tumosa[4] (der Kriminaltechniker der Stadt Philadelphia), Dr. Paul J. Hoyer[5] (der Gerichtsmediziner) und Elizabeth Williams[6] (die Verwalterin der Krankenhausakten). Deren Aussagen werden bei der Darstellung der weiteren Beweismittel diskutiert.
Die Verteidigung verfolgte eine überwiegend passive Strategie und versuchte in erster Linie Zweifel an den Aussagen der Zeugen der Anklage zu wecken. Neben Dessie Hightower und Veronica Jones spielte nur noch Dr. Anthony Coletta[7] (er hat Mumia Abu-Jamal im Krankenhaus behandelt) eine bedeutende Rolle bei der Darstellung der Version der Verteidigung.[8] Weiters sagte Dr. Regina Cudemo aus (sie hat Abu-Jamal während einer kurzen Zeit nach seiner Einlieferung in das Krankenhaus beobachtet), zwei Polizisten wurden bezüglich der Taschenlampe von Daniel Faulkner befragt und Cynthia White wurde erneut aufgerufen. Die übrigen fünfzehn Zeugen der Verteidigung waren Leumundszeugen, welche erst am Ende der ersten Phase des Prozesses aussagten.
Anthony Jackson beschränkte sich bei der Befragung der Leumundszeugen darauf, ob Abu-Jamal einen guten Ruf als friedfertiger und gesetzestreuer Bürger genoß.[9] Staatsanwalt McGill versuchte im Gegenzug, die Glaubwürdigkeit dieser Zeugen zu vermindern. In einigen Fällen konnte er dies erfolgreich tun, in anderen Fällen versuchte er erfolglos die Zeugen anzugreifen.[10] Die Befragung der Leumundszeugen schien relativ wirkungslos gewesen zu sein. Als Daniel Williams im Juli 1995 neben anderen Zeugen die ältere Schwester Mumia Abu-Jamals als Leumundszeugin befragte, tat er dies wesentlich ausführlicher und eindrucksvoller.[11]
In der Strafbemessungsphase riefen beide Seiten nur jeweils einen Zeugen auf. Für die Staatsanwaltschaft sagte die Verwalterin der Personalakten über die Akte Daniel Faulkners aus. Diese enthielt einige Belobigungen aber keine disziplinären Eintragungen. Für die Verteidigung sagte Mumia Abu-Jamal selbst aus und macht die Situation noch schlimmer als sie es bereits war.
Die von Abu-Jamal vorgelesene Rede[12] enthielt neben einer vage gehaltenen Beteuerung seiner Unschuld[13] und Kritik am Gerichtssystem einige beleidigende Angriffe auf Richter, Anwalt und Staatsanwalt. Der Richter wurde als „Verschwörer in schwarzer Robe“ bezeichnet. Sein Anwalt Anthony Jackson war „unbrauchbar und ein wertloser Verräter und Winkeladvokat“. Im Kreuzverhör durch Staatsanwalt McGill machte er keine wesentlich bessere Figur und war unkooperativ bis an die Grenze zu kindischem Verhalten. Der Staatsanwalt konzentrierte sich auf Zitate Abu-Jamals, die seine Gewaltbereitschaft und sein aggressives Temperament zeigen sollten. Eines dieser Zitate machte Abu-Jamal im Alter von 16 Jahren als Mitglied der Black-Panther-Partei. Gegenüber einem Zeitungsreporter zitierte er Mao Tse Tung mit den Worten „Politische Macht entsteht aus dem Lauf eines Gewehrs“.[14] Abu-Jamal erklärte dies mit der historischen Tatsache, daß Macht tatsächlich aus den Gewehrläufen kommt. Er bestritt aber, das Zitat übernommen zu haben. Für die Geschworenen war es wahrscheinlich trotzdem ein Zeichen seiner Bereitschaft zur Gewalt. Weiters befragte ihn der Staatsanwalt zu zwei Bemerkungen gegenüber anderen Richtern. Richter McDermott vom Obersten Gericht Pennsylvanias wurde nach einer für Abu-Jamal unvorteilhaften Entscheidung (er hat Anthony Jackson als Verteidiger bestätigt) von diesem gefragt oder, laut McGill, angeschrieen „McDermott, wohin gehen Sie?“,[15] und Richter Ribner wurde von ihm ein Bastard genannt.[16] Für die Geschworenen konnte nur der Eindruck eines aggressiven und gewaltbereiten jungen Mannes entstehen.
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[1] Verhandlungsmitschrift vom 21.6.1982, Seite 31ff
[2] Verhandlungsmitschrift vom 23.6.1982, Seite 30ff
[3] Verhandlungsmitschrift vom 23.6.1982, Seite 75ff
[4] Verhandlungsmitschrift vom 26.6.1982, Seite 10ff
[5] Verhandlungsmitschrift vom 25.6.1982, Seite 139ff
Seine Aussage wird von einer langen Befragung über seine Qualifikation als Gerichtsmediziner eingeleitet. Seine Zeugenaussage zum Fall beginnt erst auf Seite 162.
[6] Verhandlungsmitschrift vom 30.6.1982, Seite 158ff
[7] In manchen Zeitungsberichten und in den Protokollen der Geschworenenauswahl u.a. vom 7.6.1982 (Seite 109) wurde sein Name Colletta geschrieben. Ich bleibe bei der Schreibweise der Verhandlungsmitschriften.
[8] Verhandlungsmitschrift vom 28.6.1982, Seite 53ff
[9] Verhandlungsmitschrift vom 30.6.1982, Seite 31ff
Als Beispiel für einen Leumundszeugen befragt Anthony Jackson (Q) die Zeugin Nellie Reynolds (A):
Q. Among those other people that you know who know Mr. Jamal what is his reputation for being a peaceful and law-abiding citizen?
A. An excellent reputation.
[10] Verhandlungsmitschrift vom 30.6.1982, Seite 18ff
Staatsanwalt McGill (Q) befragt Sonia Sanchez (A) zu einem ihrer Bücher:
Q. Did that not deal with convicted police killer Judy Chesmar's case?
A. Did you read it?
Q. I am asking you?
A. It has nothing to do with that at all. It has to do with her as a black woman in America.
Q. Were you not in sympathy with her position and through the surrounding circumstances of her action?
A. That is not correct. That is why I asked you did you read it?
Wenige Zeilen später befragt er die Zeugin zu drei anderen Polizistenmördern:
Q. Also, Miss Sanchez, did you have occasion to publicly speak in support of Herman Bell, Anthony Bottom and another Defendant by the name of Washington who were convicted killers of three police officers in New York?
A. No, I didn't.
Die Zeugin behauptete auch im weiteren Verlauf der Befragung, diese drei Personen nicht zu kennen, und McGill konnte keinen Hinweis liefern, der ihre Aussage in Zweifel gezogen hätte. Jahre später beschwerte sich Sonia Sanchez darüber, daß sie von diesen Fragen überrascht wurde, da Anwalt Anthony Jackson sie nicht auf ihre Zeugenaussage vorbereitet hatte.
[11] Später wurde Anthony Jackson dafür kritisiert, seine Leumundszeugen nur oberflächlich befragt zu haben, und er wurde auch für die Auswahl dieser Zeugen kritisiert. Jedoch war dies hauptsächlich Abu-Jamals eigene Schuld. Selbst am 26.6.1982 hat er seinem Anwalt noch nicht mitgeteilt, welche Leumundszeugen er aufrufen möchte. Im folgenden ein Gespräch zwischen dem Richter und Anwalt Jackson im Richterzimmer (Seite 138):
MR. JACKSON: For the record, I have no names. I still don't have any.
THE COURT: You mean for character?
MR. JACKSON: For character witnesses I still don't have any.
Am 30.6.1982 (Seiten 15-16) kannte er nur die Namen der ersten drei Leumundszeugen, die an diesem Morgen aussagen würden. Er wußte aber noch immer nicht welche Leumundszeugen Mumia Abu-Jamal am Nachmittag desselben Tages oder am nächsten Tag aufrufen würde.
[12] Verhandlungsmitschrift vom 3.7.1982, Seiten 10-17
Seine Beschreibung von Richter und Verteidiger war folgendermaßen (Seiten 10-11):
“A legal trained lawyer named Tony Jackson, a man who knew he was inadequate to the task and chose to follow the direction of this black-robed conspirator, Albert Sabo, even if it meant ignoring my directions.”
Wenig später vergleicht er den von ihm als Verteidiger gewünschten John Africa mit Anthony Jackson (Seiten 13-14):
“Could John Africa have done worse than this worthless sellout and shyster who promised much and delivered nothing?”
[13] Verhandlungsmitschrift vom 3.7.1982, Seiten 14-15
Seine Unschuldbeteuerung lautete:
“I am innocent of these charges that I have been charged of and convicted of and despite the connivance of Sabo, McGill and Jackson to deny me my so-called rights to represent myself, to assistance of my choice, to personally select a jury who is totally of my peers, to cross-examine witnesses, and to make both opening and closing arguments, I am still innocent of these charges.”
Das kann heißen, daß er Daniel Faulkner nicht erschossen hat, oder daß er diese Tat nicht als Mord betrachtet. Eine genauere Aussage hat er nicht gemacht.
[14] Verhandlungsmitschrift vom 3.7.1982, Seiten 22, 23, 26, 27 und 68
McGill gibt ein Zitat Abu-Jamals aus einer Zeitung wider:
“Political power grows out of the barrel of a gun.”
[15] Verhandlungsmitschrift vom 3.7.1982, Seite 33
Mumia Abu-Jamal beantwortet die Frage des Staatsanwalts, was er zu Richter McDermott gesagt hat:
“I said, ‘McDermott, where are you going?’”
[16] Verhandlungsmitschrift vom 3.7.1982, Seite 33
Staatsanwalt McGill (Q) befragt Mumia Abu-Jamal (A) zu seiner Bemerkung gegenüber Richter Ribner:
Q. ... "I don't give a damn what you think, go to hell. What the hell are you afraid of? What the hell are you afraid of bastard?" Do you recall saying that to Judge Ribner?
A. Sure do. (Nods head affirmatively.)
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