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Das Geständnis im Krankenhaus
Drei Zeugen, Priscilla Durham, Gary Bell und Gary Wakshul sagten aus, Mumia Abu-Jamal hätte im Krankenhaus ein wütendes Geständnis abgelegt. Laut Gary Bell lautete es wortwörtlich: „Ich habe auf den Mutterficker geschossen, und ich hoffe der Mutterficker stirbt.“[1] Priscilla Durham, eine Sicherheitsangestellte des Thomas Jefferson Krankenhauses, sagte sinngemäß das gleiche aus.[2] Gary Wakshul stand während der Verhandlung im Jahre 1982 nicht zu Verfügung, sagte aber 1995 im gleichen Sinne aus.[3] Drei Zeugen geben gleichlautende Aussagen über ein Geständnis Mumia Abu-Jamals ab. Trotzdem ist dieses Geständnis einer der schwächsten Punkte der Anklage.
Vor Gericht sagte zunächst Priscilla Durham aus. Sie erklärte, daß sie am folgenden Tag gegenüber ihrem Vorgesetzten Bartelli einen Bericht abgegeben hat.[6] Weiters war ein Angestellter namens Bagley anwesend.[7] Diesen Bericht hat sie mündlich abgegeben, während er von ihrem Vorgesetzten handschriftlich festgehalten wurde. Der Staatsanwalt beauftragte daraufhin einen Polizeibeamten damit, den Bericht zu beschaffen. Tatsächlich wurde am selben Tag ein auf einer Schreibmaschine geschriebener Bericht in den Gerichtssaal gebracht,[8] der als Datum den 10. Dezember 1981 um 2:16 morgens auswies.[9] Er war von Priscilla Durham nicht unterschrieben worden. Sie konnte sich auch nicht an alle Details aus diesem Bericht erinnern. So besagte dieses Schriftstück, Abu-Jamal hätte geblutet, während sie sich nicht mehr daran erinnern konnte.[10] Mit der Polizei sprach sie über diesen Vorfall zum ersten Mal am 2. Februar 1982 im Krankenhaus.[11] Mumia Abu-Jamal hatte eine Beschwerde wegen Polizeibrutalität eingereicht, und die Abteilung für interne Angelegenheiten untersuchte diesen Vorwurf. Während der Befragung vom 2.2.1982 war ein anderer Sicherheitsangestellter namens James Lagrand (oder Legrand) anwesend. Keine dieser 3 erwähnten Personen (Bartelli, Bagley, Lagrand) wurde jemals von Staatsanwaltschaft oder Verteidigung als Zeuge aufgerufen. James Lagrand stand während der Verhandlung im Jahre 1982 zur Verfügung und hätte laut Staatsanwalt McGill das gleiche ausgesagt wie Priscilla Durham, er wurde aber vom Richter nicht zugelassen.[12] Priscilla Durham konnte sich auch noch daran erinnern, daß ein Polizist zu Mumia Abu-Jamal gesagt hat: „Wenn er stirb, stirbst du/sterben Sie [auch].“[13] Als Gary Bell in den Gerichtssaal gerufen wurde, konnte sie ihn als diesen Polizisten identifizieren. Gary Bell konnte sich nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnern. In seiner Aussage erklärte er, er wäre wütend gewesen, als er das Geständnis Mumia Abu-Jamals gehört hat. Daraufhin hat er zu Abu-Jamal gesagt: „Er sollte nicht derjenige sein der stirbt, du solltest/Sie sollten [derjenige sein].“[14] Er war sich aber nicht sicher, ob dies seine genauen Worte waren. Es wurde nie hinterfragt, ob Gary Bells Bemerkung gegenüber Abu-Jamal eine Drohung war oder ob er nur die drohende Todesstrafe wegen Polizistenmordes gemeint hat. Dementsprechend hatte diese Bemerkung für Gary Bell auch keine rechtlichen Folgen. Gary Bell, nach eigener Aussage ein guter Freund und ehemaliger Partner Daniel Faulkners, berichtete zum ersten Mal am 25.2.1982 über Mumia Abu-Jamals Aussage im Krankenhaus.[15] Auch in diesem Fall handelte es sich um die Untersuchung durch die Abteilung für interne Angelegenheiten. Obwohl er ein erfahrener Polizist war, schrieb er im Dezember 1981 keinen Bericht darüber.[16] Er sprach außerdem mit niemanden über Abu-Jamals Geständnis, weder mit Kollegen noch mit Freunden oder Verwandten.[17] Er konnte keine echte Begründung vorbringen, weshalb er keinen Bericht angefertigt hatte. Seiner Aussage zufolge war es für ihn nicht erforderlich einen Bericht zu schreiben. Er behielt die Aussage aber trotzdem die ganze Zeit über im Gedächtnis, war sich also offensichtlich ihrer Bedeutung bewußt. Gary Wakshul wurde während der Verhandlung nicht befragt. Während einer hitzigen Diskussion zwischen Richter, Staatsanwalt, Verteidiger und Mumia Abu-Jamal am Ende der Verhandlung wurde lediglich klar, daß Gary Wakshul auf Urlaub war,[18] weil es die Verteidigung verabsäumt hat ihn rechtzeitig vorzuladen. Richter Sabo meinte dazu nur „Ihr Anwalt und Sie haben Mist gebaut“.[19] Als Ergebnis sagte Gary Wakshul nicht aus. Während der PCRA-Anhörung im Jahre 1995 wurde er zu seinem Bericht befragt. Er sagte aus, ein solches Geständnis wäre offensichtlich ein wichtiges Detail,[20] und er wußte zum Zeitpunkt des Geständnisses bereits, daß Mumia Abu-Jamal ein Verdächtigter war.[21] Die Tatsache, daß er es verabsäumt hatte diesen Vorfall zu melden, begründete er mit seinem psychischen Ausnahmezustand.[22] Er erinnerte sich daran, geweint zu haben als er das Geständnis hörte und am nächsten Morgen mit seinem Wagen in einen Betonpfeiler gefahren zu sein. Trotzdem konnte die Verteidigung aufzeigen, daß er zwei Berichte abgegeben hatte[23] und daß beide Berichte eine große Anzahl an Details enthielten.[24] Das Geständnis Mumia Abu-Jamals wurde aber nicht erwähnt. Sein zweiter Bericht vom 16.12.1981 war eine Befragung zu einem eng begrenzten Themenbereich und beschäftigte sich daher naturgemäß nicht direkt mit den Vorfällen im Krankenhaus. Er wurde aber am Ende der Befragung explizit gefragt, ob er noch etwas hinzufügen möchte.[25] Erst am 11.2.1982 erwähnte er das Geständnis erstmals gegenüber der Abteilung für interne Angelegenheiten. Sein Partner Trombetta war seiner Aussage zufolge ebenfalls im Krankenhaus anwesend, hat aber niemals etwas über ein Geständnis ausgesagt. Auch keiner der anderen Polizisten hörte dieses Geständnis.[26] Am 11.2.1982 begründete er das Fehlen des Geständnisses in seinen früheren Berichten damit, daß er dessen Bedeutung nicht erkannt hatte.[27] Ein weiterer Punkt in dieser Anhörung war die Tatsache, daß er während der Verhandlung im Jahre 1982 auf Urlaub war. Ihm wurde öffentlich vorgeworfen, er sei auf Urlaub gegangen obwohl sein Bericht vom 9.12.1981 mit dem Vermerk „kein Urlaub“ versehen war.[28] Er konnte ziemlich überzeugend darlegen, daß dies keine Anweisung war, nicht auf Urlaub zu gehen. Die Urlaubszeiten werden den Polizeibeamten im Frühjahr zwischen März und Mai durch eine Lotterie zugewiesen wurden. Der Vermerk „kein Urlaub“ auf seinem Bericht bedeutete lediglich, daß noch kein Urlaub festgelegt wurde. Wenn ein Polizist in einer Verhandlung als Zeuge aussagen soll und bereits ein Urlaubstermin feststeht, versucht die Staatsanwaltschaft im allgemeinen den Prozeßtermin mit dem Datum des Urlaubs abzustimmen. Es wäre auch nicht besonders sinnvoll anzunehmen, Gary Wakshul wäre absichtlich auf Urlaub geschickt worden, damit er nicht als Zeuge zur Verfügung zu steht. Vor Gericht hätte er mit Sicherheit darauf bestanden, daß er das Geständnis gehört hat - egal ob das die Wahrheit ist oder nicht - und wäre somit zu einem Zeugen der Anklage geworden, so wie es auch mit Gary Bell geschehen ist. Zwar bestand die Möglichkeit, daß er durch seine schriftlichen Berichte diskreditiert worden wäre, es gibt aber trotzdem keinen Hinweis darauf, daß er absichtlich ferngehalten wurde. Darüber hinaus hätte eine rechtzeitige Zeugenvorladung ein solches Vorhaben zunichte gemacht. Nach allen vorliegenden Unterlagen geht die Abwesenheit Gary Wakshuls auf das schlechte Verhältnis zwischen Anwalt Jackson und Mumia Abu-Jamal zurück und nicht auf eine Intrige der Staatsanwaltschaft. Lediglich das Verhalten des Richters erscheint zweifelhaft. Richter Sabo weigerte sich einer Verlängerung des Verfahrens zuzustimmen, um Gary Wakshul doch noch in den Zeugenstand zu bringen. Ein ernsthafter Versuch, den tatsächlichen Aufenthaltsort Gary Wakshuls zu bestimmen, hätte mit Hilfe des Staatsanwalts sicherlich nicht länger als bis zum nächsten Tag gedauert. Ob Mumia Abu-Jamal im Krankenhaus ein Geständnis abgelegt hat oder nicht, kann nicht wirklich festgestellt werden. Die Polizisten erscheinen am unglaubwürdigsten. Obwohl Bell und Wakshul Berichte angefertigt haben, haben sie dieses Geständnis nicht erwähnt. Gary Bell behielt es der Bedeutung wegen im Gedächtnis, sprach aber mit niemanden darüber. Gary Wakshul wollte dessen Bedeutung nicht erkannt haben, obwohl ihm die Bedeutung von Geständnissen bewußt war. In seinem ersten Bericht konnte er sich an kleine Details erinnern, und er hat eindeutig verneint etwas gehört zu haben. Eine Woche später fiel ihm das Geständnis bei einer zweiten Befragung ebenfalls nicht ein. Ich behaupte, beide haben gelogen. Hätten sie dieses Geständnis wirklich gehört, dann hätte es sich nicht nur unauslöschlich in ihr Gedächtnis gebrannt, sondern sie hätten dies mit Sicherheit bei der ersten Gelegenheit zu Protokoll gegeben, damit jeder erfährt was für ein niederträchtiger und ruchloser Mörder Mumia Abu-Jamal ist. Gary Wakshul erklärte sein Verhalten mit Trauer. Ich finde, das Geständnis Abu-Jamals hätte keine Trauer, sondern Wut und Haß ausgelöst, und er hätte nichts unversucht gelassen, um dieses Geständnis bekannt zu machen. Genau das haben die beiden Polizisten nicht getan, und daher halte ich ihre späteren Aussagen für unglaubwürdig. Priscilla Durhams Aussage ist sehr viel schwieriger zu deuten. Für sich betrachtet gibt es keinen ernsthaften Grund ihre Aussage anzuzweifeln. Die Geschichte weißt keine ernsthaften Fehler oder gar Widersprüche auf. Die in den Gerichtssaal gebrachte Stellungnahme war zwar nicht von ihr unterschrieben, da es sich aber um keinen Polizeibericht, sondern um ein internes Dokument des Krankenhauses handelte, war eine Unterschrift nicht unbedingt erforderlich.[29] Laut ihrer Aussage wurde ihr mündlicher Bericht handschriftlich festgehalten, das vorgelegte Dokument wurde jedoch auf einer Schreibmaschine geschrieben.[30] Auch das kann nicht als ernsthafter Widerspruch gewertet werden, da Aktenvermerke nur selten handschriftlich archiviert werden. Die einzigen die dieses Problem vielleicht hätten klären können, die Sicherheitsangestellten Bartelli und Bagley, wurden von keiner Seite in den Zeugenstand gerufen. Priscilla Durham wurde zuweilen indirekt beschuldigt, sie hätte persönliche Motive gehabt ein Geständnis zu erfinden. Leonard Weinglass behauptete während mehrerer seiner öffentlichen Reden, sie wäre gerne ein Polizist.[31] Weder gibt es dafür Hinweise, noch ist dies eine Erklärung, wieso sie Abu-Jamal mit einer Lüge belasten sollte. Es war nichts weiter als ein Untergriff von Weinglass. Speziell sein Buch Race for Justice ist voll davon. Eine andere Behauptung lautet, sie wäre mit Daniel Faulkner befreundet gewesen, habe dies aber zunächst abgestritten und erst im Kreuzverhör zugegeben.[32] Scheinbar soll dies als Motiv herhalten, um ihr eine Falschaussage zu unterstellen. Tatsächlich wurde sie erst im Kreuzverhör befragt, ob sie Daniel Faulkner gekannt hat, und sie hat dies nie abgestritten.[33] Die bislang einzige Behauptung die ein Motiv liefern könnte welches ihre Glaubwürdigkeit unterminieren würde stammt aus der eidesstattlichen Erklärung eines Kenneth Pate aus dem Jahre 2003 (siehe Eidesstattliche und unbeeidete Erklärungen). Zusammen mit den wenig glaubwürdigen Aussagen der Polizisten Bell und Wakshul erscheint auch Priscilla Durhams Aussage weniger glaubwürdig zu sein. Wenn die beiden Polizisten gelogen haben, dann ist es unwahrscheinlich, daß Durham etwas gehört hat. Andererseits wertet Priscilla Durham die Aussagen der Polizisten auf. Ob Priscilla Durhams Aussage wahr oder falsch ist, kann nicht eindeutig geklärt werden. Ich halte sie aber für zu unsicher als daß ich das Geständnis gegen Mumia Abu-Jamal verwenden würde. Für mich existieren „begründete Zweifel“ welche mich zur Haltung „im Zweifel für den Angeklagten“ bewegen. Obwohl behauptet wird, es sei unlogisch oder unmöglich daß Mumia Abu-Jamal dieses Geständnis abgelegt hat, gibt es keine glaubwürdigen Argumente um dies zu untermauern. Physisch war er zu diesem Zeitpunkt durchaus noch in der Lage zu sprechen. Der behandelnde Arzt berichtete, daß er während der ersten Untersuchung mit dem Patienten gesprochen hat und daß dieser ihn darauf hingewiesen hat, wo die Kugel steckt.[34] Es ist auch nicht sinnvoll zu erklären, Mumia Abu-Jamal wäre eine erfahrener Journalist und hochintelligenter Mann und hätte deshalb etwas derartig Belastendes nicht von sich gegeben. Nicht nur sein sinnloses Beharren auf rechtlichen Beistand durch einen John Africa während des gesamten Verfahrens und seine mehrmaligen Ausbrüche im Gerichtssaal, welche es erforderlich machten die Geschworenen sofort aus dem Saal zu schaffen, zeigen deutlich, daß er seine Emotionen nicht unter Kontrolle hatte. Der Philadelphia Inquirer schrieb, Mumia Abu-Jamals Verhalten sei „so bizarr wie selbstmörderisch“ gewesen.[35] Egal wie intelligent er ist, dies ist kein plausibler Grund wieso er es nicht gesagt haben könnte. Gerade die im Gerichtssaal gezeigte Unbeherrschtheit spricht gegen ihn. |
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[1] Verhandlungsmitschrift vom 24.6.1982, Seite 136
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