Mumia Abu-Jamal - Eine Analyse
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Die Auswahl der Geschworenen

Bei der Auswahl der Geschworenen („voir dire“) wird zunächst ein potentieller Geschworener befragt, um herauszufinden ob er für diese Aufgabe geeignet ist. Wenn es begründete Zweifel an seiner Eignung gibt, wird er abgewiesen. Wenn keine begründeten Zweifel erkennbar sind, hat jede Seite trotzdem die Möglichkeit einen Geschworenen ohne Angabe von Gründen abzulehnen. Diese Möglichkeit berücksichtigt die Tatsache, daß eine kurze Befragung nicht alle Aspekte beleuchten kann. Deshalb haben sowohl Anklage als auch Verteidigung die Möglichkeit eine Person als Geschworenen auch dann abzulehnen, wenn lediglich ein Verdacht besteht. Um die Auswahl der Geschworenen jedoch nicht zu lange auszudehnen, durfte jede Seite lediglich 20 solcher Streichungen ohne Angabe von Gründen vornehmen.[1]
Die Staatsanwaltschaft ging ursprünglich von 8 zulässigen Geschworenen schwarzer Hautfarbe aus,[2] die von Joseph McGill ohne Angabe von Gründen abgelehnt wurden. Später kam es zu einer Übereinkunft mit der Verteidigung, wonach sich 3 weitere Geschworene als Personen afrikanischer Abstammung identifizieren würden (Darlene Sampson, Beverly Greene, Alma Lee Austin).[3] Acht Tage später versuchte die Verteidigung diese Übereinkunft zu annullieren, indem sie eine Erklärung einer Beverly Greene vorlegte, wonach diese nicht die Beverly Greene ist, die eine eidesstattliche Erklärung abgegeben hat. Leonard Weinglass hat sein Vorhaben nie genauer erklärt, die Staatsanwaltschaft hat die Aufhebung der Übereinkunft[4] abgelehnt und der Richter hat ihn zwecks Aufhebung der Übereinkunft an das Oberste Gericht verwiesen.[5] Als Endergebnis wurden daher 10 oder 11 Personen schwarzer Hautfarbe vom Staatsanwalt ohne Angabe von Gründen abgelehnt. Später verwendete Weinglass stets die Behauptung, 11 schwarze Geschworene wären auf diese Weise abgelehnt worden.[6]
Am Ende bestand die Jury aus 13 weißen und 3 schwarzen Geschworenen.[7] Diese Zahl entstammt ebenfalls Abu-Jamals Petition und stimmt aller Wahrscheinlichkeit nach mit der Wirklichkeit überein. Die Schwierigkeit bei der Zählung basiert auf der Tatsache, daß die Hautfarbe der Geschworenen nicht immer aufgezeichnet wurde. Allerdings kann man die Zahl der schwarzen Geschworenen ermitteln. Am 21.6.1982 bemerkte der Staatsanwalt, daß sich unter den Geschworenen 2 Schwarze befinden.[8] Eine weitere Schwarze wurde am 18.6.1982 ausgeschlossen (Jennie Dawley, siehe Die ausgeschlossene Geschworene). Insgesamt ergibt das 3 schwarze Geschworene am Beginn der Verhandlung.
Die Verteidigung führte in der oben genannten Petition ein Trainingsvideo der Staatsanwaltschaft an, um die ungerechte Praxis der Geschworenenauswahl aufzuzeigen. In diesem Video erklärte ein Staatsanwalt, in welcher Weise Geschworene ausgewählt werden müssen: „Das erste Ziel eines Staatsanwaltes muß es sein, ein Jury zusammenzustellen, die wahrscheinlich für eine Verurteilung stimmen wird.“[9] Das Video wurde von Bundesrichter Yohn zurückgewiesen, da es von einem anderen Staatsanwalt (McMahon) stammt und erst 1987, also 5 Jahre nach dem Prozeß, produziert wurde.[10] Auch wenn der Inhalt dieses Videos extrem war, beschreibt es sicherlich die grundlegende Praxis von Anklage und Verteidigung bei der Auswahl der Geschworenen. Jede Seite möchte Geschworene, die im Zweifel wahrscheinlich für die eigene Seite Partei ergreifen.
Bundesrichter Yohn ging bei seiner Urteilsbegründung auf alle 15 vom Staatsanwalt abgelehnten Geschworenen ein. In jedem einzelnen Fall gab es Gründe für Staatsanwalt McGill, einen Verdacht zu hegen. Zum Teil hörten sie Mumia Abu-Jamal im Radio, hatten Bedenken gegen die Todesstrafe oder waren zögerlich bei der Beantwortung von Fragen. Mumia Abu-Jamals Radiosendung zu hören war kein Grund für einen Ausschluß, konnte aber Zweifel an der Unvoreingenommenheit des oder der Geschworenen wecken. Wie gesagt existierte die Möglichkeit der Abweisung ohne Begründung, damit beide Seiten auch auf Verdacht hin Geschworene ablehnen konnten. Auch wenn kein Anzeichen dafür existiert, daß wirklich nur die Hautfarbe entscheidend war, waren 11 der 15 durch den Staatsanwalt abgelehnten Geschworenen schwarz (7 Frauen und 4 Männer). Gemessen an der Gesamtzahl der Geschworenen ist dies ein deutliches Mißverhältnis.[11]
Am Ende steht eine Geschworenenauswahl, die eindeutig rassischen Trennlinien folgte. Staatsanwalt McGill wies 11 schwarze und 4 weiße Geschworene ohne Angabe von Gründen ab, und Mumia Abu-Jamal wies 18 weiße und 1 schwarzen Geschworenen ab. Statistisch gesehen führte dies zu einer unterdurchschnittlichen Präsenz schwarzer Geschworener. Von den möglichen Geschworenen[12] waren 30% schwarz (15 von 50). Bei der gleichen Rate hätten 4 oder 5 der 16 ausgewählten Geschworenen ebenfalls schwarz sein müssen. Tatsächlich gab es aber nur 3 schwarze Geschworene. Das mag als etwas zu wenig erscheinen, aber es ist fraglich ob es ausreichend ist, um das gesamte Verfahren für ungerecht zu erklären. Offensichtlich waren auch die Berufungsrichter in Pennsylvania der gleichen Meinung, da diese Beschwerde abgewiesen wurde. Nur Richter Yohn erklärte diesen Punkt (und nur diesen Punkt) für berufungsfähig, das heißt, er hat der Berufung nicht stattgegeben, aber er empfahl ausdrücklich die Behandlung dieses Punktes durch die nächst höhere Instanz.[13]


[1] Diese Streichungen heißen „peremptory challenges“, was mit „gebieterische“ oder „auf eigenen Motiven basierende“ Anfechtung übersetzt werden kann.
[2] PCRA-Anhörung vom 31.7.1995, Seite 260
[3] PCRA-Anhörung vom 3.8.1995, Seite 257
Staatsanwalt Charles Grant erklärt den Inhalt einer Übereinkunft mit der Verteidigung bezüglich 3 weiterer Geschworener:
“Jurors who would say I was on the panel that was impaneled for selection in the case of Commonwealth versus Mr. Jamal. And they would, our stipulation is that they would come into Court and they would say -- and we are not verifying the accuracy of it -- that they would come into Court and they would say I was voir dired and I was released, I am a black person.”
[4] Mit einer Übereinkunft („stipulation“) können beide Seite vor Gericht ein Faktum als wahr erklären, ohne langwierige und für beide Seiten aufwendige Zeugenbefragungen durchzuführen. Während des Verfahrens von 1982 wurde auf diesem Wege festgelegt, daß ein Zeuge Mumia Abu-Jamal als den Täter identifizieren würde, obwohl der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt nicht im Gerichtssaal war. Beide Seiten fürchteten die möglichen Nachteile, falls der rebellische Angeklagte zum Zwecke einer Identifizierung in den Gerichtssaal gebracht worden wäre.
[5] PCRA-Anhörung vom 11.8.1995, Seite 50ff
[6] Eingabe an das Bundesgericht für den östlichen Bezirk Pennsylvanias vom 14.10.1999 (Inhaltsverzeichnis der Eingabe), Anspruch 16
Die von der Verteidigung angeführten Zahlen (35 weiße und 15 schwarze Geschworene) werden durch die Verhandlungsmitschriften nicht bestätigt. Trotzdem gehe ich in den folgenden Absätzen von der Korrektheit dieser Zahlen aus.
[7] Neben den 12 Geschworenen wurden 4 Ersatzgeschworene nominiert. Die Ersatzgeschworenen schieden am Ende der Schuldbestimmungsphase aus und nahmen an den Beratungen zur Schuldfrage nicht mehr teil.
[8] Verhandlungsmitschrift vom 21.6.1982, Seite 129
Als Anwalt Jackson der Zeugin Cynthia White ein Foto zeigen wollte, um ihr Gedächtnis aufzufrischen, betrat Richter Wilson den Saal und Staatsanwalt McGill sagte:
“If the Court pleases, the two black jurors may know him.”
Diese Zahl wird auch in einem Bericht Mark Kaufmanns für den Philadelphia Inquirer am 4.7.1982 bestätigt.
[9] Eingabe an das Bundesgericht für den östlichen Bezirk Pennsylvanias vom 14.10.1999 (Inhaltsverzeichnis der Eingabe), Anspruch 16
Der folgende Abschnitt wurde Fußnote 27 entnommen:
The case law says that the object of getting a jury is to get -- I wrote it down. I looked in the cases. I had to look this up because I didn't know this was the purpose of a jury. "Voir dire is to get a competent, fair, and impartial jury." Well that's ridiculous. You're not trying to get that.
...
And if you go in there and any one of you think you're going to be some noble civil libertarian and try to get jurors, "Well, he says he can be fair; I'll go with him," that's ridiculous. You'll lose and you'll be out of the office; you'll be doing corporate law. Because that's what will happen. You're there to win . . . .
And the only way you're going to do your best is to get jurors that are as unfair and more likely to convict than anybody else in that room.
[10] Entscheidung des Bundesgerichts für den östlichen Bezirk Pennsylvanias vom 18. Dezember 2001, Seite 220
[11] Entscheidung des Bundesgerichts für den östlichen Bezirk Pennsylvanias vom 18. Dezember 2001, Seite 212
Ergänzung 2006: Auch das Bundesberufungsgericht hat diesen Punkt für berufungsfähig erklärt und von beiden Seiten Stellungnahmen gefordert.
[12] Diese Zahlen entstammen ebenfalls der Eingabe an das Bundesgericht (Inhaltsverzeichnis der Eingabe). Unter dem Begriff „mögliche Geschworene“ sind diejenigen Personen gemeint, die aufgrund der Befragung grundsätzlich akzeptabel erschienen. Diejenigen, die aufgrund der Befragung als ungeeignet erschienen, sind nicht darin enthalten. Es gibt keine Hinweise darauf, wie viele Schwarze und Weiße insgesamt zur Auswahl der Geschworenen vorgeladen wurden.
[13] Entscheidung des Bundesgerichts für den östlichen Bezirk Pennsylvanias vom 18. Dezember 2001, Seite 269


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