Wenn ich als Geschworener entscheiden müßte, lautet mein Urteil eindeutig auf „Schuldig des vorsätzlichen Mordes“ (Mord ersten Grades) und nicht etwa des Totschlags oder der vorsätzlichen Körperverletzung mit Todesfolge (Mord dritten Grades). Die Argumente der Verteidigung reichen nicht einmal für einen begründeten Zweifel aus.
Die Tat bestand zumindest aus zwei Teilen. Als Mumia Abu-Jamal gesehen hat, wie Daniel Faulkner seine Bruder geschlagen hat, ist er vielleicht in berechtigter Erregung auf Daniel Faulkner zugelaufen. Vielleicht könnte er die Geschworenen davon überzeugen, daß er nicht Herr seiner selbst war und dem Polizisten in den Rücken geschossen hat um seinen Bruder zu schützen (falls dies der erste Schuß war). Falls sich Daniel Faulkner vor dem Treffer in den Rücken zu ihm hingedreht hat (was ich für sehr viel wahrscheinlicher halte), könnte er sogar auf Notwehr plädieren. Er könnte behaupten, er habe absichtlich auf die rechte Schulter Daniel Faulkners gezielt, also ohne Tötungsabsicht gehandelt. Als Beweis kann man den Durchschuß durch den Jackenkragen anführen. Als er dann vom Polizisten angeschossen wurde, habe er in Todesangst die Waffe erneut auf ihn gerichtet und abgedrückt. Der Schuß ging in den Rücken, weil sich Daniel Faulkner in diesem Augenblick bereits umgedreht hat. Mit etwas Phantasie lassen sich sicherlich noch andere Varianten ausdenken, die ein geringeres Verbrechen als vorsätzlichen Mord darstellen. Aus Mangel an eindeutigen Beweisen könnten die Geschworenen diesen Teil der Tat milder sehen.
Für den zweiten Teil des Tat existieren all diese möglichen Erklärungen jedoch nicht. Die Zeugenaussagen und der Befund des Gerichtsmediziners belegen eindeutig, daß Mumia Abu-Jamal neben dem am Boden liegenden Daniel Faulkner gestanden ist und aus nächster Nähe in sein Gesicht geschossen hat. Daniel Faulkners Waffe lag 1,50 Meter von ihm entfernt auf der Straße. Er war bereits unbewaffnet. Ironischerweise hat sogar die Verteidigung immer wieder behauptete, der am Boden liegende Polizist kann nicht auf Mumia Abu-Jamal geschossen haben. Jemand der aus dieser Entfernung auf den Kopf eines Mannes schießt, egal ob dieser bewaffnet ist oder nicht, tut dies um zu töten. Dieser letzte Teil der Tat war keine vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge. Es war auch kein Totschlag. Als Richter Sabo die Geschworenen instruierte, erklärte er auch, was unter Totschlag zu verstehen ist.[1] Der Täter muß in diesem Fall durch das Opfer so sehr provoziert worden sein, daß ein vernünftiger Mann seine Beherrschung verliert und in einen Zustand unkontrollierbaren Wahnsinns verfällt, in dem er tödliche Gewalt anwendet ohne ausreichend Zeit zu haben um sich zu beruhigen. Selbst wenn sich Mumia Abu-Jamal darauf berufen sollte, daß er sich nicht unter Kontrolle hatte, läßt sich damit kein Totschlag begründen. Erstens fehlt die begründete Provokation, den selbst dann, wenn er nur gesehen hat, daß Daniel Faulkner auf seinen Bruder eingeschlagen hat, nicht aber William Cooks Angriff auf Daniel Faulkner, ist dies kein ausreichender Grund für die Erschießung des Polizisten. Zweitens würde kein vernünftiger Mann dadurch so sehr die Kontrolle über sich selbst verlieren, daß er dem unbewaffnet am Boden liegenden Polizisten aus nächster Nähe in den Kopf schießt. Wenn Mumia Abu-Jamal wirklich die Kontrolle über sich verloren hat, dann liegt der Grund dafür nicht in der vermeintlichen Provokation durch Daniel Faulkner, sondern allein in seinem eigenen Temperament.
Deshalb war das Verbrechen vorsätzlicher Mord (Mord ersten Grades) und nichts anderes.
Als es schließlich die Aufgabe der Geschworenen war, das Strafmaß für Mumia Abu-Jamal zu bestimmen, hat sich sein Verhalten endgültig zu seinem Nachteil entwickelt. Formal hatten die Geschworenen die Aufgabe, erschwerende und mildernde Umstände aufzulisten und gegeneinander abzuwägen. Da Daniel Faulkner ein im Dienst getöteter Polizeibeamter war, existierte auf jeden Fall dieser eine erschwerende Grund. Es war auch der einzige erschwerende Umstand den die Geschworenen angeführt haben. Anthony Jackson hat scheinbar in einem Anfall von Verzweiflung versucht, den Geschworenen diesen Umstand auszureden, wurde aber später vom Richter korrigiert.[2] Die Gesetze Pennsylvanias legen eindeutig fest, daß es ein erschwerender Umstand ist, wenn das Opfer ein Polizist im Dienst war. Mildernde Umstände wurden auf einem Formular unter den Bezeichnungen (a) bis (h) aufgeführt. Der einzige von den Geschworenen angeführte Milderungsgrund war die Unbescholtenheit Mumia Abu-Jamals zum Tatzeitpunkt. Später sollte dieses Formular gemeinsam mit den Anweisungen Richter Sabos der Grund für die Aufhebung des Todesurteils durch Richter Yohn sein.[3]
Daß es zu diesem Urteil gekommen ist, lag zum Teil an der Strategie der Verteidigung. Um einem Todesurteil zu entgehen, hätte die Verteidigung von Anfang an auf mildernde Umstände hinarbeiten müssen. Es gab die Möglichkeit, den Anfang der Schießerei als Provokation oder sogar als Notwehr hinzustellen. Wäre es Mumia Abu-Jamal gelungen, den Eindruck eines ruhigen und beherrschten Mannes zu vermitteln, wären mitleidige Geschworene vielleicht sogar bereit gewesen, den letzten Teil der Tat mit anderen Augen zu sehen, da eine begreifbare Erregung des Täters ebenfalls als Milderungsgrund gewertet werden kann. Dann hätten auch Leumundszeugen seinen guten Charakter wirkungsvoller darstellen können. Es gab durchaus Chancen, die Geschworenen zumindest von der Existenz dieser beiden zusätzlichen mildernden Umstände zu überzeugen.[4] Insgesamt hätte vielleicht das Gewicht dieser mildernden Umstände in den Augen der Geschworenen den einzigen erschwerenden Umstand übertroffen. Damit wäre die Bedingung für lebenslange Haft erfüllt gewesen.[5]
Um die mildernden Umstände wirkungsvoll zur Geltung zu bringen, hätte Mumia Abu-Jamal die Tat jedoch eingestehen müssen. Er hätte auch versuchen müssen, bei den Geschworenen einen möglichst guten Eindruck zu hinterlassen. Seine eigene Arroganz hat erheblich zum Todesurteil beigetragen.
Das einzige was er verdient hat, ist eine neuerliche Bestimmung des Strafmaßes. Dies sage ich nicht nur als Gegner der Todesstrafe. Ich halte die Beweise für seine Schuld für zu eindeutig um einen anderen Täter ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Daher halte ich den Schuldspruch der Geschworenen für korrekt. Selbst wenn man die Aussagen von Cynthia White und Robert Chobert und das Geständnis im Krankenhaus vollständig ignoriert, bleibt noch immer genügend Beweismaterial für eine Verurteilung übrig. Im Nachhinein kann man natürlich nur mehr darüber spekulieren, wie sich die Geschworenen ohne diese drei Aussagen entschieden hätten. Aber ich bin davon überzeugt, daß sie gleich wie ich entschieden hätten.
Eine Mutmaßung über den Einfluß der fragwürdigen Beweise auf das Strafmaß ist schwieriger. Selbstverständlich müßten die Geschworenen noch immer erschwerende und mildernde Umstände gegeneinander abwägen. Sie müßten entscheiden, ob er über einen guten Charakter verfügt und ob er vielleicht nur in der Hitze der Erregung gehandelt hat. Mildernde Umstände lagen durchaus im Bereich des Möglichen. Diese mildernden Umstände wurden aber durch das Geständnis im Krankenhaus nachdrücklich beeinträchtigt. Ein Mörder, der sein vermeintlich sterbendes Opfer beleidigt, kann schwerlich einen guten Charakter für sich reklamieren. Genauso schwierig ist es begreiflich zu machen, daß ein solcher Mann nur aufgrund seiner plötzlichen Erregung gehandelt hat. Schließlich lag zwischen dem Mord und dem haßerfüllten Geständnis ein ausreichend langer Zeitraum, um sich wieder abzukühlen. Das fragwürdige Geständnis im Krankenhaus war daher nicht nur ein Faktor bei der Bestimmung der Schuldfrage, sondern mit Sicherheit ein wesentlicher Faktor bei der Bestimmung des Strafmaßes. Allein aus diesem Grund halte ich eine neuerliche Bestimmung des Strafmaßes für die richtige Entscheidung. Ich wünsche ihm, daß er dann zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wird.
Bei diesen Begründungen für und gegen die Neuaustragung der Verhandlung und der Strafbemessung handelt es sich um meine Bewertung der Beweise. Damit will ich aber keinesfalls behaupten, die Verfahren wären korrekt abgelaufen. Die von Veronica Jones behauptete Einflußnahme der Polizei und das zweifelhafte Geständnis im Krankenhaus haben das Verfahren von 1982 nachhaltig gestört, und Richter Sabos Verhalten während und nach den PCRA-Anhörungen waren so voreingenommen, daß diese Beweisaufnahmen grundsätzlich nicht als gerecht angesehen werden können. Ich behaupte lediglich, daß die vorliegenden Beweise für eine Verurteilung Mumia Abu-Jamals ausreichen.
Für die Berufungsgerichte können und werden diese Begründungen keine Bedeutung haben. Die 1982 vorgelegten Beweise wurden bereits damals von den Geschworenen endgültig bewertet. Eine Umkehrung dieses Schuldspruchs kann nur dann erfolgen, wenn neue, damals noch nicht bekannte Beweismittel vorgebracht werden, oder sich eine der belastenden Aussagen eindeutig als falsch herausstellt. Eine neuerliche Beurteilung der Beweismittel von 1982 ist unmöglich. Die 1995-97 vorgelegten Beweismittel wurden ebenfalls bereits beurteilt. Wenngleich die Bewertung durch Richter Sabo im Gegensatz zur Bewertung durch die Geschworenen nicht sakrosankt ist, können die Bundesgerichte ebenfalls keine vollständig neue Abwägung der damals eingebrachten Beweismittel durchführen. Sie können das Urteil Richter Sabos nur dann aufheben, wenn er eine offensichtlich unbegründete Entscheidung getroffen hat. Ansonsten bleibt seine Beurteilung bestehen. Eine Neuaustragung der Verhandlung oder der Strafbemessung kann daher nur aufgrund von Mängeln in der Verhandlungsführung erfolgen.
Ergänzung 2006: Mittlerweile hat das Bundesberufungsgericht die von Richter Yohn erlassene Entscheidung, die Auswahl der Geschworenen für berufungsfähig zu erklären, um zwei Punkte erweitert. Die Schlußargumente des Staatsanwalts und das Verhalten des Richters während der PCRA-Anhörung wurden ebenfalls für berufungsfähig erklärt, und beide Seiten müssen nun dazu Stellung beziehen. Sollte ein Bundesgericht tatsächlich dem Antrag auf ein neues Verfahren stattgeben, ist der Ausgang schwer einzuschätzen. Nach 25 Jahren wird es schwierig sein, das Verfahren neu aufzurollen, und die Staatsanwaltschaften konnten in den vergangenen Jahren immer weniger auf die Bereitschaft der Geschworenen zählen, einen Angeklagten zu verurteilen. Sogar O.J. Simpson wurde freigesprochen. Wenn es zu einem neuen Verfahren kommt, liegt es mit Sicherheit nicht an der behaupteten Fragwürdigkeit der Beweise, sondern am Verhalten von Richter und Staatsanwalt. Die Richter des Bundesberufungsgerichts für den dritten Gerichtsbezirk der Vereinigten Staaten haben nur die erwähnten drei Punkte des Antrags der Verteidigung für berufungsfähig erklärt. Jeder dieser drei Punkte könnte für sich genommen zu einem neuen Verfahren führen. Die Beweismittel wurden nicht beanstandet.