Mumia Abu-Jamal - Eine Analyse
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Was kann Robert Chobert gesehen haben?

Neben Cynthia White ist Robert Chobert der zweite verwirrende Zeuge der Anklage. Während bei Cynthia White eine relativ klare Trennung zwischen dem tatsächlich beobachteten Geschehen und den später erfundenen Details möglich ist, sieht die Sache bei Robert Chobert deutlich komplizierter aus. Er beschreibt gleich zwei Dinge, die niemals geschehen sind. Chobert war damals ein Taxifahrer und ließ hinter dem Polizeiauto Daniel Faulkners einen Fahrgast aussteigen. Laut seiner ersten Aussage hörte er den ersten Schuß während er gerade den Fahrpreis in sein Logbuch eintrug. Danach sah er zum Tatort und sah wie der Polizist zu Boden fiel und der Täter über dem am Boden liegenden Polizisten stand und mehrmals auf diesen schoß. Nach dem Mord rannte der Täter etwa dreißig bis fünfunddreißig Schritte bevor er zu Boden fiel. In späteren Aussagen verringerte er diese Distanz zunächst auf neun Meter und schließlich auf drei Meter. In Hinblick auf William Cook sagte er, auch dieser wäre davongelaufen bevor die Polizei ihn festgenommen hat. Tatsächlich saß Mumia Abu-Jamal wenige Schritte von Daniel Faulkner entfernt am Gehsteigrand, und William Cook stand mit dem Rücken zur Gebäudewand und ist nicht davongelaufen. Andererseits beschrieb er den Tathergang zwar nur grob aber in ungefährer Übereinstimmung mit den übrigen Zeugen. Wenige Minuten später konnte Chobert den in einem Polizeiauto liegenden Abu-Jamal als Täter identifizieren.
Der später am Tatort anwesende Inspektor Giordano bezog sich in seiner Aussage ebenfalls auf Chobert. Giordano sagte aus, ein Mann aus der Menge [Chobert] hätte am Tatort erklärt, der Täter wäre davongelaufen. Dieser Mann [Chobert] gab auch eine Beschreibung der Rasta-Frisur des Täters ab, wurde daraufhin zu einem wartenden Polizeiauto gebracht und identifizierte Mumia Abu-Jamal an Ort und Stelle. Grundsätzlich handelt es sich dabei nicht um eine Aussage Robert Choberts, sondern um Giordanos Interpretation dieser Aussage, damit also um Hörensagen. Es ist aber gleichzeitig eine interessante Aussage, da sie sich teilweise mit Choberts späterer Aussage deckt.
Wie läßt sich erklären, daß er Abu-Jamal und seinen Bruder weglaufen gesehen hat? Als er zum ersten Mal hinsah, war Daniel Faulkner bereits auf dem Gehsteig und Abu-Jamal zumindest kurz davor. William Cooks Position zu diesem Zeitpunkt ist nicht klar, er war aber mit Sicherheit vor seinem Bruder auf dem Gehsteig. Dort hat er sich neben die Gebäudewand gestellt. Dieser Augenblick war der einzige Zeitraum, zu dem Chobert William Cook in Bewegung gesehen haben kann. Die Behauptung, William Cook sei weggelaufen, kann nur dadurch zustande gekommen sein, weil er aus Choberts Blickfeld verschwand. So wie bei Michael Scanlan läßt sich auch bei Robert Chobert nicht genau feststellen, was er sehen konnte. Unter Berücksichtigung der möglichen Ungenauigkeit befand sich William Cook aus der Sicht Robert Choberts deutlich rechts vom Polizeiauto, war also mit Sicherheit nicht durch die Autos verdeckt. Wenn er ein paar Schritte zur Seite gemacht hat, wäre er zwar nicht mehr in dem Bereich gewesen auf den sich Chobert konzentriert hat, er wäre für ihn aber noch immer sichtbar gewesen.
Eine Erklärung für die Behauptung, auch Mumia Abu-Jamal wäre davongelaufen, läßt sich viel einfacher finden. Robert Chobert sah den Täter auf den am Boden liegenden Polizisten schießen und sah danach, wie sich der Täter wegbewegte. Dann verschwand er aus seinem Blickfeld. Dies kann auf Mumia Abu-Jamal zutreffen. Als er sich auf den Randstein setzte verschwand er tatsächlich aus Choberts Blickfeld und löste damit die Vermutung aus, er sei weggelaufen. Genau hier liegt das eigentliche Problem. Da die Interpretation des Geschehens durch Chobert eindeutig falsch war, hatte er offensichtlich keinen Anhaltspunkt für Abu-Jamals weiteren Verbleib.
Insgesamt weist seine Aussage auf eine stark eingeschränkte Beobachtung hin. Die späteren Korrekturen waren wohl der Versuch, seine Geschichte mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Er hat keinesfalls gesehen, wie Abu-Jamal zu Boden ging, da ihm ansonsten sofort die falsche Distanz aufgefallen wäre. Robert Chobert behauptete, er hätte sein Auto verlassen um Daniel Faulkner zu helfen, wurde aber von den eintreffenden Polizisten wieder in sein Auto zurückgeschickt. Die eintreffenden Polizisten haben ihn nicht in der Nähe Daniel Faulkners gesehen. Außerdem wäre seine Geschichte deutlich anders gewesen, falls er den am Gehsteigrand sitzenden Abu-Jamal gesehen hätte. Ihm wäre es mit Sicherheit gelungen die entsprechenden Schlußfolgerungen zu ziehen. Er mußte also irgendwo, wahrscheinlich noch am Tatort, erfahren haben, daß Mumia Abu-Jamal am Gehsteigrand sitzend festgenommen wurde. Diese Information hat er danach mit seinem eigenen Wissensstand kombiniert. Vielleicht sah er tatsächlich eine Person in größerer Entfernung davonlaufen und hat deshalb die Entfernung so falsch geschätzt. Daß er trotzdem bei seiner Geschichte geblieben ist, stellt ein Problem dar. Er war offensichtlich bereit, seine Aussage den Erfordernissen anzupassen.
Chobert hat Abu-Jamal noch am Tatort identifiziert. Trotzdem bestehen Zweifel an dieser Identifizierung. Zwei Punkte sprechen für die stark eingeschränkten Sichtverhältnisse. Zunächst konnte Chobert weder Statur noch Kleidung des Täters beschreiben. Er beschrieb die Kleidung zweimal und irrte sich beidemal. Es ist sicherlich auch schwierig, das Gewicht einer Person zu schätzen. Er lag aber sehr weit daneben. Der zweite Punkt ist Choberts Aussage, auch William Cook wäre davongelaufen und gefaßt worden. Als die Polizisten eintrafen stand William Cook an der Gebäudefassade. An dieser Stelle war er für Robert Chobert stets sichtbar, und es ist schwer zu erklären, wieso er glaubte auch dieser sei davongelaufen. Wenn Chobert trotzdem den Sichtkontakt zu William Cook zu irgendeinem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt verloren hat, müssen die Sichtverhältnisse stark eingeschränkt gewesen sein.
Ich zweifle an seiner Fähigkeit, Mumia Abu-Jamal zu identifizieren. Der Täter hat ihm zunächst den Rücken und erst später sein Profil zugekehrt und schließlich waren die Rastazöpfe ein hervorstechendes Merkmal welches von anderen Details abgelenkt hat. Chobert hat diese Zöpfe bemerkt und sie mit MOVE in Verbindung gebracht. Bei der Beobachtung der Tat hatte er aber nur sehr wenig Zeit und es ist nicht wahrscheinlich, daß er sich neben dieser Frisur auch noch die Gesichtszüge einprägen konnte. Die Identifizierung am Tatort macht seine Aussage nicht glaubwürdiger: er bemerkte die Frisur des Täters, die Polizisten zeigten ihm einen Mann mit der gleichen Frisur und er identifizierte diesen. Die Änderungen in seiner Geschichte zeigen daß er bereit war seine Aussage anzupassen.
Robert Chobert hat tatsächlich nur gesehen, daß ein Mann auf den am Boden liegenden Polizisten geschossen hat. Im Gegensatz zu Scanlan, Magilton, White und Harkins lieferte er die einzige Zeugenaussage, deren Wert von der positiven Identifizierung Abu-Jamals abhängig ist. Über Abu-Jamal sind zwei Dinge unstrittig bekannt: er lief aus dem Parkplatz kommend über die Straße auf Daniel Faulkner zu und er wurde am Gehsteigrand sitzend festgenommen. (Die Märchen von Singletary, Harmon und Beverly ignoriere ich an dieser Stelle, da sie schon längst diskreditiert sind.) Selbst wenn einer der vier genannten Zeugen die Gesichtszüge Abu-Jamals nicht erkennen konnte, war er oder sie trotzdem in der Lage den Angeklagten direkt mit der Tat in Verbindung zu bringen. Scanlan und White sahen ihn vom Parkplatz laufen und schießen, Magilton sah ihn vom Parkplatz laufen und konnte Sekunden oder vielleicht auch nur Bruchteile einer Sekunde nach der Schießerei den gesamten Tatort aus geringer Entfernung überblicken. Er war früher am Ort des Geschehens als Dessie Hightower und er war viel näher als dieser und hat trotzdem keinen fliehenden Mann gesehen. Schließlich konnte auch Harkins Abu-Jamal direkt belasten, da er sah, daß sich der Täter auf den Gehsteigrand setzte. Im Gegensatz zu diesen Aussagen war Robert Choberts Aussage zunächst nur dann belastend, wenn er Mumia Abu-Jamals Gesichtszüge erkennen konnte, was ich jedoch bezweifle. Ansonsten konnte er nur Scanlans und Harkins Beschreibung des Tatablaufs bestätigen. Seine Aussage wird erst im Zusammenhang mit anderen Beweisen interessant.
Für die gesamte Erklärung bin ich davon ausgegangen, daß Robert Chobert am Tatort war. Es gibt aber auch Behauptungen, er hätte sein Taxi auf der anderen Seite der Straße geparkt. Die Aussagen der Zeugen zur Lage des Fahrzeugs sind tatsächlich spärlich. Albert Magilton erinnerte sich an ein geparktes Taxi, die Prozeßmitschrift gibt dessen Lage aber nicht an. Cynthia White sah das Taxi als es ankam. William Harmon gab 1995 an, welche Fahrzeuge er an der Südseite der Locust-Straße sah, nachdem er kurz zuvor die Tatortfotos gesehen hatte. Darunter war auch das Taxi. Es gibt aber keine näheren Informationen zu diesem Foto. Andererseits behauptete der Privatdetektiv George Michael Newman in seiner schriftlichen Erklärung, Robert Chobert hätte ihm am Telefon gesagt, er wäre zum Zeitpunkt der Tat auf der anderen Straßenseite gewesen. Es ist schwer vorstellbar, daß Chobert einen Meineid eingestanden haben soll. Daß es Weinglass daraufhin unterlassen hat dieser Sache nachzugehen als Chobert 1995 im Zeugenstand war ist schlicht unvorstellbar. Ein Foto von Pedro Polakoff zeigt den Bereich hinter Daniel Faulkners Polizeiauto ohne Taxi. Dieses Foto soll angeblich die Abwesenheit Robert Choberts beweisen. Es ist nicht klar, wann es aufgenommen wurde. Der Inhalt des Fotos ist jedoch interessant. In Straßenmitte sind Absperrungen zu sehen, die an dieser Stelle keinen Sinn ergeben. Sie lassen den gesamten Bereich hinter dem Polizeiauto frei und ergeben erst dann Sinn, wenn sie zur Straßenmitte geschoben wurden, um einem Fahrzeug das Wegfahren zu erlauben. Da Robert Chobert seine erste Aussage bereits um 4:25 unterschrieben hat, Polakoff laut eigener Aussage den Tatort aber erst zwischen 4:35 und 4:50 verließ, blieb genügend Zeit um zurückzukehren und wegzufahren. Ein Vergleich mit anderen Fotos zeigt ebenfalls, daß eine große Anzahl an Polizeifahrzeugen vor Ort war. Lediglich die Stelle hinter Daniel Faulkners Auto blieb frei. Auch dieser Umstand deutet darauf hin, daß dieser Platz zuvor noch belegt war.



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