Die Aussagekraft der gefundenen Projektile
Die Zeugen werden auch deshalb der Lüge bezichtigt, weil der von ihnen geschilderte Tatablauf „physikalisch unmöglich“ sein soll. Da sie sich in vielen Punkten gegenseitig bestätigten, wurde dieser Umstand als angeblicher Beweis für eine umfassende Verschwörung angeführt. Solche Formulierungen mögen eindringlich klingen, stellen aber noch lange keine Beweise dar. Das physikalisch Mögliche weist stets einen gewissen Spielraum auf, der durch die nur bruchstückhaft bekannten Daten festgelegt wird. Aufgrund der Lage eines Projektils läßt sich die Schußbahn nur noch ungenau bestimmen. Wenn das Projektil auch noch zersplittert ist, wird der Ausgangspunkt erst recht vage. Projektile können abprallen oder durch ein Objekt hindurchgehen, sich buchstäblich auflösen oder nur kleine Splitter verlieren. Schließlich können sie in einem Objekt am Tatort verbleiben oder auch Hunderte Meter entfernt einschlagen und dadurch jeden Zusammenhang mit dem Tatort verlieren.
Im Mordfall Daniel Faulkner scheint von allen Möglichkeiten etwas dabei zu sein. Am Tatort wurden die Reste von drei oder vier Projektilen des Angreifers gefunden. Zwei Projektile - in der Eingangstür von Locust 1234 und im Kopf von Daniel Faulkner - waren fast vollständig erhalten. Ein Kupfermantel und Projektilfragmente im Eingangsbereich von Locust 1234 konnten nicht mehr rekonstruiert werden. Die Fragmente können von einem oder mehreren Projektilen stammen. Die Aussagen der Zeugen und die Tatsache, daß Abu-Jamals Revolver mit fünf leergeschossenen Patronenkammern gefunden wurde, legen nahe, daß noch weitere Schüsse abgefeuert wurden, die keine sichtbaren Spuren hinterließen.
Wenn die „physikalischen Beweise“ die Täterschaft Kenneth Freemans als grundsätzliche Möglichkeit unterstützen, müssen sie zu einem Alternativszenario passen. Wenn sie Kenneth Freemans Schuld beweisen, müssen sie gleichzeitig Mumia Abu-Jamal als Täter ausschließen oder seine Täterschaft zumindest als unwahrscheinlich nahelegen. Ansonsten kann das Gewicht der Zeugenaussagen nicht aufgewogen werden. Um dies zu tun, sind zwei Forderungen zu erfüllen. Die ersten Schüsse, welche ihre Spuren im Bereich des Hauseingangs von Locust 1234 hinterlassen haben, müßten vom Gehsteig abgefeuert worden sein, und die letzte Stufe des Mordes, die Schüsse auf den am Boden liegenden Daniel Faulkner, dürfen den Zeugenbeschreibungen nicht entsprechen.
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