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Der zweite Teil des Beweises dafür, daß Mumia Abu-Jamal die ersten Schüsse nicht abgegeben haben kann, betrifft die Flugbahn eines Kugelfragments innerhalb des Eingangsbereichs von Locust 1234 nachdem es zuvor eine Glasscheibe durchschlagen hat (laut Polizeibericht ein Fragment, während der Verhandlung wurde auch von mehreren Fragmenten gesprochen; ich werde im folgenden von einem Fragment ausgehen). Von der Schußöffnung in der Scheibe wissen wir nur, daß sie sich „oben rechts“ im Glas befunden hat. Zur Verdeutlichung dieses Weges wird in der verzerrten Skizze der Anfangspunkt (Loch in der Scheibe) und der Endpunkt (Fundort des Fragments) verwendet - oder so sieht es zumindest aus.
Das Foto oben enthält zwei mögliche Position für das Einschußloch im Glas. Die Prozeßmitschrift enthält zu wenig Information für eine eindeutige Abklärung. Die verzerrte Skizze zeigt die folgende Situation innerhalb des Vorraums von Locust 1234. Dieser Teil erscheint aufgrund des Maßstabs nur sehr klein und kann deshalb nur ungenau vermessen werden. Der hier dargestellte Raum ist gut 8×6 Meter groß.
Die linke Skizze gibt die Situation in Wettlauf gegen den Tod wieder. Die Ablenkung der Flugbahn quer zur Locust-Straße (diese verläuft ungefähr von West nach Ost) wurde mit 46 Grad gezeichnet. Von draußen gesehen verläuft die Verlängerung dieser Linie knapp links an der Stange vorbei. Es fällt sofort auf, daß der Ort an dem das Fragment gefunden wurde, von den Wänden links und unten etwa gleich weit entfernt sein müßte. Das Kreuz am Ende des Pfeils entspricht diesem Umstand nicht einmal annähernd (gemessene Entfernung 3,3 bzw. 1,6 Meter). Die angedeutete Tür nimmt etwa die halbe Raumbreite ein, stellt also nicht die Tür, sondern die gesamte kunstvoll verzierte Leibung des Eingangs dar. Das Kreuz für die Schußöffnung im Glas liegt in Übereinstimmung mit der Ausbildung des Türbereichs etwa 50 bis 60 cm hinter der Gebäudefront, befindet sich aber 1,1 bis 1,2 Meter von der Türachse entfernt, womit sie bereits neben der Tür sein müßte. Wenn man statt der Türleibung nur die sehr viel schmälere Tür einzeichnet, fällt der Schwindel sofort auf. Die als kräftiger Punkt eingezeichnete Stange befindet sich etwa 1,8 Meter links von der Türachse und weicht damit ebenfalls merklich von der wirklichen Position ab. Auch dieser Teil der Skizze wurde in mehreren Bereichen stark verzerrt, wenngleich die Manipulationen nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Die einzelnen Punkte liegen für sich betrachtet zwar merklich aber trotzdem nicht allzu weit von der wirklichen Position entfernt. Auch der Durchmesser der Stange liegt noch innerhalb üblicher Toleranzen (in diesem Maßstab wäre es knapp ein Meter). Insgesamt verzerren sie die Aussage der Skizze aber gewaltig. Die rechte Skizze ist eine korrigierte Variante. Der Punkt innerhalb des Raumes in der rechten Skizze liegt etwa zwei Meter von der südlichen und westlichen Wand entfernt und kennzeichnet damit den Fundort des Fragments (der Abstand von der südlichen Wand ist etwas größer um die Wanddicke zu berücksichtigen). Die tatsächliche Tür (mit zwei kurzen Strichen angedeutet) ist sehr viel schmäler als in der Originalskizze. Die Einschußöffnung liegt näher an der Türachse. Obwohl dieser Punkt unsicher ist, liegt er in jedem Fall deutlich links vom Punkt der Originalskizze. Eine ähnliche Ungenauigkeit betrifft die Lage der Stange des Parkverbotszeichens, welche deutlich zur Türmitte hin verschoben werden muß. Die Größe der Markierung entspricht etwa dem Bereich der möglichen Lage dieser Stange. Er ist länglich eingezeichnet, da die Stange deutlich nach Osten geneigt ist. In dieser korrigierten Variante liegt die Verlängerung der angeblichen Flugbahn nicht einmal mehr in der Nähe der Stange. Diese geometrischen Unzulänglichkeiten sind aber nicht das eigentliche Problem der Beweisführung. Die eingezeichnete Linie ist nur eine angebliche Flugbahn, weil der Fundort des Fragments nicht die Flugbahn des Fragments beschreibt. Um an den Fundort gelangt zu sein, konnte das Fragment irgendwo innerhalb des Raumes abgeprallt sein. Ein Fragment welches eine Glasscheibe durchschlagen konnte, wird sogar mit großer Wahrscheinlichkeit noch schnell genug sein um danach weiter als drei Meter zu fliegen. Die strichlierte Linie zeigt eine mögliche Flugbahn. Dies ist aber nur eine von unendlich vielen Möglichkeiten und der Umstand, daß die Verlängerung dieser möglichen Flugbahn zur Stange zeigt, ist lediglich Zufall. Weder ist die genaue Lage der Rückwand bekannt (die eingezeichnete Linie ist nur der Bildrand), noch weiß man etwas über deren Beschaffenheit. Da die Schußöffnung in der Tür sehr hoch liegt, könnte das Fragment auch von der Decke abgeprallt sein. Ebenso kommt ein Gegenstand im Raum in Frage. Die einzige mögliche Schlußfolgerung ist die Aussage, daß man über die Flugbahn des Projektils innerhalb des Vorraums von Locust 1234 nichts aussagen kann. Dabei spielt es auch keine Rolle, wie groß dieser Raum wirklich ist oder ob das Fragment beim Durchgang durch die Glasscheibe irgendwie abgelenkt wurde. Die auch nur angenäherte Bestimmung der Flugbahn aufgrund der Situation innerhalb des Vorraums ist grundsätzlich nicht möglich. Es ist aber möglich, die Flugbahn nach dem ersten Abprall zu bestimmen. Wie bereits oben erwähnt, basiert die Theorie darauf, daß das Projektil wahrscheinlich von der Stange des Parkverbotszeichens abgeprallt ist. Somit ist diese Stange der Anfangspunkt der Flugbahn. Der Endpunkt ist mit dem Loch in der Scheibe ebenfalls bekannt. Die Lage beider Punkte ist nicht exakt bestimmbar. Dementsprechend müssen diese Ungenauigkeiten berücksichtigt werden. Die folgende Skizze zeigt die zeichnerische Ermittlung dieses Winkels.
Wie im Foto von der Fassade von Locust 1234 zu sehen ist, liegen die Mitte der Tür (das heißt gleichzeitig die Gebäudemitte), die Stange und die Ecke des Lüftungsgitters auf einer Linie. Die Entfernung der Stange vom Gehsteigrand wird in anderen Fotos angezeigt (siehe weiter unten). Die Einschußöffnung im Glas kann 30 bis 60 cm von der Mitte der Tür entfernt sein. Das Verhandlungsprotokoll spricht nur vom rechten oberen Teil der Tür. Die deutlich sichtbare Neigung der Stange stellt eine weitere Unsicherheit dar. Unter Berücksichtigung aller Unsicherheiten liegt dieser Ablenkungswinkel bei mindestens 20 Grad, höchstens zwischen 25 und 30 Grad. Um Abu-Jamal als Täter auszuschließen, müßte dieser Winkel hingegen deutlich größer sein. Auch dieser Teil der verzerrten Skizze täuscht den Betrachter. Sie gibt die Situation nicht nur falsch wieder, sondern gaukelt eine Genauigkeit in der Bestimmung der Flugbahn vor, die auf keinen Erkenntnissen basiert. Sogar der grundsätzliche Weg auf dem die Flugbahn bestimmt wurde ist ungeeignet. Gleichzeitig wurde aber die tatsächlich vorhandene Möglichkeit zur Bestimmung des Winkels ignoriert. Der resultierende Winkel der Geschoßablenkung ergibt sich unter der Berücksichtigung der möglichen Gehrichtungen Abu-Jamals ungefähr zu 0 bis 60 Grad. Der obere Teil dieses Bereichs wäre zwar für die Ablenkung eines vollständigen Geschosses noch immer ungewöhnlich groß, er liegt aber für ein kleineres Fragment insgesamt im Bereich des Möglichen. Was aber, wenn das Fragment kein Querschläger von der Stange war, sondern nach dem Schuß in Daniel Faulkners Rücken vom Boden abgeprallt ist? Da Daniel Faulkner zu diesem Zeitpunkt noch rechts von der Stange in der Nähe des Polizeiautos gewesen ist, müßte das Fragment annähernd frontal von unten auf die Scheibe getroffen sein. Dies sagt wenig über die ursprüngliche Richtung aus. Beim Abprallen vom rauhen Betonboden können Fragmente weit gestreut werden. Genausowenig kann man über die Flugbahn innerhalb des Gebäudes aussagen. Auch in diesem Fall beschreibt der Fundort nicht den Endpunkt einer geradlinigen Flugbahn. Im Eingangsbereich von Locust 1234 wurden noch an drei weiteren Stellen Teile von Projektilen gefunden. Ein beinahe vollständiges Projektil steckte in der Leibung rechts von der Tür. Trotzdem es geringfügig leichter als ein vollständiges Projektil war, gibt es keinen Hinweis darauf, daß dieses Projektil ebenfalls ein Querschläger ist. Es muß daher auf direktem Weg dorthin gelangt sein. Der Kupfermantel vor der Eingangstür und die Fragmente rechts von der Eingangstür zusammen mit einem grauen Fleck an der Wand in 18 cm Höhe stellen jeweils nur kleine Teile eines Projektils dar. Ob sie mit dem Fragment im Gebäude in Verbindung stehen läßt sich nicht sagen. Während größere Geschoßteile die Flugbahn nach dem Auftreffen auf ein Hindernis zumeist nur geringfügig ändern, können kleine Fragmente einen unvorsehbaren Weg einschlagen. Daher könnten die vor dem Gebäude aufgefundenen Fragmente auch vom selben Projektil stammen aber anders abgelenkt worden sein als das Fragment im Gebäudeinneren. Man kann nur mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß sie tatsächlich von den Ereignissen am 9.12.1981 stammen. Zunächst einmal wurde nirgends eine kurz davor stattgefundene Schießerei an derselben Stelle erwähnt. Aber auch die Lage der Fragmente ist aufschlußreich. Der leichte Kupfermantel wäre durch den Fußgängerverkehr in der Nähe der Eingangstür sehr rasch entweder in eine Ritze neben der Hauswand oder über die Gehsteigkante befördert worden. Noch unwahrscheinlicher wäre es, daß die kleinen Fragmente für längere Zeit in unmittelbarer Nähe des grauen Flecks an der Hauswand verblieben wären. Dieser graue Fleck erwies sich später als Bleimarkierung und gehörte mit Sicherheit zu den Fragmenten. Diese kleinen Fragmente wären nicht einmal für längere Zeit nahe nebeneinander liegen geblieben. Speziell sehr kleine Objekt werden sehr rasch an eine niedriger liegende Stelle außerhalb des Fußgängerverkehrs verfrachtet. Wären es alte Fragmente gewesen, hätte man sie an einer anderen Stelle gefunden bzw. wären sie verstreut gewesen. In anderen Quellen, z.B. in der auch von Schiffmann mehrfach zitierten Erklärung Rachel Wolkensteins, einer früheren Anwältin Mumia Abu-Jamals, findet sich sogar die Behauptung, der Kupfermantel kann von keiner der beiden am Tatort gefundenen Waffen abgefeuert worden sein, müsse also von einer dritten Waffe stammen. Anthony Paul, der Waffenexperte der Staatsanwaltschaft, sagte jedoch bereits im Verfahren von 1982 aus, daß beide Waffen eine Patrone mit Kupfermantel abfeuern konnten. Die Verteidiger haben zwar über dieses Beweisstück geredet, aber niemals ein Gegengutachten vorgelegt. Die Tatsache, daß die übrigen aufgefundenen Projektile und Fragmente keinen Kupfermantel aufwiesen, kann auch nicht als Beweis herangezogen werden. Abu-Jamals Waffe enthielt zwei verschiedene Sorten Patronenhülsen. Vielleicht war darunter nur eine Patrone mit einem Kupfermantel. |
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