Die Beschreibungen des Tathergangs
Keine Abhandlung zugunsten Mumia Abu-Jamals verzichtet darauf, die Beschreibung des Tatablaufs durch die Staatsanwaltschaft zu kritisieren. Auch Wettlauf gegen den Tod ist keine Ausnahme. Vereinfacht sieht diese Beschreibung folgendermaßen aus. Mumia Abu-Jamal rannte über die Straße, schoß Daniel Faulkner in den Rücken, dieser fiel zu Boden, erwiderte aber das Feuer noch bevor oder während er stürzte und wurde schließlich vom über ihm stehenden Abu-Jamal tödlich getroffen. Der Täter ging daraufhin noch ein paar Schritte bevor er sich auf den Randstein setzte. Die Behauptung der Unterstützer Mumia Abu-Jamals lautet, verschiedene Gründe wie z.B. der Verlauf der Schußkanäle würden dieser Beschreibung klar widersprechen. Weiter unten möchte ich auf diese Gründe genauer eingehen. In Wirklichkeit benötigt man keine komplizierten Analysen um die große Lücke in dieser vereinfachten Beschreibung zu zeigen. Am Beginn des Schußwechsels stand Daniel Faulkner irgendwo zwischen dem Volkswagen und seinem eigenen Auto. Am Ende lag er mehrere Meter davon entfernt am Boden. Die Beschreibung der Staatsanwaltschaft enthält keinerlei Informationen über den Weg dazwischen. Es wurde während des gesamten Verfahrens immer wieder angedeutet, Daniel Faulkner sei in Folge des Treffers in den Rücken sofort oder zumindest sehr rasch zu Boden gegangen. Die Version der Staatsanwaltschaft weist eine offensichtliche Lücke auf.
Es läßt sich leicht zeigen, warum die zeitliche Lücke in den Zeugenaussagen existiert. Für Michael Scanlan lag der fragliche Bereich versteckt hinter den geparkten Autos. Chobert wurde erst durch die ersten Schüsse aufgeschreckt und konnte den fraglichen Bereich ebenfalls nicht einsehen. Cynthia White hätte diesen Bereich zwar sehen können, ist aber wie bereits geschildert wahrscheinlich in Deckung gegangen. Albert Magilton hörte die Schießerei, hat sie aber nicht gesehen. Nur Harkins meinte während der PCRA-Anhörung, es sah so aus als hätten die beiden Kontrahenten miteinander gerungen. Für die Zeugen war eine Lücke in der Beschreibung natürlich.
Die Sachverständigen hätten trotzdem die Möglichkeit gehabt, die Lücke etwas genauer zu beschreiben. Auch die Staatsanwaltschaft hätte die Möglichkeit gehabt zu erklären, daß Daniel Faulkner nicht sofort zu Boden ging. Niemand wußte genau, was geschehen ist. Nur Michael Scanlan sagte ausdrücklich, daß zwischen Anfang und Ende der Schießerei etwa fünf bis sechs Sekunden lagen. Man kann der Staatsanwaltschaft jedoch nur vorwerfen, daß sie die Zeugenaussagen genauer dastehen ließ als diese in Wirklichkeit waren. Dies wirft im Falle Cynthia Whites, die es ja sehen hätte können, ein Glaubwürdigkeitsproblem auf. Es ist aber kein Grund um den gesamten Fall der Staatsanwaltschaft zu verwerfen. Noch weniger kann man deshalb die Ermittlungsbeamten als korrupt und unfähig beschimpfen.
Sogar ausgiebig und gründlich analysierte Kriminalfälle können nur bis zu einer bestimmten Grenze beschrieben werden. Wenn nicht gerade das ganze Geschehen von einer Überwachungskamera gefilmt wurde, erreichen die Beschreibungen niemals filmische Genauigkeit. Es gibt stets einzelne Punkte die im dunkeln bleiben. Dadurch wird der Wert einer Anklage nicht automatisch geschmälert. Solange die wesentlichen Punkte belegt werden können, bleibt ein Schuldspruch zu recht bestehen. Ein technisches Gutachten welches Zweifel am beschriebenen Tatablauf weckt, kann dabei nur am Gewicht der übrigen Beweise gemessen werden. Die bloße Erkenntnis, daß Zeugenaussagen nicht in jeder Beziehung genau sind, reicht als Unschuldsbeweis nicht aus. Erst wenn Beweismittel den Zeugenaussagen so grundsätzlich widersprechen, daß die ganzen Tatbeschreibungen und damit auch die Redlichkeit dieser Zeugen in Zweifel gezogen werden können, wirkt ein solches Gutachten als Gegenbeweis. In diesem besonderen Fall ist eine Rekonstruktion des Tatablaufs nicht nur wichtig um den Schützen zu identifizieren. Diese Frage konnte bereits aufgrund einer Analyse der Beweise beantwortet werden. Eine genauere Betrachtung des möglichen Tatablaufs soll die Frage klären, ob es sich vielleicht doch um ein geringeres Verbrechen als vorsätzlichen Mord handelt. Die vereinfachte Darstellung durch die Staatsanwaltschaft entspricht eindeutig einem in böser Absicht ausgeführten Mord. Diese offizielle Darstellung ist aber im Detail unvollständig und sogar widersprüchlich. Wie groß sind diese Widersprüche?
|