Mitte August 1944 kam die Offensive der AK ins Stocken, und die SS-Truppen, die inzwischen am Rande Warschaus Stellung bezogen hatten, setzten zum Gegenangriff an. Bald musste die AK um jedes einzelne Gebäude hart kämpfen, und nach der Besetzung und Zerstörung der Altstadt am 2. September waren die Aufständischen auf mehrere Kessel verteilt.
Am 15. September hatte die Rote Armee das rechte Weichselufer unter Kontrolle gebracht, kam den Aufständischen am anderen Ufer aber nicht zu Hilfe und verbot der mit ihr ziehenden 1. polnischen Armee unter Gen. Zygmunt Berling, [1] über die Weichsel in größeren Verbänden zu setzen. Die AK musste Stadtteil für Stadtteil räumen und mitsamt den Zivilisten über die Abwasserkanäle flüchten. Die SS, die die Flüchtlinge aufspürte und von der AK oft an falscher Stelle vermutet wurde, liquidierte sie mit Handgranaten, die in die Kanalschächte geworfen wurden.
Als auch die Lebensmittelvorräte zu Ende gingen, begann "Bór"-Komorowski, Kapitulationsverhandlungen mit dem SS-Führer Erich von dem Bach zu führen. Die letzten größeren AK-Verbände wurden bis zum 30. September zerschlagen, und am 2. Oktober kapitulierte "Bór"-Komorowski im Hauptquartier Bachs in Ożarów Mazowiecki (einem westlichen Vorort Warschaus). Die noch lebenden AK-Soldaten wurden von der SS gefangen genommen, alle Zivilisten aus Warschau vertrieben. Die Stadt selbst war fast völlig zerstört, und insgesamt 150.000 Menschenleben hatte der Aufstand gekostet. [2] "Bór"-Komorowski geriet auch in deutsche Gefangenschaft, emigrierte aber nach dem Krieg in den Westen. Sein Nachfolger als AK-Oberkommandant wurde Leopold "NiedĽwiadek"-Okulicki.
Der Warschauer Aufstand scheiterte, ohne den weiteren Verlauf des Krieges entscheidend zu beeinflussen. Auch nach Kriegsende hatten die AK-Veteranen keinerlei Einfluss auf die polnische Politik; dafür war Stalins Machtstreben viel zu groß. [3] Trotzdem war der Aufstand nicht nutzlos: Er bewies, dass der polnische Widerstand durchaus zum Kampf gegen den übermächtigen Besatzer fähig war. Mit welch einfachen Methoden die AK beachtliche Erfolge erzielen konnte, zeigt der folgende Erlebnisaufsatz eines AK-Soldaten:
"...Ich begegne einer Gruppe aus unserem Zug [Einheit aus etwa 30 Soldaten; J.R.], die mich zum Bau einer Straßensperre einzieht...
[...]
Zum Glück wimmelte es von entsprechendem Material. Auf dem 'Skra'-Sportplatz waren Stöße von Stahlträgern aus zerstörten und später abgerissenen Getto-Häusern gelagert. Wir haben die Fahrbahn aufgegraben und graben die Balken tief nach der 'Igel'-Methode ein, so dass sie sich unter Belastung noch tiefer in die Erde drücken... Ist es wert, -denke ich- so viel Mühe für zwei bis drei, höchstens fünf Tage Aufstand einzusetzen?
[...]
...Die Erde beginnt zu beben, in die Ohren dringt ein Dröhnen ein, und bald verdeckt die hoch oben angebrachten Fenster... ein graues Monstrum, das sich gleich hinter der Wand bewegt - der zweite Panzer, wie sich heraus stellt.
[...]
Wir springen -ohne zu wissen, wohin- aus der Halle, die jeden Moment zerstört werden könnte... Hauptmann 'Gryf' (Leon Tarajkowicz) ist es gelungen,... eine panzerbrechende Granate... auf das Heck des zweiten Panzers zu werfen... Die Panzer... fahren in Richtung 'unserer' Barrikade... Der erste fährt sie an, wird aber aufgehalten. Die Barrikade hat ausgehalten!" [4]
Insgesamt 63 Tage dauerten die Kämpfe. Praktisch ohne fremde Hilfe behaupteten sich 44.200 AK-Soldaten gegen mehrere SS-Divisionen. Der Warschauer Aufstand war eine der spektakulärsten Aktionen des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Doch er war nicht nur eine militärische Operation: Während dieser 63 Tage regierte in Warschau der (bisher nur im Untergrund arbeitende) AK-Staatsapparat als demokratisches Instrument. [5]
1) siehe Abschnitt 7.2.1 [¶]
2) vgl. Dybkowska / Żaryn / Żaryn, Polskie dzieje, S. 299. [¶]
3) vgl. Abschnitt 8.2.3 [¶]
4) Trepka, "Godzina 'W' na Woli", S. 2. [¶]
5) siehe auch Abschnitt 6.2.5 [¶]
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