Bomber Harris
do it again, oder wer oder was ist eigentlich antinational?
Von Anna Bauer
Als in der Noch-BRD und Noch-DDR Ende des Jahres 1989, gemeinhin
als "die Wende" bezeichnet, deutsch-nationaler Wahn im fortwährenden
Gröhlen der deutschen National-hymne, gelegentlich unter Absin-gen
aller drei Strophen, und im Schwenken deutscher Fahnen und Fähnchen
fröhliche Urständ feierte, gab es unter den Linken wahrscheinlich
niemanden, dem beim Betrachten der dementsprechenden Fernsehbilder und
dem Anhören der dazu passenden Kommentare und des schon erwähnten
Gegröhles nicht speiübel geworden wäre. Die in das an den
Fanatismus zum Kriegseintritt 1914 erinnernde deutsch-nationale und antikommunistische
Getaumel von einigen Tausend Linken trotzig hineingeworfene Losung "Nie
wieder Deutschland" war ebenso verständlich wie hilflos und einige
Monate darauf bereits anachronistisch, denn der reiche, der große
und den Namen Deutschland nach dem Hitlerfaschismus weiter tragende Teil
des zweigeteilten deutschen Territoriums hatte den kleineren, den ärmeren
und den unterlegenen Teil geschluckt, der seinerseits den Namen "Deutschland"
im Staatsnamen vermieden hatte. Um es nicht zu vergessen, gab es auch noch
die kleine "Insel" Westberlin, die, was von vielen geschätzt wurde,
irgendwie überhaupt nicht richtig deutsch war. So musste mann als
Bürger dieser Insel nicht zur Bundeswehr und hatte auch einen "provisorischen
Personalausweis".
Es ist interessant, dass die DDR den Namen Deutschland vermied, sie
bewies damit historisches Feingefühl und setzte gewissermaßen
nominal einen antinationalen Schwerpunkt. Während sich Pro-dukte aus
westdeutscher Produktion mit dem Logo "made in Germany" brüsteten,
begnügte sich die DDR mit "made in GDR", German Democratic Republic
und nicht Democratic Republic of Germany. Leider ist uns nicht bekannt,
welche Diskus-sionen bei der Na-mensgebung der DDR geführt wurden,
aber ganz offensichtlich wollte man sich dort von der deutschen Vorgeschichte
- Kolonialismus und Konterrevolu-tion, Krieg und Faschismus - auch im Staatstitel
distanzieren. Bei internationalen Sportereignissen hatten dann die Kommentatoren
immer die Schwierigkeit, zwischen den "deutschen Sportlern" und den "Sportlern
der DDR" zu unterscheiden, denn "deutsche Sportler" waren Letztere anscheinend
nicht. Auch dass in diesen Zeiten speziell in einem Bereich, einem öffentlichen
Sektor (viele andere gab es darüber hinaus freilich nicht) wie dem
Sport die DDR über die BRD dominierte, führte dazu, dass man
sich in der BRD über die vielen DDR-Medaillen nicht freuen konnte,
denn diese fielen ja nicht nur den verhassten Kommunisten, sondern auch
noch den Vater-landsverrätern zu! In der DDR führte diese Medaillenflut
hingegen zu der sicherlich auch beabsichtigten Identifizierung mit dem
Staat.
Dass dies nicht unbedingt einer Einsicht in historische Zusam-menhänge,
sondern vielfach einfach gelernter Gewohnheit beziehungsweise widerwillig
akzeptierter Unterordnung unter das Gesellschaftssystem der DDR geschuldet
war, wissen wir spätestens seit den vielen Demonstra-tionen mit
den Tausenden von DDR-Fahnen, aus denen das DDR-Symbol - Hammer, Zirkel
und Ähren, stehend für die Einheit von Arbeiter- und Bauernklasse
und Intelligenz - demonstrativ herausgeschnitten worden war. Endlich konnte
und durfte man einfach "Deutscher" sein. Dass es darüber hinaus in
der DDR viele gab, die diese Entwicklung auch unter diesem Gesichtspunkt
traurig, tragisch und fatal fanden, soll hiermit nicht infrage gestellt
werden.
Es gibt noch andere Beispiele, die diese Entwicklung verdeutlichen.
So mutierte die eher soziologisch, also im Herrschaftsverhältnis zwischen
Staatsvolk und Staatsfüh-rung wurzelnde Losung "Wir sind das Volk"
der Wendezeit sehr rasch zur völkisch-national zu definierenden Parole
"Wir sind ein Volk". Und das, was folgte, war ebenso logisch wie fürchterlich:
Fremde Völker haben in diesem Ein-Volk-sind-wir-Staat nichts zu suchen,
vor allem dann nicht, wenn sie von einem staatlich verordneten Internationalismus
"profitiert" haben, wie die Vietnamesen, die Angolaner, die Kubaner, die
Mosambikaner und andere, wie Russen, Mongolen, Tataren, die sich für
viele sowieso nur auf Grund der deutschen Niederlage ansiedeln konnten,
was für diese dann noch viel schlimmer war.
Aber schon die "alte" BRD kannte Rechtsextremismus. Lange vor der
"Wende" gab es Aufmärsche von "Vertriebenen" mit revanchistischen
Parolen, Wehrsportgruppen, Anschlägen, gab es Ressenti-ments gegen
Nichtweiße und Diskriminierung von Arbeitsimmi-grantInnen und Behinderten,
gab es Braunzonen, Terror gegen Linke und anders Denkende. Und die direkte
Überführung faschistischer Mandatsträger in die BRD, wie
zum Beispiel Schleyer und Globke und Filbinger und die vielen anderen nicht
so bekannten Mitglieder der Braunzone in politische, wirtschaftliche und
kulturelle Ebenen, ist hier nicht direkt Thema, sollte aber nie vergessen
werden.
Die Ebene des direkten Pogroms wie Rostock und Hoyerswerda, die wirkliche
Vielzahl von Anschlägen und Morden war jedoch neu. Es ist nicht
verwunderlich, dass angesichts solcher Entwicklungen unter vielen Linken
die Abneigung gegen den Begriff "deutsch" an sich immer größer
wurde. Verständlich auch insofern, da die mit der DDR, von aller
Kritik am "preußischen Sozialismus" mit allen seinen negativen
Erscheinungsformen einmal abgesehen, verbundene Hoffnung auf eine deutsche
Repu-blik ohne Chauvinismus und Völkermordgelüste und mit einer
klaren Absage an den Nationalso-zialismus mit ihr zusammen untergegangen
war.
Der nationale Taumel mit Feuerwerk und Fahnen und Po-gromen hat ein
Übriges dazugetan. Trotzdem muss die Frage gestellt werden, ob die
Parole "Bomber Harris, do it again" gerechtfertigt ist, auch wenn angesichts
der aktuellen Entwicklungen viele ihr zunächst spontan zustimmen würden
und zugestimmt haben. Der Begriff "antinational" wurde hier zu Lande zuerst
gleichgesetzt mit dem Begriff "antideutsch". Heute wird "antinational"
überwiegend gleichgesetzt mit der Ablehnung staatlicher Formatio-nen,
also einem anarchistischen Verständnis davon, dass jeder Staat ein
Unterdrückungsinstru-ment ist und von daher abzulehnen und zu bekämpfen
sei. Es ist offensichtlich, dass auch Anarchis-tInnen den Kampfbegriff
"Feuer und Flamme für jeden Staat", (abgeleitet von der Losung "Feuer
und Flamme für diesen Staat") nicht direkt auf Staaten wie Kuba oder
Vietnam anwenden würden oder wollen.
Ist dies jedoch der Fall, bedeutet antinational zu sein zwangsläufig
auch, Begriffe wie "nationaler Befreiungskampf" oder Namen wie "Front
der nationalen Befreiung" abzulehnen oder zumindest infrage zu stellen.
Dabei wird dann häufig sehr unreflektiert mit diesen Begriffen umgegangen,
und es werden verschiedene Begriffe vermengt und verwechselt. Nationale
Befreiung ist nicht gleichzusetzen mit nationalistischem Chauvinis-mus
oder dem Bestreben, andere Nationen oder Völker zu unterdrücken
und zu kolonisieren. Den Völkern des Trikonts das Recht abzusprechen,
sich gegen koloniale und neokoloniale Unterdrückungs-mechanismen zu
wehren, bedeutet nichts anderes als ein vom hohen Ross herunter angewendeten
Metropolenchauvinismus. Was nichts anderes heißt, als dass Metropolenlinke,
die in ihren Nischen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, relativ sicher hocken,
jedenfalls in den allermeisten Fällen sicher und meistens ziemlich
bequem in ihren Wohnungen und Stammkneipen leben, sich anmaßen, über
andere, die unter ganz anderen, bei weitem nicht so bequemen und sicheren
Bedin-gungen leben und kämpfen müssen, ein arrogantes Urteil zu
fällen.
In diesem Zusammenhang wird die Problematik des kurdischen Befrei-ungskampfes
besonders häufig genannt: Nutzt es den Kurdinnen und Kurden, sich
von türkischer, irakischer oder iranischer Vorherr-schaft zu befreien,
wenn sie danach unter der Herrschaft kurdischer Patriarchen, Großgrundbe-sitzer
oder gegebenenfalls Partei-größen leben müssten oder
sollten? Was soll dann also der eigene Staat, wenn er wiederum neue oder
andere Unterdrückungsme-chanismen beinhaltet? Können die KurdInnen
sich dann nicht diese Kämpfe gleich ersparen? Diese Fragen zu stellen
ist in jedem Fall legitim. Nicht legitim ist aber, sie stellvertretend
für die Kurdinnen und Kurden zu beantworten. Dies geschieht jedoch
und ist, unabhängig von der Position, die gegenüber Gruppen wie
der PKK eingenommen wird, Ausdruck eines ausgeprägten linken Metropolen-chauvinismus,
des "Wir sind da schon viel weiter als ihr, und eigentlich können wir
euch erzählen, wie es geht". Aber das können wir überhaupt
nicht. Weil wir überhaupt nicht, zumindest die allermeisten von uns,
mitreden können über Ermordungen und Verschlep-pungen ins Nirgendwo,
das Niederbrennen von Tausenden von Dörfern, das Verschlepptwer-den
von Angehörigen und Freunden, ohne dass man einen Ermittlungsausschuss
oder einen Anwalt anrufen kann (und wenn, was nützt es schon?), das
Im-Knast-Verschwinden für viele Jahre, weil man/frau die falschen Farben
getragen oder in der falschen Sprache öffentlich aufgetreten ist, und
so weiter.
Der Schritt, sich von einer chauvinistisch-rassistischen Staatsmacht
zu befreien, die schaltet und waltet, wie es ihr gefällt, kann nicht
anders als ein Akt der Befreiung für die betroffenen Völker
gewertet werden. Das bedeutet nicht, das andere Formen wie die von kapitalistischer,
oligarchischer oder patriarchaler Unterdrückung davon auszuklammern
wären oder nicht nachfolgen sollten. Wie die Geschichte der Befreiungskämpfe,
auch die der so genannten nationalen, zeigt, laufen diese Formen von
Befreiung teilweise parallel oder folgen unmittelbar nach. Dass dies
freilich nicht zwangsläufig stattfindet und abhängig ist von
der Stärke der fortschrittlichen Kräfte in solch einem Befreiungskampf
oder einer Revolution, ist eine andere Frage. Es kann jedoch nicht unsere
Aufgabe als Metropolen-linke sein, diese Reihenfolge zu bestimmen oder
zu bewerten.
Linke aus den Metropolenstaaten, das heißt den Staaten, die
über Jahrhunderte hinweg die Völker im Trikont sowohl mittels
Völkermord und Kolonisation als auch über ökonomische, militärische
und kulturelle Unterdrückung beherrscht haben, sollten sich genau
überlegen, inwieweit sie aus einer Position der relativen Sicherheit
und eines relativ guten Lebens jetzt auch noch anfangen, diesen Völkern
und Staaten vorschreiben zu wollen, wie ihr Weg zur Befrei-ung auszusehen
hat. Was speziell, aber nicht ausschließlich Kurdistan betrifft, so
wäre in jedem Fall die Vertreibung der türkischen Besat-zungsarmee
und die Ausrufung eines eigenen Staates für die Kurdinnen und Kurden
ein bedeutender Fortschritt. Es kommt auch nicht von ungefähr, dass
das Nato-Land Türkei von seinen Verbün-deten uneingeschränkte
Unterstüt-zung gegen so genannte Sezes-sionisten erhält, während
andere Sezessionskriege wie in Jugosla-wien von der Nato wiederum uneingeschränkt
unterstützt wurden, bis hin zum Bombenkrieg im Jahr 1999. Die Nato
weiß sehr genau, welche Sezessionskriege ihr nützen und welche
ihr schaden, und warum. Die Linke hingegen, speziell in der BRD, zerfleischt
sich in Definitionsfragen und wird handlungsunfähig. Das ist genau
das, was die Herrschenden zu ihrer Herrschaftssicherung wollen und brauchen.
Eine der Lieblingsfra-gen, die sich anscheinend zwangsläufig stellt,
ist: Wer ist eigentlich das Volk, und: Wer sind die Völker?
Das "Volk" wird in unserem Verständnis gleichgesetzt mit dem
"plebs", den Plebejern, den einfachen Leuten, dem Pöbel, abgeleitet
aus dem absolutistischen "Der Staat bin ich" der Könige, wobei die
anderen dann das Volk, das gemeine, sind, und weiterentwickelt von Marx nach
dem Siegeszug der Bourgeoisie zum Proletariat,, das natürlich "kein
Vaterland" hat. Diese Definition hat mit dem nationalistischen Volksbegriff,
mit dem Neudeutsch ethnisch oder Alt-deutsch völkisch definierten kruden
Begriff, nichts zu tun. Wie auch bei den nationalen Befreiungsbewegungen sind
alle diejenigen das Volk, die arm,, unterdrückt, lohnabhängig sind,
egal, wie sie aussehen, wo sie geboren, wer ihre Eltern sind, was für
einen Pass sie haben. Im Gegen-satz zu denen, die die Herrschaft besitzen,
egal, wie die aussehen, wo sie geboren, wer ihre Eltern sind und was für
einen Pass sie haben. Der nationalistisch-rassistische Volksbegriff ist
schräg, wissenschaftlich unhaltbar und rein polemisch, nämlich
darauf angelegt, andere "Völker" zu Feinden zu erklären, zu Sündenböcken
zu machen, die Grenzen zwischen Bourgeoisie und Proletariat zu verwischen.
Es gibt weder ein deutsches noch ein türkisches, noch ein englisches
oder amerikanisches Volk, sondern nur jene, die oben sitzen und die Profite
einstreichen, und diejenigen, die unten sind und die Profite der Herr-schenden
erwirtschaften. Diese sind das Volk, egal wo sie geboren sind oder wo
sie herkommen.
Im Zuge antinationaler PC, bei der der Begriff "Volk" als solches
schon anrüchig ist, hat die linksliberale/autonome "communitiy" diesen
Begriff ersetzt durch "Ethnien" oder "indigenas" oder "natives". Wobei,
konkret gesprochen, diese Begriffe auch nichts anderes ausdrücken,
als dass eine einheimische Bevölkerung durch Imperia-listen und Kolonialisten
und nationale Chauvinisten politisch, sozial, ökonomisch, kulturell,
militärisch unterdrückt und ausgebeutet wird. Wie zum Beispiel
mittels des Verbots der kurdischen Sprache in der Türkei, wobei klar
ist, dass viele Angehörige der armen Bauern überhaupt kein Türkisch
verstehen und sie deshalb bei der Erledigung ganz simpler Angelegenheiten
vollkommen aufgeschmissen sind, Ähnliches gilt für die Indigenas
in Lateinamerika und Asien. Oder dass ihre herrschenden Klassen, unabhängig,
wo sie herkommen, zum Beispiel Perus neoliberaler Autokrat Alberto Fujimori,
der jetzt auf Grund elterlicher Herkunft wieder Staatsbürger von Japan
ist und so der Strafverfolgung in Peru entkommt, mit imperialistischen Staa-ten
verbündet sind - ihre Mitglieder sind selbstverständlich anerkannt
und werden nicht diskriminiert, gleichgültig, ob sie hell, dunkel,
durchsichtig oder neongrün aussehen - darauf kommt es überhaupt
nicht an.
Die Tatsache, dass es nach Jahrhunderten der Kolonisation eine ganze
Reihe von ausländischer und in Verbund mit ihnen inländischer
Kolonialisten gibt, die Völker unterdrückten und ausbeuteten,
sollte eigentlich als selbstverständlich anerkannt sein. Die Tatsache,
dass imperialistische "Leitkultu-ren", seien sie nun spanisch, deutsch,
portugiesisch, japanisch, türkisch, englisch, US-amerikanisch, seit
Jahrhunderten versuchen, durch verschiedene Mecha-nismen ihre "Leitkultur"
durchzusetzen, resultiert aus dem Bedürf-nis, kolonisierte Völker,
Staaten, Kulturen ihrer eigenen Verwert-barkeit zuzuführen, was die
Zer-schlagung all des Widerstands bedeutet, der dieser Verwertbarkeit
entgegensteht. Wenn Völker, seien sie nord- oder südamerikanische
Indigenas oder KurdInnen, oder Maori, sich diesen Verwertungs-mechanismen
entgegenstellen und sich dabei auch auf die Unter-drückung des eigenen
Volkes berufen, so ist es total metropolenarrogant, diese Kämpfe von
hier aus, also von einer imperialistischen Metropole, auf so einer abgehobenen
Ebene wie "Jeder Volksbegriff ist reaktionär, jeder Staat ist repressiv"
zu kritisieren.
Anstelle dieser in der deutschen Linken überaus beliebten Praxis
machen wir weiter mit den Fragen: Wer oder was ist deutsch?, und: Hatte
Bomber Harris Recht oder nicht? Die Losung "Bomber Harris do it again" bezieht
sich auf den Bombenangriff der US-amerikanischen und britischen Streitkräfte
im Februar 1945 auf Dresden. Dabei kamen einige Zehntausend Menschen, überwiegend
Flücht-linge, die sich vor allem in der Innenstadt und auf dem Haupt-bahnhof
drängten, ums Leben. Die oben genannte Losung, manchmal mit der Foto-kulisse
der Ru-inen ergänzt, ist ein beliebtes Symbol bei antideutschen Grup-pen.
Dazu das Zitat aus einem Aufruf des Auto-nomen Haufens (Aha), zitiert
aus "Interim", Nr. 318, anlässlich einer Gedenkveranstal-tung zum
50. Jahrestages des Bombardements: "Denn die Bombardierung Dres-dens stellte
wie viele andere militärische Aktionen einen notwendigen Schritt bei
der Zerschlagung des Nationalsozialismus und damit der Befreiung der in
den KZs Inhaftierten dar."
Aber tat es das tatsächlich? Tatsache ist, dass die Kriegspro-duktion
weiterging. Auch, dass die noblen Villen der Nazi-Oberen und ihrer Unterstützer
aus der Wirt-schaft nicht bombardiert wurden. Auch wurde nicht der militärisch
wichtige Bahnhof Dresden-Neustadt bombardiert oder nur so schwach, dass
bereits kurze Zeit später der Betrieb wieder aufgenommen werden konnte,
sondern der mit Flüchtlingen voll gestopfte Hauptbahnhof. Der Angriff
auf Dresden stellte auch nicht, wie die AutorInnen des Aufrufes anhand
eines Zitates der Royal Air Force annehmen, einen Versuch dar, die Rote
Armee zu entlasten, da Sachsen überhaupt nicht das Ziel der Roten
Armee war, sondern Berlin einzukreisen. Die Sorge der Westalliierten galt
zu diesem Zeitpunkt bereits viel stärker dem fortschreitenden Vormarsch
der Roten Armee gen Westen.
So zitiert Simone de Beauvoir in ihrem Essay "Das Alter" (Paris,
1970) Churchill mit folgenden Worten: "1945, als die Deutschen sich zu
Tausenden ergaben, schickte ich Feldmarschall Mont-gomery ein Telegramm
mit der Empfehlung, ihre Waffen zu horten; es hätte ja die Notwendigkeit
eintreten können, sie den Soldaten der Wehrmacht zurück-zugeben,
falls nämlich die Russen ihren Vormarsch fortgesetzt hätten."
Simone de Beau-voir führt diese Äußerung Churchills auf
seine zunehmende Vergrei-sung zurück. Im Jahr 1999 wurde jedoch öffentlich
bekannt, dass es tatsächlich bereits Geheimverhand-lungen zwischen
gefangenen deutschen Offizieren und britischen Militärs gegeben hatte,
die das Ziel hatten, einen gemeinsamen Angriff auf die geschwächte
SU durchzuführen. Der Kriegsverlauf entzog diesen Ver-handlungen die
Grundlage. Was die Befreiung der Konzentrations-lager anbelangt, so hätten
die Westalliierten, spätestens nachdem ihre Flugkapazitäten ausreichend
waren, dazu die Möglichkeit gehabt, taten es jedoch nicht. Sie hatten
bereits lange Kenntnis von Existenz und Lage der Vernich-tungslager, teils
durch Informan-ten, teils durch die Auswertung von Erkundungsflügen.
Dennoch fiel keine einzige Bombe auf Auschwitz, um zumindest die Zufahrtswege,
die Rampe, den Bahnhof zu zerstören. Nichts geschah.
Noch einmal ein Zitat aus dem Aufruf des Aha: "Dass dabei als militärisches
Ziel auch die deutsche so genannte Zivilbevölkerung in ihrer Moral
gebrochen werden sollte, rechtfertigte sich aus den für Millionen
von Menschen tödlichen Erfahrungen mit Nazideutschland. Denn nicht
nur die Wehrmacht kämpfte an diversen Fronten bis zum letzten Mann,
sondern auch die (ob widerwillig oder nicht) loyalen Deutschen wurden zu
Exekutoren des Rasse- und Ver-nichtungskrieges, indem sie zum Beispiel
durch den Bau von Panzergräben und die Verteidi-gung der zu Festungen
ausgebauten Städte die Lebensdauer des Nationalsozialismus bis zur
totalen Niederlage verlängerten." Mit der Gutheißung der bewusst
durchgeführten Bombardierung von Zivi-listen werden die Standards
der Genfer Konvention auch von linker Seite außer Kraft gesetzt.
Es ist aber in jedem Fall eine gefährliche These, wenn Linke anfangen,
die Genfer Konvention in dieser Beziehung zu revidieren. Auch der Vernichtungskrieg
der Faschisten kannte keine Zivilbevölkerung, sondern nur kollaborierende
Loya-le, die "geschont" wurden, und "Banditen", die "präventiv" oder
zur "Vergeltung" liquidiert wurden. Die Logik imperialistischer und faschistischer
Militärs und Statthalter kann aber auf keinen Fall Vorbild für
Linke sein! Dies würde in letzter Konsequenz auch bedeuten, den Atomangriff
auf Hiroshima und Nagasaki zu rechtfertigen, da ja auch Japan als Verbündeter
Nazi-Deutschlands und auch als eigenständiger rassistischer, faschistischer
Staat eine Vielzahl schreck-licher Verbrechen verübt hatte. Diese Angriffe
wurden neben der Vergeltung für den japanischen Angriff auf Pearl Harbour
von den USA auch mit der Verkürzung des Pazifikkrieges begründet.
Mittler-weile ist eigentlich unbestritten, dass es neben der Drohung in
Richtung Sowjetunion in erster Linie um das erstmalige praktische Ausprobieren
der neuen Waffen-technik ging, denn Wissenschaftler und Dokumentationsteams
waren sehr schnell zur Stelle, zahlten für ihren Eifer allerdings dann
früher oder später häufig mit ihrem Leben.
Auch die Nato-Menschenrechts-krieger, erstmals unter direkter Beteiligung
der BRD, rechtfertigten ihre Ausweitung "militärischer" auf "eher
zivile Ziele" (Brücken, Straßen, Sendeanstalten, Eisen-bahnlinien,
zivile Fabriken) mit der notwendigen Demoralisierung der Bevölkerung,
der Zerschlagung von "Propagandamaschinen" und so weiter. Die USA in ihrem
Krieg gegen Vietnam (auf das mehr Bomben fielen als auf ganz Europa während
des Zweiten Weltkrieges) argumentierten ebenfalls damit, dass dem Vietcong
beziehungsweise der nordvietnamesischen Armee Logistik und Unterstützung
zerstört beziehungsweise entzogen werden sollten. Auch dabei wurde
die Zivilbevölkerung nicht ausgespart und gezielt angegriffen.
Nun mal zu einem anderen Aspekt antideutscher/antinationaler Sicht-weisen.
Als anlässlich des rassistischen Mordanschlages in Lübeck die
Gruppe Café Morgenland im Sommer 1996 zu einer Demon-stration in
Lübeck und Greves-mühlen aufrief, da war in ihrem Aufruf die
Rede von "80 Millionen potenziellen Rassisten". 80 Millio-nen, das heißt
alle, vom türkischen Fabrikarbeiter bis zur iranischen Immigrantin,
vom Säugling bis zum Kreuzberger Autonomen. Wen will man denn dann
eigentlich mobilisieren, und was soll durch so eine Aussage ausgedrückt
werden? Aber selbst wenn mit den 80 Millionen Rassisten nur die deutsche
Bevölkerung gemeint ist, bleibt die Frage: Und wie definiert sich "deutsch";
durch Geburtsort, Pass, Eltern oder Zeitpunkt der Einreise? Diese etwas
polemische Frage ist dennoch gerechtfertigt, denn wenn man sie konsequent
zu Ende denkt, resultiert daraus eine biologistische und in letzter Konsequenz
rassistische Heran-gehensweise. Ebenso wenig wie es Gene für "Kriminalität"
oder "Terrorismus" gibt, wie manche rechten Wissenschafter seit Jah-ren
behaupten, gibt es ein speziell deutsches Gen für Rassismus. Und Rassismus
ist auch kein deutsches Phänomen, wenn auch die Geschichte der faschistischen,
rassistischen Verfolgung mit der Konsequenz der fabrikmäßigen
Verwertung und Vernichtung von Millionen von Menschen allerdings einzigartig
ist. Eine Relativierung von Auschwitz, Treblinka, Sobibor, Mauthausen, der
anderen Konzen-trationslager und der massenhaften Vernichtung der Zivilbevölke-rung
durch Wehrmacht und SS darf es nicht geben. Dies geschieht allerdings
ständig, und zwar nicht nur durch die Revisionisten, die behaupten,
die Vernichtungslager seien eigentlich Arbeitslager gewesen, oder die Zahl
der Opfer sei viel zu hoch angesetzt, sondern auch zum Beispiel durch Leute
wie Außenminister Fischer, der die erste deutsche Kriegsbeteiligung
nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gerade damit begründete, ein
neues Auschwitz müsse auf alle Fälle verhindert werden, und sei
es durch das Mittel des Krieges. Es interessierte in diesem Zusammenhang
die Minister Scharping und Fischer überhaupt nicht, dass die Überlebenden
deutscher Vernichtungslager einen offenen Brief an sie richteten, indem
sie sich scharf von dieser Begrün-dung, die einen Missbrauch ihrer
Geschichte darstellte, distanzierten, und ein sofortiges Ende des Bombenkrieges
gegen Jugosla-wien, das während des faschistischen Krieges allergrößte
Opfer erleiden musste, forderten. Leider wurden auch viele Linke Opfer
dieser Relativierung und dieses Pro-pagandacoups, so dass in der BRD die
78 Tage lange Bombar-dierung Jugoslawiens ohne wirklich große Massenprotestbewe-gung
vonstatten gehen konnte, ganz anders als zu Zeiten des Zweiten Golfkrieges
1991.
Ganz klar ist, dass speziell seit den Zeiten der "Wende" rassistische
und antijüdische Tendenzen in Teilen der Bevölkerung, Angriffe,
Morde, Bedrohungen, Propagan-daaktionen sich über Jahre hinweg ziemlich
offen entwickelt haben und entwickeln konnten. Dennoch sind Rassismus
und Antisemi-tismus keine speziell deutschen Phänomene. Das Wort Pogrom
stammt aus dem Russischen, die Pogrome im zaristischen Russland und in
Polen waren für ihre Grau-samkeit berüchtigt und wurden von den
zaristischen Herrschern jahrhundertelang benützt, um Unzu-friedenheit
mit der Selbstherrschaft auf eine diskriminierte und meist in Ghettos
zusammengepferchte jüdische Bevölkerung zu kanalisieren. So
wurden die ersten durch die Faschisten errichteten Ghettos sowie die größten
Vernichtungsla-ger speziell in Gebieten Osteuro-pas errichtet, in denen
traditionell der Antisemitismus stark verbreitet war. Es ist auch eine
Tatsache, dass die meisten der Häftlinge, die nach dem Aufstand im
polnischen Vernichtungslager Treblinka flüchten konnten, später
antisemitischen Polen zum Opfer fielen, die sie entweder auslieferten
oder gleich selber umbrachten. Rassis-tische und religiös-rassistische
Pogrome fanden/finden leider auch weltweit statt, von Armenien bis Kurdistan,
von Bangladesch bis Ruanda. Und der Vernichtungs-krieg der weißen
Eroberer Nord- und Südamerikas kann hierbei auch nicht vergessen werden.
Rassistische Pogrome gegen Ein-wandererInnen, Jüdinnen und Ju-den,
Sinti und Roma und Flüchtlin-ge gibt es auch europaweit, in Frankreich
wie in Spanien oder in der Slowakei oder in Rumänien.
Es kann aber auch nicht darum gehen, aufzulisten, wo die meisten
oder die schlimmsten Pogrome stattfinden, sondern zu überlegen, wem
das nützt. Rassenhass und Rassenwahnideologien haben im-mer den herrschenden
Klassen genützt und werden von ihnen gezielt als Mittel zur Herrschaftssi-cherung
und zu Kriegsvorberei-tungen eingesetzt. Es ist immer bequem für
die Herrschenden, Minderheiten als Sündenböcke aufzubauen und
damit die Leute davon abzulenken, wer wirklich für alle Missstände
verantwortlich ist.
Karl Liebknecht, der im Ersten Weltkrieg wegen seiner antimilitaristischen
Arbeit im Gefängnis war, hat das klar erkannt, und in der Losung
"Der Hauptfeind steht im eigenen Land!" zusammengefasst. Als Linke sehen
wir überhaupt keinen Sinn darin, irgendwelchen Bomberpiloten Beifall
zu zollen, sondern vielmehr in der Losung des Kommunistischen Manifestes:
Proletarier(innen) aller Länder, vereinigt euch!