|
Jahreswechsel |
Prozeß gegen mutmaßlichen Brandstiffer Josef Saller hat gestern begonnenEr wollte die Türken nicht töten, "nur ärgern"Erst Geständnis, dann Widerruf - er hörte plötzlich "eine innere Stimme" / Der Angeklagte schweigtVon unserem Redaktionsmiigiied Karl-Heinz W e i g e l A m b e r g / S c h w a n d o r f. Vier "A & P"-Zündhölzer brauchte er, um das Feuer im Schwandorfer "Habermeier"-Haus zu entzünden, vier Menschen kamen in den Flammen um, 1.5 Millionen Mark Sachschaden! Glaubt man den Polizei-Protokollen und dem Geständnis, ist der Schwandorfer Josef Saller (20) der Brandstifter. Drei türkische Mitbürger und ein Deutscher starben in der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember 1988. Seit gestern steht Saller vor der Jugendkammer des Landgerichts Amberg. Anklage: Besonders schwere Brandstiftung. · Am 1. Verhandlungstag vernahm das fünfköpfige Gericht mit dem Vorsitzenden Richter Josef Auernhammer mehrere Kripobeamte. Sie berichten, wie damals der Verdacht auf Saller kam, wie er gestand, in U-Haft kam und dann sein Geständnis widerrief. Beim Hofgang soll ihm ein anderer U-Häftling zugeflüstert haben: Sag' nichts. Die Polizei kann dir nichts beweisen. · Der Angeklagte, der rechtsradikalen Kreisen wie der FAP bzw. der Nationalsozialistischen Front zugerechnet wird, zeigte sich gestern wenig kooperativ. "Ich mache keine Angaben" war der erste und einzige Satz, der über seine schmalen Lippen kam. Fast unbeweglich hockte er da, beobachtete nur aus den Augenwinkeln. Aus U-Haft vorgeführt, war er ganz in Schwarz gekleidet: Schwarze Schuhe, Hosen, Jacke. Das Hemd war grau. 67 Zeugen sollen gehört werden· Saller, links neben ihm die Pflichtverteidigerin, starrte entweder auf das riesige Holzkreuz auf der Wand gegenüber oder auf die Bank mit den drei Nebenklägern: Zwei Freuen und ein Junge. Sie hatten ihre engsten Familienangehörigen im Feuer verloren. Mitten im Schwurgerichtssaal war ein maßstabgerechtes Holz-Modell des "Habermeier"-Hauses aufgebaut worden. Dank dieses Modells konnten Zeugen Details klären. 67 Zeugen und etliche Sachverständige sollen an vier Verhandlungstagen zum Fall "5 Kls 1Js 129/89 jug" aussagen. · Arbeiter Osman Can (49). Ehefrau Fatma (43), Sohn Mehmet (11) und der Akustiker Jürgen Hübener (47) wurden Opfer, verbrannten, erstickten. Die türkischen Mitbürger wohnten im 2. Stock, Familie Hübener eine Etage tiefer. Im Parterre hatte das Elektrogeschäft "Habermeier" die Verkaufsräume. Folgt man der Kripo, dann wurde der Brand gegen 0.30 Uhr im Treppenhaus gelegt. Und zwar mit zwei mit Packpapier gefüllten Kartons. "Wollte die Türken nur ärgern..."· Das Feuer soll sich "trichterförmig von unten nach oben" über die Holztreppe hoch in die Wohnungen ausgebreitet heben. "Ich wollte die Türken nur ärgern", so Sallers erste Einlassung, als er vom Staatsschutz als Tatverdächtiger ermittelt wer. Eine Tötungsabsicht habe niemals bestanden. Daß er kurz vor dem Brand den Aufkleber "Türken raus" an einem Haus in der Nachbarschaft befestigt hat, war nie in Zweifel. Auch gestern nicht. · Der damals 19 Jahre alte Auszubildende Saller mit dem Berufsziel Autolackierer wurde bei den Ermittlungen zunächst als Zeuge, dann als Beschuldigter vernommen - sein Alibi stimmte nicht. Folgt man den Erkenntnissen der Kripobeamten und Sallers Angaben im Geständnis vor der Ermittlungsrichterin, läßt sich die Brandnacht wie folgt rekonstruieren: · Saller ging in der Innenstadt ziel- und planlos spazieren. Er klebte die Hetzparole "Türken raus" an eine Hauswand, hatte dann die Idee: "Jetzt zündel ich noch! Stecke Mülltonnen oder sonstwas an." Zu Hause holte er sich Streichhölzer aus der Küche. Auf dem Marktplatz kam ihm der Einfall: Im "Habermeier"-Haus wohnen doch Ausländer. Vor Ort, im dunklen Treppenhaus zündete er zunächst ein Streichholz an. · Nachdem er sich orientiert hatte, entdeckte er in einer Ecke die Kartons und setzte sie in Brand. Als, plötzlich eine laute Männerstimme "über ihm" ertönte, flüchtete er zur 700 bis 900 m entfernten Wohnung der Eltern. Bald kam die Polizei auf seine Spur. Saller gab sich als "nationalbewußt denkend" zu erkennen, auch als Gegner von Ausländern in Deutschland. Am 5. Januar 1989 gestand er die Tat, wurde konkret. Kripo: Kein Psychoterror ausgeübt· Hat die Polizei "Psychoterror" ausgeübt als Saller vernommen wurde? Die Kripobeamten verneinten die Frage gestern immer wieder. Saller habe sich ohne jeden Zwang selbst beschuldigt! Doch am 9. Januar 89 kam die Wende. Im Rahmen der Tatrekonstruktion sollte der Hauptverdächtige im ausgebrannten "Habermeier"-Haus zeigen, "wie es in Wirklichkeit war", so der Beamte zum U-Häftling, dem es im Gefängnis gar nicht gefiel. · Saller machte zunächst mit, zündete auch ein Streichholz an. Aber dann "sagte mir die innere Stimme, daß ich nicht mehr mitmachen soll". Er sei zum ersten Mal hier in diesem Treppenhaus, wußte Saller plötzlich. Er habe der Ermittlungsrichterin auch schon seinen Widerruf mitgeteilt, so Saller. Er war reserviert, zurückhaltend. Ihm wurde klar: Die Tetrekonstruktion ist Teil des Geständnisses. Kripo sollte "getestet" werden· "Ich wollte, daß man mir die Unwahrheit glaubt", erzählte Seiler. Das falsche Geständnis habe den Zweck gehabt, die Kripo zu "testen". Die ganze Geschichte, so Saller, sei von ihm "perfekt inszeniert" worden. Er verfüge über gutes Gedächtnis und über eine gute Kombinationsgabe. [Foto: In Handschellen aus U-Haft vorgeführt: Der Angeklagte Josef Saller. Foto: Allacher] Mittelbayerische Zeitung Region, 03.04.1990 |