Mumia Abu-Jamal - Eine Analyse
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Warum dieses Essay entstand

Mumia Abu-Jamal wird von seinen Unterstützern als politischer Häftling betrachtet. Demzufolge hat er durch seine Tätigkeit als Journalist den Unwillen der Obrigkeit auf sich gezogen, und als die von ihm kritisierte Polizei die Gelegenheit hatte, ihn ins Gefängnis zu bringen, hat sie dies mit List und Tücke, mit Unwahrheiten und erzwungenen Falschaussagen in die Tat umgesetzt.
Seine Gegner behaupten hingegen, die Beweise für seine Schuld sind erdrückend und Widersprüche sind lediglich hochstilisierte Ungenauigkeiten in verschiedenen Zeugenaussagen. Mumia Abu-Jamals Anwälte, vor allem sein ehemaliger Anwalt Leonard Weinglass, leisteten großartige Arbeit bei der Verdrehung von Tatsachen und beim Auftischen von Lügenmärchen.
Die Öffentlichkeitsarbeit seiner Anwälte ist in jedem Fall erstklassig. Zu Abu-Jamals Unterstützern zählen unzählige Solidaritätskomitees in der ganzen westlichen Welt sowie zahlreiche Berühmtheiten aus Hollywood. Neben anderen Städten hat ihn Paris zum Ehrenbürger ernannt (der letzte Mann dem diese Ehre vor Mumia Abu-Jamal zuteil wurde war Pablo Picasso 30 Jahre zuvor), und im Jahre 2000 haben 22 Mitglieder des Britischen Parlaments einen Amici Curiae[1] zugunsten Mumia Abu-Jamals unterzeichnet.
Eine rationale Diskussion findet kaum statt. Für Abu-Jamals Unterstützer sind alle Beweise und Indizien erlogen und fabriziert. Für seine Gegner sind alle Glaubwürdigkeitsfragen nichtig und künstlich aufgebauscht, mangelnde Fairneß während des Verfahrens hat es nie gegeben. Im allgemeinen bieten die Gegner Mumia Abu-Jamals besser recherchierte Argumente an, wenngleich diese Argumente zuweilen gekünstelt wirken. Sie sind auch weniger zahlreich als seine Unterstützer. Die Unterstützer Abu-Jamals sind sehr zahlreich, oft prominent und zumeist lautstark. Und ich mache ihnen den Vorwurf, daß die meisten kaum etwas über den Fall wissen und blindlings den Anwälten Abu-Jamals vertrauen.
Einige wenige Kommentatoren nehmen eine mittlere Haltung ein. Steward Taylor jr. zum Beispiel bezeichnet Abu-Jamal als Guilty and Framed[2]. Michael Moore, ehemals ein Unterstützer Abu-Jamals, hat in einem seiner Bücher[3] behauptet, daß Mumia Abu-Jamal den Mord wahrscheinlich begangen hat. Trotzdem habe er ein Anrecht auf einen fairen Prozeß. Dafür wurde er heftig attackiert.
Die meisten Stellungnahmen sind jedoch rein politischer Natur. Sie konzentrieren sich auf Kritik am Verhalten der amerikanischen Behörden und auf kritische Betrachtungen zur Todesstrafe. Mumia Abu-Jamal wird im Rahmen solcher Stellungnahmen zwar als Musterbeispiel für die Ungerechtigkeiten innerhalb des Strafrechtssystems der Vereinigten Staaten dargestellt, eine eingehende Untersuchung seines Falles wird jedoch nicht durchgeführt. Ein Beispiel für eine solche rein politisch motivierte Aktion war die Benennung einer Straße in Saint-Denis in Frankreich durch dessen kommunistischen Bürgermeister Paillard am 29.4.2006. Der Name „Rue Mumia Abu-Jamal“ führte zu heftigen Protesten in den Vereinigten Staaten. Politiker forderten Sanktionen gegen Frankreich und Saint-Denis, und Kommentatoren amerikanischer Zeitungen riefen zum Boykott französischer Waren auf.[4]
Der Journalist Erik Svane brachte seine Meinung auf den Punkt, als er vor laufender Kamera das Straßenschild „Rue Mumia Abu-Jamal“ mit dem Namen „Rue Daniel Faulkner“[5] überdeckte und in einer vorgelesenen Rede den Fall Mumia Abu-Jamal mit dem Gerichtsverfahren gegen ein anderes ehemaliges Mitglied der Black-Panther-Partei in Atlanta verglich. In diesem Fall aus Atlanta wurden keinerlei Demonstrationen veranstaltet, und Erik Svane unterstellte, diese wären deshalb unterblieben, weil der ermordete Polizist ebenfalls schwarz war. In seiner Rede behauptete er, der einzige Grund für die weltweiten Proteste gegen die Verurteilung Mumia Abu-Jamals wären nicht die behaupteten Ungerechtigkeiten, sondern der Wunsch der Beteiligten „Onkel Sam auf den Kopf zu schlagen“.[6]
Dieses politische Motiv gilt sicherlich nicht für alle Unterstützer Mumia Abu-Jamals. Gleichzeitig bedingt jedoch die Behauptung, ein Fehlurteil zu bekämpfen, daß man die zugrundeliegenden Fakten des Falles hinreichend genau kennt. Für eine Sache einzutreten von der man nichts weiß bedeutet automatisch, daß die wahren Motive anderswo liegen oder die eigene Meinung nur auf Vorurteilen aufgebaut ist. Deshalb möchte ich jedem, der in diesem Fall die eine oder andere Meinung vertritt, nahelegen, die Beweise und Zeugenaussagen zu studieren.
Den Anstoß für dieses Essay gab schließlich eine Aussendung eines Karl Fischbacher, Sprecher des Wiener Solidaritätskomitees „Freiheit für Mumia Abu-Jamal“, vom 19. November 1999.[7] Die besagte Aussendung war eine Antwort auf einen Brief, den er von der Wiener US-Botschaft erhalten hat. In dieser Antwort Fischbachers wurde die offizielle Position der US-Gerichte in beleidigender Form kommentiert, und neben persönlich gehaltenen Untergriffen enthielt es einige faktische Fehler wie die Verwechslung von Zeugennamen. Die Qualität von Fischbachers Bericht war so erschütternd gering, daß ich ihn zu diesem Zeitpunkt als Tiefpunkt aller Kommentare von Abu-Jamals Unterstützern angesehen habe.[8]
Deshalb möchte ich meine eigene Sicht der Dinge darlegen. Diese Sicht basiert auf Zeitungsartikeln, Presseaussendungen, Petitionen von Anwälten, Gerichtsentscheidungen und auf mittlerweile rund 8000 Seiten Prozeßmitschriften. In diesem Essay möchte ich eine Rolle einnehmen, welche Leonard Weinglass, einer der ehemaligen Anwälte Abu-Jamals, als „das Gericht der öffentlichen Meinung“ bezeichnet hat. In diesem Gericht bin ich in der Rolle eines Geschworenen und werde die Beweise und Indizien unabhängig von Verfahrensfragen und Fragen der Zulässigkeit bewerten.
Leider wird der Fall Mumia Abu-Jamal zu oft wie eine Glaubensfrage behandelt. Schriften für und wider geben unkritisch entweder belastende Zeugenaussagen oder unsinnige Deklarationen von Anwälten wieder. Die Fehler bei der Erwähnung von Fakten sind oft so erstaunlich, daß ich mir mittlerweile sicher bin, die meisten Kommentatoren haben niemals versucht Fakten unabhängig zu ermitteln, ihre Position kritisch zu durchleuchten oder die Argumente der Gegenseite zu prüfen. Zu diesen Fehlinformationen zählt zum Beispiel die Behauptung, das tödliche Projektil hätte ein anderes Kaliber gehabt als die Waffe Mumia Abu-Jamals, obwohl sogar der Waffenexperte der Verteidigung dies bestritten hat.[9] Auf der anderen Seite behaupten Gegner Abu-Jamals, dieser wäre von den Polizisten mit seiner Waffe in der Hand gestellt worden, obwohl diese Polizisten das Gegenteil aussagten.[10] Die Liste der Fehlinformationen läßt sich beliebig erweitern. Bei einigen von Unterstützern Mumia Abu-Jamals vorgebrachten Behauptungen bin ich mir sogar sicher, daß es sich um bewußt aufgestellte Lügen handelt. So behauptete der bereits erwähnte Karl Fischbacher „Alle diese Haupt-ZeugInnen haben später ihre Aussagen widerrufen ...“.[11] Tatsächlich hat kein einziger der Zeugen der Anklage seine oder ihre Aussage bislang widerrufen. Da Herr Fischbacher offensichtlich zumindest über einige rudimentäre Informationen zu diesem Fall verfügt, kann es sich bei dieser Aussage nur um eine vorsätzliche Lüge handeln.
Nach umfangreichen Recherchen ist es vor allem die eingangs erwähnte Aussage Wittgensteins welche ich allen Unterstützern und Gegnern Mumia Abu-Jamals ans Herz legen möchte: „Wer von einer Sache nichts weiß, soll auch nicht darüber reden“.


[1] Amici Curiae sind „Freunde des Gerichts“, die einen Brief zur Klärung eines Sachverhalts abgeben. In einem solchen Brief versuchen die Autoren einen Sachverhalt aufzuklären, der ansonsten dem Gericht vorenthalten bleibt. Neben dem Brief von 22 Abgeordneten des britischen Parlaments wurde beinahe zeitgleich ein weiterer Amici Curiae Brief zugunsten Abu-Jamals von der Chicana/Chicano Studies Foundation übergeben. In beiden Briefen wird über das Recht sich selbst zu verteidigen diskutiert. Bundesrichter Yohn hat diese beiden und zwei weitere Amici Curiae Briefe am 7.8.2000 als unnötig und nicht hilfreich zurückgewiesen.
[2] Steward Taylor jr., The American Lawyer, “Guilty and Framed”
Der Ausdruck bedeutet soviel wie „Schuldig und [mit falschen Beweismitteln] hereingelegt.“
[3] Dude, Where’s My Country? Seite 189 (deutsch: Volle Deckung Mr. Bush II)
“Mumia probably killed that guy. There, I said it. That does not mean he should be denied a fair trial or that he should be put to death.”
In der deutschen Version lautet die entsprechende Passage:
„Mumia hat den Typen wahrscheinlich umgelegt. Okay, jetzt habe ich's gesagt. Das heißt ja nicht, daß man ihm einen fairen Prozeß verweigern oder ihn hinrichten sollte.“
[4] Englischsprachige Ausgabe des Magazins Der Spiegel
[5] Die gesamte Rede Erik Svanes und eine Verknüpfung zu einer Videodatei
[6] Aus der Rede Erik Svanes:
“Their main raison d'être is to have a stick -- and any stick will do -- to bash Uncle Sam over the head with.“
[7] Wie die US-Botschaft in Wien aus Mumia Abu-Jamal einen bewussten Mörder macht, von Karl Fischbacher, 19.11.1999
[8] Kurz nach Fertigstellung des ersten Manuskripts bin ich jedoch auf den in Fußnote 11 wiedergegebenen Artikel desselben Autors gestoßen, dem ich nunmehr dieses Prädikat zuerkennen möchte.
[9] Siehe Abschnitt Ballistische und andere Beweise - Revolver und Projektile.
[10] Siehe Abschnitt Ballistische und andere Beweise - Fundort der Revolver.
[11] In diesem Text vom 7.7.2006 stellt er die Forderung „Mumia Abu-Jamal zum Ehrenbürger von Wien!
In der Einleitung beschreibt er die Situation wie folgt (Zitat in Originalschreibweise):
„Mumia Abu-Jamal ist ein antirassistischer Radiojournalist, der seit 25 Jahren in Pennsylvania/USA in der Todeszelle sitzt. In den 1970er-Jahren war er den Polizei- und Justizbehörden Philadelphias als "Voice of the Voiceless" äußerst negativ aufgefallen, sodass ihnen offenbar dann die Ereignisse am 9.12.1981 sehr gelegen kamen: Als sich Mumia Abu-Jamal in eine brutale Polizeiaktion gegen seinen Bruder (der gegen die Einbahn gefahren sein soll) einmischte, fielen plötzlich Schüsse und ein Polizist und Mumia Abu-Jamal fielen beide schwer verletzt zu Boden. Der Polizist (Daniel Faulkner) starb, Mumia wurde ins Spital gebracht und angeklagt, den Polizisten erschossen zu haben. Natürlich fanden sich ZeugInnen, die Mumia schießen gesehen bzw. ihn auf der Krankenbahre sagen gehört haben wollen, dass er den Polizisten erschossen habe. Alle diese Haupt-ZeugInnen haben später ihre Aussagen widerrufen und ausgesagt, dass sie vor dem Prozess 1982 von der Polizei unter Druck gesetzt worden waren! Der Richter Szabo, bereits damals als "Blutrichter" bekannt, drückte einem Kollegen gegenüber seine Absicht aus, den "Nigger grillen" zu wollen...“
Das deutsche Wort „Blutrichter“ wurde für Roland Freisler (1893-1945) geprägt und in keiner anderen deutschsprachigen Veröffentlichung für Richter Sabo verwendet. Das englische Wort „blood judge“ ließ sich anläßlich einer Internet-Recherche in keiner Publikation entdecken.


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