Robert Chobert
Robert Chobert war ein 22 Jahre alter Taxifahrer. Er parkte sein Taxi direkt hinter den Autos von Daniel Faulkner und William Cook. Wenngleich er es nicht ausdrücklich sagte, mußten Daniel Faulkner und William Cook bereits vor ihm dort angekommen sein. Ein Fahrgast war gerade ausgestiegen, und Robert Chobert füllte sein Logbuch aus als er den ersten Schuß hörte. Den genauen Tathergang beschrieb Robert Chobert in verschiedenen Versionen. Gemeinsam war allen Versionen der Ablauf des letzten Teils der Schießerei. Er sah den Schützen über Daniel Faulkner stehen, und er sah wie dieser mehrere Schüsse auf den am Boden liegenden Polizisten abfeuerte. Danach bewegte sich der Schütze vom Tatort weg.
Robert Chobert war von allen Zeugen der Schießerei am nächsten. Unbestritten war auch, daß er den ersten Schuß nicht gesehen hat. Was die Geschworenen jedoch nicht erfuhren, waren die Tatsachen, daß er für die Dauer von 5 Jahren auf Bewährung war und wegen Trunkenheit am Steuer über keine Fahrerlaubnis verfügte. Beide Umstände hätten seine Glaubwürdigkeit in den Augen der Geschworenen vermindern können.
Der Grund für seine Bewährungsstrafe war Brandstiftung gegen Bezahlung. Er hat einen Molotow-Cocktail in eine leere Schule geworfen und ist für diese Tat bezahlt worden. Die Frage während des Prozesses war, ob es sich dabei um ein crimen falsi handelt, ein Verbrechen welches generelle Unehrlichkeit dieser Person andeutet. Richter Sabo beschloß, daß Brandstiftung gegen Bezahlung kein crimen falsi sei und verhinderte, daß die Geschworenen davon erfuhren.[1]
Noch schwerwiegender für den Prozeß war die zurückgezogene Fahrerlaubnis. Er wurde zweimal wegen Fahrens im alkoholisierten Zustand festgenommen,[2] und während des gesamten Zeitraums von der Tat bis zur Verhandlung hatte er keine gültige Fahrerlaubnis. Schon aus diesem Grund hatte er ein Problem mit der Polizei. Er konnte es sich schwerlich leisten, sich die Polizei zum Feind zu machen. In jener Zeit verdiente er sich seinen Lebensunterhalt als Taxifahrer und als Fahrer eines Schulbusses, obwohl im die Fahrerlaubnis entzogen wurde. Irgendwann im ungefähren Zeitraum des Prozesses, wahrscheinlich während der Prozeß noch lief, fragte er Staatsanwalt McGill, ob ihm dieser helfen könnte herauszufinden, wie er seine Fahrerlaubnis wiedererlangen kann.[3] Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er diese Frage gestellt hat[4], war sich andererseits aber sicher, daß er mit dem Staatsanwalt nach dem Prozeß nicht mehr gesprochen hat.[5] McGill erwähnte dieses Gespräch niemals gegenüber der Verteidigung. Jahre später, er hatte mittlerweile die Staatsanwaltschaft verlassen und war selbständig geworden, glaubte er, daß dieses Gespräch nach der Verhandlung stattgefunden hat.
Während des Schlußplädoyers stellte McGill die rhetorische Frage an die Geschworenen: „Glauben Sie, irgend jemand könnte Robert Chobert dazu bringen etwas anderes als die Wahrheit zu sagen?“ Keiner der Anwälte hat jemals behauptet, Robert Chobert hätte offen gelogen, trotzdem scheint er einiges erfunden und einige Teile der Aussage beschönigt zu haben. Auch seine Situation aufgrund der entzogenen Fahrerlaubnis könnte bei der Beschönigung seiner Aussage eine Rolle gespielt haben. Anthony Jackson bemerkte während einer Anhörung im Jahre 1995, bei der er als Zeuge aussagen mußte, daß alle Zeugenaussagen, sofern sie sich im Laufe der Zeit geändert haben, stets zugunsten der Anklage verändert wurden.[6]
Robert Choberts Zwangslage gewinnt an Bedeutung, wenn man sich die verschiedenen Behauptungen in seinen insgesamt 3 Versionen des Tathergangs ansieht. Dazu kommt noch ein Gespräch zwischen Inspektor Giordano und Robert Chobert unmittelbar am Tatort. In diesem ersten Gespräch sagte Chobert, der Schütze wäre „offensichtlich davongelaufen“, identifizierte aber nur Augenblicke später den im Arrestwagen liegenden Abu-Jamal als Schützen.[7] Allerdings kann Inspektor Giordanos Bericht nur als Hörensagen gewertet werden.
In seiner um 4:25 unterschriebenen ersten Version (nur eine halbe Stunde nach der Schießerei) behauptete er, der Schütze wäre davongelaufen aber nicht weit gekommen bevor er hingefallen ist, eventuell 30 oder 35 Schritte.[8] Den Schützen beschrieb er als „schwergewichtig, über 1,83m groß und er war mit einem hellbraunen Hemd und Jeans bekleidet“,[9] und an anderer Stelle als „etwa 100kg schwer“.[10] Abu-Jamal ist zwar 1,85m groß, aber alles andere als schwergewichtig und bei seiner Verhaftung trug er dunkle Kleidung.
Bei seiner Aussage am 12.12.1981, 3 Tage nach dem Vorfall, rannte der Schütze nur noch etwa 9 Meter.[11]
Noch schwieriger ist seine Aussage während der Verhandlung einzufügen. Laut seiner Aussage vom 19.6.1982 rannte der Schütze nicht mehr davon, auch nicht 30 bis 35 Schritte, sondern ging nur noch etwa 3 Meter bevor er hinfiel.[12] Aus etwa 30 Meter wurden zunächst 9 Meter und dann nur noch 3 Meter. Dieser Meinungswandel sieht sehr nach Beeinflussung durch die Polizei aus. Damit soll nicht gesagt werden, daß Robert Chobert von der Polizei zu einer Aussage gezwungen wurde. Er hat offensichtlich etwas gesehen und hat sich auch sofort als Zeuge zu Verfügung gestellt. Die durch ihn erfolgte Identifizierung fand nur Minuten nach der Tat statt. Der auffällige Punkt ist der Umstand, daß seine Aussage im Laufe der Zeit klarer wurde und er dadurch im Zeugenstand eine bessere Figur machte.
Abu-Jamals Anwalt Anthony Jackson hat die Änderungen in Choberts Aussagen immer wieder betont, konnte diesen Punkt aber offensichtlich nicht wirksam herausarbeiten. Auch die zuweilen sarkastische („haben Sie Augen in Ihrem Hinterkopf?“[13]) und unfreundliche Befragung durch den Anwalt war nicht hilfreich. Chobert fühlte sich scheinbar vom Zeugen in die Rolle des Angegriffenen gedrängt und reagierte mit der heftigen Bemerkung „er habe gesehen, wer den Polizisten erschossen hat, und er wird dies nicht vergessen.“[14] Diese Aussage blieb mit Sicherheit im Gedächtnis der Geschworenen haften. Anthony Jackson hätte durch einen ähnlichen Ausbruch Choberts gegenüber Abu-Jamal während einer Vorverhandlung am 2. Juni gewarnt sein sollen.[15] Auch im Zeugenstand zeichnete sich Robert Chobert durch zum Teil schnippische Antworten aus.[16]
Das Problem mit Choberts Aussage ist für Gerichtsverhandlungen leider alltäglich: es kann ganz einfach nicht so gewesen sein, wie es beschrieben wurde. Seine detaillierten Aussagen zu Statur und Kleidung des Schützen sind widersprüchlich. Auch die Entfernungsangaben stimmen nicht überein. Andere Details, wie das Verhalten von William Cook sind ebenso fragwürdig. Laut Chobert sei auch dieser davongelaufen und wurde von der Polizei gefaßt.[17] Weder die Polizisten noch irgendein anderer Zeuge hat etwas derartiges ausgesagt. Chobert hat eine Unmenge an Details erfunden, und es ist nicht möglich, die Tatsachen von den Erfindungen zu trennen. Man kann aber trotzdem 2 Versionen verfolgen.
Die erste Version geht von einem dritten Mann am Tatort neben William Cook und Mumia Abu-Jamal aus. Dieser dritte Mann ist davongelaufen und war eventuell auch der Schütze. Dieser dritte Mann war die Person welche Robert Chobert davonlaufen gesehen hat. Wenn es einen dritten Mann mit der selben Frisur wie Abu-Jamal gegeben hat (eine Rastafrisur mit langen, fingerdicken Zöpfen), dann wird die Identifizierung des Schützen durch Robert Chobert fragwürdig. Er hat offensichtlich die auffällige Frisur bemerkt, hatte aber wahrscheinlich eine zu schlechte Sicht um sich auch die Gesichtszüge eingeprägt zu haben.
Die zweite Version lautet, daß Robert Chobert nur sehr wenig gesehen und sehr viel dazugedichtet hat. Er befand sich während der Schießerei auf dem Fahrersitz seines Fahrzeuges hinter Daniel Faulkners Einsatzfahrzeug. Er mußte über das Fahrzeug hinweg sehen, wobei es Nacht war und sich die rotierenden roten und blauen Lichter auf dem Polizeifahrzeug zwischen ihm und dem Tatgeschehen befanden. Seine Sicht war von Anfang an behindert. Scheinbar hielt es bis heute niemand für nötig, einen Versuch bezüglich der Sichtverhältnisse anzustellen. Als er aus dem Fahrzeug ausstieg, sah er für einige Sekunden nicht hin. Er hat offensichtlich gesehen, wie sich der Schütze davon bewegt hat. Als er ihn für einige Sekunden aus den Augen verlor, vermutete er, dieser sei davongelaufen. In dieser Version ist ein 3. Mann am Tatort nicht erforderlich um seine Beobachtungen zu erklären.
Allein die widersprüchlichen Angaben Choberts beweisen zur Genüge, daß er nur einige Details ausmachen konnte aber niemals wirklich klare Sicht hatte. Dadurch wird auch seine erste Identifizierung Abu-Jamals im Arrestwagen der Polizei unglaubwürdig.
Der Autor David Lindorff,[18] der sich selbst als den Autor des einzigen unabhängigen Buches zum Fall Mumia Abu-Jamal bezeichnet,[19] behauptet sogar, Robert Choberts Taxi wäre nicht einmal am Ort des Geschehens gewesen.
Die Zeugenaussagen zur Position des Taxis sind tatsächlich dürftig. Albert Magilton sah ein geparktes Taxi, aus der Prozeßmitschrift geht die Lage dieses Taxis aber nicht hervor. Cynthia White sah das Taxi als es ankam. Michael Scanlan sah nur das Polizeiauto und den Volkswagen. Allerdings begann seine Beobachtung zu einem Zeitpunkt, zu dem Robert Chobert eventuell noch nicht an der Kreuzung angekommen war. Am besten geht die Position des Taxis noch aus den Photos hervor. Der Polizist Roy Land hat mehrere Tatortfotos aufgenommen nachdem er den Tatort um 4:15 erreicht hat.[20] Bei einer späteren Aussage beschreibt William Harmon eines der Tatortfotos, auf dem ein Taxi hinter dem Polizeiauto zu sehen ist.[21] Georg Michael Newman behauptete, Robert Chobert hätte zum Tatzeitpunkt auf der anderen Straßenseite geparkt (siehe Abschnitt Eidesstattliche und unbeeidete Erklärungen). Wie aber sollte Robert Chobert sein Taxi unmittelbar nach der Schießerei von der gegenüberliegenden Straßenseite auf die Position hinter dem Polizeiauto bringen? Es waren nicht nur jede Menge Polizisten, sondern auch Zivilisten vor Ort. Ein solches Manöver wäre mit Sicherheit von Zeugen beobachtet worden.
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[1] Verhandlungsmitschrift vom 19.6.1982, Seiten 3.216-223
[2] Verhandlungsmitschrift vom 19.6.1982, Seite 3.225f
[3] PCRA-Anhörung vom 15.8.1995, Seiten 4-10
[4] PCRA-Anhörung vom 15.8.1995, Seite 16
[5] PCRA-Anhörung vom 15.8.1995, Seite 20
[6] PCRA-Anhörung vom 27.7.1995, Seite 223
Aussage von Anthony E. Jackson
“Throughout this trial, whenever there was any testimony that was changed, it was always to the benefit of the Commonwealth.”
[7] Steward Taylor jr., The American Lawyer, “Guilty and Framed”
Steward Taylor zitiert aus einem schriftlichen Bericht Inspektor Giordanos:
“Giordano encountered Chobert upon reaching the scene about five minutes after the shooting: "[A] white male [Robert Chobert] from the crowd stated that he saw the shooting and that a black MOVE member had done it and appearently [sic] ran away. When asked what he ment [sic] bby [sic] a MOVE member, the white male stated, 'His hair, his hair,' appearantly [sic] referring to dreadlocks. I asked him to step over to the rear of EPW #601 [the paddy wagon], the wagon crew opened the back door, the suspect was laying on his back on floor, the white male immediately stated, 'That is the man that shot the policeman.' "”
[8] Justice For Police Officer Daniel Faulkner, Summary
Zitat aus der ersten schriftlichen Stellungnahme Choberts gegenüber der Polizei:
“I was writing down on a pad how much my fare was. Then I heard a shot. I looked up and I saw a cop who was on the pavement next to his car, his car was parked a little in front of my car. I saw the cop fall to the ground when I looked up and I saw this black male stand over the cop and shoot him a couple of more times. Then I saw the black male start running towards 12th St. He didn't get very far, maybe thirty or thirty-five steps and then he fell. I got out of my cab and started walking over to the cop. When I got up to him all of the sudden all of the cops came and told me to get back. Then I got back in my cab and I was getting ready to leave, but they had me blocked in.”
[9] Steward Taylor jr., The American Lawyer, “Guilty and Framed”
Zitat aus der ersten schriftlichen Stellungnahme Choberts gegenüber der Polizei:
"kind of heavyset. He was about 6 feet tall and he was wearing a light tan shirt and jeans."
[10] Verhandlungsmitschrift vom 19.6.1982, Seite 3.234f
Anwalt Anthony E. Jackson (Q) befragt Robert Chobert (A) im Kreuzverhör
Q. Fine, I just wanted to make sure. Now, you then said to the Police, correct me if I am wrong, you told the Police that the man was six feet, 200, 225 pounds, didn't you?
A. Yes, I did.
[11] Verhandlungsmitschrift vom 19.6.1982, Seite 3.236f
[12] Verhandlungsmitschrift vom 19.6.1982, Seite 3.211
Robert Chobert beschreibt, was der Schütze nach dem Ende der Schießerei getan hat:
“Then I saw him walking back about ten feet and he just fell by the curb.”
[13] Verhandlungsmitschrift vom 19.6.1982, Seite 3.255
Anwalt Jackson zu Robert Chobert nachdem dieser sagte, er habe den Schützen niemals aus den Augen verloren:
“Oh, but you have eyes in the back of your head?”
[14] Verhandlungsmitschrift vom 19.6.1982, Seite 3.256
Robert Chobert zu Anwalt Jackson im Verlauf des Kreuzverhörs:
“Yes. I know who shot the cop and I ain't going to forget it.”
[15] Vorverhandlung zur Ermittlung der Zulässigkeit von Beweismitteln (Motion to Suppress) vom 2.6.1982, Seiten 2.72-73 (Quelle: Justice For Police Officer Daniel Faulkner, Summary)
Robert Chobert zu Mumia Abu-Jamal, der ihn als Anwalt in eigener Sache befragt:
Chobert - I saw you shoot him, and I never took my eyes off you until you got in the back of the wagon.
Die Behauptung, er hätte Abu-Jamal nie aus den Augen verloren, widerspricht seinen anderen Aussagen und ist nur mit Streß zu erklären. Als er aus dem Auto stieg, hat er für einige Sekunden nicht hingesehen. Er wollte offensichtlich in diesem Wortgefecht gewinnen.
[16] Verhandlungsmitschrift vom 19.6.1982, Seite 3.236
Als Robert Chobert von Anthony Jackson auf einen klaren Widerspruch in seiner schriftlicher Aussage über das Gewicht des Täters befragt wurde, antwortete dieser:
“Yes, but I'm not good at weight. Do you think I'm going to stand there for a couple of minutes and ask him how much he weighs?”
[17] Verhandlungsmitschrift vom 19.6.1982, Seite 3.246ff
[18] Killing Time: An Investigation Into the Death row Case of Mumia Abu-Jamal, Common Courage Press, 2003 von David Lindorff
[19] David Lindorff machte diese Behauptung im Rahmen einer Kritik an Michael Moores Aussage, Mumia Abu-Jamal wäre wahrscheinlich der Täter gewesen.
[20] Verhandlungsmitschrift vom 19.6.1982, Seite 3.43ff
[21] PCRA-Anhörung vom 10.8.1995, Seite 168
William Harmon beschreibt, welche Autos er auf den Fotos gesehen hat:
“I see a cop car, the Volkswagen, and a cab.”
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