Michael Scanlan
Michael Scanlan gab vor Gericht ebenfalls eine klare Aussage ab. Jedoch war auch dies nicht die genau gleiche Aussage, die er kurz nach dem Vorfall gegenüber der Polizei abgegeben hatte. Im Zeugenstand[1] erklärte er, als er an der roten Ampel der Kreuzung 13. Straße und Locust-Straße etwa 35 Meter vom Tatort entfernt stand, hat er gesehen, daß Daniel Faulkner William Cook, den Fahrer des Volkswagen, mit gespreizten Armen und Beinen über die Motorhaube seines Polizeiwagens gelegt hat. Danach hat sich William Cook umgedreht und dem Polizisten mit geballter Faust ins Gesicht geschlagen. Dieser hat daraufhin William Cook mit einer Taschenlampe oder einem Schlagstock auf die Schulter geschlagen um ihn zu überwältigen. In diesem Augenblick kam Mumia Abu-Jamal aus dem Parkplatz gerannt. Danach sah er wie eine Hand hochgehoben wurde (er sagte nicht, wessen Hand; im Kreuzverhör erklärte er, Abu-Jamals Hände wären nach vorne gerichtet worden) und er hörte einen Schuß. Als Mumia Abu-Jamal den Polizisten erreicht hat, hörte er einen weiteren Schuß. Bei näherer Befragung sagte er aus, der Polizist hätte dem Schützen den Rücken zugedreht. Dann fiel der Polizist zu Boden und Mumia Abu-Jamal feuerte zwei oder drei weitere Schüsse auf ihn ab, wobei er sich deutlich erinnern konnte, zweimal das helle Aufleuchten von Mündungsfeuer gesehen zu haben. Einer dieser Schüsse muß Daniel Faulkner getroffen haben, da er deutlich die Bewegung des Polizisten als Ergebnis des Einschusses erkennen konnte. Nachdem er diese Schüsse gesehen hatte, fuhr er mit seinem Wagen davon um Hilfe zu holen. Die Zeit, die er mit der Beobachtung des Vorfalls verbracht hatte, schätzte er auf maximal 30 Sekunden. Wenig später traf er auf Einsatzfahrzeug Nr. 601 mit den Polizisten Wakshul and Trombetta und alarmierte diese.
Diese Aussage war klar und eindeutig. Abgesehen von der Tatsache, daß er zu weit entfernt war, um die Personen zu erkennen oder eine der Personen zu identifizieren, war es zusammen mit den anderen bekannten Tatsachen eine überzeugende Aussage. Allerdings waren seine beiden vorangegangenen Aussagen vom 9. und 11.12.1981 gegenüber der Polizei nicht ganz so klar. Er sprach darüber, daß Verwirrung geherrscht hat und er nicht sagen kann, wer geschossen hat. Während der Verhandlung erklärte er diese Aussage damit, daß er die beiden Personen nicht identifizieren konnte und daß er sie nach wie vor nicht identifizieren kann.[2] Darüber hinaus glaubte er, als er zum Tatort zurückkam und den im Polizeiwagen liegenden Mumia Abu-Jamal sah, dieser sei der Fahrer des Volkswagen.[3] Scheinbar wurde er durch die Frisur verwirrt. Der Mann, den er vom Parkplatz laufen sah, hat laut seiner Aussage eine dunkle gestrickte Haube auf, während er beim Fahrer des Volkswagen die Rastafrisur mit langen Zöpfen bemerkt hatte.[4] Er konnte auch nicht sagen, welcher der beiden Männer (Mumia Abu-Jamal oder William Cook) auf den am Boden liegenden Polizisten geschossen hat.[5]
Michael Scanlans Aussage im Zeugenstand unterscheidet sich bis auf zwei Details nicht wesentlich von seinen Aussagen gegenüber der Polizei. Ob er mit „ich weiß nicht wer geschossen hat“ wirklich nur meinte, daß er den Schützen nicht identifizieren kann, oder ob er verwirrt war und nicht sagen konnte, ob es der Fahrer des Volkswagen (Cook) oder der Mann vom Parkplatz (Abu-Jamal) war, kann nicht aufgeklärt werden. Sein Bericht wird dadurch aber nicht wesentlich entwertet. Wenn tatsächlich nur diese beiden Männer vor Ort waren, kommt nur noch Mumia Abu-Jamal als Täter in Frage. William Cook wurde zu keinem Zeitpunkt von irgend einer Seite der Tat bezichtigt, und es gibt auch sonst keinerlei Indizien, die auf seine Schuld hindeuten. Darüber hinaus hat Michael Scanlan immer auf die eine oder andere Weise ausgesagt, der Mann vom Parkplatz hätte geschossen.
Unterstützer Abu-Jamals verweisen auf ein zweites Detail, das die offizielle Version des Tathergangs in Zweifel zieht. Bei seiner ersten Befragung durch die Polizei zeichnete Scanlan eine Skizze, welche Daniel Faulkner in einer Position zeigt, in der er in Richtung von Mumia Abu-Jamal blickt.[6] Im Zeugenstand sagte er jedoch eindeutig, Daniel Faulkner habe Abu-Jamal den Rücken zugewandt.[7] In Leonard Weinglass’ Buch Race for Justice findet sich eine Abbildung dieser Skizze. Sie besteht lediglich aus Strichmännchen und sollte wohl von Anfang an nur die Position der beteiligten Personen, nicht aber ihre Blickrichtung angeben.
Seine Zeugenaussage vor Gericht ist nicht so vollständig wie es zunächst scheint. Die Punkte, die er klar beschreiben konnte, sind der Anfang und das Ende der Schießerei. Zunächst sah er den Mann vom Parkplatz auf den Polizisten zulaufen und er hörte einen Schuß. Am Ende sah er denselben Mann neben dem liegenden Polizisten stehen und auf diesen schießen. Der Ablauf dazwischen ist nicht klar. Er sagte sogar, der Polizist wäre nach dem ersten Schuß auf dem Gehsteig hingefallen. Zuvor stand dieser aber noch auf der Straße. Die entscheidenden Sekunden konnte er nicht beschreiben. In seiner Aussage gab er allerdings Details an, die er nicht gesehen haben konnte. So behauptete er, William Cook wäre in die Knie gegangen, nachdem ihn Daniel Faulkner geschlagen hat. Da beide jedoch vor dem Polizeiauto standen, waren die Knie für Scanlan nicht sichtbar. Andererseits konnte er sich nicht an das Taxi Robert Choberts hinter dem Polizeiauto erinnern. Offensichtlich hat seine Phantasie seiner tatsächlichen Erinnerung nachgeholfen.
Insgesamt war die Aussage jedoch in zwei Details klar. Erstens hat der Mann der vom Parkplatz kam auf den Polizisten geschossen. Zweitens stand dieser neben dem liegenden Polizisten und hat erneut auf ihn geschossen. Wie der Tatablauf während der entscheidenden Sekunden tatsächlich war, hat er nicht beschrieben und aufgrund seiner Position konnte er diese Sekunden auch nicht exakt beschreiben. Er konnte auch nicht beschreiben, wie Mumia Abu-Jamal von Daniel Faulkner angeschossen wurde. Diesen Teil der Tat hat auch kein einziger der anderen Zeugen gesehen. Aufgrund des Verlaufs des Schußkanals von oben nach unten ist es auch schwierig zu erklären, wann dieser Schuß abgegeben wurde.[8]
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[1] Verhandlungsmitschrift vom 25.6.1982, Seite 4ff
Michael Scanlan hat die beteiligten Personen nicht mit Namen, sondern als „Gentleman, der vom Polizisten befragt wurde [William Cook]“, „Polizist [Daniel Faulkner]“ und „Mann, der aus dem Parkplatz rannte [Mumia Abu-Jamal]“ bezeichnet. Er sagte auch aus, daß er keinen der Beteiligten identifizieren kann.
[2] Neben anderen Abschnitten in der Verhandlungsmitschrift vom 25.6.1982, Seite 35
Anwalt Jackson (Q) befragt Michael Scanlan (A)
Q. Okay. So would it be fair to say based on the fact that you gave that statement on December 11, 1981, when you were asked specifically did you see who fired the shot, you said no?
A. Well, what I meant, I couldn't identify them. I was worried about identifying the person. As of now, I still can't identify them, only through clothing.
[3] Verhandlungsmitschrift vom 25.6.1982, Seite 46
[4] Ob Mumia Abu-Jamal tatsächlich eine Haube trug, wurde nicht weiter hinterfragt. Es wurde jedoch ein Beret an der Stelle gefunden, an der Mumia Abu-Jamal festgenommen wurde.
[5] Verhandlungsmitschrift vom 25.6.1982, Seite 50
Anwalt Jackson liest einen Teil der schriftlichen Aussage Michael Scanlans vom 11.12.1981 vor (Jackson sagte mehrmals, daß die Aussage vom 12.12.1981 stammen würde):
"The next thing I know, I saw the Officer laying there, then one of the males was standing over the officer. I don't know which one it was. Then I saw two or three flashes, and heard the shots."
[6] Steward Taylor jr., The American Lawyer, “Guilty and Framed”
[7] Verhandlungsmitschrift vom 25.6.1982, Seite 11
Staatsanwalt McGill (Q) befragt Michael Scanlan (A):
Q. Now, what did you then do after you saw the officer shot? First of all, if you recall, in what direction was the officer's back to the man who was running across the street, and who shot him?
A. His back was towards him.
[8] Siehe Kapitel Medizinische Beweise.
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