Das blutige Hemd und Maureen Faulkner
In der oben (Fallbeispiele) erwähnten Reportage von KGO TV wurde eine Stellungnahme von Maureen Faulkner, der Witwe Daniel Faulkners, gegenüber der Washington Post aus dem Jahre 1995 erwähnt. Darin erklärte Maureen Faulkner, als ein Ballistikexperte das blutbefleckte Hemd ihres Ehemanns während der Verhandlung von 1982 hochgehalten hat, hätte Abu-Jamal sie angesehen und gelächelt.
Weinglass beweist schlüssig, daß es so nicht gewesen sein kann.[1] Als der Kriminalist Dr. Tumosa dies getan hat (26.6.1982), war Mumia Abu-Jamal nicht im Gerichtssaal und konnte sie daher nicht angelächelt haben. Seine abschließende Stellungnahme war: „Im Gerichtssaal hat die Staatsanwaltschaft Richter Sabo um sie zu beschützen. Im Gericht der öffentlichen Meinung genießt Frau Faulkner keinen solchen Schutz. Ihre falsche Behauptung wurde rasch entlarvt.“
Tatsächlich hat Maureen Faulkner von einem Ballistikexperten gesprochen, aber nicht gesagt, wen sie damit meinte. Dr. Tumosa bezeichnete sich selbst als Kriminalist und hatte mit den Waffen nur am Rande zu tun. Linn Washington führt zwar in einem offenen Brief an Maureen Faulkner[2] an, daß Dr. Tumosa auf der Internetseite Justice For Police Officer Daniel Faulkner[3] als Ballistikexperte der Staatsanwaltschaft bezeichnet wird, diese Bezeichnung wird aber von den Verhandlungsmitschriften nicht unterstützt. Der Ballistikexperte, der die Waffen und Projektile überprüfte, war Anthony Paul und sagte bereits am 23.6.1982 aus. Anthony Paul hat das Hemd Daniel Faulkners jedoch niemals gehalten oder gezeigt. Streng genommen kann daher weder die Geschichte Maureen Faulkners noch die sogenannte Entlarvung durch Leonard Weinglass richtig sein. Eine Überprüfung des Gerichtsprotokolls zeigt, daß das Hemd am 26.6.1982 als Beweisstück C-27 angeführt wird.[4] Die Beweismittel werden in der Reihenfolge ihres Erscheinens im Gerichtssaal numeriert. In der Inhaltsübersicht des Protokolls hält der Gerichtsstenograph jeden Tag fest, welche Beweismittel in das Verfahren eingeführt werden. Im Inhaltsverzeichnis vom 26.6.1982 finden sich nur zwei Beweisstücke mit den Nummern C-61 und C-62. Das bedeutet, das Hemd muß bereits an einem früheren Tag in die Liste der Beweisstücke aufgenommen worden sein. Eine Durchsicht der Protokolle zeigt, daß dies am 21.6.1982 geschehen ist.[5] Wenn man das Protokoll weiter verfolgt, sieht man, daß Mumia Abu-Jamal an diesem Tag der Verhandlung beiwohnte. Er wurde am Titelblatt des Protokolls als anwesend geführt und bis zur Aufnahme des Uniformhemds wurde er nicht ausgeschlossen. Etwas später trat der Waffenhändler Kohn in den Zeugenstand. Auf die Frage, ob er den Käufer der Waffe identifizieren kann, erklärte er, es sei der im Gerichtssaal anwesende Mumia Abu-Jamal und er hat auf Wunsch des Staatsanwalts auf ihn gezeigt.[6] Dies war nur 25 Seiten weiter unten im Protokoll (geschätzte 15 bis 30 Minuten später). Der Zeuge, der das Hemd an diesem Tag in Händen gehalten hat, war der Polizist John Heftner.[7] John Heftner war jedoch eindeutig kein Ballistikexperte.
Um Maureen Faulkners Geschichte zu retten, müßte man ihr zugute halten, daß sie in ihrer Erinnerung den Polizisten und den Ballistikexperten verwechselt hat oder daß sie John Heftner aufgrund seiner Rolle beim Einsammeln von Beweisstücken für einen Ballistikexperten gehalten hat. Eine solche Verwechslung ist nach 13 Jahren nicht abwegig. Es wäre aber auch nützlich, wenn sie versuchen würde, ihre Behauptungen zu untermauern. Laut ihrem Interview gegenüber der Washington Post haben zwei weitere Personen den Vorfall beobachtet. Diese Personen wurden aber nicht benannt.
Die Betreiber einer Internetseite, welche sich vehement gegen eine Revision des Gerichtsurteils gegen Mumia Abu-Jamal stellt,[8] erhielten laut eigener Aussage von Maureen Faulkner eine Kopie eines Zeitungsausschnitts des Philadelphia Inquirer, in dem folgender Bericht zu lesen ist: „Früher am Tag [21.6.1982] hat Maureen Faulkner, die Witwe des Polizisten, weinend den Gerichtssaal verlassen, nachdem das blutbefleckte Polizeihemd ihres Ehemanns als Beweis zugelassen wurde.“[9] Laut der Aussage von Maureen Faulkner begann sie zu hyperventilieren als Abu-Jamal sie angelächelt hat. Sie mußte daraufhin aus dem Gerichtssaal begleitet werden und wurde anschließend in das Jefferson Spital gebracht. Dort wurde sie behandelt und noch am selben Tag entlassen. Dieser Artikel des Philadelphia Inquirer sagt nichts darüber aus, daß Mumia Abu-Jamal sie angelächelt hat. Auch bei diesem Vorfall steht Aussage gegen Aussage.
Die Betreiber von Justice For Police Officer Daniel Faulkner zeigen bei der Beschreibung dieser Anschuldigung, daß auch sie das Spiel mit Worten verstehen. In deren Beschreibung des Vorfalls wird die Aussage Maureen Faulkners dahingehend geändert, daß sich dieser Vorfall ereignet hat, als das Hemd Daniel Faulkners im Gerichtssaal gezeigt wurde. Der Zusatz „der Ballistikexperte“ wird jedoch unterschlagen, um Leonard Weinglass’ Aussage nicht zu untermauern. Ansonsten hätte man Maureen Faulkners Verwechslung des Ballistikexperten mit dem Polizisten John Heftner erklären müssen. Außerdem wurde behauptet, Mumia Abu-Jamal hätte gegrinst und nicht gelächelt. Diese einfache Änderung der Wortwahl hinterläßt einen deutlich schlechteren Eindruck.[10]
Diese Geschichte soll nicht als Beweis gegen Mumia Abu-Jamal verstanden werden. Es kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob die trauernde Witwe dies wirklich gesehen hat. Nicht nur die Verwechslung John Heftners mit dem Ballistikexperten ist fraglich. Fraglich ist auch, wieso sie es erst 13 Jahre später erzählt hat, oder wieso sie genau in diesem Augenblick auf die andere Seite des Raums und nicht auf den Zeugenstand geblickt hat (sie saß hinter der Staatsanwaltschaft und nicht hinter der Verteidigung). Vielleicht hat sie in ihrer Trauer die Ereignisse falsch gesehen. Ob es so war läßt sich nicht mehr feststellen. Das einzige, was sich eindeutig feststellen läßt, ist die Unehrlichkeit auf beiden Seiten. Deshalb nehme ich am Ende dieses Essays die Anregung vom „Gericht der öffentlichen Meinung“ wahr und versetze mich selbst in die Rolle eines Geschworenen um Mutmaßungen über Schuld oder Unschuld aufzustellen.
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[1] Ausschnitt aus dem Kommentar von Leonard Weinglass und C. Clark Kissinger
“It would have been helpful if KGO had asked Mrs. Faulkner about a claim she makes that when a ballistics expert held up her dead husband's shirt in court to display the bullet holes, Jamal turned around and smiled at her. [42] This is a real crowd stopper. It seems to capture the very essence of the prosecution's claim that Jamal was a cold-blooded killer.
The only problem is, it isn't true. A simple examination of the transcript shows that on the day the ballistics expert presented his testimony, Jamal was absent from the courtroom. [43] Also, the first time we heard her make this claim was in 1995, 13 years after the event in question. In the court of law, the prosecution has had Judge Sabo to protect them. But in the court of public opinion, Mrs. Faulkner has no such protection. Her erroneous statements were quickly exposed.”
Fußnote [42] verweist auf den Artikel in der Washington Post vom 8.5.1995 und Fußnote [43] gibt die Verhandlungsmitschrift vom 26.6.1982 als Quelle an.
[2] Antwort Linn Washingtons auf einen Brief Maureen Faulkners bezüglich seiner Kolumne in der Philadelphia Tribune.
[3] Siehe Justice For Police Officer Daniel Faulkner, Names of key individuals in this case. Dr. Tumosa wird als prosecution ballistics expert bezeichnet.
[4] Verhandlungsmitschrift vom 26.6.1982, Seite 26
[5] In den Mitschriften der ersten Verhandlungstage hat der Gerichtsstenograph leider auf ein Inhaltsverzeichnis für die Beweisstücke verzichtet. In der Mitschrift vom 21.6.1982 identifiziert der Polizeibeamte John Heftner auf Seite 10 das Uniformhemd Daniel Faulkners. Es wurde unter der Nummer C-27 in die Liste der Beweisstücke aufgenommen.
[6] Verhandlungsmitschrift vom 21.6.1982, Seiten 35-36
[7] Er sammelte Beweisstücke am Tatort ein.
[8] Justice For Police Officer Daniel Faulkner, Officer Faulkner's Widow Attacked
[9] Philadelphia Inquirer vom 22.6.1982
„Earlier in the day, [21.6.1982] Maureen Faulkner, the officer's widow, left the courtroom crying after her husband's blood-stained police shirt was admitted as evidence.”
Auf der Seite Justice For Police Officer Daniel Faulkner wird dieses Zitat geringfügig modifiziert angeführt.
[10] Maureen Faulkner verwendete im Interview gegenüber der Washington Post die Worte „he smiled“, während auf der oben erwähnten Internetseite das Wort „smirked“ verwendet wird.
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