Behauptungen von Leonard Weinglass - Fallbeispiele
Ursprünglich wollte ich an dieser Stelle sein Buch Race for Justice behandeln. Dies hätte aber den Rahmen dieses Essays bei weitem gesprengt. Deshalb habe ich mich entschieden, ein von ihm und einem C. Clark Kissinger verfaßtes Dokument als Grundlage zu nehmen.[1] In diesem Schriftstück kommentiert er eine zweiteilige Reportage der Fernsehstation KGO TV (ein Teil von ABC) über Mumia Abu-Jamal und bezichtigt die Redakteure dieser Reportage der Lüge. In einigen Punkten ist seine Kritik sicherlich gerechtfertigt. Die Fragwürdigkeit einiger Zeugenaussagen ist offensichtlich, und auch andere Teile des Verfahrens werfen Zweifel auf. Bei der Kritik an anderen Details bringt er allerdings Argumente vor, die man nur als unverschämt bezeichnen kann. Ironischerweise wird dieses Dokument mit dem Titel „Medienlügen im Fall von Mumia Abu-Jamal aufgedeckt“ eingeleitet.[2] Im folgenden möchte ich einige der Aussagen Weinglass’ diskutieren. Die entsprechenden Details können in anderen Kapiteln dieses Essays gefunden werden. Die kursiv dargestellten Textteile sind die Behauptungen von Leonard Weinglass.
Veronica Jones sah zwei Männer vom Tatort fliehen. (Diese Behauptung wird an zwei Textstellen aufgestellt.) Er unterläßt es zu erwähnen, daß sie ursprünglich sagte, diese wären Daniel Faulkner nicht sehr nahe gekommen, also auf ihn zugegangen. Außerdem erwähnt er nicht, daß ihre Schilderung komplett anders ist als die der anderen Zeugen, die jemanden vom Tatort fliehen sahen.[3]
Singletary und Harmon sahen den Tatablauf. Die haarsträubenden Berichte dieser beiden Zeugen als Tatsachen hinzustellen ist reichlich gewagt. Darüber hinaus widersprechen sich ihre Aussagen so grundsätzlich, daß sie sich gegenseitig ausschließen. In seiner eigenen Petition an das Oberste Gericht Pennsylvanias hat er Harmon nicht einmal erwähnt. Beide Aussagen werden im Abschnitt Eine fliehende Person diskutiert.
Deborah Kordansky sah eine Person die Locust-Straße entlang laufen nachdem sie Schüsse gehört hat. Tatsächlich sah sie erst aus dem Fenster, nachdem weitere Polizisten am Tatort eingetroffen waren. Zu diesem Zeitpunkt müßte eine fliehende Person schon längst außer Sichtweite gewesen sein.[4]
Robert Harkins sollte aus einer Reihe von Fotos den Täter identifizieren, konnte aber Mumia Abu-Jamal scheinbar nicht erkennen. Das stimmt zwar, er hat aber ausdrücklich ausgesagt, daß der Schütze sich nach der Tat auf den Bordstein setzte. Dies weist eindeutig auf Mumia Abu-Jamal als Täter hin. Um ihn anzugreifen, wurde seine Aussage von 1995 als Zurückweisung seiner Geschichte über die Fotoidentifizierung gewertet. Harkins behauptete jedoch, er könne sich an diesen Punkt nicht mehr erinnern.[5]
Das tödliche Projektil paßte zur Schußwaffe Abu-Jamals wenn man bereit ist, einige hundertstel Zoll abzuziehen. Diese Aussage kann nur auf der groben Messung des Durchmessers des Projektils durch den Gerichtsmediziner basieren. Die Ballistikexperten beider Seiten haben das Projektil eindeutig als Kaliber 38 identifiziert.[6]
Die fehlenden Tests (Schmauchspurentest, Metallspurentest, Riechtest) haben zu Spekulationen geführt, dies wäre absichtlich geschehen, um Mumia Abu-Jamals Unschuld nicht beweisen zu können. Möchte er im Ernst behaupten, schon um vier Uhr morgens oder wenige Stunden danach wäre eine breit angelegte Intrige initiiert worden, um Mumia Abu-Jamal mit gefälschten Beweisen zu verurteilen? Solche Spekulationen gibt es wirklich, und sie wurden von Weinglass heftig geschürt. Ohne es beweisen zu können, wage ich es sogar, ihn der Urheberschaft zu verdächtigen.
Die Geschworenen haben nie erfahren, daß der Gerichtsmediziner das tödliche Projektil als Kaliber 44 beschrieben hat. Weinglass erwähnt aber nicht, daß der Gerichtsmediziner ein Arzt und kein Experte für Ballistik ist.[7]
Die erste Kugel die Daniel Faulkner getroffen hat wurde im Gegensatz zur Meinung der Staatsanwaltschaft nicht aus nächster Nähe abgefeuert. Weinglass erklärt nicht, wie er zu dieser Behauptung kommt, obwohl sie den Gerichtsakten eindeutig widerspricht. Er führt zu diesem Punkt auch keine Fußnote an.
Mumia Abu-Jamal konnte nicht vom fallenden Daniel Faulkner angeschossen worden sein. Diese Aussage hängt davon ab, was „fallend“ bedeutet. Wenn er noch annähernd aufrecht stand, also am Anfang des Hinfallens, war es durchaus möglich.
Kein Experte der Verteidigung war je in der Lage die Projektile zu untersuchen. Tatsächlich hat Weinglass während der PCRA-Anhörung von 1995 zwar einen Experten für Ballistik in den Zeugenstand gerufen, hat aber niemals einen Antrag auf eine neuerliche Untersuchung der Beweismittel gestellt.[8]
Die Polizei hat ein Fragment eines Projektils verloren. Der Gerichtsmediziner hat neben einem Projektil auch noch ein 10 mal 3 mal 2 Millimeter großes Bleifragment aus Daniel Faulkners Kopf entfernt, aber dieses nicht an die ballistische Abteilung weitergereicht.[19]
Mumia Abu-Jamal hat den Verhandlungsablauf niemals gestört bevor im das Recht entzogen wurde, sich selbst zu verteidigen. Hiezu möge der Leser die Verhandlungsmitschrift vom 17.6.1982, Seiten 44 bis 128 selbst lesen. Wenn dieses Verhalten den Ablauf der Verhandlung nicht gestört hat, dann scheine ich die Bedeutung dieser Worte nicht richtig zu verstehen. Außerdem hat Weinglass nur auf die Zeit vor dem Entzug des Rechts sich selbst zu verteidigen hingewiesen. Scheinbar ist auch ihm klar, daß sich Abu-Jamals Ausbrüche danach regelmäßig wiederholt haben und nicht zu leugnen sind. Um aber nicht vollständig zu lügen, führt Weinglass als Beweis für seine Behauptung nicht die Prozeßakten, sondern Artikel aus dem Philadelphia Inquirer an. Danach zitiert er zwei Aussagen zu Abu-Jamals Verhalten während der Auswahl der Geschworenen, nicht aber während der Verhandlung.
Mumia Abu-Jamal hat an der Auswahl der Geschworenen nicht mitgewirkt. Mumia Abu-Jamal hat zwar nur eine der zugelassenen Geschworenen selbst befragt, hat aber an der gesamten Auswahl mitgewirkt und war auch in der Lage, Geschworene abzulehnen.[10]
Mumia Abu-Jamal hatte kein Fernsehgerät um die Verhandlung während seiner Abwesenheit zu verfolgen. Das ist richtig. Das Gericht verfügte nicht über die technischen Hilfsmittel um dies zu ermöglichen. Ich kann dies aber nicht als ungerecht betrachten.
Falls William Cook 1995 ausgesagt hätte, wäre er verhaftet worden. Das widerspricht allen bisher gemachten Aussagen. Es gab eine Übereinkunft zwischen William Cooks Anwalt und der Staatsanwaltschaft, daß dieser aussagen kann und danach ohne verhaftet zu werden gemeinsam mit seinem Anwalt und einem Polizisten zu seiner eigenen Gerichtsanhörung geht. Laut Weinglass handelte es sich um eine Vorladung wegen eines Vergehens,[11] scheinbar leichter Diebstahl. Auch in den USA wird man für ein Vergehen nicht automatisch inhaftiert. War ihm das Leben seines Bruders nicht einmal soviel wert? Weinglass behauptet, es wäre einfach nicht wahr, daß William Cook sich geweigert hat auszusagen. Aber genau das hat William Cook getan.[12]
Priscilla Durham erwähnte das Geständnis im Krankenhaus nicht, als sie mit der Polizei gesprochen hat. Ich möchte hier nicht noch einmal auf dieses fragwürdige Geständnis eingehen oder es gar verteidigen. Aber auch diese Behauptung von Weinglass ist falsch. Er behauptet, Priscilla Durham hätte genauso wie Gary Bell und Gary Wakshul das Geständnis bei einer früheren Befragung durch die Polizei nicht erwähnt. In der von Weinglass zitierten Textstelle aus dem Verhandlungsprotokoll behauptete Priscilla Durham nur, sie hätte der Polizei nicht gesagt, daß sie gegenüber ihrem Vorgesetzten Bartelli einen Bericht über dieses Geständnis abgegeben hat. Tatsächlich hat sie gegenüber der Polizei bis dahin überhaupt keine Aussage zu Mumia Abu-Jamal gemacht, konnte das Geständnis also auch nicht erwähnt haben.[13]
Es ist unglaubwürdig, daß ein erfahrener Gerichtsreporter wie Abu-Jamal ein solches Geständnis abgibt. Weder war Abu-Jamal ein Gerichtsreporter noch läßt sein unbeherrschtes Verhalten während der Verhandlung darauf schließen, daß er ein solches Geständnis nicht ablegen würde. Seine einzige Erfahrung mit der Berichterstattung über Gerichtsfälle war der Prozeß gegen 9 MOVE-Mitglieder von 1979-80.[14]
Sein behandelnder Arzt hat das Geständnis ebenfalls nicht gehört. Sein behandelnder Arzt, Dr. Coletta, hat ihn erst deutlich später gesehen.
In all diesen Behauptungen verdreht Leonard Weinglass wissentlich die Tatsachen. Auch Kommentare zur Presse wie seine Behauptung nach den PCRA-Anhörungen von 1995-97 „In diesen Verfahren [PCRA-Anhörungen] wurden die genannten drei Grundlagen der Verurteilung von Mumia bis in die Wurzel erschüttert und so umfassend entwertet, daß eigentlich die Wiederaufnahme des Verfahrens gar nicht mehr zu vermeiden war. Aber die brennenden Befürworter seiner Hinrichtung sahen das anders.“[15] Wenn man die einzelnen PCRA-Anhörungen überprüft, wird sehr schnell die Arroganz dieser Behauptung klar. Weinglass war mit seinen Beweisen zu gut vertraut um mehr als eine vage Hoffnung gehegt zu haben, daß es deshalb zu einem neuen Verfahren kommen könnte.
Diese Aussagen sind typisch für viele Aussagen von Leonard Weinglass. Sie sind vor allem typisch für das Buch Race for Justice. Leonard Weinglass verdreht die Tatsachen so lange, bis er sie zu seinem Vorteil gebrauchen kann. Er verdreht auch Aussagen so lange, bis sich der Sinn so weit verändert hat, daß sie in sein Bild passen. Am besten wurde seine Vorgehensweise von einem namentlich nicht bekannter Leser bei der Bewertung seines Buches auf der Seite von Amazon beschrieben: „Nicht eine wahre Zeile in diesem Buch“.[16] Diese Aussage ist zwar übertrieben, da Race for Justice viele zu Recht bezweifelte Punkte kritisiert, beschreibt aber die Arbeitsweise Leonard Weinglass’ korrekt.
|