Nachwort
Wenn man die Erklärung Karl Fischbachers für seine Forderung „Mumia Abu-Jamal zum Ehrenbürger Wiens“ betrachtet (siehe Warum dieses Essay entstand und Fußnote [11]) und mit den Beweismitteln dieses Falles vergleicht, wird die Unverschämtheit seiner Forderung rasch deutlich. Offensichtlich können Behauptungen nicht so dumm und verlogen sein, daß Unterstützer Mumia Abu-Jamals davor zurückschrecken würden sie aufzustellen. Es bleibt nur zu hoffen, daß die verantwortlichen Politiker Wiens diese Aufforderung zurückweisen.
Gleichzeitig stellt sich aber auch die uralte Frage „Was ist Wahrheit?“ (Joh 18,38). Wenn man eine Lüge oft und laut genug wiederholt, kann sie dadurch zur allgemein akzeptierten Wahrheit werden. Es geht nicht darum, ob die Anhänger dieser Wahrheit von den Fakten überzeugt sind. Die meisten kennen nicht einmal die grundsätzlichen Zeugenaussagen und wollen sie offensichtlich auch nicht kennenlernen. Für sie ist die amerikanische Gesellschaft und das amerikanische Rechtssystem schlecht und korrupt, faschistisch und rassistisch. Wenn dieses System angeklagt wird, müssen daher die Anschuldigungen wahr sein. Wer etwas anderes behauptet ist ein Verräter.
Es verwundert mich nicht, daß die Unterstützung für Abu-Jamal vor allem von politisch links stehenden Gruppierungen kommt. Für diese ist das kapitalistische Amerika scheinbar noch immer ein Hort des Bösen, und mit religiöser Inbrunst werden die Mantras vom unschuldig verfolgten Revolutionär nachgebetet. Das Dogma vom bösen kapitalistischen Amerika wurde schon vor Generationen aufgestellt. Es kann auch nicht widerlegt werden, da es als religiöser Grundsatz über jede Kritik erhaben ist. Wer seine Sache so vorbringt, daß sie dieses Dogma unterstützt, ist ein Gläubiger und Mitstreiter und muß vor den bösen Ungläubigen beschützt werden. Alle, die dagegen sind, sind Faschisten, Rassisten und Ketzer, welche die gute Sache bekämpfen.
Was ist Wahrheit? Um zu zeigen, was als Wahrheit gelten kann, möchte ich ein Zitat A. C. Bhaktivedanta Swami Prabhupādas anführen. Prabhupāda war der Begründer von ISKCON, Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewußtsein, besser bekannt als Hare-Krishna-Sekte. In einem Abschnitt seiner Übersetzung des Śrīmad Bhāgavatam, einer heiligen altindischen Schrift, wird eine Schlacht zwischen Halbgöttern und Dämonen beschrieben. In einem Vers ist zu lesen, eine in der Schlacht aufgewirbelte Staubwolke hätte das ganze Weltall bis zur Sonne bedeckt und daß später Blut im ganzen Weltall verspritzt wurde. Die Erläuterung zu diesem Vers lautet wie folgt:
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Die Staubwolke bedeckte den gesamten Horizont, doch als Blutstropfen bis zur Sonne hin verspritzt wurden, konnte die Staubwolke nicht länger am Himmel schweben. Es ist hier zu bemerken, daß zwar gesagt wird, daß das Blut die Sonne erreichte, daß aber nicht gesagt wird, es habe den Mond erreicht. Offensichtlich ist daher, wie an anderer Stelle des Śrīmad-Bhāgavatam erklärt wird, die Sonne, und nicht der Mond, der erdnächste Planet. Wir haben dieses Thema bereits mehrmals erörtert. Zuerst kommt die Sonne, dann der Mond, dann Mars, Jupiter usw. Man sagt, die Sonne sei etwa 150 Millionen Kilometer von der Erde entfernt, und aus dem Śrīmad-Bhāgavatam erfahren wir, daß sich der Mond etwa 2.600.000 Kilometer über der Sonne befindet. Folglich betrüge die Entfernung von der Erde zum Mond etwa 153.000.000 Kilometer. Wie kann dann eine Raumkapsel, die mit einer Geschwindigkeit von 30.000 Kilometern in der Stunde fliegt, den Mond in nur vier Tagen erreichen? Mit dieser Geschwindigkeit braucht man mindestens sieben Monate, um den Mond zu erreichen. Daß eine Raumkapsel auf einem Mondflug den Mond in vier Tagen erreicht hat, ist daher nicht möglich.
Śrīmad Bhāgavatam, Canto 8, Kapitel 10, Erläuterung zu Vers 38 (Seite 299)
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Wenn man nur fest genug an etwas glaubt, kann man alle gegenteiligen Behauptungen zu Lügen erklären. Das heilige Dogma reicht als Beweis aus. Die Mondlandungen der NASA müssen offensichtlich gestellt worden sein. Wahrscheinlich wurden alle Berichte darüber in Hollywood produziert. Schließlich beweist das Śrīimad Bhāgavatam schlüssig, daß die offizielle Darstellung der NASA nicht stimmen kann.
„Was ist Wirklichkeit?“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, Kapitel 3, Abschnitt I). Wirklichkeit sind die Entscheidungen der Geschworenen vom 2. und 3. Juli 1982, in denen Mumia Abu-Jamal zunächst für schuldig befunden und danach zum Tode verurteilt wurde. Solange die Bundesgerichte dieses Urteil nicht aufgrund von Verfahrensmängeln aufheben, werden diese Entscheidungen auch weiterhin Bestand haben.
In der Öffentlichkeit ist es einfach, Kritik an den Beweisen und am Verfahren vorzubringen. Im Gerichtssaal gelten jedoch strengere Regeln. Behauptungen in der Öffentlichkeit werden immer stark vereinfacht vorgebracht. Die tödliche Kugel hatte ein anderes Kaliber als Abu-Jamals Waffe! Fünf Zeugen sahen den Täter flüchten! Der wirkliche Täter hat bereits gestanden! Ein unkritischer und erst recht ein voreingenommener Zuhörer kann daraufhin leicht zum Schluß gelangen, Mumia Abu-Jamal wäre ein unschuldiges Justizopfer. Vor Gericht aber zählen nur Beweise, und diese Beweise werden von Richtern beurteilt, die mit dem Fall gut vertraut sind. Diese Richter sind vielleicht nicht so voreingenommen wie Richter Sabo, lassen sich aber mit Sicherheit trotzdem nicht für dumm verkaufen. Paul Mulshine meinte zu den Lügen und Halbwahrheiten auf denen die Verteidigung Mumia Abu-Jamals basiert, diese wären ein wunderbares Mittel um Spendengelder aufzutreiben, die Richter würden diese Argumente jedoch „aus dem Gerichtssaal lachen“.[1] Die Chancen Abu-Jamals, seine angeblichen „Fakten“ als glaubwürdig hinzustellen, sind tatsächlich so gut wie nicht vorhanden. Die vielen unglaubwürdigen Entlastungszeugen mit sich gegenseitig widersprechenden Geschichten haben ihm sicherlich nicht geholfen.[2]
Mumia Abu-Jamals langes Schweigen hatte Methode. Sein Ziel war es, in einem neuen Verfahren unbelastet durch eine falsche eidesstattliche Erklärung von vorne beginnen zu können. Wenn ihm ein neues Verfahren gewährt wird, kann man sich sicher sein, daß er sich nicht noch einmal in politischen Tiraden ergehen wird. Vielleicht versucht er dann sogar mittels einer Verfahrensabsprache eine geringere Strafe zu erhalten. Angesichts der langen Zeit, die er schon im Gefängnis verbracht hat, könnte er in diesem Fall mit seiner baldigen Freilassung rechnen. Ein neues Verfahren wäre für beide Seiten gefährlich. Die Staatsanwaltschaft hat sicherlich aus den Verfahrensfehlern des ersten Verfahrens gelernt, wird aber nach dieser langen Zeit Schwierigkeiten haben, den Fall neu aufzurollen. Die Verteidigung weiß, wie zweifelhaft die entlastenden Beweise sind und wie groß die Gefahr einer neuerlichen Verurteilung ist. Sie könnte durch eine Verfahrensabsprache den Fall aber möglicherweise rasch abschließen.
Mumia Abu-Jamals Wirklichkeit ist die Todeszelle, die drohende Hinrichtung und das Gerichtssystem der Vereinigten Staaten. Nicht zuletzt er selbst hat diese Wirklichkeit im Juni 1982 maßgeblich mitbestimmt.
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