Mumia Abu-Jamal - Eine Analyse
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Eine fliehende Person - „der fliehende Täter“

Insgesamt vier Zeugen haben in der einen oder anderen Form davon gesprochen, daß sich jemand vom Tatort entfernt hat.[1] Diese vier Zeugen waren Dessie Hightower, Robert Chobert, Veronica Jones und Deborah Kordansky. Eventuell kann man auch noch William Singletary[2] oder William Harmon[3] hinzuzählen, welche erst bei der PCRA-Anhörung von 1995 aussagten. Dessie Hightower war der überzeugendste aller Zeugen, aber auch Robert Choberts Aussage enthält ein Indiz dafür, daß er wirklich jemanden fliehen sah.

Dessie Hightower sah eine Person mit Rastafrisur in Richtung 12. Straße laufen. Er war sich bei späteren Aussagen sicher, daß es sich um einen Mann handelte und beschrieb diese Person auch immer als etwa 1,75-1,78 Meter groß, meinte aber in seiner ersten Aussage gegenüber der Polizei, daß es aufgrund der Frisur auch eine Frau gewesen sein könnte.[4]

Robert Chobert erwähnte vor allem in seiner ersten mündlichen Stellungnahme gegenüber dem Kriminalbeamten Giordano, „der Schütze sei offensichtlich davongelaufen“. Später verringerte er die Distanz, welche der Schütze „davongelaufen oder -gegangen“ sei, auf 30 - 35 Meter, 9 Meter und schließlich 3 Meter.[5]

Veronica Jones sprach in ihrer Aussage gegenüber der Polizei davon, daß sie 2 Männer habe laufen gesehen, gab aber keine Richtung an. In der nächsten Antwort sagte sie, diese beiden Männer wären Daniel Faulkner nicht sehr nahe gekommen. Das deutet an, diese beiden Männer seien auf den Tatort zugelaufen und nicht davongelaufen. Im Jahre 1995 bestand sie aber darauf, daß die beiden Männer vom Tatort geflohen sind. Allerdings sprach sie stets von 2 Männern und diese hätten die Locust-Straße überquert. Am ehesten könnte ihre Beschreibung noch auf Dessie Hightower und Robert Pickford zutreffen.[6]

Deborah Kordansky konnte von Anwalt Anthony Jackson während der Verhandlung im Jahre 1982 nicht vorgeladen werden.[7] Sie sagte erst 1995 für die Verteidigung aus.[8] Ihre Aussage war, so wie sie es Anthony Jackson bereits 1982 am Telefon mitgeteilt hat, daß sie einen Mann an der südlichen Seite der Locust-Straße laufen sah. Diese Beobachtung machte sie allerdings erst dann, als bereits Verstärkung der Polizei am Tatort eingetroffen war.[9] Eine vom Tatort fliehende Person müßte zu diesem Zeitpunkt schon deutlich außer Sichtweite gewesen sein, da sie ansonsten wahrscheinlich auch von den Polizisten entdeckt worden wäre.

William Singletary behauptete im Jahre 1995 den gesamten Vorfall beobachtet zu haben. Allerdings ist seine Aussage nicht besonders glaubwürdig. In vielen Details stimmt sie ganz einfach nicht mit den bekannten Tatsachen überein.[10] Er behauptete, im Volkswagen wäre noch eine zweite Person gewesen. Diese wäre ausgestiegen, habe eine Waffe gezogen und auf den Polizisten gefeuert. Danach hätte er die Waffe in den Volkswagen gelegt und sei davongelaufen. Mumia Abu-Jamal wäre über die Straße gelaufen, und als er Daniel Faulkner helfen wollte, habe ihn dieser versehentlich angeschossen. Er erzählte auch noch, daß Polizisten vom Parkplatz auf ihn zugekommen seien um ihn zu befragen. Schließlich wollte er sogar eine Helikopter über dem Tatort gesehen haben.
Nach seiner Aussage schrieb er diesen Tathergang auf der Polizeiwache auf ein Blatt Papier und der Polizist der ihn befragte, offensichtlich unzufrieden mit seiner Geschichte, zerriß dieses Schriftstück. Im Verlauf der Befragung wurde er bedroht und seine Aussage wurde immer wieder zurückgewiesen, bis er den Drohungen nachgab und eine vierte Version des Tathergangs aufschrieb, welche dem Polizisten gefiel.
In weiterer Folge berichtete er davon wie er verfolgt wurde, die Fensterscheiben seiner Tankstelle wurden immer wieder eingeschlagen und schließlich gab er die Tankstelle auf und verließ Philadelphia.[11]
Insgesamt war seine Geschichte voller Märchen die mit der Wirklichkeit nicht in Einklang zu bringen sind. Angeblich habe Daniel Faulkner nach dem Kopfschuß noch über eine Maureen und seine Kinder gesprochen,[12] Daniel Faulkner soll mit dem Rücken an der Wand gelehnt haben und Mumia Abu-Jamal hätte Hosen wie Araber in Grün und Khaki getragen.
Die Verletzung Mumia Abu-Jamals erklärte er damit, daß der am Boden liegende Daniel Faulkner versehentlich auf ihn geschossen hat. Bei der Befragung ihres eigenen medizinischen Experten, Dr. Hayes, arbeiteten die Verteidiger aber darauf hin, daß ein am Boden liegender Schütze den Treffer in Abu-Jamals Brust nicht verursacht haben konnte. Die gesamten Beweise zeigen tatsächlich sehr deutlich, daß Daniel Faulkner nicht geschossen haben kann, als er bereits am Boden lag.[13] Obwohl sich diese beiden Behauptungen gegenseitig ausschließen, behaupteten die Verteidiger in ihrer Eingabe an das Bundesgericht für den östlichen Bezirk Pennsylvanias, daß Dr. Hayes Aussage die Geschichte Singletarys unterstützt. Gleichzeitig benutzten sie aber Dr. Hayes Aussage um zu beweisen, daß der liegende Polizist nicht auf Mumia Abu-Jamal geschossen haben kann. Richter Yohn nannte diese sich gegenseitig widersprechenden Darstellungen frivol.[14] Dem kann ich mich nur anschließen.
Die gesamte Geschichte war von Anfang bis Ende unglaubwürdig. Nicht einmal Leonard Weinglass hat in als glaubwürdig eingeschätzt, wenngleich er Singletarys Erinnerung freundlich als „nicht zur Gänze genau“ bezeichnete.[15] Was er wirklich gesehen hat wird wohl am ehesten durch die Aussage des Autobahnpolizisten Vernon Jones beschrieben. Singletary ist auf Jones zugegangen und hat in gefragt „was ist los?“[16]

William Harmon war ein ähnlich glaubwürdiger Zeuge. Er war ein stadtbekannter Betrüger, der seit 1961 immer wieder wegen diverser Betrugsdelikte verhaftet wurde.[17] Laut Staatsanwalt war er so sehr als notorischer Scheckfälscher bekannt, daß alle Banken Philadelphias ein Foto von ihm hatten.[18] Auch wenn William Harmon diese Behauptung bestritt, spricht sein langes Vorstrafenregister für sich.
Seine Aussage zu den Vorfällen am 9.12.1981 besagt, er hätte mit Mumia Abu-Jamal gesprochen als beide sahen wie Daniel Faulkner einen Mann (offensichtlich William Cook) angehalten und befragt hat. Als es zu einem lauten Wortwechsel zwischen dem Polizisten und dem von ihm angehaltenen Mann kam, ging Abu-Jamal auf die beiden zu. Danach hörte er einen Schuß und sah wie Daniel Faulkner zu Boden ging. Nach einem zweiten Schuß ging auch Abu-Jamal zu Boden und der vom Polizisten angehaltene Mann lief davon. Danach hielt ein Wagen an der Ecke 13. Straße und Locust-Straße an, ein Mann stieg aus und schoß Daniel Faulkner ins Gesicht.[19]
Seine Geschichte enthielt von Anfang bis Ende Fehler. Obwohl er unmittelbar vor der Verhandlung die Tatortfotos gesehen hat, verwechselte er die Positionen des Taxis von Robert Chobert und des Polizeiautos. Von seiner Position aus war es praktisch unmöglich den hinter den parkenden Autos liegenden Polizisten und den sitzenden Mumia Abu-Jamal zu sehen. Auch war er sich sicher, daß niemand sonst dort war, auch nicht William Cook. Seine Geschichte widerspricht sogar der äußerst vage gehaltenen eidesstattlichen Erklärung Mumia Abu-Jamals. Warum er dieses Märchen erzählte ist unklar. Eventuell wollte er nur einen Gefängnisurlaub oder er erhoffte sich eine Verbesserung seiner Position bei seinen Mitgefangenen. Der Wahrheit kann seine Aussage jedenfalls nicht entsprechen. Auch für die Verteidiger Mumia Abu-Jamals war William Harmon derartig unglaubwürdig, daß sie ihn weder in ihrer Eingabe an das Oberste Gericht Pennsylvanias noch in ihrer Eingabe an das Bundesgericht erwähnten.

Wenn man alle Aussagen über davonlaufende Personen zusammenfaßt, bleiben nur Dessie Hightower und Robert Chobert übrig. Eventuell saß wirklich noch eine Person im Volkswagen (wie es Dessie Hightower beschrieben hat). Auch William Cook hat dies später behauptet. Andererseits sahen Cynthia White und Michael Scanlan keine weitere Person im Volkswagen. Danach hätte Robert Chobert diesen dritte Mann davonlaufen gesehen. Die Beschreibung dieses dritten Mannes durch Dessie Hightower[20] weist Ähnlichkeiten mit Abu-Jamal auf. Chobert sah ihn davonlaufen, als er aber aus dem Wagen stieg und den am Bordstein sitzenden Mumia Abu-Jamal sah, glaubte er, dieser davongelaufene Mann sei nicht weit gekommen. Das ändert jedoch nichts daran, daß Zeugen den vom Parkplatz kommenden Mann als Schützen identifiziert haben. Selbst im unwahrscheinlichen Fall, daß ein dritten Mann am Tat­ort war, gibt es keinerlei Indizien dafür, daß dieser auch der Täter war.


[1] Steward Taylor jr., The American Lawyer, gibt in “Guilty and Framed” an, es wären 5 Augenzeugen gewesen, benennt diese aber nicht. Mit dem fünften Zeugen meint er eventuell William Singletary.
[2] PCRA-Anhörung vom 11.8.1995, Seite 204ff
[3] PCRA-Anhörung vom 10.8.1995, Seite 47ff
[4] Siehe Abschnitt Dessie Hightower und die entsprechenden Fußnoten
[5] Siehe Abschnitt Robert Chobert und die entsprechenden Fußnoten
[6] Siehe Abschnitt Veronica Jones und die entsprechenden Fußnoten
[7] Verhandlungsmitschrift vom 30.6.1982, Seite 3ff
[8] PCRA-Anhörung vom 3.8.1995, Seite 200ff
[9] PCRA-Anhörung vom 3.8.1995, Seite 240
Anwalt Weinglass (Q) befragt Deborah Kordansky (A) zu ihren Beobachtungen vom 9.12.1981:
Q. Miss Kordansky, did they ask you when it was that you saw the man, a male running on the south side of Locust Street?
A. Well, I told them the sequence of events. First hearing the gunshots. Then hearing sirens. Going to my window. Looking out seeing police cars and vans. And then seeing someone running.
[10] PCRA-Anhörung vom 11.8.1995, Seiten 234ff
William Singletary gibt seine angebliche Aussage gegenüber der Polizei wieder, welche von einem Polizisten zerrissen wurde. (Zwischenfragen der Staatsanwältin werden mit ... angedeutet.)
“Well, I brought my car, parked my car at the southwest corner of 13th and Locust. I got out to go over to the club Whispers. The doors were locked. I came back across the street. There was a Volkswagen that was going south on 13th Street. He made a left turn onto Locust. Pulled to the curb immediately. There was a police car behind it. The police car pulled behind the Volkswagen. The driver of the Volkswagen got out. The police officer got out and immediately started to walk to the wall. And immediately at that point the police officer was frisking the driver of the Volkswagen. There was an occupant in the Volkswagen on the passenger side started yelling and screaming, saying a lot of things. He had a long Army, umm, overcoat on. He came from the car, stuck his hand in his right pocket, pulled a gun.
I immediately moved over to the highspeed line, the barrier there, and I ducked. I heard a pop. I ducked, I looked.
...
And the, uhh, when I looked over I saw the guy again point the gun in the direction of the police officer, firing into his face.
...
And as I saw the second shot the police officer fell backwards. This tall guy with dreadlocks looked at his right, looked to his left, placed the gun in the Volkswagen, started running. The guy who was driving the Volkswagen then started yelling a name or something and started chasing this guy.
I peeped over to see, I peeped over to see if there was anything I could do for the officer. And I started backing up. There was a, the guy there said he was a cab driver and asked me what was that sound he heard. And I said the police officer was just shot, we need to get him help right away. And as I was talking to him he went towards the police car to make a call. Just to tell them the police officer was down and we would need help right away.
And I went to back, started back towards to see the officer, then another gentleman came across the street. He wasn't as tall as the first guy. He had dreadlocks and he had said this is by brother's car, where is my brother. I said I don't know. I said there was two guys that took off running. I said the tall guy shot the police officer, took off running.
And he said oh, my God, we don't need this, and he started to went over to the cop, is there anything I could do, anything I could do to help you. And he was laying forward, bending forward. And the police officer's gun, which was in his lap, discharged, striking him in the chest or someplace. And he screamed I'm shot, I'm shot. He staggered against the back of the Volkswagen.
And then there was sirens and everything was becoming chaotic then. It was just like, you know. That's what I wrote down in the report.”
[11] PCRA-Anhörung vom 11.8.1995, Seite 251ff
[12] Daniel Faulkners Witwe heißt tatsächlich Maureen, sie hatten aber keine Kinder.
[13] Siehe Kapitel Ballistische und andere Beweise und Medizinische Beweise.
[14] Entscheidung des Bundesgerichts für den östlichen Bezirk Pennsylvanias vom 18. Dezember 2001, Seite 42, Fußnote 19:
“It is unreasonable and frivolous for the same counsel in the same case representing the same petitioner and seeking the same relief to suggest first that Hayes’ testimony permits a finding that the shooter shot up toward Jamal and then later to argue, without acknowledging the prior statement, a shot directed upwards is impossible.”
[15] PCRA-Anhörung vom 11.8.1995, Seite 10
Anwalt Weinglass kündigt den Zeugen Singletary bei einer Vorbesprechung an und beschreibt ihn wie folgt:
“... We believe his recollection today is not entirely accurate. We believe his recollection which was given in a sworn statement in 1990 was not entirely accurate. However, this is a witness who advises us, and we have no reason to disbelieve this, that he was with Cynthia White on the night of the occurrence.”
[16] Siehe Abschnitt Die Zeugen - Cynthia White
[17] PCRA-Anhörung vom 10.8.1995, Seite 123ff
[18] PCRA-Anhörung vom 10.8.1995, Seite 129
[19] PCRA-Anhörung vom 10.8.1995, Seite 57ff
[20] PCRA-Anhörung vom 3.8.1995, Seite 23
Dessie Hightower beschreibt den fliehenden Mann
“To the best of my ability I described the male. It was a male approximately six-foot, what I seen -- again this is 14 years ago -- with a red-and-black sweater on, fleeing towards 12th and Locust.”
Später fragt Staatsanwalt Charles Grant unter Bezugnahme auf die Kleidung Mumia Abu-Jamals, welche von der Polizei unter der Nummer 854920 als Beweisstück konfisziert wurde (Seite 105):
“You didn't see two people wearing the same things looking like twins, did you?”


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