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1. Tag: Mittwoch, 28. Juli 1999
Wache nach etwas unruhiger Nachtruhe auf, Blick aus dem Fenster: es regnet. Naja, ist sicher nur ein Schauer. Nach Müslifrühstück und Tips vom Wirt brechen wir nach nicht enden wollender Abschiedszeremonie endlich um 9:24 auf zu unserer großen Tour. Doch bereits nach 2 km erleben wir einen herben Rückschlag.
Bei einem Asphalt-Downhill schiebt Marco‘s zu hoch gepackter Rucksack seinen Helm ins Gesicht, so daß er nichts mehr sieht. Während er mit rechts den Helm wieder aus dem Gesicht schieben will, hört er Stimmen und bremst in Panik mit links – die Vorderradbremse. Diese blockiert und Marco steigt über den Lenker ab. Er stürzt Kopfüber auf den Asphalt. Peter bekommt das ganze nur akkustisch mit, da er vorneweg fuhr. Manni und ich können zum Glück noch rechtzeitig bremsen. Bilanz: Schürfwunde am rechten Ellbogen, Schürfwunde an der Schulter, Rippenprellung, zum Glück keine Gehirnerschütterung und auch sonst keine Verletzungen am Kopf, er hatte ja einen Helm auf – Glück im Unglück. Material hat auch etwas abgekriegt: Marcos Windstopper hat ein Loch an der Schulter (die Jacke war ja auch schon alt: zum 2. Mal getragen!) und der rechte Bremshebel (Kunststoff) ist abgebrochen – ein Opfer des rücksichtslosen Leichtbaus von Magura.
So können wir nicht weiterfahren. Nachdem wir ja noch in Oberstdorf sind, fahren wir ins Zentrum zum Heckmair. Aber dort erfahren wir, daß Scheibenbremsen nichts für die Berge hier seien, da sie heißlaufen würden und außerdem sind 500 g Mehrgewicht unakzeptabel. Nach einem weiteren Bikeshop in Oberstdorf bleibt nur noch Sonthofen. Wir rufen vorher an und erfahren, daß sie zwar keine Bremshebel haben, aber auf Nachfrage sind sie bereit, uns einen Bremshebel aus einem Neufahrrad auszubauen und bei uns einzubauen. Also fährt Peter zum Hotel Gruben und holt Marcos Auto. Marco und ich fahren nach Sonthofen, während Manni noch zur Bank fährt und Geld in Schillinge und Franken umtauscht. Der Bikeshop in Sonthofen – „Hermann“ – macht ein Riesentheater um den Ausbau des Bremshebels, das wäre sehr kompliziert und beim Bremshebel könnten Lamellen abbrechen und wir sollen doch lieber noch woanders in Sonthofen schauen, weil sie auch ziemlich wenig Zeit haben zum Ausbauen. Gut, schauen wir noch woanders. Aber dort haben wir auch kein Glück. Also wieder zurück zu „Hermann“. Dort wird uns noch vorgerechnet, was zusätzlich zum Bremshebelpreis auf uns an Kosten zukommt: Arbeitszeit zum Ausbauen aus dem neuen Bike, zum Einbauen in Marcos Bike und um den nachbestellten Hebel wieder in das neue Bike einzubauen und natürlich die Versandkosten – summa summarum 72 DM statt 38 DM. Stolzer Preis, aber wie es aussieht haben wir keine andere Wahl. Gegen 12:30 sind wir zurück in Oberstdorf. Peter und Manni haben Lachssemmeln zum Mittagessen besorgt.
Wir bringen das Auto noch weg und schon (?) geht’s los! (12:50 Uhr) Der Himmel ist immer noch bewölkt und ab und zu tröpfelt es ein wenig. Wir kommen aber gut voran. Am Schrofenpaß heißt es dann: Bike tragen. Unsere Tragehilfen (da unsere Fullies aufgrund der unkonventionellen Rahmengeometrie nicht normal tragbar sind) funktionieren ganz gut, im Nachhinein ist es aber verzichtbares Gewicht gewesen, da die Tragestrecke sehr kurz ist. Die engen Pfade entlang der steilen Wand lassen sich aber gut gehen/schieben und da es total eingenebelt ist, bekommen wir auch nicht mit, wie tief der Abgrund ist. Dann kommen wir zum artistischen Höhepunkt: Überqueren der Schlucht über Aluleitern. Aber auch das ist nicht so wild. Die Leitern sind breit genug, mit Geländer ausgestattet und die Sprossen relativ nah beieinander, so daß nichts passieren kann. Nachdem wir die Aluleitern hinter uns haben, kommen uns zwei Biker entgegen, die ziemiche Idioten sind. Sie nehmen die Klappe ziemlich voll und meinen, daß der Schrofenpaß ja noch gar nichts sei. Da sind die anderen Pässe ja viel schlimmer. Sie haben vor 9 Jahren die Alpenüberquerung gemacht. Aber selbst dann sollten sie wissen, daß man einen nicht gerade motiviert mit so einer Show. Eben ziemliche Idioten. Später am höchsten Punkt, also am Schrofenpaß holt uns eine 6er Gruppe ein. Auch hier sind Dampfplauderer keine Mangelware. Jeder hat noch einen blöderen Spruch auf Lager. Wir beschließen, ohne viel Worte zu verlieren, schnell weiterzugehen und uns von dieser Gruppe zu entfernen. Downhill ist wegen Nässe nur abschnittsweise befahrbar. Manni scheut aber keine Mühen und bietet uns einen seitlichen 1A–Umfaller bei nahezu Tempo 0 km/h direkt in einen (wohl noch warmen) Kuhfladen. Zum Glück hatte er seinen Windstopper schon an, der sich leicht abwischen läßt. Später treffen wir auf eine Asphaltstraße. Unter einem Dachvorsprung legen wir erstmal kompletten Regenschutz an, da der Regen kontinuierlich stärker wird. Zuerst geht es ein Stück bergab, dann eine ganze Weile bergauf. Irgendwann überholen uns die „Agenten“ (so der Spruch von Manni) von der 6er Gruppe mit ziemlichem Tempo, als ginge es um ein Rennen. In der nächsten Ortschaft stehen sie unter einem Vordach. Sie entscheiden sich wohl, eine Pause zu machen, einzukehren oder so. Wir fahren weiter, da wir jetzt sowieso schon naß sind. Das was von außen nicht durchgekommen ist, kommt durchs Schwitzen von innen. Es geht nun kontinuierlich bergauf auf Asphalt. Irgendwann folgen wir einem Wegweiser rechts ab von der Teerstraße auf einem Schotterweg. Dieser wird bald schmäler und dann unfahrbar. Also schieben wir unsere Bikes durch den Matsch und werden uns immer unsicherer, ob wir überhaupt noch in der richtigen Richtung unterwegs sind. Später treffen wir wieder auf die Teerstraße, die wir vorher verlassen haben. Wie sich herausstellt, hätten wir vorher lieber 2 min in "Karte anschauen" investieren sollen, anstatt 30 min in Querfeldeinlaufen (30 min und eine Menge Kraft hat uns dieser Umweg mit Sicherheit gekostet). Nach weiterem Uphill auf der Teerstraße machen wir kurz halt an einem Hof. Peter und Manni füllen ihre Camelbaks mit Wasser aus der Regenrinne auf. Wie sich herausstellt, nicht gerade Quellwasserqualität: O-ton Manni: „Das schmeckt als hätten die Kühe direkt aufs Dach geschissen.“ Nachdem wir auch das letzte Stück Teerstraße hinter uns haben, zeigt uns ein Schild den Weg zur Freiburger Hütte. Ein Forstarbeiter versichert uns, daß dies der richtige Weg ist und öffnet uns sogar noch die Schranke zum geschotterten Forstweg. Erst geht es kurz bergab, dann wieder bergauf um einen See herum. Die Gegend mag ganz schön sein, aber dafür hat jetzt keiner mehr einen Blick. Das einzige, was unsere Augen jetzt noch wahrnehmen, ist unser Etappenziel, die Freiburger Hütte.
Gegen 19 Uhr erreichen wir die Hütte völlig durchnäßt und nur mit absolut bescheidenen Wünschen: Heiße Dusche und was zu Essen. Das mit der heißen Dusche sieht zuerst schlecht aus: Die Herrendusche ist kaputt, der Wirt läßt uns aber aufgrund des günstigen Zeitpunkts (es ist noch keine Schlafensgehenzeit) die Damendusche benützen. Mit Münzen für die Dusche bewaffnet gehen wir im Karussellprinzip unter den wärmenden Wasserstrahl. Die Zeit zwischen naß machen und Seife wieder abduschen ist viel zu lange, obwohl jeder nur kurz unter der wärmenden Dusche ist. Dann in die trockenen Klamotten und was essen. Vorher aber noch die nassen Klamotten versorgen, also in den Trockenraum hängen. Der ist natürlich völlig überfüllt, was uns nur wenig Hoffnung macht, morgen in trockene Sachen und Schuhe zu schlüpfen. Abendessen ist so lala, aber immerhin schon besser als gestern in Oberstdorf. Knödelsuppe und Spaghetti Bolognese. Am Tisch sind alle sehr still (alle sind fertig, und das war erst die erste und einfachste Etappe, also die Etappe zum warmwerden..... Netz fürs Handy gibt es nicht: teures Funktelefon vom Wirt benutzen, um unseren Mädels zu sagen, daß wir heil angekommen sind (wir haben vereinbart, daß keiner ein Wort über Marco‘s Sturz sagt, damit sich die Mädels keine unnötigen Sorgen machen). Die „Agenten“ kommen etwa 1,5 Stunden nach uns an. Zu diesem Zeitpunkt gibt es weder eine heiße Dusche noch etwas warmes zu Essen. Unsere Entscheidung, keine Pause zu machen, war also Gold wert. Nach dem Essen geht es in unser 4er Stockbett-Zimmer. Wir schlafen alle recht schnell ein. Fazit: 48 km, 1550 Hm bergauf, Schnitt: 10,9 km/h |
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