4. Tag: Samstag, 1. August 1999

Habe beschissen geschlafen (starke Knieschmerzen, leichte Halsschmerzen, Marco schnarcht die ganze Nacht). Aufstehen um 6:30 ist wie eine Erlösung. Alle sehen ziemlich fertig aus und kommen schlecht aus den Federn. Bei der  morgendlichen Wartung der Räder trifft uns der Schlag: die „Agenten“ sind auch in dieser Pension abgestiegen! Wie wir von ihnen beim Frühstück erfahren, sind sie am 2. Tag nur bis Gargellen gefahren (unsere Mittagspause) und sind am 3. Tag über das Schlappiner Joch und den Scalettapaß. Nach der Etappe werden sie sicher einigermaßen fertig sein! Das Frühstück: Die Bedienung ist mit den paar Gästen total überfordert. Die Küche ist im 1. Stock (???; gute Planung!) und sie ist ganz alleine. Brötchen gibt es erst ab 8 Uhr, als sie vom Bäcker zurückkommt, bringt sie aber nur ein Brötchen, da sie gestern keine vorbestellt hat (trotz unserer telefonischen Reservierung vom Vortag!). Auch mit Nachschub (Butter, Käse etc.) läuft es etwas spärlich und langsam!

Die Agenten fahren trotz ihrer gestrigen anstrengenden Etappe wie wir gegen 8:30 Uhr los. Zuerst Asphalt, dann gut fahrbare Schotterpiste steil bergauf. Bis zur Chaschauna-Alm brauchen wir ca. 2 Std. Von da aus über Almwiesen, der Singletrail wird aber steiler und steiler und so ist bald schieben angesagt. Die Strecke wird stetig steiler auf den Serpentinen zum Chaschaunapaß. Erstaunlicherweise macht uns die dünne Luft weniger Probleme als am deutlich niedriger gelegenen Schlappiner Joch. Unterwegs beobachten uns Murmeltiere: Mutter pfeift aber bald die Kleinen zurück in den Bau. Wir fühlen uns beobachtet, wahrscheinlich sind die Murmeltiere von unseren Mädels engagiert worden um uns zu beobachten. Aber irgendwann ist auch der längste und steilste Anstieg beendet und wir erreichen den höchsten Punkt der gesamten Tour: der Chaschaunapaß mit 2696 m. Die Aussicht hier oben ist einfach traumhaft - das Wetter ist wieder auf unserer Seite!!!

Schnell etwas warmes anziehen und etwa 100 Hm runter zum Rifugio, wo es Mittagessen im Windschatten und bei Sonnenschein gibt: Polenta mit Pilzen bzw. Gulasch. Die Leute sind sehr nett und man spürt, daß man in südlichere (und italienischere) Gefilde kommt. Ein von der Gegenseite herauffahrender Österreicher (ca. Mitte 50) scheint ziemlich fit zu sein. Die Piste ist mit ziemlich losem groben Schotter angelegt und er fährt relativ zügig das letzte Stück zum Rifugio hinauf. Auf die Frage, ob er allein unterwegs ist, antwortet er, er warte auf seinen Sohn (ca. 20 Jahre alt): „er mag nicht, wenn ich ständig auf der Strecke auf ihn warte“ (!!!). Nach 30-60 min (keiner hat auf die Uhr gesehen und bei völliger Entspannung war das Zeitgefühl schnell verloren) kommen die Agenten am Rifugio an. Höchste Zeit, aufzubrechen.

Auf der Fahrstraße mit groben und losem Schotter geht es mit Powerslide-Kehrentechnik runter ins italienisch warme Livigno (1800 m). Dort am Lago vorbei und wieder hoch zum Alpisellapaß: Zuerst gut fahrbar, dann schmaler werdender Singletrail nahe am Abgrund (ca. 300-400 m fast senkrecht runter). Nach Überqueren der Schlucht über eine schmale Holzbrücke (Manni wollte zuerst einfach rüberfahren und stutzt, daß Peter absteigt. Muß dann aber feststellen, daß er selbst beim Schieben des Bikes ziemliche Probleme hat, den Lenker an den Pfosten vorbeizubekommen). Der Pfad wird steiler und ist nur noch abschnittsweise befahrbar. Von Alpisella geht’s laut Karte ausnahmslos runter nach Bormio (ca. 1000 Hm runterrollen lassen): Genau nach unserem Geschmack. Zuerst relativ schnell runter, dann flacher an 2 Seen vorbei. Dann die Überraschung: Es geht doch noch mal kurz bergauf. Nichts wildes, aber es hatte keiner damit gerechnet und die Akkus sind ziemlich leer. Schließlich fahren wir eine nicht enden wollende Schotterserpentine runter nach Bormio.

Dort angekommen gönnen wir uns ein Bier auf der Piazza. Die Bedienung empfiehlt uns das Hotel Dante (2 Sterne). Wir können unsere Klamotten waschen und trocknen, Fahrräder im Keller unterstellen. Im Vergleich zur gestrigen Kaschemme ein wahres Luxushotel, sogar mit Fernsehen! Wir beschließen, morgen den ganzen Tag komplett Pause zu machen. Heute abend nur noch duschen, nach Ersatzbremshebel schauen (leider erfolglos) essen, durch die Gassen schlendern. Das Ristorante ist uns von der Inhaberin des Hotels empfohlen worden. Das Essen ist ganz OK, doch beim Nachtisch, als wir uns gerade fragen, ob die „Agenten“ es auch bis hierher geschafft haben oder sogar noch weiter bis zum eigentlichen Etappenziel Santa Caterina Valfurva (500 Hm bergauf) gefahren sind, wird unsere Frage beantwortet. Eine Splittergruppe der „Agenten“ läuft quer über die Piazza. Bloß keinen Hinweis darauf geben, daß wir morgen einen Tag Pause machen. Dann treten sie sich morgen die Lunge raus, weil sie uns einholen wollen! Wir schlendern durch die Gassen von Bormio, einem richtig gemütlichem italienischen Städtchen. Es ist angenehm warm und die Dauerdusche auf der ersten Etappe ist nach 3 Tagen permanenter Sonne (eincremen extrem wichtig!) schon vergessen. Auf dem Vergnügungsplatz ist Dorftanz und Boule angesagt. Die Dorfbevölkerung tanzt auf dem Asphaltplatz zur Musik eines Alleinunterhalters. Die Boule-Truppe nimmt ihr Spiel todernst! Wir genießen das italienische Gelato („Toldo“), das uns von der Bedienung beim Abendessen empfohlen wurde. Die Bedienung vom Cafe, die Inhaberin des Hotels, die Bedienung vom Abendessen und der Eisladenbesitzer sind höchstwahrscheinlich miteinander verwandt, alles Vetternwirtschaft hier. Danach noch auf einen Vino/Birra/Espresso auf die Piazza! Nach diesem schönen Ausklang schlafen wir recht bald in den bequemen Betten ein.
Fazit: 62 km, ca. 1600 Hm, Schnitt 11,5 km/h

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