Wir kiffen, wir kiffen, wir kiffen . . .
(Illegale) Drogen als präventive
Aufstandsbekämpfung
In den letzten Jahren ist es immer sichtbarer geworden,
dass gerade die Beteiligten der revolutionären 1.Mai-Demo in Berlin
das Thema Drogenkonsum auf ihre Fahnen schreiben. Um nach dem Zustand einiger
DemonstrantInnen zu urteilen, sehen einige diesen Konsum als politische Tat;
oder warum gehen sie sonst benebelt und Bierdosen haltend auf die Straße?
Hier eine persönliche Abrechnung mit der Position, Drogenkonsum sei
an sich revolutionär.
Von Emily Davis
A
Im Juli letzten Jahres widmete die liberale britische Wirtschaftszeitschrift
„Economist“ eine 16-seitige Sonderbeilage dem Thema Legalisierung
von Drogen. Nach ihren liberalen Grundsätzen sollte jeder Erwachsene
alles dürfen, ob Berge besteigen, Fahrrad fahren oder eben Heroin nehmen.
Wie schon der britischer Ökonom John Stuart Mill im 19. Jahrhundert
argumentiert die Zeitschrift, dass der Mensch über seinen eigenen Körper
und Geist souverän sein dürfe, solange er keinem anderen Schaden
zufügt. Folglich sollte kein Staat die Benutzung von Drogen jeglicher
Art untersagen dürfen, auch wenn sie den einzelnen Menschen schaden,
krank machen oder sogar töten können. „Der Drogenhandel mag
unmoralisch oder unverantwortlich sein“, schreiben die Autoren, „aber
er soll nicht mehr illegal sein.“
Die gesellschaftliche Einstellung illegalen Drogen gegenüber hat sich
über die Jahre verschoben. Inzwischen gibt fast ein Drittel aller Amerikaner
über zwölf Jahre zu, irgendwann mal Drogen probiert zu haben: vor
30 Jahren unvorstellbar. Laut der Bundesregierung hat mindestens jeder vierte
Jugendliche in Deutschland eigene Erfahrungen mit Haschisch gemacht; eine
Statistik, die eher untertrieben sein dürfte. Stefan Raab und Afroman
verkauften ja nicht tonnenweise Lieder über ein unbekanntes Phänomen.
Die Tüte gehört letztendlich in bestimmten Kreisen zum guten Ton.
Teilweise als Reaktion auf diese Umstände lockern viele Regierungen
ihren Umgang mit illegalen Drogen, vor allem Cannabis. So wurde Cannabis
in Großbritannien von der Gefährlichkeitsklasse B auf Klasse C
heruntergestuft, was etwa mit Schmerztabletten vergleichbar ist. Dies geschah
als Eingeständnis an die konservative Opposition, die Cannabis ganz
legalisieren möchte. In der Schweiz wurde die Droge weitestgehend entkriminalisiert,
und sogar einige Bundesländer der USA erlauben jetzt den Besitz von
kleinen Mengen für den medizinischen Gebrauch. In Deutschland wird der
Besitz von geringen Mengen an Cannabisprodukten für den Eigenverbrauch
in der Regel nicht mehr strafrechtlich verfolgt, ist aber immer noch verboten.
Viele Linke sehen die Kampagne für die Legalisierung von Drogen als
eine regelrechte Pflicht an. Kiffer gegen Nazis, Revolutionäre KifferInnen,
Haschrebellen und wie sie alle heißen; das Kiffen gehört zu ihrem
Selbstverständnis. Mit ähnlichen Argumenten wie die der klassischen
Liberalen plädieren sie für das „Recht auf Rausch“,
für ein selbstbestimmtes Leben im legalen Rahmen. Ich möchte aber
in diesem Artikel die mit illegalen und legalen Drogen verbundenen Probleme
vom Standpunkt des Klassenkampfes aufzeigen, um vielleicht eine weiter führende
Diskussion anzuschieben. Einige Positionen mögen kontrovers sein; um
so besser. Dies soll immerhin eine Streitschrift sein.
B
Ein klassisches Argument für die Legalisierung lautet: Wenn Drogen legal
wären, würden sie keine Kriege finanzieren. Wer dieser Parole Glauben
schenkt, hat wohl nicht alle Haschcookies in der Keksdose. Erstens muss man
nur auf die momentan legalen Drogen schauen, um die Unrichtigkeit dieser
Aussage zu erkennen. Ab 2002 finanziert jede Zigarette, die in Deutschland
gekauft wird, den so genannten Krieg gegen Terror durch eine Sondersteuer.
Alkohol, Kaffee und Spielautomaten werden genauso versteuert und finanzieren
also alles, worauf der jeweilige Staat gerade Lust hat, ob Massenmord, Imperialismus
oder Pfannkuchen umsonst für RentnerInnen. Drogen sind nämlich
Waren wie alle anderen, ob legal oder nicht. Sie werden hergestellt und verkauft
wie jedes andere Produkt, und genauso bringen sie einigen wenigen Menschen
Profit. Wenn sie legal wären, würde ein Prozentsatz dieses Gewinns
dem Staat zufließen.
Zweitens muss man einen etwas genaueren Blick auf die Kriege werfen, die
angeblich durch illegale Drogen finanziert werden. Nehmen wir mal den Krieg
in Afghanistan als Beispiel. Im Jahr 2000 stammten etwa zwei Drittel der
weltweiten Opiumernte aus Afghanistan, weit über 3000 Tonnen. Welche
Seite finanzierte sich wohl über illegale Drogen? Es war die Nordallianz,
gegen die die USA wohl kaum den Krieg erklärt hätten. Unter den
Taliban wurde der Opiumanbau nämlich verboten. Zwar wurde das Verbot
vor allem in ländlichen Gebieten nicht sehr streng überwacht, aber
die Produktionsmenge ist eindeutig gefallen, wie eine Preissteigerung für
Heroin auf dem Weltmarkt zeigte.
Drittens muss man sich mit der Funktionsweise des weltweiten illegalen Drogenhandels
beschäftigen. Der Anbau der Rohprodukte, etwa Opium oder Coca-Blätter,
wird recht niedrig belohnt. Ein Kilo Coca bringt dem Bauern etwa 610 Dollar,
das Kilo Opium sogar nur 90 Dollar. Die Verarbeitung und vor allen Dingen
der Transport und Vertrieb der Drogen sind es, die große Gewinne einbringen,
weil sie mit erheblichen Risiken verbunden sind. Der amerikanische Straßenpreis
für Kokain beträgt 110 000 Dollar pro Kilo, für Heroin 290
000 Dollar. Das Geld bleibt also zum großen Teil nicht in den Herstellungsländern,
sondern wird über ein Netzwerk von Schmugglern und Großhändlern
aufgeteilt.
C
Des Weiteren muss man sich mit Drogen und sozialen Klassen auseinander setzen.
Der Konsum von Drogen ist in allen sozialen Schichten etwa gleich ausgeprägt,
von Christoph Daum und der Bundestagstoilette zu Christiane F. Nur das Alter
spielt noch eine Rolle bei der Auswahl des Stoffes: Haschisch zum Beispiel
besitzt die größte Attraktivität für die Altersgruppe
der 15- bis 20-Jährigen. In Deutschland sind 2,5 Millionen Menschen
alkoholabhängig, in allen Bereichen der Gesellschaft. Der Effekt, den
Drogen auf die Konsumenten und ihr Leben ausüben, ist aber je nach Klasse
unterschiedlich.
Die Kombination von Drogen, Armut und viel Freizeit, etwa bei Erwerbslosen,
ist oft verhängnisvoll. Im Gegensatz zu einem Bundestagsabgeordneten
zum Beispiel hat eine erwerbslose Frau keine feste Struktur in ihrem Leben;
sie muss selten früh aufstehen, kann auch unter der Woche feiern und
hat oft keine allzu rosige Zukunft, auf die sie sich freuen kann. Da ist
es kein Wunder, wenn sie doch öfter zum Joint greift. Unser Bundestagsabgeordneter
hingegen nimmt vermutlich immer mal eine Nase Koks in der Mittagspause, um
fit zu bleiben. Es gibt drei wesentliche Unterschiede: Er benutzt Drogen,
um die Welt klarer zu sehen; sie, um die Welt auszublenden. Er darf sich
nicht gehen lassen; sie hat wenig zu verlieren. Und wichtiger: Er bekommt
Diäten und Sonderzahlungen und, und, und; sie bekommt Sozialhilfe. Das
alles zusammen bedeutet, dass arme Menschen nicht nur öfter süchtig
sind, sondern auch öfter kriminell werden.
Laut einer Studie der Cambridge University finden 32 Prozent aller kriminellen
Aktivität in Großbritannien statt, um die Kosten für den
Heroin- und Crackkonsum zu decken. In den USA sitzt jeder vierte Gefangene
wegen Drogenvergehen im Knast. Obwohl der Konsum von illegalen Drogen auch
dort in allen ethnischen Gruppen etwa gleich stark vertreten ist, kommen
unverhältnismäßig viele schwarze und hispanische Amerikaner
deswegen vor Gericht. Eine Statistik zeigt, dass 13 Prozent der Drogenkonsumenten
schwarz sind gegenüber 35 Prozent der Verhafteten, 55 Prozent der Verurteilten
und sogar 74 Prozent der zu Freiheitsstrafen Verurteilten im Zusammenhang
mit Drogenvergehen. Dieses Verhältnis liegt natürlich zum Teil
an der rassistischen Einstellung der amerikanischen Justiz- und Polizeibehörden.
Allerdings hat es auch mit der sozialen Klasse zu tun; reichere Weiße
werden nicht so oft ertappt, weil sie selten auf offener Straße Drogen
kaufen oder verkaufen. Und wenn, können sie sich bessere Anwälte
leisten.
Drogen haben auch einen besonderen Einfluss auf proletarische Kieze. Man
stelle sich vor, Leute würden in Berlin zum Nobelbezirk Zehlendorf fahren,
um Drogen zu kaufen. Nein, wer Drogen auf der Straße kaufen will, fährt
nach Kreuzberg oder Neukölln. Die Nebenwirkungen sind nicht zu übersehen,
in welcher Stadt auch immer: nervöse, unberechenbare Drogensüchtige
auf den Straßen, benutzte Spritzen liegen offen herum, Begleitkriminalität
wie Einbrüche im eigenen Kiez. Ende November 2001 wurde in der New Yorker
Bronx ein fünfjähriges Kind von den Schüssen rivalisierender
Drogendealer getötet, kaum das erste Mal, dass so etwas passiert. Einige
dieser Erscheinungen würden verschwinden, wenn Drogen legal gehandelt
werden dürften. Was ist aber mit den Familien, die an Alkohol und Drogen
kaputt gehen, den Kindern, die vom Vater im Suff geschlagen oder von der
drogensüchtigen Mutter vernachlässigt werden? Und man kann davon
ausgehen, dass Initiativen wie Fixerstuben nicht in reichen Gegenden eröffnet
werden.
Viele machen die kleinen Dealer selbst dafür verantwortlich. Man kann
sie allerdings auch als Opfer der kapitalistischen Gesellschaft sehen. In
Deutschland ist für Asylbewerber zum Beispiel oft die einzige Möglichkeit,
an Geld zu kommen, einer illegalen Tätigkeit nachzugehen. Was liegt
da näher als der Drogenhandel, besonders wenn Schwarzafrikaner oft wegen
des Klischeebildes des Dealers von vornherein darauf angesprochen werden?
Einige haben außerdem Verbindungen mit den Herstellungsländern,
etwa die Balkanländer oder die Türkei. Eine Studie im amerikanischen
Milwaukee stellte fest, dass mindestens zehn Prozent der afroamerikanischen
und Latino-Männer der Stadt im Alter von 18 bis 29 Jahren im Drogengeschäft
verwickelt waren. Schon in den achtziger Jahren konnte man so einen Nebenverdienst
von 30 Dollar pro Stunde verdienen statt 7 Dollar bei legaler Beschäftigung.
Aber wieder sind die Armen angearscht: Die kleinen Dealer haben den risikoreichsten
Job, fliegen am häufigsten auf und verdienen am wenigsten daran oder
sind ihr eigener bester Kunde.
D
Meine These ist, dass diese Situation den Herrschenden nur zu gut passt.
So bleiben die Unterdrückten schön mit sich selbst beschäftigt
und haben weder Zeit noch Energie, aufständisch zu werden. Bei der jetzigen
Gesetzeslage können sie auch problemlos kriminalisiert werden, wenn
nicht sogar abgeschoben. Da die Regierungen erkannt haben, dass die Arbeitslosigkeit
nie wieder massiv abgebaut werden kann, darf ein Teil der Arbeitslosenheere
auch weniger fit für die Arbeit sein. Während die britische Regierung
im Laufe des Ersten Weltkriegs die Sperrstunde in Kneipen einführte,
um die Produktion anzukurbeln, ist es jetzt egal, ob ein Teil der Arbeiter
säuft oder andere Drogen nimmt: Sie sind ersetzbar.
Einige historische Beispiele verleihen dieser These Glaubwürdigkeit.
Zum Beispiel brachte die japanische Armee Opium mit, als sie 1931 die chinesische
Mandschurei besetzte, um den Widerstand zu brechen. Anscheinend funktionierte
die japanische Strategie, da die Provinz erst 1945 mit der Kapitulation Japans
befreit werden konnte. Und dann haben wir den so genannten Iran-Contra-Skandal.
Als bekannt wurde, dass Amerika heimlich Waffen an den Iran verkauft hatte,
um mit dem erzielten Gewinn die konterrevolutionären Contras in Nicaragua
zu unterstützen, gingen die Verbindungen der CIA zu kalifornischen Drogenhändlern
fast unter. Nun war dies nicht das erste Mal, dass die CIA sich mit Drogendealern
verbündet hatte; ihre antikommunistischen Aktivitäten in Südostasien
zum Beispiel waren von solchen Kontakten und Zweckbündnissen geprägt.
Allerdings hingen sie diesmal zeitlich mit dem Ausbruch der Crack-Epidemie
in Los Angeles zusammen, eine Zeit, in der das vorwiegend schwarze Getto
durch Sucht und Tod unbeschreibliches Elend erlebte. Inzwischen ist bewiesen,
dass die CIA wissentlich die Contras bei ihrem Handel mit Drogen in Los Angeles
unterstützte, um ihren Kampf gegen die Sandinistas zu finanzieren. Als
diese Fakten ans Licht kamen, redeten viele Stimmen von einem Genozid, dass
die Weißen die Schwarzen auslöschen wollten. Ob die CIA diese
Möglichkeit in Betracht gezogen hat, wird wohl nie ans Licht kommen.
Tatsache ist aber, sie hatte absolut nichts dagegen, viele Leben auch im
eigenen Land auszulöschen, um ihre Ziele zu erreichen. Der außenpolitische
Zweck heiligt die Mittel.
Zu guter Letzt haben die Regierungen in den Dealern die perfekte Ablenkung.
So gaben 1999 bei einer EU-Umfrage 57 Prozent der Befragten an, sie hätten
Angst vor einem Anstieg des Drogenhandels und des international organisierten
Verbrechens in Zusammenhang mit der Einigung Europas. Damit rangierte diese
Sorge an zweiter Stelle nach der Verlegung von Arbeitsplätzen und vor
dem Wegfall von Sozialleistungen. Die bösen Drogenhehler lenken also
hervorragend von den eigenen Schweinereien ab und dienen auch dazu, strengere
Sicherheitsmaßnahmen zu legitimieren, genau wie im Moment die aufgebauschte
Gefahr extremistischen Terrorismus.
E
Die Linke scheint einen widersprüchlichen Umgang mit dem Thema Drogen
zu haben, wenn man ihre Geschichte betrachtet. Ihre Herangehensweise schwenkt
von totaler Ablehnung zur totalen Akzeptanz. So stritten sich Anfang des
20. Jahrhunderts die linken und rechten Flügel der Sozialdemokratie
darüber, ob nur der Schnaps oder auch das Bier als Verdammnis der Arbeiterklasse
zu bekämpfen sei. Die Gemäßigten betrachteten die Kneipe
als „einziges Bollwerk der politischen Freiheit des Proletariers“,
der aber den Schnaps tunlichst vermeiden sollte. Die Linken andererseits
sahen die völlige Nüchternheit als „unverzichtbaren Moment
proletarischer Selbstbestimmung“. Später übten militant agierende
Gruppen wie die Black Panthers, die IRA oder auch Teile der autonomen Bewegung
Selbstjustiz aus und bestraften die Dealer, die in ihren Augen Verrat an
der Klasse, race oder am eigenen Kiez begingen.
Fast der genaue Gegensatz waren die Post-68er, die Drogen als Mittel zur
Selbstbefreiung sahen und sehen. So befürworteten die Haschrebellen
„eine freie Entscheidung über Körper und Lebensform“,
ähnlich wie die britischen Liberalen. Angeblich wollten sie den Westberliner
Cannabismarkt selbst übernehmen, „damit da keine Dealermafia entsteht“,
die ja nur den Profit im Kopf habe und nicht die Befreiung der Menschen.
Für viele, die in dieser Zeit mitgemacht haben, gilt ein offener Umgang
mit illegalen Drogen als letztes linkes Feigenblatt, siehe Außenminister
Fischer. Vielleicht erklärt die Beliebtheit des Haschisch, das nicht
gerade dafür berühmt ist, Geselligkeit hervorzurufen, die spätere
Entwicklung der deutschen Linken hin zur „Politik in der ersten Person“
der Autonomen.
F
Fest steht jedenfalls: Drogen, ob legal oder nicht, begrenzen die Arbeitsfähigkeit
und Kommunikationskompetenz. Das kann bedeuten, man benutzt Drogen als politische
Tat, um die eigene Verwertbarkeit fürs Kapital zu vermindern und die
Befreiung des Geistes zu bewerkstelligen. Andererseits kann es bedeuten,
dass man weniger klassische politische Arbeit leisten kann und ins eigene
Innenleben abdriftet, mehr mit sich selbst beschäftigt ist als alles
andere. Die Tatsache, dass bestimmte so genannte leichte Drogen noch verboten
sind, führt dazu, dass viele junge Leute fast automatisch Gesetze brechen.
Das kann für die Linke von propagandistischem Vorteil sein, als Aufhänger,
um aufzuzeigen, wie das System und seine Gesetze funktionieren. Wer einmal
eine solche Grenze überschritten hat, macht es vermutlich das nächste
Mal noch leichter. Andererseits führt der Verbot zu einer Situation
wie in den USA, wo Tausende kriminalisiert werden und ein Großteil
ihre Sozialisation im Knast erfahren.
Es gilt schon seit einiger Zeit in der radikalen Linken die Losung: Das Private
ist politisch. Was den Konsum von legalen oder illegalen Drogen angeht, hat
sie aber anscheinend keine festen Regeln. Es dürfte aber klar sein,
dass die radikale Linke nicht mehr die Ausstrahlungskraft hat, der gesamten
Gesellschaft oder dem gesamten Proletariat etwas vorschreiben zu wollen.
Daher findet man in diesem Artikel keinen Aufruf, Drogen entweder zu meiden
oder in Massen zu genießen, trotz meiner persönlichen Einstellung.
Wäre es nicht langsam an der Zeit für die Linke, einen Konsens
zum Thema Drogenkonsum zu erreichen?
Es ist aber definitiv nicht ihre Aufgabe, für die Aufhebung eines Verbots
zu arbeiten. Denn das würde zwangsläufig dazu führen, dass
mehr Leute starke Drogen benutzen würden, mit all den verbundenen Erscheinungen.
Mit einer solchen Forderung unterstützt man lediglich den Verfall der
eigenen Kieze und Strukturen, nicht etwa die Rechte der armen Bauern im Trikont.
Die Legalisierung von Drogen würde hauptsächlich den Kapitalisten
zugute kommen, den Konsumenten nur begrenzt, indem sie wahrscheinlich eine
konstante Qualität sichern würde. Verbraucherrechte eben. Letztendlich
bleibt das stärkste Argument der Wirtschaftswissenschaftler des „Economist“
die geschätzten 80 bis100 Milliarden Dollar im Jahr an potenziell versteuerbarem
Profit. Die radikale Linke hat es also kaum nötig, ihre Energie in den
Kampf um die Legalisierung zu stecken: Das sollte sie besser den Kapitalisten
überlassen.
Anmerkungen zur LLL-Veranstaltung
Von Achim Guduan
Nun, niemand wird ernsthaft behaupten, dass die Veranstaltung ein Erfolg
war, dafür waren die Redeunterbrechungen denn doch zu lang, vom inhaltlichen
Ergebnis ganz zu schweigen. Es mag sein, dass ein früheres Verschicken
der Texte zu einer Diskussion geführt hätte, die näher an
den Papieren dran gewesen wäre. Angesichts des begrenzten Umfangs der
Texte scheint ein Großteil der Anwesenden allerdings auch keine Probleme
gehabt zu haben, in wenigen Tagen die fünf Seiten zu lesen. So scheint
eher die Diskussionsleitung selbst das Problem zu sein, die, anstatt die
Diskussion in die vorgegebene Richtung zu lenken, zu viel freien Raum ließ,
so dass die Diskussion kaum auf begehbarem Boden fußte und sich vielmehr
im luftleeren Raum bewegte. Der Gedanke jedoch, den an der Diskussion Teilnehmenden
die Freiheit der Diskussion zu überlassen, ist eigentlich nicht so schlecht,
bedeutet dies doch, wegzukommen von einem Zentrum, um das sich alles dreht
und das damit den Weg, die Richtung vorgibt und die Maßstäbe setzt.
Und so ist als erstes Ergebnis dieser Diskussion festzuhalten, dass der Gedanke
einer kommunitären Gesellschaft schon in diesem eher begrenzten Kreis
weniger kommunistischer, beziehungsweise diesen nahe stehenden, Linker kaum
mit Leben gefüllt, also in die Praxis umgesetzt werden konnte. Am augenscheinlichsten
ist dies anhand der Erwartungshaltung eines Teils der Anwesenden an die Berliner,
Vorgaben zu machen, die dann in den anderen Städten umzusetzen seien.
Dies ist jedoch nicht zu leisten. Die praktischen Initiativen bestimmen sich
immer aus den konkreten Bedingungen , die vor Ort vorgefunden werden. Die
einzige Möglichkeit, die ein Diskussionskreis, wie er in Berlin zusammengekommen
war, besitzt, ist die allgemeine theoretische Ausarbeitung, ist zum Beispiel
die Bestimmung des revolutionären Subjekts, wer dies sein könnte,
wie es lebt etc. Dass dies sehr unterschiedlich strukturiert ist und somit
auch in unterschiedlichen Milieus und Schichten anzutreffen ist, sollte mittlerweile
allen kommunistischen Zirkeln bekannt sein. Der Typus des gewerkschaftlich
organisierten Massenarbeiters existiert nicht mehr, aber selbst zur Zeit
seiner Existenz was er nicht der einzige Bestandteil der breiten Gruppe derer,
die das Proletariat und damit das revolutionäre Subjekt in seiner Gesamtheit
bilden.
Die Aufgabe jeder kommunistischen Gruppe liegt darin, aus den vielen einzelnen
Bestandteilen der Unterdrückten mindestens einen herauszugreifen und
dieses Subjekt mit der eigenen politischen Position zu konfrontieren.
Dabei sollte eine soziale Nähe zu diesem Teil der Unterdrückten
vorhanden sein, da sonst schnell das Bild einer besserwisserischen, arroganten
Linken entsteht. Die türkisch-kurdische Antifa-Gruppe Antifasist Genclik
(AG) hatte genau dies getan. Aus der Masse der Unterdrückten hatte die
Gruppe sich genau den Teil zur Agitation herausgesucht, der den Lebens-verhältnissen
der eigenen Genossinnen und Genossen entsprach: der ausländische Jugend-liche,
der wie die Organisierten der Gruppe in diesem kapitalistischen System nicht
die Chancen bekommt, die ein Deutscher erhält, sondern die Rolle des
Unterlegenen im erwünschten Konkurrenzkampf erhält, womit er auch
den faschistischen Angriffen ausgesetzt wird.
Sicherlich war es für AG auf Grund der gesellschaftlichen Zuspitzung
am Ende der achtziger Jahre einfach, eine breite Zustimmung innerhalb dieses
Teils des revolutionären Subjekts zu erlangen - eine Tatsache, die für
andere Gruppen so nicht gegeben sein mag. Das dahinter liegende, grundsätzliche
Prinzip ist aber auch im neuen Jahrtausend immer noch dasselbe. Immer kommt
es darauf an, einen Teil dieser Unterdrückten herauszugreifen und damit
auch einen spezifischen Widerspruch dieser Gesellschaft. Wird dieses Prinzip
ernsthaft in die Praxis umgesetzt, ist der Erfolg wahrscheinlich. Der schnelle
Zuwachs von AG lässt in dieser Hinsicht wenigstens hoffen. AG ging dafür,
anders als die deutsche autonome Linke, auch in die Jugendzentren, wartete
also nicht, dass das revolutionäre Subjekt zu ihnen kam.
Es können heute die von Gerster noch weiter ins Abseits gedrängten
Arbeitslosen sein, die Belegschaft eines von der Schließung bedrohten
Betriebes oder die Bewohner eines Stadtteils, der der Verelendung überlassen
wird usw., wichtig ist, dass die Agitierenden über eine ähnlich
geringe gesellschaftliche Teilhabe verfügen wie die Anzusprechenden
und der hauptsächlich angetroffene Widerspruch von der Linken aufgegriffen
wird. Denn erst mit einer kontinuierlichen Praxis wird es der kommunistischen
Linken möglich sein, das Vertrauen wenigstens eines Teils der Unterdrückten
zu gewinnen. Der bundesweite Aspekt wird dabei zwangsläufig am Anfang
unterentwickelt bleiben, kann aber schon zu Beginn über dem Stadium
des bloßen Austauschs hinausreichen und strategische und theoretische
Diskussionen umfassen. In diesem Sinne ist zu hoffen, dass die im Januar
gewünschte Diskussion beginnt.