by Stephan Klink  

DIE SCHLACHT UM VERDUN - EIN BEITRAG ZUR MILITÄRGESCHICHTE DES ERSTEN WELTKRIEGES 1914 - 1918

Verdun > Kampfbereiche > Côte de Talou / Talou-Rücken

                  

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DIE SCHLACHT UM VERDUN 
KAMPFBEREICHE
CÔTE DE TALOU / TALOU-RÜCKEN
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ERSCHIESSUNG VON GEFANGENEN AN DER CÔTE DE TALOU?

Ein Ereignis aus den ersten Tagen der Verdun-Schlacht ist übermittelt, über das es sich zu spekulieren lohnt. Angehörige des Westpreußischen Infanterie-Regiments Nr. 155 - hier: das III. Bataillon - sollen nach ihrer Gefangennahme an der Côte de Talou (nördlich Vacherauville) von Franzosen erschossen worden sein. Zugetragen hatte sich dieser, als Kriegsverbrechen einzustufender Vorfall, am 24. Februar 1916.

Den Beginn der Offensive erlebte das Infanterie-Regiment 155 in den Stellungen am Ormont-, Moirey- und Flabas-Wald, westlich der Ortschaft Flabas. Das III. Bataillon verblieb dort ebenfalls bis zum 24. Februar 1916 vormittags. Dann erging folgender Befehl von der 77. Infanterie-Brigade: 

III./155 tritt mit Eintreffen dieses Befehls wieder unter 77. Inf.Brig. und wird dem Rgt. Stotzingen unterstellt. Der Führer meldet sich heute 12 Uhr mittags bei Maj. v. Stotzingen im Wald von Consenvoye. Alle Vorbereitungen für Verpflegung und Mun.Ergänzung zu einem Angriff sind zu treffen. 77. Inf.Brig.

Das sogenannte Regiment Stotzingen setzte sich aus Teilen des Reserve-Jäger-Bataillons Nr. 5 und dem III./I.R.155 zusammen. Einige Stunden später erging weiterer Befehl: 

Das Btl. rückt sofort in die Schlucht etwa 1 km südl. Haumont-Dorf und stellt sich dort zum Angriff bereit. Befehl hierzu erfolgt durch Rgt. Stotzingen. Mündlicher Zusatz: Sturmgepäck.

Das Bataillon rückte gegen Mittag in den befohlenen Bereitstellungsraum. Nachmittags gingen die Kompanien, zur befohlenen Zeit, zum Angriff auf die Höhe 344 über. 

Aufgrund des Zurückbleibens des rechts anschließenden, auf die Ortschaft Samogneux angesetzten, Füsilier-Regiments Nr. 37, verschob sich der Marschrichtungspunkt der 155er nach Westen, so daß nun die westliche Hänge der Höhe 344 in den Angriffsabschnitt fielen. Durch linksflankierendes französisches Infanteriefeuer erlitten die Kompanien schwere Verluste. Die Verbindung untereinander ging verloren, eine zusammenhängende Gefechtslinie war nicht mehr vorhanden - es entstanden Lücken.

La Côte de Talou, nördlich von Vacherauville, 09. August 1917

Das allgemeine Durcheinander zwang die Regimentsführung, die vor ihm liegende Straße Vacherauville - Samogneux, als neue zu erreichende Linie zu bestimmen. Diese sollte auf keinen Fall überschritten werden. Allerdings waren beim Eintreffen des Befehls schon einige Gruppen über die Straße hinausgestürmt. Eilends hatten die Franzosen Reserven an die Côte de Talou herangeführt - in diesem Fall algerische Schützen - um ihrerseits zum Gegenangriff überzugehen. Die Angriffe konnten zwar deutscherseits abgewiesen werden, doch gerieten verschiedene Gruppen - beim Versuch auf die eigene Linie zurückzugehen - in Gefangenschaft.

In diesem Bereich sollen Angehörige der 11. Kompanie des Infanterie- Regiments 155 nach ihrer Gefangennahme - entgegen des Kriegsrechts - erschossen worden sein. Zwei Tage später fand eine Offiziers-Patrouille, des nach Ablösung des III./I.R.155, am 26. Februar 1916 eingesetzten Reserve-Infanterie-Regiments 13, am Osthang der, zwischenzeitlich wieder von den Franzosen besetzten Talou-Höhe, den verwundeten Musketier Peschel von der 11./I.R.155. Nach seinen Angaben sollten 17 Kameraden seiner Kompanie erschossen worden sein, er selbst, nach dem Erhalt eines Schußes, habe sich totgestellt. Tatsächlich fand man später die Leichen, die in Reih' und Glied am Hang der Höhe lagen.

Der einzige Augenzeuge, der bereits erwähnte Musketier Peschel, hatte seine Erlebnisse und Beobachtungen im Lazarett niedergeschrieben: 

Zur Person: Ich heiße Alfred Peschel, bin 18 Jahre alt, evangelisch. im Zivilberuf Former.

Zur Sache: Am 22.2., nachm. gegen 4,00 Uhr, wurde mein Btl. zum Sturm angesetzt. Ich ging zunächst mit der Komp. vor, wurde aber bald von ihr getrennt. Indessen blieb ich bei meinem Halbzugführer, Vzfw. Poladschek. Dieser ging mit einer Gruppe von 20 bis 25 Mann in ein Granatloch. In dem Augenblick, als er hineinsprang, erhielt einen Schuß durch die Backe. Ich war etwas von ihm ins Loch gesprungen. Es waren unter uns mehrere von unserer Komp., alle übrigen waren von meinem Btl. Namen kann ich nicht nennen. Das Granatloch befand sich etwa 20 m vor unserer Schützenlinie. Diese zog sich nun zurück, während wir liegen blieben. Etwa 5 m vor uns befand sich die Schützenlinie der Frz. Diese kamen zu etwa 40 bis 50 Mann an den Rand unseres Trichters und forderten uns auf, uns zu ergeben, indem sie uns Zeichen machten, daß wir die Waffen wegwerfen und die Hände hochheben sollten. Weil wir nur zu so wenig waren und Widerstand nutzlos war, ergaben wir uns; wir konnten auf die Ankommenden nicht schießen, weil wir zu nahe an der fdl. Schützenlinie lagen und uns geduckt in dem Trichter halten mußten. Die Frz. führten uns nun etwa 20 bis 30 m hinter ihre Schützenlinie, wo wir uns in einem Gliede senkrecht zu ihrer Front aufstellen mußten. Ein Chargierter, den ich für einen Feldw. nach unserem Begriff hielt, und andere Frz., befühlten unsere Sachen, um festzustellen, was darin sei. Sie suchten hauptsächlich nach Zigarren und Zigaretten, Geld oder andere Gegenstände nahmen sie zunächst nicht. Dann traten wohl 50 bis 60 Mann etwa 15 m  von uns entfernt vor unsere Front. Einer schoß auf unsere Linie, ich sah, daß einer von meinen Kameraden getroffen zu Boden sank. Dann fingen die anderen Frz. auch an zu schießen und ich sah, wie meine Kameraden getroffen hinfielen. Als ich dies sah, lief ich mit drei Nebenmännern nach rückwärts auf die frz. Linie zu weg. Gerade als ich mich zur Flucht wandte, sah ich noch, wie einer zu meiner Linken erschossen zu Boden sank. Als ich etwa 5 - 6 m gelaufen war, bekam ich einen Schuß in den linken Ellbogen, fiel hin und blieb besinnungslos liegen. Die Kameraden, die mit mir wegliefen, erhielten auch Schüsse und fielen zu Boden. Ich nahm an, da sie tot waren. Ich war der letzte, der einen Schuß bekam. Ich erwachte, als es noch hell war; nach meiner Schätzung etwa ½ 6 - 6 Uhr. Ich sah nun, wie sich etwa 4 m vor mir ein Kamerad aufrichtete, indem er sich auf die Hände stützte, dann aber wieder zurückfiel. In diesem Augenblick trat ein frz. Soldat an ihn heran, hielt ihm die Mündung seines Gewehrs an den Kopf und schoß. Auf meinem Platze hinter einer Pflugschar konnte ich auch die Leichen meiner anderen erschosse- nen Kameraden sehen. In der  darauffolgenden Nacht, als heller Mondschein war, sah ich, wie sich frz. Soldaten an den Leichen meiner Kameraden zu schaffen machten. Einer von den Frz. kam auch zu mir, nahm mir mein Portemonnaie aus meiner linken Hosentasche und knöpfte mir meine Uhr vom linken Handgelenk ab. Es war eine kleine Damenuhr. Dann knöpfte er mir den Rock auf, vermutlich um meinen Brustbeutel zu suchen, den ich aber nicht umhatte. Das Portemonnaie, in dem sich 15,- Mark und die Erkennungsmarke befanden, war mit einer Kette am Hosenträger befestigt; auch die Kette wurde mitgenommen. Ich stellte mich während der Durchsuchung tot. Nachdem ich nun vier Tage und fünf Nächte so gelegen hatte, ging ich morgens in eine etwa 300 m entfernt liegende Schlucht, welche dicht an eine Landstraße stößt. Nachm. wurde ich dort von einer deutschen Patr. gefunden, die von einem mir nicht bekannten Lt. des R.I.R.13 geführt wurde. Diesem habe ich gleich meine Erlebnisse erzählt. Ich ging dann zunächst zu der Stelle zurück, wo ich gefangen- genommen war und begab mich dann zum Verbandplatz des R.I.R.13. Von dort kam ich noch am selben Tage, nämlich gestern, hierher ins Lazarett. Ob es mit der von mir angegeben Zeitberechnung ganz genau stimmt, weiß ich nicht; ich meine, ich hatte gleich am ersten Tage mit gestürmt, als das starke Geschützfeuer begann.

Im übrigen wurde dieser Vorfall in der Regimentsgeschichte des Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 13 mit keinem Wort erwähnt. Wie glaubhaft die zitierte Aussage des Musketiers Peschel war, kann nur gemutmaßt werden. Die wahren Umstände der Tötung der Angehörigen des Infanterie-Regiments 155 bleiben demnach weiter in einer Art Zwielicht.

Man darf an dieser Stelle nicht über den französischen Soldaten richten, sondern kann nur versuchen die Umstände für Gründe einer Erschießung der Gefangenen zu beleuchten, ohne natürlich die Zeugenaussage anzuzweifeln oder zu widerlegen. Allerdings sollte man versuchen, den Vorfall von beiden Seiten zu betrachten.

Gegen eine vorsätzliche Erschießung sprechen evtl. einige Umstände. Möglich wäre eine gewisse Widersetzung der Deutschen bei ihrer Gefangennahme, ein Fluchtversuch, oder das fahrlässige Verhalten eines Einzelnen, der nicht nur sich, sondern auch seine Kameraden in verhängnisvolle Gefahr brachte. Eine falsche oder auch ungewollte, provokative Reaktion in einer stimmungs- und emotionsgeladenen Situation kann verheerend sein und eine Kurzschlußhandlung auslösen. Aggression, Haß, Angst und Besonnenheit sind in gewissen Streßsituationen nicht immer auf einen Nenner zu bringen.

Inwieweit der Musketier Peschel, kurz vor Beginn der Feuereröffnung auf sich und seine Kameraden, seine unmittelbare Umgebung wahrnahm, konnte aus der zitierten Aussage nicht herausgelesen werden. Für ihn wurde urplötzlich, aus heiterem Himmel auf seine Kameraden geschossen. Die natürliche Reaktion, nämlich die Flucht von Peschel und einiger seiner Kameraden, ließen die Situation u.U. eskalieren und die Franzosen feuerten nicht mehr auf einen Einzelnen sondern auf die, offensichtlich sich der Gefangenschaft, entziehenden Deutschen.

Andererseits sollte man aber auch die vorsätzliche Erschießung in Betracht ziehen. Der Schuß eines evtl. Vorgesetzten könnte den Rest der algerischen Schützen ermutigt haben, um ebenfalls das Feuer zu eröffnen. Diese Reaktion könnte auch einige Gründe haben. Die Franzosen waren zu Beginn der deutschen Offensive sehr stark in die Defensive gedrängt worden; das zu diesem Zeitpunkt noch übermächtige Artilleriefeuer unter dem die französische Infanterie zu leiden hatte, ohne sich entscheidend wehren zu können, könnten eine solche Reaktion heraufprovoziert haben. Hatte man doch genau in diesem Moment den verhaßten Gegner vor sich stehen, man konnte handeln, sich rächen für die vergangenen Tage der Machtlosigkeit.

Kämen diese Umstände in Betracht, wäre es eindeutig ein Kriegsverbrechen, für das die Franzosen verantwortlich wären.

Was immer auch die wahren Hintergründe dieses Vorfalls waren, sie werden uns auch weiterhin verborgen bleiben. Allerdings bieten solche Überlieferungen Stoff für Spekulationen und Diskussionen, auch 86 Jahre nach den Ereignissen.

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Quellen und Literatur:
  • Arens: Das Königlich Preußische 7. Westpreußische Infanterie-Regiment Nr. 155, Berlin 1931. 
  • Krome, Hermann: das Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 13 im Weltkriege, Berlin 1930. 
  • Reichsarchiv (Hg.): Schlachten des Weltkrieges; Band 13: Die Trägödie von Verdun 1916, 1. Teil, Berlin 1926.

Abbildungen: 

  • Stephan Klink. 
  • Erich Kassing.

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Côte de Damloup

Das I-Werk 780 (VLL 1) und die ‚Hohe Batterie von Damloup (Batterie 6-1 de Damloup) waren nur zwei von vielen kleinen Stützpunkten, die während der Verdunschlacht hart umkämpft waren. Zu denken sei hier nur an das berüchtigte I-Werk Nord im Caillettewald oder an die Stützpunkte am Fumin. Beispiele gibt es sicherlich noch mehrere, doch möchte sich dieser Artikel nur auf einen Geländeabschnitt konzentrieren.

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