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Kolumbien: Interview
mit der Farc
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Kolumbien zählt nach einem scheinbaren Sieg in Afghanistan zu einemder
Länder, die im “Krieg gegen den Terror” als Nächstes
angegriffen werden könnten, zum einen, um dem Bild des christlichenKreuzzugs
entgegenzuwirken, zum anderen, um die auch nach 1991 immer nochsehr starke
Guerilla endgültig zu vernichten. Die USA haben dafürschon vor
dem 11. September den Plan Colombia aufgelegt und seit Jahren Spezialkräfte
stationiert. Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir ein Interviewmit
dem Kommandanten Raúl Reyes, das die belgische Zeitung “Solitaire”
führte
Der Widerstand
des Volkes ist kein Terrorismus!
In den Bergenvon
Kolumbien, Ende September 2001 - Wir treffen uns mit dem KommandantenRaúl
Reyes, dem nationalen Sprecher der Farc (Fuerzas Armadas Revolucionariasde
Colombía), Verantwortlichen für die Verhandlungen mit derRegierung.
Nach den Anschlägen in New York und Washington führtdie amerikanische
Regierung die Farc unter den wichtigsten terroristischenOrganisationen, die
es zu eliminieren gilt. Nach Raúl Reyes wollendie Vereinigten Staaten
und die kolumbianische Elite den "Kampf gegen denTerrorismus" als Vorwand
nutzen, um den Widerstand des Volkes zu brechen.Er erklärte uns das
Warum und Wie dieses bewaffneten Kampfes.
Francis Taylor, Koordinator für terroristische
Angelegenheiten im Außenministerium der Vereinigten Staaten, war sehr
deutlich: "Selbst wenn wir sicher sind, dass die schrecklichen Attentatevom
11. September ihren Ursprung in Afghanistan bei Osama Bin Ladin und derAl
Qaida haben, müssen wir davon ausgehen, dass es zu Bedrohungen unserer
Bürger oder unserer Interessen kommen kann, egal wo, einschließlich
der westlichen Hemisphäre (. . .) Die gefährlichsten terroristischen
Gruppen in dieser Hemisphäre sind heutzutage die Farc in Kolumbien."
("El Tiempo", Bogotá 10. Oktober 2001)
Die Farc, Terroristen? Für den Kommandanten Raúl Reyes "kämpfen
die Farc für grundlegende Änderungen, die unser Land benötigt.
Wir sind nicht bereit zu verhungern, ebenso wenig wie uns dem, was uns die
USA aufzwingen wollen, zu beugen. Die Farc, das ist das Volk. Die Menschen
sind keine Terroristen, sie kämpfen, um zu überleben".
Verwundert esSie,
dass die USA die Farc wieder auf die Liste der gefährlichsten terroristischen
Organisationen gesetzt hat?
RR: Die Vereinigten Staaten und die kolumbianische Elite haben uns dieses
Etikett aufgedrückt, wie sie es offensichtlich mit allen Gruppen tun,
die ihren Interessen widersprechen. Das basiert auf dem Prinzip, dass sie
das Recht haben zu morden und all diejenigen, die sich ihrer Politik widersetzen,
beseitigen zu lassen oder einzusperren. Sie denken, dass der Moment gekommen
ist, dem grundlegenden Verlangen des kolumbianischen Volkes endgültig
ein Ende zu setzen. Sie wollen die Guerilla liquidieren. Aber sie täuschen
sich. Da die Farc im ganzen Land präsent sind und vor allem eine politische
Bewegung, die mitten im Volk lebt. Das ist der Grund, weshalb sie es nicht
schaffen werden, uns zu zerschlagen. In Kolumbien stehen sich das Volk und
die Machthaber in einem sehr harten Klassenkampf gegenüber. Seit 1964
sind die Farc gezwungen, die Gewehre zu nehmen, um sich gegen die staatlichen
Aggressionen zu verteidigen. Damals hat die kolumbianische Armee einen Angriff
in Marquetalia gestartet. Mit Unterstützung der USA haben sie 16 000
Mann angeheuert; gegen eine Organisation von 48 Revolutionäre. Das Ziel
war, die kommunistische Bewegung im Keim zu ersticken. Aber sie haben esnicht
geschafft, die Farc zu zerschlagen. Heute kämpft unsere Volksarmeein
allen 32 Bezirken und in fast allen der 1000 Gemeinden Kolumbiens, umdie
Interessen des Volkes zu verteidigen.
Welche Haltung nimmt die Farc gegenüber (dem) Terrorismus
ein?
RR: Wir haben schon immer den Terrorismus verurteilt und
werden dies auch weiterhin tun. Wir haben keinen selbstmörderischenIdealismus
der Integralisten und würden niemals in Betracht ziehen,einfach zivile
Ziele zur Zielscheibe zu nehmen. Es ist der kolumbianischeStaat, der mit
Hilfe der USA seit Jahrzehnten eine Politik des Staatsterrorismusbetreibt.
Die Herrschenden haben nur eine Antwort angesichts derer, die versuchen,oppositionelle
Politik zu betreiben: Mord. Allein im Jahr 2001 (von Januarbis September)
sind schon mehr als 100 Gewerkschaftsführer ermordetworden. Die Klasse,
die dieses Land regiert, steht voll und ganz im Dienstedes Großkapitals
und des IWF. Sie führen, ohne mit der Wimperzu zucken, die Befehle der
US-amerikanischen Regierung und des Pentagon aus,die nicht aufhören,
unsere nationale Souveränität zu verletzen.Wir kämpfen für
die zweite Befreiung, für die endgültigeUnabhängigkeit Kolumbiens.
Wir wollen ein demokratisches Land, in demwir den Sozialismus aufbauen können.
Diese politischen Ziele kollidierenoffensichtlich mit den mächtigen
Feinden. Aber die Farc sieht es alsdas Recht des Volkes an, seine Interessen
zu verteidigen und sich seine Rechteauf der politischen und gewerkschaftlichen
Ebene zu erkämpfen, fürseine Würde und seine Souveränität.
Die Farc bemühen sich seit drei Jahren um Gespräche
mit der Regierung von Präsident Pastrana. Wie ist diese Entwicklungin
Angriff genommen worden?
RR: Die Waffen sind ein Mittel der Farc, sicherlich nicht
das Ziel an sich. Für uns ist der Frieden fundamental. Aber wenn, dann
ein Frieden mit sozialer Gerechtigkeit und Freiheit, ein Frieden ohne Hunger,
ein Frieden mit Arbeitsplätzen für alle, gesundheitlicher Versorgung,
Schulwesen, qualitativ gute Wohnungen, (eine) Agrarreform, (all dies) ohne
Einmischung der Vereinigten Staaten oder anderer Staaten in die internenAngelegenheiten
unseres Landes. Diese Entwicklung hat eine lange Vorgeschichte,aus der wir
viel gelernt haben. Bereits 1984 haben wir Verhandlungen mitder Regierung
des Präsidenten Belisario Betancourt begonnen. Der Kommandantder Farc,
Manuel Marulanda, und der Präsident haben damals einen bilateralenWaffenstillstand
unterzeichnet. Dieses Abkommen gab den Raum zur Gründungder Unión
Patriótica (UP), einer breite pluralistischen Bewegung.Diese erreichte
schnell eine große Anzahl von Partisanen. Aber dieBourgeoisie wählte
den Weg, die Führer und Mitglieder der UniónPatriótica
zu ermorden. Tausende von Menschen, die Verantwortung fürdie Bewegung
übernahmen oder Aktionen leiteten, sind eliminiert worden.Den Kolumbianern
bleibt kein anderer Ausweg als der bewaffnete Kampf, umihre Rechte zu verteidigen.
Das ist die einzige Wahl, die uns der Kapitalismusgelassen hat.
Am 9. Dezember 1990, unter Präsident Gaviria, hat die Armee das Hauptquartier
der Farc bombardiert. Sie waren der Meinung, der Moment, die revolutionäre
Bewegung endgültig zu liquidieren, ist gekommen. Die Machthaber Kolumbiens
waren auf Grund des Zusammenbruchs der Sowjetunion nach dem Verrat der sowjetischen
Führung euphorisch. Sie erklärten, der Sozialismus und der Kommunismus
hätten allen Kredit verloren und die einzig verbleibende Option istder
Kapitalismus. Präsident Gaviria bekräftigte, dass der Dialogmit
der Guerilla einzig und allein mit Waffen zu führen ist. Er wollteden
totalen Krieg, um unserem Land den Neoliberalismus aufzuzwingen. Seitdemkönnen
wir die desaströsen Folgen der Globalisierung und Anwendungdes neoliberalen
Modells feststellen. 30 Millionen Kolumbianer leben heutein Armut. Eine Minderheit
von weniger als fünf Prozent der 40 MillionenKolumbianer hat sich der
Reichtümer unseres Landes bemächtigt.Die (restlichen) 95 Prozent
sind bedürftig. Und ein großer Teillebt in absoluter Armut. Die
militärische Konfrontation hat sich verstärkt.Die Farc ist gewachsen
und gestärkt. Wir haben neue Regionen erreichtund große Siege
über die Armee errungen, viele Waffen gewonnen,haben viele militärische
Informationen gesammelt.
Erst seit 1998 akzeptiert der neue Präsident Pastrana, auf Vorschläge
der Farc zum Dialog und unsere Bedingung der Entmilitarisierung einer Zone
zu antworten. Dies bedeutete, dass die Armee, die Polizei und die Geheimdienste
sich aus dieser Region zurückziehen mussten. Von hier ab konnte derDialog
seit drei Jahren geführt werden. Die entmilitarisierte Zone zählt
drei Kommunen und erstreckt sich über eine Fläche von circa 42000
Quadratkilometern (1,4fache Belgiens).
Wo befindet sich der Dialog heute?
RR: Wir haben uns auf einen gemeinsamen Zeitplan für
Diskussionen mit dem Titel "Über ein neues Kolumbien" geeinigt. Wenn
wir alle Probleme, unter denen die Kolumbianer heute leiden, lösen wollen,
ist es notwendig, das Land wieder aufbauen. Wir sind davon überzeugt,
dass es nicht ausreicht, nur die Waffen zum Schweigen zu bringen, um denFrieden
zu bringen. Der Frieden wird nur in dem Maße kommen, wie dieGründe
des Konflikt verschwinden. Die Farc ist bereit, sich auf demWeg des Gesprächs
einzulassen, ohne Naivität. Wir behalten denKampf für den Frieden
mit sozialer Gerechtigkeit, für die endgültigeUnabhängigkeit,
für die Würde aller Kolumbianer und die Souveränitätunseres
Landes bei. Nach fast drei Jahren ist keines dieser Themen angesprochenworden.
Hier, in der entmilitarisierten Zone, haben die einleitenden Diskussionen
mit der Teilnahme Tausender Kolumbianer stattgefunden. Aber der Dialog mit
der Regierung gestaltet sich sehr schwierig.
Es konnte nicht anders sein: Während vieler Jahre gab es keine Gespräche,
und wir führen den Krieg seit 37 Jahren. Die herrschende Klasse führt
weiterhin die Befehle der amerikanischen Regierung aus und verkauft unsere
Reichtümer, unsere Mittel und unsere Würde an multinationales und
ausländisches Kapital. Die sozialen Gegensätze hören nicht
auf zu wachsen, die Arbeitslosenrate ist enorm, die Zahl der Analphabeten
ist sehr hoch. Es gibt so viel Elend in diesem Land, das unendliche Reichtümer
birgt. Währenddessen hält die militärische Auseinandersetzung
weiter an und verstärkt sich. Die Armee gibt die Hoffnung, die Guerilla
auszurotten, nicht auf. Sie arbeiten mit paramilitärischen Gruppen -
Todesschwadronen - welche die Bevölkerung angreifen. Aber der Widerstand
wächst und die Farc erweitern ihren politischen und militärischen
Einfluss.
Die USA behaupten, dass ihr "Kolumbienplan" dazu bestimmtsei,
die Drogenmafia zu bekämpfen . . .
RR: Der Plan Colombia hat ganz gewiss nicht das Ziel,den
Drogenhandel, der aus dem Zentrum der politischen Macht geleitet wird,zu
bekämpfen. Sind es doch die Präsidenten, die mit Hilfe der Drogengelder
gewählt, die Senatoren und Abgeordneten, die ernannt werden und dieArmee,
die gefügig gemacht wird. Und dieselben Personen erklärendann,
ohne rot zu werden, dass sie die Droge bekämpfen wollen. Hinterder Droge
verbergen sich große Interessen. Die Mafia ist unzertrennlichmit dem
weltweiten kapitalistischen System verknüpft. Der Plan Colombiaist eine
Strategie der USA, sich in die inneren Angelegenheiten Kolumbieneinzumischen,
um ihre militärische Präsenz in der Region zu verstärken.Es
handelt sich um einen geplanten Krieg gegen die Völker Lateinamerikas.
Aber sogar in den USA realisieren einige, dass eine solche Intervention größere
Risiken mit sich bringt. Sie wissen, dass ihnen der Sieg nicht gewiss ist
und dass Kolumbien ein zweites Vietnam werden kann. Die explosive Situation,
die die Welt heute kennt, verdeutlicht die tiefe Krise des internationalen
Kapitalismus. Die Ohnmacht vor dieser Krise ist der wirkliche Grund der Kriegsbedrohung,
die von den USA ausgeht. Diese Situation eröffnet den Revolutionären
zahlreiche Möglichkeiten. In dieser Hinsicht ist die internationaleBewegung
gegen die Globalisierung und den Neoliberalismus für uns einewichtige
Ermutigung. Unser Kampf hat zum Ziel, dass alle Völker weltweitin Würde
leben können und dass wir alle die enormen Reichtümerdieser Welt
genießen können.
übersetzt aus dem Französischen von Rosaria Méndez
Kolumbien, Weltmeister der Repression
Bevölkerung: 42 Millionen Einwohner
Fläche: 1.130.000 km2
BIP: 250 000 FB (Francs Belgique, Belgien: 1 100 000 FB)
Die Kluft zwischen Arm und Reich: 3% der Reichsten besitzen 70% der kultivierbaren
Böden, während die armen Bauern, die 60% der Bevölkerung repräsentieren,
sich mit 3% zufrieden geben müssen. Die Hälfte der Kinder leidet
Hunger, die Hälfte der Bevölkerung lebt an der unteren Schwelle
der Armut.
Repression: Jegliche Form des Widerstands gegen diese offenkundigeUngerechtigkeit
wird ohne Gnade unterdrückt. Kolumbien schlägtalle Rekorde auf
einer Listen von Morden, von Folterungen, von Verschwundenen,von politischen
Gefangenen. Etwa 33 000 Menschen sitzen hinter Gittern. JedesJahr werden
mehr als 20 000 Menschen ermordet. Alle leben in Unsicherheit:Gewerkschafter,
Bauernführer, Verantwortliche der Menschenrechtskommitees,Priester,
Intellektuelle . . . Sicher gibt es die Pressefreiheit in Kolumbien,aber
in keinem Teil der Welt werden so viele Journalisten ermordet, wie indieser
Demokratie.
Guerillas: Farc (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia), die bedeutendste
Guerilla und in allen 32 Departements aktiv; ELN (Ejército de Liberación
Naciónal)
Einmischung der USA: Nach Israel und Ägypten ist Kolumbien (die Regierung)
drittgrößter Nutznießer von Militärhilfe aus Washington.
Die militärische Intervention der USA findet seit langer Zeit statt.
Laut Amnesty International wurden die Waffensysteme, die sie liefern - Blackhawk-Kampfhubschrauber,
Infrarot-Radarsysteme, Aufklärungsflugzeuge und Splitterbomben - schon
seinerzeit im Kampf gegen die Guerilla in El Salvador eingesetzt. Auch heute
geht Washington genauso vor wie zur Zeit des Vietnamkriegs: Verstärkung
der militärischen Präsenz, Ausbildung von Elitetruppen zur Bekämpfung
der Guerilla, Aufstellen von speziellen Luftstreitkräften.
Drogen-Vorwand: Die Vorbereitungen zum Krieg werden von den USA unter dem
Deckmantel des Kampfes gegen die Drogen geführt. Das Weiße Haus
schiebt den kolumbianischen Bauern die Schuld in die Schuhe, die die Coca
anbauen, während sie (USA) nichts oder fast nichts unternehmen, um den
Konsum der Droge in ihrem eigenen Land zu bekämpfen oder den Handelin
den USA zu unterbinden - mehr als die Hälfte der Drogengelder werden
in den USA gewaschen. Sie tun auch nichts dafür, die zur Verarbeitung
der Cocapflanze benötigten Lieferungen von chemischen Produkten zu verhindern.
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