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Mit Vollgas in die Sackgasse
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Geschichte
Afghanis-
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Mit Vollgas
in die Sackgasse
Linke lässt sich von der
Kriegspropaganda beeindrucken
Von Brusk Artes
Seit dem Beginn des von der Nato geführten "Kriegs gegen den Terror",
dessen erstes Ziel Afghanistan geworden ist, sind dort in wenigen WochenTausende
Menschen, überwiegend Zivilistinnen und Zivilisten, getötet,verletzt
und vertrieben worden. B-52-Bomber führen Flächenbombardementsdurch.
Gleichzeitig tobt der Krieg an der Propagandafront. Nachdem gleichnach den
Anschlägen vom 11. September ein Schuldiger ausgemacht wurde,nämlich
Bin Ladin und die Al Qaida, bemüht man sich in westlichenRegierungskreisen
nun nach Kräften, den neuen Kriegszug wiederum alseinen Krieg zur Verteidigung
der Menschenrechte, im Dienste der Menschlichkeitdarzustellen.
Der Rückzug der Fundamentalisten und das Vorrücken der verbündeten
Nordallianz, also der nichtpaschtunischen Mudschahedin-Truppen, wird nunin
einer wahren machiavellistischen Meisterleistung zum Triumph der Menschenrechte
und der Befreiung der afghanischen Frauen emporgehoben. Da stört esdann
nicht, dass bis dato das Schicksal der Frauen in Afghanistan niemandeninteressierte.
Die Zerstörung der antiken Buddhastatuen in Bamian unddas Fahrverbot
für ausländische Frauen (sic!) hatten weitaus mehrAufmerksamkeit
erregt als das Arbeits- und Bildungsverbot, die eingeschränkteBewegungsfreiheit
und der Zwang, die Burka zu tragen. Es stört auchnicht, dass genau diese
Nordallianz bis 1994 nicht nur weite Teile des Landesin ihren Warlord-Kriegen
zerstörte, sondern zudem brandschatzend, mordend,plündernd und
vergewaltigend eine Stadt nach der anderen überfiel.Wenn angesichts
der Vergewaltigungen nach der neuerlichen Einnahme von Mazar-i-Sharifim Westen
nun von der Befreiung der Frau gesprochen wird, bleibt nicht nurder schale
Eindruck, dass die westlichen Regierungsvertreter bis hin zu denGrünen
unter Befreiung der Frau die freie Verfügbarkeit meinen.Insgesamt scheint
die politische Führung unter Menschenrechten nur nochdas Soldatenrecht
zu verstehen.
So ist es auch nicht mehr verwunderlich, dass zur Durchsetzung dieser Menschenrechte
Lebensmittelpakete abgeworfen werden, die in Form und Farbe den Streubomben
ähneln, die noch zur Zeit des Krieges mit der Sowjetunion als besonders
perfide verurteilt wurden, nun aber westliche Wohltätigkeit ins Land
bringen sollen. Wie stark die westlichen Politiker bis hin zu den Grünen
jedoch ihren eigenen Verlautbarungen wenig Glauben schenken, wird deutlich
in der Unterstützung der Nordallianz, die bedenkenlos Kinder zu Soldaten
rekrutiert. Wurde noch im Sommer 2001 der deutsche Außenminister in
der Öffentlichkeit als Humanist gepriesen, weil er sich für die
Verurteilung der Aushebung von Kindern einsetzte, wird nun der Einsatz eben
dieser Kindersoldaten sogar noch als besonderes Beispiel in der Presse gefeiert,
wie stark die afghanische Bevölkerung das Ende des Taliban-Regimes ersehnt.
Die Sicherung universeller Menschenrechte ist in diesem Krieg nicht das Leitmotiv,
sondern der Griff in die rhetorische Trickkiste, mit der er besser der Bevölkerung
verkauft werden kann. Ähnlich den Verweisen auf Auschwitz während
des Kosovo-Kriegs und auf die Tötung von Säuglingen im Brutkasten
nach der Annexion Kuwaits durch den Irak im Zweiten Golfkrieg, sollen die
Verweise auf die Menschenrechte nur die Heimatfront beruhigen, damit diese
nicht wie seinerzeit im Vietnamkrieg auf die Barrikaden steigt. Der Verweis
auf zivilisatorische Werte ist jedoch nebenbei erwähnt wesentlich älter,
die europäischen Industriestaaten und die USA führten noch in jedem
Krieg, von der Niederschlagung des Boxeraufstands in China bis zum Agent-Orange-Einsatz
in Vietnam, ja selbst bei der Unterwerfung des afrikanischen Kontinents immer
wieder den Wert der zivilisatorischen Errungenschaften dieser Gesellschaft
an, wobei auch damals schon die Menschenrechte ihren Wert im rhetorischen
Schein besaßen, der materielle Wert aber bei den ausgeplünderten
Waren zu finden war.
In den zehn Jahren seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der bipolaren
Welt führte die neue Weltordnung drei Kriege, die jedes Mal gegen einstige
Verbündete gerichtet waren, die nun zum Paria erklärt wurden. Von
Saddam über Slobo bis zu Sammy haben alle drei gemeinsam, dass sie zuerst
vom Westen wenn nicht sogar ausgehalten und unterstützt, so doch mindestens
hofiert wurden. Auch das Taliban-Regime war im Westen wohl gelitten, stellte
es doch nach westlicher Ansicht einen Ordnungsfaktor im durch Clankämpfe
der verschiedenen Mudschahedin-Gruppen völlig zerstörten Afghanistan
dar. Diese Gruppen, zu denen Bin Ladin zählte, wurden vom mit den USA
verbündeten Pakistan und speziell von der CIA ausgebildet, ausgerüstet
und protegiert. Schließlich kämpften sie ja gegen die Rote Armee
und eine realsozialistische afghanische Regierung. Es ist bekannt, dass die
Unterstützung für dieses Regime mindestens bis zu den Anschlägen
auf die amerikanischen Botschaften in Afrika 1998 anhielt. Weniger bekannt
ist, dass sich Bin Ladin noch im Sommer dieses Jahres, also kurz vor denAnschlägen
in New York und Washington, mit dem CIA-Mitarbeiter LarryMitchell in Dubai
traf. Die "Welt" überraschte nun mit einer Meldungvom 7. Dezember, in
der sie über das "Projekt Bojinka" berichtete, dasden amerikanischen
Sicherheitsbehörden seit 1995 bekannt war und sichauch in den Gerichtsakten
zum ersten Anschlag auf das World Trade Centerfindet. Dieses Projekt benennt
Pläne Bin Ladins, mittels PassagierflugzeugenHochhäuser und lebenswichtige
Einrichtungen in den USA anzugreifen.Da Bin Ladin auch nicht im Sommer 2001
verhaftet wurde, drängt sichdie Frage auf, inwieweit die jetzige Entwicklung
vielleicht sogar vom Westengewollt war.
Jedenfalls wollen die USA, Großbritannien, Frankreich, die Türkei,
Italien und Deutschland Truppen am strategisch wichtigen Hindukusch stationieren,
egal ob dies der Nordallianz und der afghanischen Bevölkerung passtoder
nicht. Nur die, die sich am Krieg beteiligen, können Ansprüchean
der Beute geltend machen. In erster Linie geht es den Nato-Verbündeten
um die praktische Einrichtung einer neuen neokolonialen Weltordnung, in der
ihnen die Rohstoffe der Welt zu ihren Bedingungen zur Verfügung stehen.
Diesen Nato-Staaten winken in Zentralasien Kolonien, die jedoch heute imdemokratischen
Gewand erscheinen. In Aussicht stehen neben den reichlichenRessourcen wie
Erdöl, Erdgas und Uran hohe Wiederaufbauverträgeanalog zu denen
auf dem Balkan, ebenso üppige Subventionen und Löhne,die sich am
alleruntersten Rand des Weltniveaus bewegen und über dieDruck nicht
nur auf die einheimische ArbeiterInnenklasse, sondern auch aufdie Abhängigen
im Trikont und den osteuropäischen Ländernausgeübt wird.
Auch Deutschland will bei dieser Neuverteilung seinen Anteil, stand dochAfghanistan
schon zu wilhelminischen Zeiten unter starkem deutschen Einfluss.Was auch
immer die Regierungsziele von Rot-Grün gewesen sein mögen,eines
hat diese Regierung auf alle Fälle erreicht: den zweiten Kriegseinsatz
innerhalb einer Legislaturperiode. Und die Kriegsakteure sind noch nichtam
Ende. Die deutsche Sozialdemokratie, seit 1998 flankiert von den Grünen,
macht einmal mehr deutlich, dass sie für das Kapital ein verlässlicher
Partner ist. Wird ihre Geschichte mit der noch relativ jungen Geschichteder
Grünen verglichen, so zeigt sich, dass die Grünen der SPD inRekordtempo
auf dem Weg der Eberts, Noskes, Schmidts und Wehners nachfolgten.Die ehemaligen
PazifistInnen haben sehr schnell gelernt, worauf es in diesemSystem ankommt,
wenn man mitregieren will: Ja zum Kriegseinsatz in Serbienund Montenegro,
in Mazedonien und in Afghanistan. Die paar ausgewähltenNeinsagerInnen
stellen nicht mehr als ein wirklich feiges Feigenblatt dar,das die Grünen
brauchen, um in der linken und Antikriegsbewegung, ausder viele von ihnen
ja kommen, noch irgendwie präsent sein zu können.
Um das eigene Kriegführen zu legitimieren, versuchen die imperialistischen
Staaten verstärkt, die UNO einzubinden. Auch bei Linken und bei Teilen
der PDS wird darüber diskutiert, dass ein UN-Mandat Kriege rechtfertigen
könnte. Nun ist aber die UNO nicht mehr das, was sie vor 25 Jahren vielleicht
einmal war. Denn die USA und andere imperialistische Staaten dominieren über
ihre Vasallen die Vereinten Nationen. Dass es ihnen aber nicht um von der
UNO sanktionierte rechtliche Standards geht, die für alle Staaten gleichermaßen
zu gelten haben, zeigt sich in dem Druck der USA auf abhängige Staaten,
Staaten, der Einrichtung eines internationalen Gerichtshofes nicht zuzustimmen.
Kriegsverbrechertribunale und internationale Gerichtshöfe sind willkommen,
wenn mit ihnen unter Verweis auf eine nicht näher bestimmte "internationale
Gemeinschaft" die Gegenseite öffentlich verurteilt werden kann. DieUSA
weigern sich aber vehement, der Schaffung eines internationalen Gerichtshofes
zuzustimmen, vor dem auch US-Amerikaner angeklagt werden könnten. Niemals
soll ein GI für Kriegsverbrechen der
Vergangenheit der Gegenwart oder der Zukunft angeklagt werden.
Abgesichts der Ereignisse in Mazar-i-Sharif kann diese Haltung allerdings
nicht verwundern. Der "Berliner Zeitung" vom 29. November zufolge wurdendie
Gefangenen bei Mazar-i-Sharif geknebelt und gefesselt tot aufgefunden.Die
Verhörsituation kann als gegeben angenommen werden, ist doch mitdem
Tod des CIA-Agenten die Anwesenheit dieser Agentur in der Provinzstadtbelegt.
Auch die Anwendung der Folter erscheint wahrscheinlich, werden dochin den
USA seit den Anschlägen vom 11. September diese Verhörmethodennach
über 20 Jahren wieder lebhaft in der Öffentlichkeit diskutiert.
Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre diskutierten die USA in
Bezug auf Italien die Anwendung der Folter, die damals sehr starken Roten
Brigaden wurden daraufhin mittels der Folter fast zerschlagen. Wenn diese
Diskussion nun erneut aufkommt, muss davon ausgegangen werden, dass so genannte
rechtliche Standards aufgehoben wurden.
Dies lassen auch die Äußerungen von US-Verteidigungsminister Donald
Rumsfeld befürchten, der seinen militärischen Gegenpart lieberliquidiert
als gefangen genommen sehen will, sowie die Einrichtung von militärischen
Standgerichten mit abschließendem Todesurteil. Die Genfer Konvention,
die so gern im Munde geführt wird, wenn Kriege als sauber zu führen
erscheinen sollen, wird nun ad acta gelegt. Der Fall der Bergfestung Tora
Bora, in die die sowjetische Armee nur unter erheblichen Verlusten eindringen
konnte, unterstreicht diese Entwicklung. Neben den Fotos gefesselter toter
Gotteskrieger erscheinen zumindest Flächenbombardements regelmäßig
in der Presse, denen vor allem die Zivilbevölkerung zum Opfer fällt.
So berichtete am 7. Dezember selbst die "Welt" von Gegenden rund um ToraBora,
die durch die Bombardements völlig ausradiert wurden. Der schnelleFall
dieser Bergfestung lässt zudem vermuten, dass neben den herkömmlichen
Bomben mindestens noch Giftgas eingesetzt wurde, wahrscheinlich um die eigenen
Verluste niedrig zu halten.
Aber nicht nur nach außen wird das Klima in dieser neuen Weltordnung
verschärft, auch nach innen werden die Daumenschrauben angezogen. Staaten,
die Krieg führen, können keine innere Opposition gebrauchen, gefordert
ist nun die Solidarität der Demokraten, ein Begriff, der an den berüchtigten
Deutschen Herbst erinnert. Rasterfahndung, Polizeisperren mit MPs, Hetzegegen
Demonstrierende und Zensur mögen als kurze Klassifizierung ausreichen.
Nun wird mit Berufsverboten die fristlose Kündigung angedroht, wennnicht
"bedingungslose Solidarität" mit den USA im Betrieb, in den Schulendemonstriert
wird. Die Sicherheitspakete der rot-grünen Regierung sinddermaßen
repressiv, dass selbst ein Beckstein Schwierigkeiten hat,sie zu toppen. Die
alte Wahrheit "Aggressiv nach außen, repressiv nachinnen" bewahrheitet
sich mehr als zutreffend. Die Wirtschaftskrise des Kapitalismusist seit langem
nicht zu übersehen. Die vielseits gepriesenen neuenTechnologien vernichten
Arbeitsplätze, anstatt sie zu schaffen. In allenKonzernen weltweit stehen
Massenentlassungen an, die Schere zwischen Armund Reich, zwischen Arbeitenden
und herrschender Klasse, ist in unüberschaubareDimensionen angewachsen.
Nun sollen die Anschläge vom 11. Septemberzur Erklärung der Rezession
und des damit verbundenen Stellenabbausherhalten. Regt sich dagegen sozialer
Widerstand, sind die gesetzlichen Instrumentariengeschaffen, umfassend durchgreifen
zu können.
Angesichts dieser Sachlage ist es nicht nur verwunderlich, sondern schonerschreckend,
dass innerhalb der Linken nach den Vorstellungen staatlicherPolitik verfahren
wird. So stimmen viele selbst des radikaleren Teils derLinken mit Schröder
überein, wenn sie behaupten, die USA seienangegriffen worden und würden
deshalb reagieren und nicht agieren, weshalbsie Solidarität erwarten
könnten. Nicht nur, dass die nach wievor vorhandenen Unklarheiten über
die Hintergründe der Anschlägevon New York und Washington immer
noch nicht ausgeräumt wurden - diePeinlichkeit der fehlerhaften Übersetzung
des neuesten Bin-Ladin-Videosunterstreicht die Dringlichkeit nur noch mal
-, ist es in Anbetracht derweit herausgehobbenen Führungsrolle der USA,
die jedes Geschehen in dieserWelt bestimmen und nach ihrem Gutdünken
kontrollieren, schon fahrlässig,von einem Reagieren dieser Weltmacht
zu sprechen.
Als einen kurzen Eindruck der amerikanischen Kontrollmöglichkeiten sei
auf die Anthrax-Anschlagswelle verwiesen, in deren Aufarbeitung schon Staaten
wie der Irak und Nordkorea ins Visier genommen wurden. Doch seit bekanntwurde,
dass hinter der Anschlagsserie einer Greenpeace-Erklärung zufolgeein
ranghoher CIA-Mitarbeiter stehe, ist Anthrax aus dem Gedächtnisverschwunden.
Vergessen ist zudem die Drohung von Präsidenten-Bub GeorgeW. Bush, bei
Bekanntwerden der hinter den Anthrax-Anschlägen steckendenPersonen oder
Staaten alle Waffen bis zur Atombombe einzusetzen. Er müsstenun wohl
die CIA-Zentrale in Lengley bombardieren. Nach der Greenpeace-Erklärung
wird stattdessen aber der "Verlust" eines ranghohen Molekularbiologen bekannt
gegeben, den die "Berliner Zeitung" am 29. November mit Don Wiley benennt,
der angeblich schon zwei Wochen zuvor verschwunden sein soll. Das FBI ließ
eigenartigerweise verlauten, Terroristen könnten den Biologen entführt
haben, um sich das Wissen über Biowaffen anzueignen, woraufhin nun erklärt
wird, die USA müssten sich vor einer Attacke mit Pockenviren schützen.
Mit Desinformation lässt sich ganz gut Politik machen, zumindest die
Heimatfront steht fest hinter den Regierungen. Dass Teile der radikalen Linken
aber darauf hereinfallen, ist mehr als bedauerlich. So schreibt die "Phase
2" in ihrer zweiten Ausgabe: "Die sich langsam formierende Antikriegsbewegung
scheint die Fehler der Vergangenheit nun wiederholen zu wollen. Amerika wird
als Hauptfeind ausgemacht, dem sich die ,besonnenen Staaten', wie z.B. die
BRD, entgegenzustellen haben. Diese Art von Antiamerikanismus muss aufs Schärfste
verurteilt und bekämpft werden, da in dessen Gefolge ebenso strukturell
antisemitische Positionierungen in der Linken wieder hoffähig werden."
Aber wer in der kaum mit den achtziger Jahren vergleichbaren Antikriegsbewegung
- die damals im Übrigen Friedensbewweggung hieß - sieht in Deutschland
einen "besonnenen Staat" oder in den Regierungsvertretern gar "besonnenePolitiker"?
Die diesbezüglichen Vorstellungen stammen allesamt aus denachtziger
Jahren, als auch SPD und Grüne gegen den Nato-Doppelbeschlussauf die
Straße gingen, und eben von den Politikern dieser Parteienkamen dieserart
Vorstellungen. Diese Politiker aber stellen heute die Regierungund können
kaum abwarten, die Bundeswehr an die Front zu schicken. Wenndie "Phase 2"
aber dies behauptet, spaltet sie damit die Kritik an den Kriegsplänen
in eine gute und schlechte Seite auf, womit der Widerstand gegen den Krieg
nur geschwächt werden kann.
Dass diese Schwächung beabsichtigt ist, ist zumindest vermutbar, schließlich
sieht die "Phase 2" an einer anderen, allerdings im kritischen Gewand erscheinenden
Stelle "ein variierendes Potenzial an Freiheit und Menschenrechten" im Westen
existieren, das es anscheinend eher wert ist, verteidigt zu werden, als den
Unterdrückten in Palästina und weltweit endlich ihr Recht zu erstreiten,
ohne imperialistische Einmischung leben zu können. So ist es auch nicht
verwunderlich, dass Andrea Albertini in der "Jungle World" zu der Erkenntnis
kommt: "Der Verweis darauf, dass die USA Osama Bin Ladin erst großgemacht
haben, eine wie auch immer geartete politische Lösung nach denTaliban
schwierig und auch von zweifelhaften Akteuren mitbestimmt wird, istmitnichten
ein Argument für die Fortführung der Herrschaft derTaliban." Hier
wird versucht, jeder Kritik an den Hegemonialbestrebungender USA wie des
ganzen Westens und ihrer militärischen Erzwingung durchdie Behauptung
eines humanistischen Gehalts des Westens die Zähne zuziehen. Verdrängt
wird dabei nicht nur die McCarthy-Ära und dieJagd nach Kommunistinnen
und Kommunisten in den USA, ebenso elegant wirdschnell der Deckel über
die blutige Interventionsgeschichte der USAzur Absicherung kapitalistischer
Profite gelegt, wie sie in der Vielzahlder Militärputsche, so zum Beispiel
gegen Lumumba im Kongo, gegen Mossadeghim Iran und eben gegen Ali Bhutto
in Pakistan sichtbar wird. Noch immer gabes überall, wo die USA ihre
Finger hinlangten, nichts auch nur annäherndPositives, sondern ewig
Elend, Hunger und Krieg.
Die Krönung dieser eigenwilligen linken Positionierung ist der Vorwurf
des Antisemitismus an diejenigen, die sich nach wie vor herausnehmen, die
USA - und sicherlich auch Israel - zu kritisieren. Nicht nur ein Ivo Bozic
erklärt in der "Jungle World" den Westen im Allgemeinen und die USAund
Israel im Besonderen zum Hort der Menschenrechte, die gesamten antideutschen
Kreise scheinen nun den Antisemitismus bei jeder Kritik an den Westen zuwittern,
weshalb sie glauben, auf Antikriegsdemonstrationen mit Transparentenmit der
Losung "Lang lebe Israel" erscheinen zu müssen. Auf einer dieserDemonstrationen
in Düsseldorf flogen diese Kreise zum Glück kurzerhandraus, oft
aber gelingt es ihnen, die Linke zu verwirren und damit unschädlichzu
machen. Wer solchen Positionen hinterherrennt, sollte jedoch beachten,wessen
Rhetorik hier nachgeblafft wird: Auch diese so genannten Linken erwartenuneingeschränkte
Solidarität und bedingungslosen Gehorsam.
Natürlich ist es notwendig, die USA zu kritisieren, sind sie doch der
Weltpolizist, der selbstgerecht jeden abstrafen kann, der ihnen nicht passt.
Es ist der Militärapparat der USA, der in jedem Winkel dieser Welt die
kapitalistische Ordnung absichert, die verbündeten Staaten sind zwar
Nutznießer dieser amerikanischen Protektion, doch selbst hinlangenkönnen
sie auf Grund besonderer Umstände nicht in dem Ausmaß,wie es die
USA eben tun. Selbst Frankreich und Großbritannien besitzennicht vergleichbare
Kapazitäten, von Deutschland und Italien ganz zuschweigen. Die Bundeswehr
erfüllt im Moment Wasserträgerfunktionenfür die US Army, dass
sie in der Kritik nicht so stark dargestellt wird,ist eben ihrem minderen
Stellenwert zugeschrieben. Gleichwohl aber ist esdie Aufgabe der Antikriegsbewegung,
die kriegerische Politik, wie sie inder Regierungserklärung Schröders
zum Vertrauensvotum im Bundestagzum Ausdruck kam, massiv anzugreifen, da
diese Politik spätere militärischeInterventionen erst möglich
macht. So lange die Bundeswehr aber nochnicht schießt, kann sie nicht
fürs Schießen kritisiert werden.
In einem Punkt haben allerdings die Verfasser in der "Phase 2" Recht: Eskann
der Linken nur schaden, wenn sie allein auf die Erscheinungsformen kapitalistischer
Herrschaft achtet, zu denen eben immer auch der Krieg gehört. Vielmehr
ist es notwendig, die Bewegungsabläufe dieser Herrschaft zu bestimmen
und damit ihr Wesensmerkmal zu benennen, nämlich die kapitalistische
Ausbeutung. Ob dies nun anhand der Situation in einem Betrieb oder aber auf
geopolitischem Parkett durch den Krieg geschieht, ist dabei zweitrangig.Während
des Dies ist erst mit Zweiten Golfkriegs hieß deshalbdie Hauptlosung
"Kein Krieg für Öl" und konnte damit die Zielsetzungdieses Krieges,
den Zugriff aufs Öl für die Industrie abzusichern,bestimmen und
in den kapitalistischen Zusammenhang stellen.
Im jetzigen "Krieg gegen den Terror" ist dies auch möglich: Nach dem
Zusammenbruch der Sowjetunion sollen auch die verbliebenen widerspenstigen
Staaten der kapitalistischen Logik einverleibt werden. Staaten, die versuchen,
wirtschaftlich unabhängig zu werden, sollen nicht die Möglichkeit
bekommen, ein militärisches Gleichgewicht herzustellen. Dies ist erst
mit dem Bau der eigenen Atombombe erreicht, weshalb der Westen nicht müde
wird, diese Staaten als "Schurkenstaaten" zu bezeichnen, um sie besser einkreisen
zu können. Die Ziele dieses Krieges sind damit vorgegeben. Neben dem
Irak, bei dem wohl eher eine alte Rechnung beglichen werden soll, und Kolumbien,
das ein exzellentes Feigenblatt abgibt, mit dem der "Kreuzzug gegen den Islam"
widerlegt werden kann, stehen Indien und Pakistan an oberster Stelle. Die
USA hielten sich in Bezug auf das Kaschmirtal auffallend zurück in ihrem
Kampf gegen den Terror. Nun werden die beiden Atomstaaten gegeneinander gehetzt.
Folgen werden sicherlich aber auch noch der Iran und Nordkorea. Als willkommener
Nebeneffekt wird über Afghanistan die gesamte Region zum westlichenProtektorat,
und damit das Rohöl am Kaspischen Meer ebenso wie in Afghanistan,wo
darüber hinaus einige der größten Uranvorkommen vermutetwerden.
Ob diese Neuaufteilung der Welt und die endgültige Vernichtungjedes
staatlichen Widerspruchs zur westlichen Hegemonie gelingt, hängtaber
auch von der Bissfähigkeit der Linken hier in den Metropolen ab.Die
Zahnziehversuche eines teils dieser Linken mittels der Antisemitismuskeule
sind angesichts dessen umso gefährlicher und müssen deshalb unter
allen Umständen vereitelt werden.
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Hintergrund
Informationen zu Afghanistan
Seit den Anschlägen vom 11. September ist Afghanistan wieder verstärkt
ins Blickfeld der Medien geraten. In diversen Talkshows, Zeitungen etc. wird
dabei oft viel erzählt, die meisten, auch auf Seiten der Linken, verlieren
dabei jedoch schnell den Überblick, da sie sich mit dem Land und seiner
Geschichte nicht auskennen. Wir werden daher an dieser Stelle zumindest die
Personen näher darstellen, die in der Vergangenheit oder in der Gegenwart
eine wesentliche Rolle spielten. Gleichzeitig geben wir einen kleinen Einblick
in die jüngere Geschichte Afghnistans.
Nachdem Afghanistan formell 1919 von Großbritannien unabhängig
wurde, konstituierte das Land sich als Monarchie mit stark ausgeprägter
despotischer Haltung. Gleichzeitig gab es jedoch einige sozialistische Kreise,
vor allem unter den Literaten. Diese Kreise wirkten bis in die vierzigerJahre
relativ lose nebeneinander, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gabes aber
Bestrebungen, diese Kreise zusammenzuführen und zu einer Organisation
zu vereinheitlichen. Daraus ging 1947 die nicht einheitliche Literatenbewegung
Vish Zalmiyan (Erweckte Jugend) hervor, die für
eine radikale Demokratisierung des feudalistisch regierten Landes und für
eine Bodenreform eintrat. Eine ihrer maßgeblichen Protagonisten wurde
Nur Mohammed Taraki, ein Bauernkind, das nach der Arbeit
die Abendschule besuchte und schließlich sogar das Diplom in Wirtschaftswissenschaften
machte. Als Vish Zalmiyan sich Ende der vierziger Jahre spaltete, schloss
sich Taraki dem radikalen Teil an und schrieb für dessen Organ “Anghar”
(Brennende Glut). Der Druck auf König Sahir Schah wurde über
die Jahre immer stärker, demokratische Reformen durchzuführen.Diese
gab es dann Mitte der sechziger Jahre, so die Einrichtung einer Nationalversammlung,
was heute in öffentlichen Kreisen als Beleg der demokratischen Gesinnung
des Königs ausgelegt wird. Taraki, wegen seiner sozialkritischen Erzählungen
mittlerweile einer der bekanntesten Autoren in Paschtu-Literatur geworden,
gründete nun mit Hafisullah Amin, Babrak Karmal und Anahita Ratebzad
die sozialistische Demokratische Volkspartei Afghanistan (PDPA),die
jedoch trotz der so genannten Demokratisierung in der Illegalitätexistieren
musste. Allerdings gelang es, 1965 Karmal und Ratebzad als unabhängige
Kandidaten ins Parlament zu entsenden. Ein Jahr nach der Gründung der
PDPA spaltete sich die Partei jedoch wieder in zwei Flügel: den vonTaraki
und Amin unterstützten Chalq- (Volk) und den von Karmalund Ratebzad
geführten Parcham-Flügel (Banner oder RoteFahne), den jeweiligen
Organen der beiden Strömungen. Die eigenwilligeAusübung der Staatsführung
durch Sahir Schah führte selbstbei Prinz Mohammed Daud zu der
Einsicht, dass das Land eine republikanischeVerfassung brauchte. Das unter
starkem Einfluss der Sowjetunion stehendeMilitär putschte deshalb am
17. Juli 1973, Sahir Schah richtete sichim römischen Exil ein und Daud
wurde Ministerpräsident. Die neueRegierung wurde zunächst von Parcham
unterstützt. Allerdings regierteauch die Daud-Regierung so despotisch
wie der frühere König. Unterdem Repressionsdruck fanden Chalq und
Parcham am 3. Juli 1977 wieder zusammen, die Partei war mittlerweile
etwa 50 000 Mitglieder stark, vor allemim Militär verfügte sie
über starken Rückhalt. Im April1978 kam es fast täglich zu
Demonstrationen gegen die Regierung. Alsschließlich Mir Akbar Khyber,
Gründungsmitglied der PDPAund Leiter von Parcham, am 25. April von
der Polizei ermordet wurde, kames zu der bis dahin größten Demonstration
im Land. Am darauf folgendenTag wurden Taraki und andere verhaftet. Doch
schon am 27. April 1978 kames zum Aufstand, bei dem Daud und seine Familie
erschossen wurden. Da vieleMitglieder der PDPA Angehörige des Militärs
waren, sprechen vorallem bürgerliche Kreise gerne vom zweiten Militärputsch
in Afghanistan.Taraki wurde zum Vorsitzenden des Revolutionsrats und zum
Ministerpräsidentender Demokratischen Republik Afghanistan gewählt.
Das politische Programmder neuen Regierung sah neben einer umfassenden Bodenreform,
eine breiteAlphabetisierung vor allem der Frauen, die Einrichtung von Schulen
und Schulpflicht,grade auch für Mädchen, den Aufbau eines effektiven
Gesundheitssystemsund einer leistungsfähigen Industrie sowie die strikte
Säkularisierungdes Staates vor. Vor allem unter den ehemaligen Großgrundbesitzern
wie zahlreichen Pirs machte sich die neue Regierung mit diesem Programm recht
unbeliebt. Da dem Land zudem die Mittel für dieses ehrgeizige Programm
fehlte, konnte vieles davon nicht umgesetzt werden.
Der Geistlichkeit und eben den alten Großgrundbesitzern gelang es,die
Regierung als “gottlos” in der Bevölkerung darzustellen,
so dass zum ersten Jahrestag der neuen Regierung schon der erste Aufstand
im überwiegend von Schiiten bewohnten Herat ausbrach. Dieser Aufstand
wurde jedoch maßgeblich von den gerade im Iran an die Macht gelangten
Ajatollahs geleitet. Mit dem Sturz des Schahs von Persien verloren die USA
zudem ihre Bastion im Mittleren Westen, die Militärjunta in Pakistan
unter Zia ul-Haq war noch nicht genug gefestigt. Somit war der US-amerikanische
Einkreisungsring um die Sowjetunion Ende der siebziger Jahre durchbrochen,
die SU verfügte - allerdings rein theoretisch - über einen Zugang
zum Indischen Ozean. Afghanistan bekam deshalb eine starke strategische Bedeutung
für die USA., die nun die fundamentalistischen Kreise in Afghanistan
unterstützten. Diese organisierten sich vor allem im Norden Pakistans
und bereiteten einen Guerillakrieg gegen die neue Regierung vor. Einer der
ersten im pakistanischen Exil war Gulbuddin Hekmatyar, der schon während
der Daud-Zeit 1975 nach Peshawar kam. Hekmatyar war Gründungsmitglied
der Islamischen Jugend, die die Wahlen der Studierenden an der Kabuler
Uni 1970 gewann. Zwei Jahre später gelangte er zur Berühmtheit,
als er Studentinnen mit Säure angriff, die nicht seiner Kleiderordnung
gehorchten. In Pakistan gründete er die Organisation Dschamiat-i-Islami
(Islamische Bewegung), die er aber 1977 verließ. Es folgte nun die
Hezb-i-Islami-ye Afghanistan (Islamische Gesellschaft
für Afghanistan), als deren Vorsitzender er Gelder im Westen einsammelte,
u.a. 1981 beim CSU-Parteitag. Es gelang den Fundamentalisten bis 1979,
große Teile der Bevölkerung zu überzeugen. Schätzungen
sprechen von bis zu zwei Millionen Flüchtlingen, die bis Ende 1979 nach
Pakistan gingen.
Die neue Regierung konnte diesen Kräften nicht genug entgegensetzen,
zumal die alten Spaltungen wieder aufkamen. So wurde schon im Juli 1978 die
Parcham-Fraktion ausgeschaltet, Karmal als Botschafter nach Prag und Ratebzad
als Botschafterin nach Belgrad abgeschoben. Nach dem Aufstand von Herat und
dem Beginn des Guerillakrieges wurde die Position Tarakis immer schwächer,
im Frühjahr 1979 übernahm Amin das Amt des Ministerpräsidenten,
Taraki blieb aber Staatschef. Nach der Rückkehr von einer Reise in die
SU wurde er jedoch “aus Gesundheitsgründen” (Radio Kabul)
entmachtet. Wenig später wurde berichtet, er sei am 17. November auf
Grund einer Schussverletzung gestorben. Amin dementierte dies, so dass erst
am 9. Oktober sein Tod bekannt gegeben wurde. Amin versuchte eine Annäherung
an die Fundamentalisten und bezichtigte die alte Führung der Grausamkeit.
es wird vermutet, dass Amin eigentlich ausgeschaltet werden sollte, dessen
Leibwache aber schneller reagierte. Jedenfalls kamen schon im Herbst 1979
Gerüchte auf, dass die SU eher dem im Exil befindlichen Parcham-Flügel
vertraut. Am 27. Dezember kam es zu einem neuerlichen Umsturz, Karmal wurde
zum neuen Staatspräsidenten ernannt. Amin wurde “wegen Verbrechen
gegen das würdige afghanische Volk” zum Tode verurteilt und sofort
hingerichtet. Gleichzeitig marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan
ein, womit der so genannte Afghanistankrieg begann. Trotz 1985 abgehaltener
Wahlen für lokale Räte und der Regierungsbeteiligung parteiloser
Persönlichkeiten gelang es der Karmal-Regierung nicht, ihre Basis zu
verbreitern. Auf dem ZK-Plenum am 4. Mai 1986 wurde er vom bisherigen Geheimdienstchef,
dem Arzt Mohammed Nadschibullah, als Parteichef abgelöst. Im November
wurde er auch Staatspräsident. Aber auch die Regierung Nadschibullah
konnte keine wirklichen Erfolge im Bürgerkrieg aufweisen, die sowjetischen
Truppen verließen schließlich am 15. Februar 1989 das Land. Die
Fundamentalisten jubelten schon und begannen einen Marsch auf Kabul, derjedoch
vor der Stadt Jalalabad von der Bevölkerung aufgehalten wurde.Erst nachdem
General Abdul Raschid Dostum sich mit den Fundamentalistenverbündete,
gelang 1992 die Einnahme Kabuls und die Errichtung der erstenFundamentalistenregierung
unter Burhanuddin Rabbani, einem alten Religionsprofder Kabuler Uni. Durch
Machtkämpfe unter den Fundamentalisten wurdeKabul bis 1994 weitgehend
zerstört. “Solange einer von uns amLeben ist, wird die Revolution
weitergehen.” (Anahita Ratebzad)
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