INITIAL - streitschrift für autonome und kommunistische politik / online
Ausgabe 01
I N H A L T
                                                                     
FÜR DEN KOMMUNISMUS! SchwerpunktFREIHEIT FÜR ALLE POLITISCHEN GEFANGENEN!
   
Schwerpunkt
Der Krieg und
seine Folgen

Fragen und Mutmaßun-
gen zum Krieg
Repressions-
karussel dreht sich schneller
Meinungsma-
che, Manipu-
lation, Mobil-
machung
Revolutio-
näre Vereinigung der Frauen Afghanistans
Essay von Arundhati Roy


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        Seit 18.30 Uhr wird                         zurückgeschossen                
           Fragen und Mutmaßungen zu den
            Anschlägen von New York und Washington



          Von Achim  Guduan

                      
                

Am 52. Jahrestag der Gründung der DDR begann ein neuer, wahrscheinlich erdumfassender Krieg. Für viele scheinen die Hintergründe dieses Krieges klar zu sein, die Medien sind voll mit Meldungen über die angeblichen Hintermänner der Attentate vom 11.September, ein "Netzwerk des Terrors" namens Al Qaida mit seinem Chef Osama Bin Ladin soll verantwortlich sein für die Anschläge auf Washington und New York, durchgeführt von "fanatisierten Kämpfern des Islam" im Namen eines geschundenen Palästina wie aller unterdrückten islamischen Völker. Es lohnt sich sicherlich nicht, die reißerische Aufmachung von "Bild" oder Sat 1 näherzu betrachten. Wichtig jedoch ist, die Argumente genau anzuschauen, die zur Rechtfertigungdieses Krieges benutzt werden. Ebenso ist es notwendig, sich Gedanken zu machenüber die möglichen Folgen, die dieser Krieg mit sich bringen kann.            
Schon um 15.35 Uhr, zu einer Zeit als die Anschläge in den USA nicht einmal sechs Stunden vergangen waren, wurde Osama Bin Ladin als möglicher Drahtzieher der Angriffe benannt. Es waren keine zwölf Stunden vergangen, da tauchte der Name Mohammed Atta in ersten Pressemitteilungen auf. Im Laufe der nächsten Stunden wurde der Verdacht gegen den Ägypter durch neue aufgefundene Erkenntnisse des FBI weiter verstärkt, bis schließlich eine Gruppe arabischer Personen der Öffentlichkeit präsentiert wurde, diebinnen weniger Tage zum allseits bekannten "islamistischen Terrornetzwerk" mutierte mit Kontakten auf jedem Kontinent dieser Welt.
Einen ersten Hinweis auf Atta gab ein am Bostoner Flughafen geparkter, von ihm gemieteter Wagen, in dem sich in einem Koffer neben einem Koran ein Video in arabischer Sprache befunden haben soll, das zum Erlernen des Fliegens von Großraumflugzeugendiene. Diese Meldung wurde an diesem Abend teils vermischt mit der Nachricht,das Video sei bei der anschließen den Durchsuchung der Hotelzimmer vonAtta und anderen arabischen Fluggästen gefunden worden. Nach den Durchsuchungenund der ersten Festnahme eines Verdächtigen wurde zudem mitgeteilt, dasFBI habe einen Abschiedsbrief Attas gefunden, der damit nun als Täterso gut wie feststand. Nicht eine Stimme war zu hören,die fragte, wiees möglich sein könnte, dass bei einem so langeund so perfekt geplantenVerbrechen ausgerechnet ein Abschiedsbrief in die Hände der Ermittlerfallen konnte, als würde die dahinter stehende Organisation trotz allerPerfektion keinen Kurier zulassen, der diese Art Brief persönlich überbringenkönnte. Völlig fragwürdig wurde die Geschichte mit dem Autoallerdings nach etwa zwei Wochen, als bekannt wurde, dass sich mindestenssieben der nun ermittelten "Attentäter" gemeldet haben sollen und einerzudem eine Klage gegen das FBI angestrengt hat. Nun hieß es, nicht alleErmittelten seien für die Tat verantwortlich, Atta sei aber sicher einerder Täter, was nun mit demselben Koffer begründet wurde, nur dassdieser nun nicht im geparkten Auto gefunden wurde, sondern in der Gepäckabfertigungdes Flughafens von Boston. Diese auch im "Spiegel" vom 1.Oktober kolportierteMeldung besagt, dass Atta bei seinem Flug von Maine nach Boston Verspätunghatte und deswegen sein Koffer nicht mehr umgeladen werden konnte. Diese Geschichteklingt sicherlich plausibler, was aber ein Abschiedsbrief und das späterveröffentlichte Testament in einem in Brand und Rauch aufgehenden Kofferfür Sinn macht, wurde nicht hinterfragt. Bestehen blieb nach wie vor Attaund sein Maestro Diaboli Bin Ladin.
Da die erste eruierte Gruppe überwiegend in Hamburg lebte, wurde nun Deutschland zu einem Zentrum der Ermittlungen. Sofort stimmte der Chor der Zeitungsmacher und Fernsehkommentatoren in das Lied der Bin-Ladin-Connection in Deutschland ein. Dies änderte sich auch nicht, als Kai Nehm, seines Zeichens Generalbundesanwalt und also oberster Ermittler in diesem Land,am15.September unter anderem über Reuters mitteilte, Atta und die übrigen Hamburger hätten keinerlei Kontakt zu Bin Ladin. Erst mit einer Pressemitteilung der Bundesanwaltschaft vom 22. September wurde das Gegenteil wieder behauptet, wobei mit keinem Wort auf den Widerspruch eingegangen wurde, geschweige denn auf die Gründe für die erste Verlautbarung. Gleiches passiert in Amerika: Schon am 14. September veröffentlichte das FBI eine Liste mit 18 Personen, die die vier Flugzeuge entführt hätten und in die Gebäudestürzen ließen. Obwohl FBI-Chef Robert Mueller zehn Tage nach den Angriffenzugab, dass die Namensliste des FBI nicht in Ordnung sei und möglicherweise Unschuldigeenthalte, veröffentlichte das FBI am 27. September eine fast identischeListe, nur diesmal um eine Person erweitert und angereichert mit Fotos derVerdächtigen.
Mittlerweile sitzen mindestens 350 Personen in US-Gefängnissen, denen zumeist nur vorgeworfen wird, unter falschen Angaben in die USA eingereist zu sein. Da außer der illegalen Einreise keine weiteren Anklagen zu Stande kamen, wird der Haftgrund mit Fluchtgefahr angegeben. Die US-Medien berichteten bis zum Ausbruch des Krieges relativ ausführlich über die Verhafteten und verschwiegen auch nicht, dass auf Grund fehlender Beweise keine Anklagen erhoben wurden. Gleichzeitig aber rechtfertigten sie mit dem Verweis auf eine Ausnahmesituation diese Herangehensweise nach dem Motto: Fehler in der Prävention müssen unbedingt vermieden werden. Dass diese Fehler geschehen sind, wurde ab und an zugegeben. So meldete die "Washington Post", dass dem FBI seit Jahren bekannt war, dass Personen im Umkreis Bin Ladins in den USA eine Pilotenausbildung absolvierten ("Die Welt" vom 29.September). Kurz nach den Anschlägen berichtete das französischeFernsehen, der französische Geheimdienst habe die verantwortlichen US-Stellenzwei Wochen vor dem 11. September über die geplanten Angriffe informiert.            
Die vorgeführte Pilotenausbildung ist jedoch ein verwirrender Punkt für sich.Wurde in Deutschland noch im August über die extrem langwierige und kostspieligeAusbildung der Piloten diskutiert, die einen Lohn von etwa einer halben MillionMark jährlich rechtfertige, kam ausgerechnet der Vorsitzende der PilotenvereinigungCockpit, Georg Fongern, nun mit der Erkenntnis an die Öffentlichkeit,dass Fliegen eigentlich einfach und von jedermann zu bewältigen sei.Er meinte nachdrücklich Jumbojets und keine Cessna. Noch bevor die Spurzu den Flugschulen in Florida führte, widersprach ihm Niki Lauda, Chefder Lauda Air und selbst Pilot von Großraumflugzeugen. In der Sendung"Stern TV" vom 12. September berichtete er, dass nur sehr gut geschulte Personeneinen Jumbo fliegen könnten, zumal die zweite ins WTC gestürzte Maschineaus einer Kurve heraus in den Südturm raste. Hier müsse ein absoluterProfi am Werk gewesen sein, so Lauda. Nachdem die Spur nach Florida führte,nahmen jedoch alle bereitwillig zur Kenntnis, dass es ausreiche, ein paarMonate den Flug - ohne Starts und Landungen - mit einer Cessna zu üben,und mit wenigen zusätzlichen Übungen am Simulator und dem Studiumeines Videos - den fand man ja - ist die Fähigkeit erworben, eine Boeing767 in ein Hochhaus zu steuern.          
Es mag sein, dass die verdächtigen 19 tatsächlich das World Trade Center und das Pentagon angriffen. Wir wissen es nicht. Da sich die US-Administration bis heute unter Verweis auf den Quellenschutz weigert, die Beweise über die Täterschaft der 19 Verdächtigen und ihre Verbindungen zur Al Qaida Bin Ladins zu veröffentlichen, müssen jedoch auch unbequeme Fragen gestellt werden,  zumal diese Ereignisse einen neuen Krieg heraufbeschworen haben. Da die radikale Linke nicht über die Möglichkeit verfügt, an Geheiminformationen heranzukommen, sind wir gezwungen, zuweilen mit Mutmaßungen und Spekulationen zu arbeiten. Fakt ist, dass kaum das Führungspersonal der Unternehmen bei den Anschlägen umgekommen ist. Es waren überwiegend Sekretärinnen, Fremdsprachensekretärinnen, Putzfrauen, Wachmänner, Köche, Kellner und Angestellte, die vor neun Uhr in den Büros ihre Arbeit aufnahmen. Etwa ein Viertel der Vermissten soll zudem aus islamischen Ländern sein, so werden allein 700 Pakistaner und Bangladescher unter den Trümmern vermutet. Fakt ist auch, dass die führende Wirtschaftsnation USA vor den Anschlägen vor einer extremen Rezession stand. Die letzten zwölf Monate waren von einem Nachlassen der Konjunktur gekennzeichnet, die nur mithilfe der Ankurbelung der Binnennachfrage stabil gehalten werden konnte. Dafür ließ der Chef der US-amerikanischen Notenbank, Alan Greenspan, fast monatlich die Zinsen senken, was zum einen die Kaufkraft im Inlandstärkte, zum anderen im Ausland die anderen Währungen verbilligte unddamit außerhalb des Dollar-Raums die Inflation wachsen ließ. DieserProzess war nach gut zwölf Monaten ausgereizt, den USA drohte eine Wirtschaftskrise,die nur von der Großen Depressioninden dreißiger Jahren übertroffenwerden würde.
Nach den Anschlägen sieht es freilich anders aus. Die New Yorker Börse scheint sich nach einer ersten turbulenten Woche erholt zu haben, der Dax nimmt am Ende der fünften Woche nach den Anschlägen erstmals seit langer Zeit wieder die 5000er-Marke ins Visier. Die betroffenen Wirtschaftszweige, allen voran die Fluggesellschaften, bekommen staatliche Unterstützungen nie gekannten Ausmaßes. Dem Verlust von sehr hoch geschätzten 100Milliarden Dollar stehen neue Aufträge von niedrig geschätzten 1000 MilliardenDollar gegenüber. Ein lohnendes Geschäft. Gleichzeitig sind politischeVerhältnisse etabliert worden, wie sie sich allenfalls gedopt-paranoideHollywood-Hirne ausdenken können. Der freiheitliche, auf seine Bürgersrechteso stolze Westen findet im nicht erklärten Ausnahmezustand seine Grenzen.Mit diesem Ausnahmezustand lässt sich nicht nur jeder beliebige Menschweg- oder aussperren, auch jede unliebsame Maßnahme in Wirtschaft undSozialbereich lässt sich damit exzellent durchsetzen. Beängstigendist, dass gerade der mit seiner These vom "Kampf der Kulturen" berühmtgewordene Samuel Huntington in dem Bericht "Die Krise der Demokratie" schon1975 das Szenario der Aushebelung so genannter demokratischer Mechanismenbei einer extremen Wirtschaftskrise beschrieb. Doch auch in der US-Administrationselbst findet sich in Justizminister John Ashcroft ein Verfechter des Notstandsregimes.An dessen Seite wirkt ergänzend der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs,William Rehnquist, der wegen der Proteste gegen den Vietnamkrieg schon inden siebziger Jahren für ein "qualifiziertes Kriegsrecht" plädierte.Die Anschläge vom 11. September gaben diesen Herren zumindest die Möglichkeit,ihre alten Pläne eines Notstandsregimes wieder aus den Schublädenzu holen.
Ein weiterer Fakt ist, dass der "bad guy" Bin Ladin früher Geschäfte überwiegend in Öl mit dem "good guy" George W. Bush machte. Fakt ist auch, dass die Taliban bis 1998 von den USA finanziell unterstützt wurden. Ähnlich wie Saddam wandelten sich beide anscheinend vom guten Freund zum bösen Feind. Doch trotz dieser Metamorphose scheinen siedem Westen einen letzten Gefallen zu erweisen: Mit den Angriffen in New Yorkund Washington erhält der Westen die Möglichkeit, global seine Truppen zu stationieren oder wenigstens auf den Transportwegen unterstützt zu werden. Selbst Staaten wie China, Indien und die zentralasiatischen GUS-Staaten sowie Russland sind heute bereit, entweder Truppenstationierungen direkt zuzulassen oderaber Überflugrechte und Einblicke in Geheiminformationen zu gewähren.Wasöstlich vom Kaukasus liegt, sind die letzten Ölquellen auf der Erde,die für die nächsten 60 Jahre mindestens reichen sollen. Umso sinnigerist es, bevor die arabischen Ölquellen versiegen, dort Truppen zu stationierenund die Transportwege zu kontrollieren. Die Möglichkeit einer Pipelinedurch Afghanistan wurde auch schon öffentlich diskutiert. Wie in derInnenpolitik wird auch im geopolitischen Rahmen mit Verweis auf die Anschlägeumgesetzt, was seit Jahren geplant und ein strategisches Ziel ist. FürDeutschland liegt dabei das Ziel im endgültigen Abschütteln derseit 1945 bestehenden Begrenzung militärischer Aktionen, was Schröder in seiner Regierungserklärung vom 11. Oktober auch unumwunden zugibt.            
Es scheint möglich, dass der Westen und allen voran die USA ihre strategischen Ziele erreichen werden. Möglich ist aber auch, dass sie scheitern werden. In Pakistan kommt es seit Beginn der Bombardierungen täglich zu Demonstrationen Zehntausender, die sich auch von einem generellen Demonstrationsverbot nicht abschrecken lassen. In der Gegend der alten CIA-Ausbildungszentren für die Mudschahedin, in Quetta und Peshawar, kam es zu Auseinandersetzungen, bei denen erste Polizeistationen und zusätzlich Banken, UN-Einrichtungen und Theater angezündet wurden. In Quetta gab es mindestens vier Tote. Ähnlich sieht das Bild in Palästina aus. Im Gazastreifen braucht es nun keine israelische Armee, Arafats eigene Polizei schießt auf die Demonstrierenden,die ihrerseits mehrere Polizeiwachen anzündeten. Selbst im PolizeistaatÄgypten kam es zu ersten Demonstrationen auf dem Campus der Universitäten.In Indonesien griff die Menge die US-Botschaft an und versuchte, das Parlamentzu stürmen.
Doch von all diesen Ländern scheint vor allem Pakistan am unstabilsten zu sein. Nicht nur gibt es hier Bergketten, die 6000 Meter hoch sind, selbst offiziell wird zugegeben, dass mindestens zehn Prozent der Bevölkerung Pakistans mit den Taliban sympathisieren. Das wären dann aber schon zwölf Millionen,die nicht nur die Militärschläge ablehnen, sondern BushsWorte vom"Kreuzzug" und dem "Kampf Gut gegen Böse" Glauben schenken und bereitsind, gegen die modernen "Kreuzritter" zu kämpfen, wie Bin Ladin in einemAufruf sagte. Wenn allein eine halbe Million als Guerilla in die Berge geht,ist das Land schon nicht mehr zu kontrollieren. Da in den Ebenen eine extremeBevölkerungsdichte existiert, dürfte es für eine Guerilla einLeichtes sein, die Musharraf-Regierung auch in den Zentren anzugreifen. DenUSA bliebe dann nur noch, Truppen in Pakistanzu stationieren, um den drohendenKollaps aufzuhalten. Dies aber würde zu einem Abnutzungskrieg führen,wie ihn die USA in Vietnam schon verloren haben. Doch andersals Vietnam besitztPakistan die Atombombe. Die USA müssen daher unter jedem Preis verhindern,dass Pakistan in die Hände von islamischen Fundamentalisten fällt,zumindest Israel, die andere Atommacht im Nahen beziehungsweise MittlerenOsten, wird diese Entwicklung sicher nicht hinnehmen. Für die Amerikanerheißt dies, dass sie notfalls im letzten Augenblick die Bomben zündenund die Anlagen vernichten müssen, bevor sie in die Hände der Taliban-Sympathisantenfallen. In Pakistan würden wahrscheinlich 40 Millionen Menschen sofortsterben.
Dieses Szenario würde aber einen Aufstand in der gesamten islamischen Welt nach sich ziehen, der auch nicht mit der Unterstellung aufzuhalten wäre, die Guerilla hätte selbst an den Bomben rumgefingert. Es ist dann ziemlich wahrscheinlich, dass neben Pakistan auch Saudi-Arabien fallen würde, dessen Saud-Regime jetzt schon US-Truppen zur eigenen Absicherung benötigt. Sicher würde der Irak die Situation nutzen und in Kuwait einmarschieren. Auch Ägypten wäre dann einer der ersten Umbruchskandidaten. Dies hieße aber, dass dem Westen neben den arabischen Ölquellen auch der Suezkanal abhanden käme. Selbst wenn der Westen dann aufgeben würde, wäre eine Wirtschaftskrise die Folge, deren Ausmaße selbst die Krise der dreißiger Jahre übertreffen würde. Vielleicht hatte der russische Präsident Wladimir Putin genau dieses Szenario vor Augen, als er bei seinem letzten Deutschlandbesuch nicht nur den Wunsch äußerte, Russland in die Nato eintreten zu lassen, sondern zudem der EU eine Garantie zur Lieferung russischen Erdöls anbot – ein Angebot, das zumindest Frankreich und Deutschland in diesem Fall auch um den Preis der Spaltung der Natosicherlich annehmen würden.
Dieses gesamte Szenario ist sicher noch nicht ausgereift. Abzuwarten ist, wie die Situation sich im jetzt beginnenden Ramadan entwickelt. Außerdem wird zu sehen sein, was die USA genau unternehmen in Afghanistan. Die jetzigen Bombardierungen helfen jedenfalls nicht, Bin Ladin auszuschalten. Auch der Einsatz von Bodentruppen erscheint eher gefährlich als Erfolg versprechend zu werden. Kleinere, so genannte taktische Atombomben aber führen sicherlich zu einer weiteren Eskalation, ebenso der Einsatz von Chemie- und Biowaffen, die allein die Möglichkeit bieten, die Verstecke im Hindukusch ohne größereeigene Verluste auszuräuchern.
Doch egal wie weit dieses Szenario umgesetzt wird, sicher ist jetzt schon, dass die ganzen Gesetzesverschärfungen in den USA wie in Europa der Präventiondienen,sich gegen innere Aufstände abzusichern. Schon Ronald Reagan plante, beieinem Einmarsch in Mittelamerika die Verfassung außer Kraft zu setzenund an die 250000 Menschen in 25 Konzentrationslager einzusperren. Dies berichtenehemalige Black Panther. Die Bilder von Genua sind jedenfalls seit dem 11.September aus dem Bewusstsein verschwunden. Die in Genua nach der Wende von1989 erstmals wieder angeschlagene Legitimation der Herrschenden scheint fürden Moment wiederhergestellt. Heute wird es kaum noch einmal zu einem derartbreiten und radikalen Protest gegen die Ausplünderung der Welt kommen.  Im Gegenteil wird heute sogar jede Unterstützung für Befreiungsbewegungenstark eingeschränkt und mit einer Bedrohungsoption versehen, bei  der einzig vom Wohlwollen der jetzt Herrschenden abhängt, ob sie umgesetztwird. Nach dem 11. September reicht es aus, das Recht der baskischen Bevölkerungzu unterstützen, ihre Muttersprache in den Schulen offiziell lernen zukönnen, um ins Fadenkreuz des BKA und anderer Dienste zu geraten, diedas Geschäft der so genannten Terrorismusbekämpfung betreiben. Obdieser Zustand von Dauer bleibt, hängt von der Stärke der Linkenab und ihrer Fantasie, auch unter einem Quasi-Notstandsregime aktiv zu werden.Sicher aber wird die Linke einen langen Atem brauchen, um dieser Entwicklungwirkungsvoll entgegenzutreten. Ansätze dazu sind gemacht .In Europa gehenHunderttausende auf die Straße, und selbst in New York schätzt diePolizei, dass 10 000 sich täglich am Times Square treffen, um gegen denKrieg zu protestieren. Das ermutigendste Beispiel aber geben die Jugendlichenin den verschiedenen Schulen ab, die nun schon mehrmals den Unterricht bestreiktenund währenddessen Demonstrationen in der Innenstadt  durchführten,bei denen offiziell immerhin 3000 Schülerinnen und Schüler teilnahmen.Wie sehr dies den Herrschenden ein Dorn im Auge ist, wird an zwei Beispielenklar: Zum einen soll nun das Verteilen von Flugblättern an den Schulenverboten werden. Zum anderen wird nun jede Ablehnung des Krieges mit Antiamerikanismusgleichgesetzt, eine aus dem Golfkrieg bekannte Reaktion, die damals leiderErfolg hatte. Heute hoffentlich nicht.

      




                           


  
        
                      
                        
             
























































































        





        
                 


                             
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                  
                 
                                    
           

  Repressionskarussel
dreht sich schneller

                                                  
Von Emily Davis

Die Terroranschläge von New York und Washington sind für die Herrschenden ein willkommener Anlass, weltweit neue, restriktive Gesetze zu verabschieden. In Deutschland allein stehen plötzlich drei Milliarden Mark für die "Terrorbekämpfung" zur Verfügung, wobei es sonst immer heißt, die Regierung müsse sparen, sparen, sparen. Das so genannte Anti-Terror-Paket zusammen mit neuen europäischen Rahmenentscheidungen erweitert den Terrorismusbegriff, angeblich um Gesetzeslücken zu schließen. Dass die neuen Gesetze nicht nur einen massiven Eingriff in den Datenschutz darstellen, sondern auchdie revolutionäre Linke im Visier haben, darf niemanden überraschen.            
Bis jetzt wurde auch nur ein Teil der Vorschläge des Bundes zur inneren Sicherheit in Taten umgesetzt (siehe Kästen). Weitere Vorstellungen reichen vomEinsatz der Bundeswehr im Inneren, wie Schily und die CDU sich wünschen,zu Fingerabdrücken bei der Visabeantragung. Behörden sollen nochleichter Informationen austauschen können, besonders bei Asyl Suchenden.Es wird noch überlegt, ob eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz beider Einreise aller Ausländer oder nur der aus arabischen Ländern gestellt werden soll. Schon jetzt läuft die Rasterfahndung an bundesdeutschen Hochschulen; demnächst dürfen sich Studenten technischer Fachrichtungen, die aus bestimmten Herkunftsländern stammen und sich bisher unauffällig verhalten (!), auf einen Besuch von "unserem Freund und Helfer" freuen. Auch Flughafenpersonal inklusive Reinigungskräfte und Verkäufer werden jetzt verstärkt überprüft.
Interessant sind auch die Abmachungen mit anderen Ländern. Die EU und die USA haben eine "Partnerschaft gegen Terror" gegründet, die die Zusammenarbeit in entscheidenden Feldern fördern soll. Diese reichen von Polizei und Justiz über Grenzkontrollen bis zum Austausch von elektronischen Daten. Amerikanische Vertreter werden zu Europol entsandt, um in einer neuen Anti-Terror-Einheit zu arbeiten. Wie auch in der BRD haben die amerikanischen Behörden jetzt weiter reichende rechtliche Möglichkeiten, im Internet zu schnüffeln. Amerikanische Datenschutzexperten warnen, dass die neuen Gesetze für alle kriminalistischen Untersuchungen gültig sind, nicht nur die, die den Terrorismus betreffen.
Die EU hat die Gelegenheit genutzt, so genannte Legislativvorschläge zum erweiterten Terrorismusbegriff zu verabschieden. Diese wurden allerdings lange vor den Anschlägen geplant, vermutlich als Reaktion auf Göteborg und Genua. Ein europaweiter Haftbefehl wurde eingeführt, also können ohne weiteres zum Beispiel Menschen in Frankreich verhaftet werden, die in Spanien oder Deutschland unter Verdacht stehen. Die neue Terrorismusdefinition zielt eindeutig auch auf die revolutionäre Linke ab, insbesondere auf Globalisierungsgegner. Unter diesen neuen Begriff fallen Straftaten wie die Beschädigung von öffentlichen Verkehrsmitteln, die Gefährdung von Leuten, Eigentum, Tieren oder der Umwelt, Angriffe durch die Verwendung eines Informationssystems oder natürlich das Unterstützen einer terroristischen Gruppe. Einzige Bedingung: Solche Straftaten werden begangen, um die "politische, ökonomische oder soziale Struktur" in einem oder mehreren Staaten zu zerstören. "Urban violence", das heißt städtische Gewalt wie im letzten Sommer zwischen ethnischen Minderheiten und der Polizei in Großbritannien, steht auch auf der Liste.
Es dürfte spätestens jetzt klar sein, dass diese Maßnahmen nicht nur geschaffen worden sind, um islamischer Fundamentalisten habhaft zu werden. Die Verschärfungen stehen schon länger auf der Tagesordnung, aber in der jetzigen Situation ließen sie sich problemlos im Schnellverfahren durchsetzen. Die meisten europäischen Staaten hatten bislang gar keine feste Beschreibung von Terrorismus in ihren Gesetzbüchern; nun haben sie sich massiv abgesichert. Zum Beispiel hat Großbritannien gleich 21 Organisationen verboten, unter anderem Al Qaida, die PKK, DHKP-C und Eta. Im Strafbestand der Unterstützung einer terroristischen Organisation sieht man auch ganz eindeutig den Einfluss des deutschen Paragrafen 129a. Mit dem europäischen Haftbefehl lassen sich zum Beispiel Verdächtige der Brigate Rosse oder der RZ problemlos aus Frankreich ausliefern. Und wer zukünftig am 1. Mai eine Bushaltestelle entglast, läuft nun Gefahr, wegen Beschädigung öffentlichen Eigentums als Terrorist eingebuchtet zu werden. Wer dabei Kleidung trägt, die zur Unterstützung einer terroristischen Organisation aufruft, hat gleich verloren.



Paragraph 129b:
Die Mitgliedschaft oder Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung kann jetzt mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden, ohne denNachweis einer funktionierenden Zelle der Organisation in Deutschland. Dieskönnte für Asylbewerber besonders problematisch werden, wennder Grund für ihren Antrag der Vorwurf im Herkunftsland einer Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation ist.
Überprüfung von Flughafenpersonal:
Alle Angestellten von Fluglinien und Flughäfen können ab jetzt überprüft werden.Dafür stehen Daten vom Militärischen Abschirmdienst, Bundesnachrichtendienst, denStrafverfolgungsbehörden, Ausländerbehörden und der Gauck-Behörde zurVerfügung. Stasi raus?!
Neuer europäischer Terrorismusbegriff:
Vergehen, die "absichtlich durch einen Einzelnen oder eine Gruppe gegen einen Staat oder mehrere Staaten, deren Einrichtungen oder dessen Bevölkerung begangen werden, mit der Absicht, diese einzuschüchtern oder die politische, ökonomische oder soziale Struktur dieser Länder zu zerstören", werden europaweit als Terrorismus definiert.
Bis zu zehn Jahre Haftstrafe:
Für folgende konkrete Vergehen: Mord, Körperverletzung, Entführung oder Geiselnahme, Erpressung, Diebstahl oder Raub, die ungesetzliche Beschädigung von Regierungseinrichtungen, öffentlichen Verkehrsmitteln, Infrastrukturen, öffentlichen Plätzen und Eigentum, die Herstellung, der Besitz, der Kauf, Transport oder das Beliefern von Waffen oder Sprengstoffen, das Freisetzen giftiger Substanzen, Brandstiftung, das Verursachen von Explosionen oder Fluten, die Gefährdung von Leuten, Eigentum, Tieren oder die Umwelt, die Beeinträchtigung oder das Verhindern der Wasser- und Stromversorgung sowie anderer wichtiger Ressourcen; Angriffe durch die Verwendung eines Informationssystems; die Drohung, diese Vergehen zu begehen; das Werben, Unterstützen oder die Teilnahme an einer terroristischen Gruppe".
Nicht zu vergessen:
Der Paragraph 129a gilt immer noch in diesem Land, auch wenn er in den Jahren seiner Existenz kaum je erfolgreich gegen die Linke eingesetzt werden konnte. Seine eigentliche Funktion der vorauseilenden Verunsicherung erfüllt er aber relativ erfolgreich.


                   


                           





                                                                                                                                                                                      
                             
                                                                                                                                                                                                                                     
Meinungsmache, Manipulation, Mobilmachung
       
                                                                                     
Von Emily Davis
               
Der 11. September hat nicht nur für die afghanische Zivilbevölkerung weit reichende Folgen; wir können uns auch in Europa auf weitere Einschränkungen unserer Rechte, auf zunehmenden staatlichen und allgemeinen Rassismus und auf wirtschaftliche Folgeerscheinungen wie Rezession und Stellenabbau freuen. Diejenigen innerhalb der Linken, die sich heimlich oder auch öffentlich über die Bilder der Zerstörung gefreut haben, hatten Unrecht, nicht nur vom rein menschlichen Standpunkt: Wir sind mit Opfer dieser Angriffe undwerden den 11.September lange als tatsächlichen Wendepunkt in der Geschichtebetrachten, wenn auch aus anderen Gründen als es Schröder &Co tun.
Politik und Medien Hand in Hand
Wie schon zu Zeiten des Golfkrieges oder der Kosovo-"Intervention" arbeiten Politik und Medien Hand in Hand, um ihre Propaganda zu machen. Die Angriffe auf das WTC waren einmalig in der Geschichte, da sie vor laufender Kamera geschahen. Die Medien waren von Anfang an in der Lage, uns mit Sensationsbildern zu beliefern, und wir schauten gebannt zu. Am 11. September hatte CNN inden USA allein 7,4 Millionen Zuschauer, die Deutschen sahen statt durchschnittlich 190 Minuten am Tag etwa dreieinhalb Stunden fern, am 16. September sogar übervier Stunden.
Von Anfang an wurden Feindbilder aufgebaut und Ängste geschürt, um die Mobilmachung für den Krieg zu unterstützen, zunächst sogar ohne konkreten Verdächtigen. So zeigte CNN schon kurz nach dem Angriff Bilder von jubelnden Palästinensern, die angeblich auf den Straßen von Nablus eine "Freudenfeier" abhielten. Inzwischen musste der Sender zugeben, dass die Bilder aus dem Archiv von 1991 stammen. Unkritisch übernahmen auch deutsche Medien die Vermutung, die Palästinenser seien die Hintermänner der Angriffe. Etwa der dumpfe "Berliner Kurier", der seiner Leserschaft am 12. September erklärte, "Terrorgruppen attackieren Amerika, weil es Israelhilft". Der folgende Artikel greift mit unbegründeten Vorwürfen regelrecht um sich, nennt als Verdächtige Bin Laden, die DFLP, PFLP, Syrien, den Iran, Hamas und Hisbollah.
An diesem ersten Tag fing die Politik schon an, von Krieg zu sprechen. Präsident Bush bezeichnete die Angriffe als "Kriegsakte", Schröder als "Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt", Stoiber als "Kriegshandlung". Und schon übernahmen die internationalen Medien die gleiche Rhetorik. Ein gewisser Charles Krauhammer schreibt in der "Washington Post": "Das ist kein Verbrechen. Das ist Krieg", und verlangt von der amerikanischen Regierung, sie solle nicht "einpaar nutzlose Cruise-Missiles auf leere Zelte in der Wüste" abschießen,sondern "Zerstörung auf die Gegner hageln lassen". Europäische Zeitungen wiedie französische "Le Monde" und die "Süddeutsche Zeitung" verbreiteten dieParole "Wir sind alle Amerikaner" simultan mitder Nato-Erklärung desBündnisfalles.
Die Behauptung, der Angriff sei eine Handlung "gegen die zivilisierte Welt", dient eindeutig der Mobilmachung außerhalb der USA. Ein klares "Gut/Böse"-Schema wird aufgebaut; die "Zivilisierten" stünden gegen die "Barbaren". So spricht Nato-Generalsekretär Robertson von "barbarischen Taten", der außenpolitische Vertreter der EU, Solana, von "barbarischen Akten" und einesichtlich überforderte Angela Merkel von einfachen "Barbaren". Es fragtsich, seit wann Barbaren Flugzeuge steuern können, aber in der rassistischenRhetorik sind kleine Ungenauigkeiten wohl erlaubt. Wir sollen uns ebenso angegriffenfühlen, wir sind ja schließlich auch "zivilisiert". Vor allen Dingensollen wir uns nicht fragen, warum die Terroristen einenso großen Hassauf die USA spüren. Wenn der britische Premierminister Blair uns erklärt,der Terrorismus sei das "neue Böse in der heutigen Welt", sollen wiruns nicht fragen, ob die USA und ihre Verbündeten nicht auch ab und zumal Zivilisten abgeschlachtet haben.
Was sie uns nicht erzählen
Genau diese Hintergründe der Angriffe auf die USA werden in den Medien weitestgehend verschwiegen. Ohne die Angriffe legitimieren zu wollen, muss man sich jedoch bewusst machen, was die USA für einen Dreck am Stecken haben, besonders im Nahen Osten. Angefangen mit dem Golfkrieg, als die USA mit deutscher Unterstützung den Irak bombardierten und über 100 000 Menschen töteten, geht die Supermacht mit einer erstaunlichen Verachtung für menschliches Leben immer weiter im Nahen Osten vor. 1998 bombardierten sie schon einmal Afghanistan, als Antwort auf die Attentate auf ihre Botschaften in Kenia und Tansania. Damals galt Bin Ladin auch als Hauptverdächtiger. Und bis kurz vor dem Terrorangriff warfen britische und amerikanische Flugzeuge regelmäßig Bomben über den Irak ab, größtenteils ungeachtet durch die Medien. Das internationale Embargo gegen den Irak hat ebenfalls Tausende von Opfern zur Folge. Und führt nicht letztendlich Bushs Unwillen, eine vermittelnde Rolle im Konflikt zwischen Israel und Palästina zu übernehmen, indirekt jeden Tag zu weiteren Todesfällen?
Die Beziehung der USA zu Afghanistan wird ebenfalls selten in den Medien ausgeführt, undkein Wunder. Denn im Kalten Krieg waren islamistische Krieger in Afghanistan willkommeneVerbündete der Vereinigten Staatenim Kampf gegen die bösen Roten.Die Vorgänger der Taliban erhielten während des Krieges gegen dieSowjetunion von 1979 bis 1989 2,8 Milliarden Dollar allein für Waffen ausden USA, von der logistischen Unterstützung und Trainingsprogrammen ganzzu schweigen.
Es ist keine Überraschung, dass die Medien sich auch in Schweigen hüllen, wenn es um die geschäftlichen Verbindungen zwischen den beiden bekannten Familien Bush und Bin Ladin geht. Ironischerweise wurde der Bruder von Osama Bin Ladin, der eine gemeinsame Ölfirma mit einem gewissen George Bush Junior gründete, vor 20 Jahren bei einem Flugzeugabsturz getötet. Von seinem damaligen Geschäftspartner werden wir wohl kaum die ganze Wahrheit erfahren.
Ängste schüren . . .
Eine Amerikanerin steht im Waffenladen, sie sieht verängstigt aus. Sie kauft sich eine Gasmaske, weil sie Angst hat, sagt sie, dass demnächst chemische und biologische Waffen über Amerika eingesetzt werden. Von der Taliban. Diese Szene wurde am 30. September unkommentiert im notorisch rechten "Focus-TV" gezeigt. Fernsehen, Zeitschriften und Zeitungen freuen sich über die Gelegenheit, schaurige Meldungen machen zu können, denn solche Schlagzeilen machen Geld. Genau wie wir im Frühsommer 1999 alle Angst vor Kampfhunden vermittelt bekamen, machen die Medien uns jetzt vor Sprühflugzeugen und Biowaffen Angst. In diesem Fall übertreffen Zeitungen und Fernsehen oft sogar die Politiker. Während zum Beispiel die Zeitung "Die Welt" am 12. September noch Schily zitiert mit den Worten: "Es gibt keine Erkenntnisse, die die Sorge rechtfertigen, dass Deutschland in den Kreis der Anschläge einbezogen wird", wirkt sie am nächsten Tag geradezu schizophren. Unter der Schlagzeile "Terror bedroht auch Europa" beschreibt sie, wie vier Männer im Dezember 2000 im Raum Frankfurt/Main als verdächtige Terroristen festgenommen wurden und zieht damit denRückschluss,wir wären auch direkt bedroht.
Ebenso wurden vor dem Golfkrieg Falschmeldungen über Gräueltaten irakischer Soldaten von einer US-regierungsnahen PR-Agentur in Umlauf gesetzt. Die Behauptung, die Soldaten hätten Babys aus Brutkästen genommen und sterben lassen, ließ viele Herzen für einen Krieg höher schlagen. Das so genannte Massaker von Racak, das als Legitimierung für den Kosovo-Krieg diente, wurde auch als Unwahrheit enttarnt - leider zu spät für die über 2000 bei den Nato-Angriffen getöteten Zivilisten in Jugoslawien. Die bürgerlichen Medien sind anscheinend nicht darauf angewiesen, die Wahrheit zu verbreiten, sondern nur, hohe Auflagen beziehungsweise Einschaltquoten zu erreichen. Da wird schon mal die "journalistische Pflicht", Meldungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, beiseite gelassen.    . . . und diese ausnutzen
In diesem Fall haben Regierungen um die ganze Welt etwas davon: Sie können neue Gesetze zur inneren Sicherheit auf einmal problemlos durchsetzen. Wir sind doch alle bedroht, oder? So errangen die Republikaner in den USA zusätzliche Gelder für ihr umstrittenes Raketenabwehrprogramm, die Briten denken laut über die Einführung von Personalausweisen nach, und Putinerlebt auf einmal internationale Unterstützung für seinen "Kampf gegen Terrorismus" in Tschetschenien. In Deutschland machen die wiederholten Verweise auf den "RAF-Terror" klar, worum es bei den neuen Maßnahmen zur inneren Sicherheit auch geht (siehe oben stehenden Artikel).
Die so genannte öffentliche Meinung wird dabei durch eine regelrechte Bombardierung mit Sicherheitspropaganda geprägt. So folgte der Meldung über den gepflegten Gasmaskeneinkauf in "Focus-TV" ein Beitrag über die angeblich schlechte Ausstattung der Bundeswehr. Sogar der sonst anspruchsvolle Sender "Arte" zeigt auf einmal Dokumentarfilme über amerikanische Flugzeugträger statt deprimierende Liebesfilme aus Frankreich. Da darf es nicht wundern, dass Politiker wie der Hamburger Richter Schill enormen Zulauf erfahren.SeinImage als "harter Durchgreifer" passt gerade in den aktuellen Zeitgeist,undes ist fast schon wunderlich, dass seine Wählerschaft bei einemsolchengesellschaftlichen Klima lediglich 19,3 Prozent der Hamburger ausmacht.              
Eine hohe Kunst
Schon immer gehörten Krieg und Propaganda zusammen. Selbst die mittelalterlichen Kreuzzüge der Christen gegen "Heiden", also Juden und Muslime, wurden von Dichtern besungen. Goebbels' Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda spielte während des Zweiten Weltkrieges eine noch zentralere Rolle für die Nazis als zu Friedenszeiten. Heutzutage existieren meist keine Propagandaministerien mehr, aber man kann sicher sein, dass sich Politiker über die Macht der Medien bewusst sind und diese zu manipulieren wissen.                
Der "Spiegel" zitierte zum Beispiel im Jahr 2000 eine Rede von Nato-Sprecher Jamie Shea vor Soldaten zum Thema Kosovo-Krieg: "Die Journalisten waren gleichsam Soldaten in dem Sinne, dass sie der Öffentlichkeit erklären mussten, warum dieser Krieg wichtig war. Es gehörte zu meinen Aufgaben, sie zu munitionieren, die Lauterkeit unserer Kriegsmotive und unserer Aktionen zu zeigen." Die Truppe für Operative Information der Bundeswehr stellteineähnliche Sicht der Dinge dar: "Massenkommunikationsmittel könnenVerlauf und Ausgang von Konflikten entscheidend beeinflussen. Wer übersolche Mittel verfügt, wird sie zu seinem Nutzen und zum Schaden desGegners einsetzen. Propaganda, Desinformation und Manipulation sind TeildesKampfes um und mit Information."
Es ist also kein Zufall, dass wir rund um die Uhr mit bestimmten Informationen versorgt werden. Wir sollen die Geschehnisse an und nach dem 11.September vor allen Dingen emotional miterleben; neben Mitleid sollen wir Angst und Wut spüren, wenn wir Zeitung lesen oder fernsehen. Wir sollen nach harten Maßnahmen schreien, nach Krieg und Vergeltung und nach dem starkenStaat.Der Vorteil der Informationsgesellschaft ist aber, man kann sie durchschauenund für die eigenen Zwecke ausnutzen. Genau wie während des Kosovo-Krieges kritische Stimmen innerhalb der Linken laut wurden, sollten wir uns diesmal auch eindeutig gegen den Krieg positionieren. Wir hätten diesen Krieg nicht verhindern können. Es ist aber unsere Aufgabe, Aufklärung und Gegeninformation zu leisten, den Krieg am Arbeitsplatz, in der Kneipe, in der Schule, beim Fußball zu thematisieren. Wir müssen öffentlich Fragen aufwerfen, wem der Krieg nützt, und wie er das politische System aufrechterhält. Eine Kritik am Krieg muss auch eine Kritik am System und seine Herrschaftsmechanismen sein.
               






An dieser Stelle veröffentlichen wir eine Erklärung der Revolutionären Vereinigung der Frauen Afghanistans (Rawa), die 1978 gegründet wurde. Rawa scheint eher sozialdemokratisch ausgerichtet zu sein, da sie zum Beispiel schon die 1977 an die Macht gelangte revolutionäre Regierung als sowjetischen Vasall ablehnte. Ihr Kampf richtet sich aber auch entschieden gegen den fundamentalistischen Staat, nicht nur der Taliban,so dass die Mitgliederinnen ständig mit dem Tod bedroht sind. Obwohlnicht monarchistisch, tritt Rawa für den Moment für eine Übergangsregierung unter dem 1973 entmachteten König Zahir Schah ein, da sie keine andere Alternative sieht. Obwohl Rawa nicht unbedingt auf unserer Linie liegen muss, denken wir, dass dieses Dokument es wert ist, veröffentlicht zu werden, nicht nur wegen dem Inhalt, sondern gerade auch weil dies ein authentischer Text aus der Region ist.

Das afghanische Volk hat nichts mit Osama und seinen Komplizen zu tun

Am 11. September 2001 erlebte die Welt durch die grauenvollen terroristischen Angriffe auf die Vereinigten Staaten einen Schock. Rawa schließt sich mit dem Rest der Welt in unserem Kummer und der Verdammung dieses barbarischen Akts der Gewalt und des Terrors zusammen. Rawa hatte die Vereinigten Staaten bereits davor gewarnt, den verräterrischsten, kriminellsten, antidemokratischsten und frauenfeindlichsten islamischen fundamentalistischen Parteien Unterstützung zu gewähren, denn die Dschihadi und die Taliban würden, nachdem sie jedes nur erdenkliche Verbrechen gegen unser Volk verübt haben,keine Scham davor empfinden, gleichartige Verbrechen gegen das amerikanischeVolk zu verüben, welches sie als "abtrünnig" ansehen. Um Machtzu erlangen und zu behalten sind diese barbarischen Verbrecher nur allzuleicht bereit, sich jedwelcher verbrecherischen Kraft zuzuwenden.
Unglücklicherweise müssen wir jedoch feststellen, dass es die Regierung der Vereinigten Staaten war, die den pakistanischen Diktator General Zia-ul-Haq dabei unterstützt hat, Tausende religiöser Schulen zu gründen, aus welchen die Taliban hervorgingen. In ähnlicher Weise, und das ist auch allen klar, war Osama Bin Ladin der Goldjunge der CIA. Noch schmerzhafter ist jedoch die Tatsache, dass die amerikanischen Politiker nichts aus ihrer profundamentalistischen Politik in unserem Lande gelernt haben und dass sie immer noch diese oder jene fundamentalistische Bande oder deren Anführer unterstützen. Wir sind überzeugt, dass jegliche Art der Unterstützung für die fundamentalistischen Taliban und Dschihadis ein Herumtrampeln auf den demokratischen Frauenrechten und Grundlagen der Menschenrechte darstellt.
Wenn festgestellt wird, dass sich die der Terroranschläge Verdächtigten außerhalb der USA aufhalten, dann hat sich unsere oft wiederholte Behauptung, dass die fundamentalistischen Terroristen ihre Schöpfer vernichten würden, wieder einmal bewahrheitet.
Die Regierung der USA sollte die Wurzel des Übels dieser schrecklichen Ereignisse betrachten; dieses war nicht das erste schreckliche Ereignis,und es wird auch nicht das letzte sein. Die USA sollten endgültig undein für alle Mal damit aufhören, afghanischen Terroristen und ihren Helfern Unterstützung zukommen zu lassen.
Werden die USA nun, da für sie nach den verbrecherischen Angriffen die Taliban und Osama die Hauptverdächtigen sind, Afghanistan zum Ziel eines Militärangriffs wie dem im Jahr 1998 machen und Tausende unschuldiger afghanischer Menschen für Verbrechen töten, welche von den Taliban und Osama verübt wurden? Glauben die USA, dass durch derartige Angriffe, deren Opfer Tausende armer und unschuldiger Menschen sind, das Grundübel des Terrorismus ausgelöscht wird, oder wird dadurch der Terrorismusin noch viel stärkerem Maße zunehmen?
Von unserem Standpunkt aus wäre ein groß angelegter und umfassender Militärangriff auf unser Land, das seit mehr als zwei Jahrzehnten endlose Katastrophen durchmachen musste, kein Grund, stolz zu sein. Wir glauben nicht, dass ein solcher Angriff die Überzeugung und den Willen des amerikanischen Volkes widerspiegelt.
Die US-Regierung und das amerikanische Volk sollten wissen, dass zwischen den armen, verzweifelten Menschen Afghanistans und den terroristischen Dschihadi- und Taliban-Kriminellen ein großer Unterschied besteht.
Während wir zum wiederholten Male unsere Solidarität mit dem amerikanischen Volk ausdrücken und unsere Trauer um die Opfer und ihre Hinterbliebenen, glauben wir jedoch nicht, dass die Trauer des amerikanischen Volkes durch einen Angriff auf Afghanistan und die Tötung der ruinierten und verzweifelten afghanischen Bevölkerung vermindert werden kann. Wir hoffen aufrichtig, dass das großartige amerikanische Volk zwischen dem afghanischen Volk und einer Handvoll fundamentalistischer Terroristen differenzieren kann.Die Menschen Amerikas sind in unseren Herzen.
Nieder mit Terrorismus!


Revolutionäre Vereinigung der Frauen Afghanistans (Rawa)
14. September 2001
                








Der angebliche Skandal um Ulrich Wickert, dem Nachrichtensprecher der ARD-„Tagesthemen“, der Bush mit Bin Ladin gleichgesetzt haben soll, kreiste einige Zeit durch die Öffentlichkeit und wird auch bei vielen Linken bekannt sein. Nicht bekannt sein dürfte allerdings der eigentliche Stein des Anstoßes, der Beitrag der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy, der in der „FAZ“; nachgedruckt wurde. Wir veröffentlichen an dieser Stelle diesen doch sehr harmlosen Text, dessen Handhabung in der Öffentlichkeit vieles über den Zustand der Diskussionskultur in unserem Land preisgibt.

Wut ist der Schlüssel
Ein Kontinent brennt - Warum der Terrorismus nur ein Symptom ist

Von Arundhati Roy

Nach den skrupellosen Selbstmordanschlägen auf das Pentagon und das World Trade Center erklärte ein amerikanischer Nachrichtensprecher: "Selten zeigen sich Gut und Böse so deutlich wie am letzten Dienstag. Leute, die wir nicht kennen, haben Leute, die wir kennen, hingemetzelt. Und sie haben es voller Verachtung und Schadenfreude getan." Dann brach der Mann in Tränen aus.
Hier haben wir das Problem: Amerika führt einen Krieg gegen Leute, die es nicht kennt (weil sie nicht oft im Fernsehen zu sehen sind). Noch bevor die amerikanische Regierung den Feind richtig identifiziert, geschweige denn angefangen hat, sein Denken zu verstehen, hat sie, mit großem Tamtam und peinlicher Rhetorik, eine "internationale Allianz gegen den Terror" zusammengeschustert, die Streitkräfte und die Medien mobilisiert und auf den Kampf eingeschworen. Allerdings wird Amerika, sobald es in den Krieg gezogen ist, kaum zurückkehren können, ohne eine Schlacht geschlagen zu haben. Wenn es den Feind nicht findet, wird es, der aufgebrachten Bevölkerung daheim zuliebe, einen Feind konstruieren müssen. Kriege entwickeln ihre eigene Dynamik, Logik und Begründung, und wir werden auch diesmal aus dem Blick verlieren, warum er überhaupt geführt wird.
Wir erleben hier, wie das mächtigste Land der Welt in seiner Wut reflexartig nach einem alten Instinkt greift, um einen neuartigen Krieg zu führen. Nun, da Amerika sich selbst verteidigen muss, sehen die schnittigen Kriegsschiffe, die Cruise-Missiles und F-16-Kampfjets auf einmal ziemlich alt und schwerfällig aus. Amerikas nukleares Arsenal taugt nicht zur Abschreckung. Teppichklingen, Taschenmesser und kalte Wut sind die Waffen, mit denen die Kriege des neuen Jahrhunderts geführt werden. Wut ist der Schlüssel. Ihn bekommt man unbemerkt durch den Zoll, durch jede Gepäckkontrolle.
Gegen wen kämpft Amerika? In seiner Rede vor dem Kongress bezeichnete Präsident Bush die Feinde Amerikas als "Feinde der Freiheit". "Die Bürger Amerikas fragen, warum sie uns hassen", sagte er. "Sie hassen unsere Freiheiten - unsere Religionsfreiheit, unsere Redefreeiheit, unsere Freiheit zu wählen, uns zu versammeln und nicht immer einer Meinung zu sein." Zweierlei wird uns abverlangt. Zum einen sollen wir glauben, dass der Feind der ist, der von dieser Regierung als Feind deklariert wird, obwohl sie keine konkreten Beweise vorlegen  kann. Und zum anderen sollen wir glauben, dass die Motive des Feindes genau so aussehen, wie sie von der Regierung dargestellt werden, obwohl es auch dafür keine Beweise gibt.
Aus strategischen, militärischen und ökonomischen Gründen muss die amerikanische Öffentlichkeit unbedingt davon überzeugt werden, dass Freiheit und Demokratie und der American Way of Life bedroht sind. In der gegenwärtigen Atmosphäre von Trauer, Empörung und Wut ist derlei leicht zu vermitteln. Wenn das tatsächlich stimmt, stellt sich jedoch die Frage, warum die Anschläge den Symbolen der wirtschaftlichen und militärischen Macht Amerikas galten. Warum nicht der Freiheitsstatue? Könnte es sein, dass die finstere Wut, die zu den Anschlägen führte, nichts mit Freiheit und Demokratie zu tun hat, sondern damit, dass amerikanische Regierungen genau das Gegenteil unterstützt haben - militärischen und wirtschaftlichen Terrorismus, Konterrevolution, Militärdiktaturen, religiöse Bigotterie und unvorstellbaren Genozid (außerhalb Amerikas)?
Für die trauernden Amerikaner ist es gewiss schwer, mit Tränen in den Augen auf die Welt zu schauen und eine Haltung zu bemerken, die ihnen vielleicht als Gleichgültigkeit erscheint. Doch es handelt sich nicht um Gleichgültigkeit. Es ist eine Ahnung, ein Nicht-überrascht-Sein. Es ist eine alte Erkenntnis, dass jede Saat irgendwann auch aufgeht. Die Amerikaner sollten wissen, dass der Hass nicht ihnen gilt, sondern der Politik ihrer Regierung. Ihnen kann unmöglich entgangen sein, dass ihre außergewöhnlichen Musiker, ihre Schriftsteller, Schauspieler, ihre phänomenalen Sportler und ihre Filme überall auf der Welt beliebt sind. Wir alle waren bewegt von dem Mut und der Würde der Feuerwehrleute, der Rettungskräfte und der gewöhnlichen Büroangestellten in den Tagen und Wochen nach den Anschlägen.
Amerikas Trauer ist immens und immens öffentlich. Es wäre grotesk, von den Amerikanern zu erwarten, dass sie ihren Schmerz relativieren oder mäßigen. Aber es wäre schade, wenn sie, statt zu versuchen, die Ereignisse des 11.September zu begreifen, das Mitgefühl der gesamten Welt beanspruchten und nur die eigenen Toten rächen wollten. Denn dann wäre es an uns, unangenehme Fragen zu stellen und harte Worte zu sagen. Und weil wir zu einem unpassenden Zeitpunkt von unseren Schmerzen sprechen, wird man uns tadeln, ignorieren und am Ende vielleicht zum Schweigen bringen. Doch die Zeichen stehen auf Krieg. Was gesagt werden muss, sollte rasch gesagt werden.
Bevor Amerika das Steuer der "internationalen Allianz gegen den Terror" übernimmt, bevor es andere Länder auffordert (und zwingt), sich an seiner nachgerade göttlichen Mission - der ursprüngliche Name der Operation lautete "Grenzenlose Gerechtigkeit" - aktiv zu beteiligen, sollten vielleicht ein paar Dinge geklärt werden. Führt Amerika Krieg gegen den Terror in Amerika oder gegen den Terror ganz allgemein? Was genau wird gerächt? Der tragische Verlust von fast 7000 Menschenleben, die Vernichtung von 450000 Quadratmeter Bürofläche in Manhattan, die Zerstörung eines Flügels des Pentagon, der Verlust von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen, der Bankrott einiger Fluggesellschaften und der Absturz der New Yorker Börse? Oder geht es um mehr?
Als Madeleine Albright, die ehemalige Außenministerin der Vereinigten Staaten, im Jahr 1996 gefragt wurde, was sie dazu sage, dass 500000 irakische Kinder infolge des amerikanischen Wirtschaftsembargos gestorben seien, sprach sie von einer sehr schweren Entscheidung, doch der Preis sei, alles in allem, nicht zu hoch gewesen. Die Sanktionen gegen den Irak sind übrigens noch immer in Kraft, und noch immer sterben Kinder. Genau darum geht es: um die willkürliche Unterscheidung zwischen Zivilisation und Barbarei, zwischen "Ermordung unschuldiger Menschen" oder "Krieg der Kulturen" und "Kollateralschäden". Die Sophisterei und eigenwillige Algebra grenzenloser Gerechtigkeit: Wie viele tote Iraker sind notwendig, damit es besser zugeht auf der Welt? Wie viele tote Afghanen für jeden toten Amerikaner? Wie viele tote Frauen und Kinder für einen toten Mann? Wie viele tote Mudschahedin für einen toten Investmentbanker?
Eine Koalition der Supermächte der Welt schließt nun einen Ring um Afghanistan, eines der ärmsten und am stärksten verwüsteten Länder der Welt, dessen Taliban-Regierung Osama Bin Ladin Unterschlupf gewährt. Das Einzige, was in Afghanistan überhaupt noch zerstört werden könnte, sind die Menschen. (Darunter eine halbe Million verkrüppelte Waisenkinder. Es wird berichtet, dass es zu wildem Gedrängel der Humpelnden kommt, wenn über entlegenen, unzugänglichen Dörfern Prothesen abgeworfen werden.) Die afghanische Wirtschaft ist ruiniert. Aus Bauernhöfen sind Massengräber geworden. Das Land ist übersät mit Landminen - nach jüngsten Schätzungen zehnn Millionen. Eine Million Menschen sind aus Furcht vor einem amerikanischen Angriff zur pakistanischen Grenze geflohen. Es gibt keine Nahrungsmittel mehr, Hilfsorganisationen mussten das Land verlassen, und nach Berichten der BBC steht eine der schlimmsten humanitären Katastrophen der jüngsten Zeit bevor.
An der heutigen Lage in Afghanistan war Amerika übrigens in nicht geringem Maße beteiligt (falls das ein Trost ist). Im Jahr 1979, nach der sowjetischen Invasion, begannen die CIA und der pakistanische Militärgeheimdienst ISI die größte verdeckte Operation in der Geschichte der CIA. Beabsichtigt war, den afghanischen Widerstand zu steuern und das islamische Element so weit zu stärken, dass sich die muslimischen Sowjetrepubliken gegen das kommunistische Regime erheben und es am Ende destabilisieren würden. Diese Operation sollte das Vietnam der Sowjetunion werden. Im Laufe der Jahre rekrutierte und unterstützte die CIA fast 100 000 radikale Mudschahedin aus 40 islamischen Ländern für den amerikanischen Stellvertreterkrieg. Diese Leute wussten nicht, dass sie ihren Dschihad für Uncle Sam führten. (Welche Ironie, dass die Amerikaner ebenso wenig wussten, dass sie ihre späteren Feinde finanzierten!)
Nach zehn Jahren erbitterten Kampfes zogen sich die Russen 1989 zurück und hinterließen ein verwüstetes Land. Der Bürgerkrieg in Afghanistan tobte weiter. Der Dschihad griff über nach Tschetschenien, in das Kosovo und schließlich nach Kaschmir. Die CIA lieferte weiterhin Geld und Waffen, doch die laufenden Kosten waren so enorm, dass immer mehr Geld benötigt wurde. Auf Befehl der Mudschahedin mussten die Bauern Opium (als "Revolutionssteuer") anbauen. Der ISI richtete in Afghanistan Hunderte von Heroinlabors ein, und zwei Jahre nach dem Eintreffen der CIA war das pakistanisch-afghanistanische Grenzgebiet der weltweit größte Heroinproduzent geworden. Die jährlichen Gewinne, zwischen 100 und 200 Milliarden Dollar, flossen zurück in die Ausbildung und Bewaffnung von Militanten.
Im Jahr 1995 kämpften sich die Taliban, seinerzeit eine marginale Sekte von gefährlichen Fundamentalisten, in Afghanistan an die Macht. Finanziert wurden sie vom ISI, dem alten Freund der CIA, und sie genossen die Unterstützung vieler Parteien in Pakistan. Die Taliban errichteten ein Terrorregime, dessen erstes Opfer die eigene Bevölkerung war, vor allem Frauen. Angesichts der Menschenrechtsverletzungen der Taliban spricht wenig dafür, dass sich das Regime durch Kriegsdrohungen einschüchtern ließe oder einlenken wird, um die Gefahr für die Zivilbevölkerung abzuwenden. Kann es nach allem, was passiert ist, etwas Ironischeres geben, als dass Russland und Amerika mit vereinten Kräften darangehen wollen, Afghanistan abermals zu zerstören?
Auch Pakistan, Amerikas treuer Verbündeter, hat enorm gelitten. Die amerikanischen Regierungen haben noch stets Militärdiktatoren unterstützt, die kein Interesse an demokratischen Verhältnissen im Land hatten. Vor dem Auftauchen der CIA gab es einen kleinen ländlichen Markt für Opium. Zwischen 1979 und 1985 stieg die Zahl der Heroinsüchtigen von null auf anderthalb Millionen an. In Zeltlagern entlang der Grenze leben drei Millionen afghanische Flüchtlinge. Die pakistanische Wirtschaft liegt darnieder. Gewaltsame soziale Konflikte, globalisierungsbedingte Transformationsprozesse und Drogenbosse zerreißen das Land. Die Medresen und Ausbildungslager für Terroristen, ursprünglich eingerichtet zum Kampf gegen die Sowjets, brachten Fundamentalisten hervor, die in Pakistan großen Rückhalt haben. Die Taliban, von der pakistanischen Regierung seit Jahren unterstützt und finanziert, haben in den pakistanischen Parteien materielle und strategische Verbündete. Auf einmal bittet (bittet?) Amerika die pakistanische Regierung, den Schoßhund, den es in seinem Hinterhof jahrelang groß gezogen hat, abzustechen. Präsident Musharraf, der den Amerikanern Unterstützung versprochen hat, könnte sich bald mit einer bürgerkriegsähnlichen Situation konfrontiert sehen.
Indien kann von Glück reden, dass es, dank seiner geographischen Lage und der Weitsicht früherer Politiker, bislang nicht in dieses Great Game hineingezogen wurde. Unsere Demokratie hätte das höchstwahrscheinlich nicht überlebt. Heute müssen wir entsetzt mit ansehen, wie die indische Regierung die Amerikaner inständig darum bittet, ihre Operationsbasis in Indien statt in Pakistan zu errichten. Jedes Land der Dritten Welt mit einer schwachen Wirtschaft und einem unruhigen sozialen Fundament müsste wissen, dass eine Einladung an eine Supermacht wie die Vereinigten Staaten (ganz gleich, ob die Amerikaner für länger bleiben oder nur kurz vorbeischauen wollen) fast so ist, als würde ein Autofahrer darum bitten, ihm einen Stein in die Windschutzscheibe zu werfen.
In dem Medienspektakel nach dem 11. September hielt es keiner der großen Fernsehsender für nötig, ein Wort über die Geschichte des amerikanischen Engagements in Afghanistan zu verlieren. Für all jene, die von diesen Dingen nichts wissen, hätte die Berichterstattung über die Anschläge informativ und aufrüttelnd sein können, wenn Zyniker sie vielleicht auch übertrieben gefunden hätten. Für uns aber, die wir die jüngste Geschichte Afghanistans kennen, sind die amerikanische Berichterstattung und das Gerede von der "internationalen Allianz gegen den Terror" einfach eine Beleidigung. Amerikas "freie Presse" ist dafür genauso verantwortlich wie der "freie Markt".
Die bevorstehende Operation wird angeblich zur Aufrechterhaltung amerikanischer Werte durchgeführt. Doch sie wird noch mehr Zorn und Angst in der ganzen Welt erzeugen, und am Ende dürften diese Werte völlig diskreditiert sein. Für die gewöhnlichen Amerikaner bedeutet das, dass sie in einem Klima schrecklicher Ungewissheit leben werden. Schon warnt CNN vor der Möglichkeit eines biologischen Krieges (Pocken, Beulenpest, Milzbrand), der mit harmlosen Sprühflugzeugen geführt werden kann.
Die Regierung Amerikas, und wohl Regierungen überall auf der Welt, wird die Kriegsatmosphäre als Vorwand benutzen, um Meinungsfreiheit und andere Bürgerrechte einzuschränken, Arbeiter zu entlassen, ethnische und religiöse Minderheiten zu schikanieren, Haushaltseinsparungen vorzunehmen und viel Geld in die Militärindustrie zu stecken. Und wozu? Präsident Bush kann die Welt ebenso wenig "von Übeltätern befreien", wie er sie mit Heiligen bevölkern kann. Es ist absurd, wenn die US-Regierung auch nur mit dem Gedanken spielt, der Terrorismus ließe sich mit noch mehr Gewalt und Unterdrückung ausmerzen. Der Terrorismus ist ein Symptom, nicht die Krankheit. Der Terrorismus ist in keinem Land zu Hause. Er ist ein supranationales, weltweit tätiges Unternehmen wie Coke oder Pepsi oder Nike. Beim geringsten Anzeichen von Schwierigkeiten brechen Terroristen die Zelte ab und ziehen, genau wie die Multis, auf der Suche nach besseren Möglichkeiten mit ihren "Fabriken" von Land zu Land.
Der Terrorismus als Phänomen wird wohl nie verschwinden. Will man ihm aber Einhalt gebieten, muss Amerika zunächst einmal erkennen, dass es nicht allein auf der Welt ist, sondern zusammen mit anderen Nationen, mit anderen Menschen, die, auch wenn sie nicht im Fernsehen gezeigt werden, lieben und trauern und Geschichten und Lieder und Kummer haben und weiß Gott auch Rechte. Doch als der Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gefragt wurde, was er als einen Sieg im neuen amerikanischen Krieg bezeichnen würde, meinte er, ein Sieg wäre, wenn er die Welt davon überzeugen könne, dass es den Amerikanern möglich sein müsse, an ihrem Way of Life festzuhalten.
Die Anschläge vom 11. September waren die monströse Visitenkarte einer aus den Fugen geratenen Welt. Die Botschaft könnte, wer weiß, von Osama Bin Ladin stammen und von seinen Kurieren übermittelt worden sein, aber sie könnte durchaus unterzeichnet sein von den Geistern der Opfer von Amerikas alten Kriegen.
Die Millionen Toten in Korea, Vietnam und Kambodscha, die 17 500 Toten, als Israel (mit Unterstützung Amerikas) 1982 im Libanon einmarschierte, die 200 000 Iraker, die bei der „Operation Wüstensturm“ starben, die Tausenden Palästinenser, die im Kampf gegen die israelische Besetzung des Westjordanlands den Tod fanden. Und die Millionen, die in Jugoslawien, Somalia, Haiti, Chile, Nicaragua, El Salvador, Panama, in der Dominikanischen Republik starben, ermordet von all den Terroristen, Diktatoren und Massenmördern, die amerikanische Regierungen unterstützt, ausgebildet, finanziert und mit Waffen versorgt haben. Und diese Aufzählung ist keineswegs vollständig. Für ein Land, das an so vielen Kriegen und Konflikten beteiligt war, hat Amerika außerordentlich viel Glück gehabt. Die Anschläge vom 11. September waren erst der zweite Angriff auf amerikanischem Territorium innerhalb eines Jahrhunderts. Der erste war Pearl Harbor. Die Revanche dafür endete, nach einem langen Umweg, mit Hiroshima und Nagasaki. Heute wartet die Welt mit angehaltenem Atem auf den Schrecken, der uns bevorsteht.
Unlängst sagte jemand, dass, wenn es Osama Bin Ladin nicht gäbe, die Amerikaner ihn erfinden müssten. In gewissem Sinne haben sie ihn tatsächlich erfunden. Er gehörte zu den Kämpfern, die 1979 nach Afghanistan gingen, als die CIA mit den Operationen begann. Osama Bin Ladin zeichnet sich dadurch aus, dass er von der CIA hervorgebracht wurde und vom FBI gesucht wird. Binnen zweier Wochen avancierte er vom Verdächtigen zum Hauptverdächtigen, und inzwischen will man ihn, trotz des Mangels an Beweisen, "tot oder lebendig" haben.
Nach allem, was über seinen Aufenthaltsort bekannt ist, könnte es durchaus möglich sein, dass er die Anschläge nicht persönlich geplant hat und an der Ausführung auch nicht beteiligt war - dass er vielmehr der führende Kopf ist, der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens. Die Reaktion der Taliban auf die amerikanische Forderung, Bin Ladin auszuliefern, war ungewöhnlich realistisch: Legt Beweise vor, dann händigen wir ihn euch aus. Präsident Bush erklärte seine Forderung für nicht verhandelbar. (Da gerade über die Auslieferung von Vorstandsvorsitzenden gesprochen wird - dürfte Indien ganz nebenbei um die Auslieferung von Warren Anderson bitten? Der Mann war als Chef von Union Carbide verantwortlich für die Katastrophe von Bhopal, bei der sechzehntausend Menschen umkamen. Wir haben die nötigen Beweise zusammengetragen, alle Dokumente liegen vor. Also gebt ihn uns bitte!)
Wer ist Usama Bin Ladin aber wirklich? Ich möchte es anders formulieren: Was ist Usama Bin Ladin? Er ist das amerikanische Familiengeheimnis. Er ist der dunkle Doppelgänger des amerikanischen Präsidenten. Der brutale Zwilling alles angeblich Schönen und Zivilisierten. Er ist aus der Rippe einer Welt gemacht, die durch die amerikanische Außenpolitik verwüstet wurde, durch ihre Kanonenbootdiplomatie, ihr Atomwaffenarsenal, ihre unbekümmerte Politik der unumschränkten Vorherrschaft, ihre kühle Missachtung aller nichtamerikanischen Menschenleben, ihre barbarischen Militärinterventionen, ihre Unterstützung für despotische und diktatorische Regime, ihre wirtschaftlichen Bestrebungen, die sich gnadenlos wie ein Heuschreckenschwarm durch die Wirtschaft armer Länder gefressen haben. Ihre marodierenden Multis, die sich die Luft aneignen, die wir einatmen, die Erde, auf der wir stehen, das Wasser, das wir trinken, unsere Gedanken.
Nun, da das Familiengeheimnis gelüftet ist, werden die Zwillinge allmählich eins und sogar austauschbar. Ihre Gewehre und Bomben, ihr Geld und ihre Drogen haben sich eine Zeit lang im Kreis bewegt. (Die Stinger-Raketen, die die amerikanischen Hubschrauber begrüßen werden, wurden von der CIA geliefert. Das Heroin, das von amerikanischen Rauschgiftsüchtigen verwendet wird, stammt aus Afghanistan. Die Regierung Bush ließ der afghanischen Regierung unlängst 43 Millionen Dollar zur Drogenbekämpfung zukommen.) Inzwischen werden sich die beiden auch in der Sprache immer ähnlicher. Jeder bezeichnet den anderen als "Kopf der Schlange". Beide berufen sich auf Gott und greifen gern auf die Erlösungsrhetorik von Gut und Böse zurück. Beide sind in eindeutige politische Verbrechen verstrickt. Beide sind gefährlich bewaffnet - der eine mit dem nuklearen Arsenal des obszön Mächtigen, der andere mit der glühenden, zerstörerischen Macht des absolut Hoffnungslosen. Feuerball und Eispickel. Keule und Axt. Man sollte nur nicht vergessen, dass der eine so wenig akzeptabel ist wie der andere.
Präsident Bushs Ultimatum an die Völker der Welt - "Entweder ihr seid für uns, oder ihr seid für die Terroristen" - offenbart eine unglaubliche Arroganz. Kein Volk will diese Wahl treffen, kein Volk braucht diese Wahl zu treffen und keines sollte gezwungen werden, sie zu treffen.

Arundhati Roy wurde 1960 im südindischen Bundesstaat Kerala geboren. Heute lebt sie in Neu-Delhi. Auf Grund ihrer politischen Aktivitäten bekam sie mehrmals Probleme mit dem indischen Staat. So wurde eines ihrer Bücher, der Roman „Der Gott der kleinen Dinge“, in dem sie die Liebe zu einem Unberührbaren beschreibt, in Indien aus „moralischen“ Gründen verboten. Wie viele indische, aber auch pakistanische Intellektuelle benennt sie die westliche Politik und die entsprechenden Wirtschaftsinteressen als die primären Ursachen der sozialen Konflikte.