Buschtrommeln im
Berliner Großstadtdschungel
Von Emily Davis
Treffen sich zwei Haifische in der Spree. Sagt der eine: Du,
ich hab neulich einen Antiimp gefressen. Er war so voller Inhalte, ich kam
drei Tage lang nicht vom Grund hoch. Sagt der andere: Ich hab neulich einen
Autonomen gefressen. Der war so hohl, ich kam drei Tage lang nicht mehr runter.
Am 22. Mai beehrte der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika
die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland mit einem zweitägigen
Besuch. Schon Wochen und Monate vorher war ein Rauschen im linken Flugblätterwald
zu vernehmen. Es war klar, dass etwas im Busch war. Auch auf den Gegendemonstrationen
hielten diverse Gruppen und Aktivbürger mit ihren Meinungen nicht hinterm
Busch, sei es als Rede, Transparent, Brezel oder eben erwähntes Schriftstück.
So viel Inhalt wurde lange nicht gesehen in der Berliner Szene; manch ein
Haifisch schwamm nach dem Verzehr so vieler Flugblätter tief am Boden
der Spree, anstatt wie üblich von leichter Kost einen Blähbauch
zu bekommen.
Auch in den Mainstream-Medien war keine Ruhe. Diverse Politpromis und so
genannte Meinungsmacher fühlten sich genötigt, wegen linker Schriftstücke
auf die Buschtrommel zu schlagen. Es werde offen zu Gewalt aufgerufen, Antiamerikanismus
und Antisemitismus würden sich breit machen, und überhaupt: habe
man doch auch als Linker dankbar zu sein, dass die USA uns vor dem bösen
Russen gerettet hätten. Sogar die harmloseste Kritik wurde als antiamerikanisch
und antisolidarisch eingestuft, bis sich kritisch eingestellte Amerikaner
die Köpfe vor Verwunderung schütteln mussten.
Auch die Gruppe Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) machte der breiten
deutschen Linken in einem Aufruf zur Gegen-Bush-Demonstration den Vorwurf
des Antiamerikanismus. Wir nahmen uns die Zeit, einem Querschnitt der Aufrufe
auf den Busch zu klopfen, nachdem sich die AktivistInnen schon längst
in die Büsche geschlagen hatten.
. . .
Die
AAB war so nett und hat alle Überschriften amerikanerfreundlich
auf Englisch geschrieben: Der Rest ist auf schnödem Deutsch verfasst.
Sie stellt richtigerweise fest, dass die heutige Kriegsdynamik nicht mit
der simplen Formel "Krieg für Öl" zu erklären ist, obwohl
alle Kriege nach dem Ableben des Realsozialismus einem gleichen Muster folgen.
Die Gruppe stellt eine logische Erklärung für zwei Aspekte der
gegenwärtigen amerikanischen Haltung zum Rest der Welt dar: Erstens,
es sei eine logische Folge der Gründungsgeschichte der USA, dass sie
sich als Hüterin der Freiheit und Demokratie betrachteten. Allerdings
sei diese "die Freiheit der Warenbesitzer, des Warenverkehrs und die Freiheit,
seine Arbeitskraft verkaufen zu müssen". Und zweitens, dass ihre angenommene
Position als "Weltpolizist" eine Folge des Konkurrenzkampfes im Kapitalismus
sei – die USA hätten sich in jeglicher Hinsicht als erfolgreicheres
Modell als die ehemaligen Kolonialmächte durchgesetzt, auch militärisch.
Die einzige Perspektive für eine bessere Zukunft sei die Überwindung
der kapitalistischen Verhältnisse.
Vor diesem soliden theoretischen Hintergrund prescht die AAB in die Offensive,
und zwar gegen die deutsche Linke. Als Erstes stellt sie fest, es wäre
früher schon o.k. gewesen, gegen die USA zu sein, weil sie ja gegen
die Sowjetunion waren, die zwar fehlerhaft, aber trotzdem die bessere Option
gewesen sei. "Kann man die antiamerikanische Positionierung während
der Blockkonfrontation noch verteidigen, verblasst die linke Verortung dieses
Standpunktes gegen die USA spätestens mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion",
argumentiert die AAB. Also wenn die bessere Option nicht mehr in konkreter
(fehlerhafter) Form zur Verfügung steht, darf man nicht gegen die schlechtere
Option sein? Oder, um ihre eigenen Termini zu übernehmen: kein Gut =
kein Böse? An dieser Stelle wirft die Berliner Gruppe der deutschen
Friedensbewegung fragwürdige Allianzen vor und konstatiert, deren "Amerikahass"
habe mehr mit der nicht bewältigten Niederlage im Zweiten Weltkrieg
zu tun als mit der Überwindung des Kapitalismus. Eine Entfernung vom
Antisemitismus sei von diesem Standpunkt aus unmöglich. Der Beweis:
fehlende Kritik an Joseph Fischer in der Allgemeinbevölkerung.
An späterer Stelle kehrt die AAB halbwegs zur Vernunft zurück:
Sie stellt fest, dass eine Personifizierung eines Gut/Böse-Schemas
an Staaten oder Personen nicht als Erklärungsformel dienlich sei und
antisemitischen Denkmustern ähnele. Letztendlich existiere keine Möglichkeit,
sich im revolutionären Sinne für irgendeine Seite zu positionieren.
Die AAB hatte sicherlich noch nie Angst davor, jemandem auf den Schlips
zu treten. Doch diesmal waren die Anfeindungen dem "eigenen Lager" gegenüber
(die AAB rief zusammen mit der Friedensbewegung zur Großdemo auf)
überraschend deutlich formuliert, obwohl im bei weitem längsten
Flugblatt unseres Querschnittes versteckt. Da bleibt nur ein Ausweg: Nachlesen
bei den "Einfacherklärern" und "Antisemiten".
. . .
Angefangen beim Großbündnis
Achse des Friedens: Und tatsächlich
wird man hier schnell fündig. In dem kurzen Aufruf im Namen der de
Friedensbewegung wird die Rolle der deutschen Politik nur im Nebensatz erwähnt,
und auch der Titel "Wir wollen Ihre Kriege nicht, Herr Präsident!"
lässt Scheuklappen vermuten, wenn es um die BRD geht. Letztendlich
macht der Herr Präsident "seine" Kriege nicht alleine und besuchte
auch nicht umsonst Berlin. Immerhin wird gefordert, dass die Bundeswehr
aus den Kriegsgebieten abgezogen wird. Trotz fehlender Kritik an Fischer
und Kohorten ist es aber unmöglich, anhand dieses Schriftstücks
einen "Amerikahass" aus Gram über den verlorenen Weltkrieg festzustellen.
Im Gegenteil: Der Krieg als solcher wird als Terror beschrieben, und an keiner
Stelle werden verallgemeinernd die USA oder deren Politik dargestellt. Aber
es wird schnell klar, dass die Friedensbewegung keine revolutionäre
Perspektive oder Ansprüche zu bieten hat: "Wir wollen Frieden – einen
gerechten Frieden, der den Menschen in aller Welt gleiche Rechte und Chancen
garantiert." So wird der Frieden zur allgemeinen Rettung der Menschheit,
der nur einmal pusten muss, um alle Wunden der Erde zu heilen. Wer sich nicht
mit den Hintergründen des Krieges auseinander setzt, sieht ihn vielleicht
als das Böse an sich, ohne welches alles gut wäre. Doch ganz schön
einfach.
Weiter zum nächsten Aufruf. Wie der Name schon sagt, hat die Gruppe
Kein Krieg für Öl einige einfache Erklärungsmuster
parat. In diesem gut recherchierten Flugblatt stehen viele Fakten und Informationen
über Ölpipelines, Schiffsrouten, Erdölvorkommen und -vermutungen,
usw. Das ist alles nicht falsch, überschätzt aber die Rolle des
Rohstoffs und der "US-Ölkonzerne". Natürlich haben die USA den
Wunsch, die Interessen ihrer Ölindustrie im Ausland zu schützen
und durchzudrücken, genau wie andere kapitalistische Länder (die
hier übrigens durchgängig mit in die Verantwortung gezogen werden).
Jedoch spielen andere Faktoren genauso eine Rolle: die Sicherung zuträglicher
Handelspartner, Ausbau der Einflusssphären nach dem Ende des Kalten
Krieges, und letztendlich auch innenpolitische Interessen. Wenn die Gruppe
schreibt: "Von der Pipeline hängt das Fortbestehen der amerikanischen
Vorherrschaft in der Weltwirtschaft ab", dann hat sie die Kreativität
und Anpassungsfähigkeit des kapitalistischen Wirtschaftssystems unterschätzt.
Hier aber wieder enttäuschend: keine Spur von Antiamerikanismus!
Das nächste Flugblatt war von
Attac. In einer Riesenauflage,
die ganz Berlin überflutete und der Stadtreinigung bestimmt Kopfschmerzen
bereitete, liest sich die "Bushtrommel" wie sozialdemokratische Wahlkampfliteratur
von vor 20 Jahren. Als hätte Attac Sponsorengelder von Bill Clinton
bekommen, wird jeglicher Aspekt amerikanischer Politik auf George Bush zurückgeführt.
Sogar europäische Regierungen werden scheinbar fehlgeleitet durch den
"großen Bruder": "Die Senkung von Einkommen-, Erbschaft- und Körperschaftsteuer
unter der Bush-Administration findet ihre Fortsetzung in der rot-grünen
Steuerpolitik." Aber Moment mal – war nicht Rot-Grün schon dran, bevor
Bush überhaupt gewählt wurde? Attac ist schon in der Lage, die
Rolle der Wirtschaft als treibende Kraft zu erkennen, schätzt sie aber
scheinbar ohne historisches Verständnis ein. So wird von "transnationalen
Konzernen und Finanzanlegern" geschrieben, "durch deren zunehmenden politischen
Einfluss die Grundfesten unserer Demokratien in Gefahr geraten". Spielten
wirtschaftliche Interessen nicht schon immer in der internationalen Politik
eine Rolle, von der Kolonialisierung Asiens und Amerikas über den Kalten
Krieg bis heute? Das Flugblatt hat aber eine Antwort auf diese dunkle Bedrohung:
Regulierung der Märkte und Wiederaufbau der europäischen Sozialsysteme.
Klassische Sozialdemokratie eben. Von Sozialdemokraten kann man keinen Antiamerikanismus
erwarten, und man findet ihn auch nicht. Attac's Protest ist ausdrücklich
"nicht gegen Amerika an sich, wohl aber gegen die derzeitige amerikanische
Politik" gerichtet. Puh.
Also mal zu was ganz anderem gegriffen: der Aufruf der
Kommunistischen
und Autonomen Gruppen. Hier kriegen die deutschen Politiker auch durchaus
ihr Fett weg. Schröder und Scharping werden strengstens kritisiert,
aber am schlechtesten ist Joseph Fischer dran, auf den "die Bush-Administration
noch in vollem Maße" baue. Man kann tatsächlich Tendenzen in
Richtung Personifizierung von Gut und Böse in diesem Flugblatt erkennen,
allerdings nicht wie die AAB es sich vorstellt. Fischer wird zur Marionette
in den Händen der CIA stilisiert: "Mit Fischers Akte in der CIA-Zentrale,
die man immer noch in der Hinterhand hat, lässt sich nach wie vor einiges
aus US-Sicht in die richtige Richtung führen." Trotz der Vereinfachung
auf die Person Fischers vermittelt dieses Flugblatt ein gefestigtes Wissen
um die Hintergründe des Krieges und die historischen Zusammenhänge.
Vermutlich war es die Beschreibung des militanten Widerstandes bei vergangenen
Präsidentenbesuchen, die die Presse so aufgeregt hat. Man kann aber
auch hier beim besten Willen keinen rabiaten Antiamerikanismus erkennen.
Das letzte Flugblatt des Querschnittes ist ein kleines Schmuckstück.
Smash the system stellen fest: "Frieden zu fordern in kapitalistischen
Verhältnissen ist illusorisch: Erstens, weil unterdrückende Länder
und Klassen immer auch militärische Auseinandersetzungen brauchen,
um ihre Einflusssphären zu sichern, und zweitens, weil mensch nicht
von Frieden sprechen kann, wenn große Teile der Weltbevölkerung
den herrschenden kapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen ausgesetzt
sind und viele diese nicht überleben." Damit wäre alles gesagt.
Super Einschätzungen, super Rundumschlag, schön kurz und verständlich
gefasst für satte Haifische.
. . .
Nach mühevoller Analyse steht also fest: Es wird viel Müll geschrieben,
aber zwischendrin sind Lichtschimmer. Die Vorwürfe des Antiamerikanismus
oder gar des Antisemitismus im Vorfeld des Bush-Besuches werden zumindest
anhand dieser Flugblätter nicht bestätigt. Allerdings haben viele
Leute einfache Erklärungen und einfache Lösungen vorzuschlagen,
besonders was die Macht der "US-Multis" angeht. Das hinterlässt auf
jeden Fall einen bitteren Nachgeschmack.