INITIAL - streitschrift für autonome und kommunistische politik / online
Ausgabe 04
I N H A L T

FÜR DEN KOMMUNISMUS!   Aktuelles FREIHEIT FÜR ALLE POLITISCHEN GEFANGENEN!
 
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1.Mai in Berlin
Bush -
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Linie 8





























































































































































































































































































































Wenn Wahlen was grundsätzlich ändern würden, wären sie verboten

Von der Kampagne wählt ungültig!       

Seit einem Jahr wird Berlin von der rot-roten Koalition unter Bürgermeister Klaus Wowereit und seinem Stellvertreter, dem Wirtschaftssenator Gregor Gysi regiert, und nun steht wieder eine Wahl an. Diesmal sind die Wählerinnen und Wähler aufgerufen, die Zusammensetzung des Bundestages, damit auch den Bundeskanzler und den Kurs für die nächsten vier Jahre zu bestimmen.
Laut den Umfragen der verschiedenen Meinungsforschungsinstitute wird es knapp für die SPD und Schröder, wieder die Regierungsverantwortung zu erlangen. CDU/ CSU und ihr bayerischer Kanzlerkandidat Stoiber liegen zurzeit in Führung, wenn man den Ergebnissen Glauben schenkt. Aber es sollte uns als Linke nicht interessieren, wer den Vorsitz in dieser ach so demokratischen Republik erlangen wird – da die beiden großen Volksparteien eh nur bemüht sind, die "neue Mitte" als Stimmvieh zu gewinnen, sollten wir uns eher auf die angeblich linken Parteien konzentrieren. Also gilt das Hauptaugenmerk unserer Betrachtung den Grünen und der fälschlicherweise immer noch als sozialistisch geltenden PDS.
Wenn immer noch scheinbar fortschrittlich-denkende Menschen in diesen beiden Parteien eine Alternative zur bisherigen Politik sehen, muss man sich fragen, ob sich überhaupt mit deren Politik auseinander gesetzt wird. Die Grünen stellen nicht nur mit Fischer den Bundesaußenminister, nein, sie stimmen auch im Bundestag munter zu, wenn es beispielsweise um Kriegseinsätze in der ganzen Welt geht. Eine aus der Friedensbewegung stammende Partei entwickelt sich mit der Zeit eben weiter, die Globalisierung verlangt uns allen Opfer ab. Um doch nicht ganz abgenabelt zu wirken von ihren Wurzeln, bemühten sich dann ja auch einige bekannte Gesichter wie Christian Ströbele um die in Haft Sitzenden in Genua, wahrlich ein großer Schritt, nach den Todesschüssen auf Carlo Giuliani wohl ein Versuch, die Linke gnädig zu stimmen trotz der Kriegseinsätze auf dem Balkan. Ähnlich sieht es in der Landespolitik aus, für die Grünen besteht Solidarität mit der radikalen Linken nur, wenn es zu riesigen Schweinereien kommt, vgl. der verbotene 1. Mai 2001 in Berlin und die verhaltene Kritik der Grünen dazu, und eben die Solidaritätsbekundungen nach den Schüssen in Genua, als die Polizei-Exzesse nicht mehr geleugnet werden konnten. Es bleibt eigentlich kein gutes Haar an der ergrauten grünen Partei, sie ist für die radikale Linke keine Partei, die weder unterstützt noch gewählt werden darf! Basta, sonst kann jede und jeder sich gleich selbst die Kugel geben.
Aber vielen erscheint daher die PDS als einzige noch verbliebene linke Alternative. Sicher kommen einige zu dieser Meinung, da bereits im Vorfeld der Berliner Abgeordnetenhauswahlen im letzten Herbst eine extreme Hetze gegen die damals für möglich gehaltene rot-rote Zusammenarbeit die Medien füllte. Offen wurde von der Union von Rot-Blutrot in Berlin geredet, alte Ressentiments gegen den Kommunismus wurden ausgegraben, alle möglichen reaktionären Phrasen schmetterten die Parteimitglieder der CDU den Journalisten in dieser Zeit entgegen.
Aber die PDS ist ebenso wenig wie die Grünen eine Alternative für die radikale Linke. Nicht erst seit sie in Berlin in Regierungsverantwortung steht, bereits vorher konnte sich beim Betrachten der Lokalpresse informiert werden, was unter anderem der Spitzenkandidat Gysi für die Zukunft an Plänen bereit hielt. Aufgrund der Bankenkrise in Berlin kam es zu vorgezogenen Neuwahlen, was zur Folge hatte, dass der jetzige Haushalt knapp bemessen werden musste und alles einem Sparzwang zum Opfer gefallen ist. Gysi sah dies schon vor der Wahl und schämte sich nicht, unverhohlen Massenentlassungen im öffentlichem Sektor zu fordern. Aber nicht nur, dass er dies seit Ende des letzten Jahres auch tut, und nicht nur er, seine Parteigenossen haben munter dafür gestimmt, denn auch auf anderen Gebieten zeigt sich die Kluft zwischen der PDS und anderen linken Kräften. 1996 ereiferte sich beispielsweise der PDS-Bezirksbürgermeister von Marzahn, Harald Buttler, gegen militante Antifas und ihren erfolgreichen Angriff auf einen Nazi-Aufmarsch vor Ort.
Jüngstes Beispiel für die Verlogenheit der PDS, mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen, ist das Befürworten der garantierten Gewinnausschüttung der trotz Krise insolvent gegangenen Berliner Bankgesellschaft. Wieder einmal sind die Einzigen, die von der Krise betroffen sind, die Steuerzahler in Berlin. Die Konkursgänger machen Gewinn, vertraglich abgesichert und zu Lasten aller. Hier zeigt sich, dass die PDS die Wirtschaft stützt und nicht daran interessiert ist, die Pleitiers auf ihrem Schuldenberg allein zu lassen. Also ist sie auch keine Alternative und für die radikale Linke als mögliche zu unterstützende Kraft nicht geeignet und unwählbar.
Einige Linke sind jedoch der Meinung, einen Anti-Stoiber-Wahlkampf durchzuführen, der bedeutet, entweder direkt Rot-Grün zu wählen, oder aber mindestens die PDS. Begründet wird diese Wahlaussage maßgeblich mit der Situation der nicht akzeptierten Eingewanderten, deren Status mit einer Regierung Stoiber extrem gefährdet sei. Diese Argumentation suggeriert, dass eine rot-grüne Regierung zumindest auf diesem Gebiet eine wesentlich andere und vor allem humane Politik durchführen würde. Allerdings verkennt diese Position dabei, dass gerade Rot-Grün nicht nur weit mehr Flüchtlinge abschob als die Kohl-Regierungen, sondern sogar bewusst an Folterknechte und Henker auslieferte. Auch werden im Rahmen des Anti-Terror-Kriegs seit bald einem Jahr unter einem grünen Außenminister Gefangene an einen Staat ausgeliefert, der keinen normalen Gerichtsprozess zulassen will, dafür aber schon jetzt weiß, dass die Verhängung der Todesstrafe gegen diese Gefangenen absolut notwendig ist. Rot-Grün hält hier nicht einmal mehr die eigenen Gesetze ein.
Kurz möchten wir noch all denen abraten, und dies ist uns leider schon des Öfteren zu Ohren gekommen, die FDP zu wählen. Nicht mit der Politik der Liberalen wird sich auseinander gesetzt, sondern lediglich die Affäre Möllemann zum Vorwand genommen um, aus einem falsch verstandenen Solidaritätsgefühl mit dem berechtigten Befreiungskampf in Palästina, die FDP als Stimmadressat zu nennen. Wir brauchen hoffentlich nicht an die Mitverantwortung der Liberalen an 16 Jahren Kohl-Politik zu erinnern. Die Spaßpartei eines Guido Westerwelle sollte jedem Linken als unwählbar gelten, sonst müssten wir wirklich grübeln, was in einigen Köpfen nicht ganz glatt läuft.
Da jedoch sowohl die Grünen als auch die PDS ein linkes Image brauchen, um ihr gesetztes Wahlziel zu erreichen, haben wir die Chance, ihre Planspiele der Macht zu durchkreuzen, indem wir während des Wahlkampfes aufzeigen, wie weit sich beide Parteien von der Linken und den sozial Diskriminierten entfernt haben. Damit können wir ihnen kräftig in ihre machtgeile Suppe spucken. Hierfür schlagen wir vor, eine Kampagne zu machen, die darauf abzielt, bei den Wahlen ungültig zu wählen.
Wir glauben, dass die radikale Linke mit dem Wahlkampf zum einen die Chance hat, ihre Inhalte zu präsentieren und den Parteien gegenüberzustellen, zum anderen aber mit einer Ungültig-wählen-Kampagne die Chance bekommt aufzuzeigen, dass die Linke nicht ganz so isoliert ist, wie die Parteien es gerne wollen. Auch wenn anders als bei der Berlin-Wahl bei Bundestagswahlen die ungültigen Stimmen von vornherein nur statistisch erfasst, aber im Wahlergebnis ausgeschlossen sind (§6.6 u. §§37 bis 42 BWG), meinen wir, dass ein einfacher Wahlboykott, wie er von einigen Gruppen bereits angedacht ist, die Situation der radikalen Linken nach den Wahlen nicht wesentlich verbessern wird. Denn schon seit mehreren Wahlgängen ist die Beteiligung der Bevölkerung relativ gering, ein Absinken um eventuell weitere fünf Prozent würden die Parteien nur mit einer anhaltenden, von den verschiedenen Skandalen herrührenden Politikverdrossenheit erklären, womit sie weniger Schwierigkeiten hätten, als zugeben zu müssen, dass die radikale Linke über einige Prozent Sympathien verfügt. Um jedoch nicht nur destruktiv zu wirken und wieder einmal die altbekannte so genannte Anti-Haltung zu bestätigen, schlagen wir eine inhaltliche Offensive vor, bei der wir einen Forderungskatalog erarbeiten, der alle inhaltlichen Positionen umfassen sollte und der herrschenden Politik unseren Standpunkt als Alternative entgegenstellt. Dieser Katalog kann von Freilassungsforderungen der politischen Gefangenen über eine Amnestie für die drei gesuchten Genossen, über einen sofortigen Abschiebestopp und dem Stopp der Bespitzelungspraxis der Arbeits- und Sozialämter bzw. den Hartz-Plänen bis hin zu Forderungen nach einem europäischen Einheitslohn etc. pp., reichen. Es sollte dabei jedoch darauf hingewiesen werden, dass unter diesen Verhältnissen kein Wille innerhalb der Machtorgane existiert, die allermeisten dieser Forderungen auch nur in Erwägung zu ziehen, weshalb deren Umsetzung nur außerhalb des Systemrahmens möglich ist. Ihre Propagierung kann jedoch dazu beitragen, einen gesellschaftlichen Druck zu entwickeln.
Außerdem halten wir es für wichtig, den Charakter von Wahlen in diesem Land aufzuzeigen, die noch immer zur Legitimierung ihrer Macht dienen. Sie reden zwar gerne von demokratischen Zuständen, verschweigen aber permanent die Wirklichkeit des Wahlausschlusses für – in einigen Bezirken – bis zu 50 Prozent der Bevölkerung. Auch die scheinbaren Alternativen, die die Parteien darstellen sollten, sind, wenn die Parteien an der Macht sind, nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben sind. Noch jedes Mal waren und sind die Parteien dazu da, die Interessen der Wirtschaft und anderer einflussreicher Verbände der Bevölkerung als politisches Programm zu verkaufen, wobei grundlegende Veränderungen allenfalls gefordert, aber nie umgesetzt werden. Die Sicherung des Profits wiegt allemal stärker. Die Kampagne sollte auch aufzeigen, dass Wahlen nur ein Schleier sind, mit dem die wahren Machtverhältnisse verdeckt werden, ausgestattet mit der einzigen Funktion, das System der Ausbeutung und Unterdrückung gesellschaftlich abzusichern.
Uns ist völlig bewusst, dass wir mit diesem Vorschlag keine vorrevolutionäre Situation heraufbeschwören, aber jeder Versuch, dem politischen Wahnsinn in diesem Land eine Prise Systemkritik einzuhauchen, ist es uns wert. Letztendlich geht es darum, den zu Recht Politikverdrossenen einen Anstoß zum selbstständigen Handeln zu geben, eine Perspektive nahe zu bringen – jenseits der Spielregeln und der Stellvertreter der parlamentarischen Demokratie. Gerade im Hinblick auf die rechtsradikale Parteien Wählenden  ist eine Kampagne notwendig, die mehr bietet als das herkömmliche Fernbleiben von den Urnen. Bei allen Landtagswahlen, bei denen Reps/ DVU/etc. Erfolge verbuchen konnten, kam ein Großteil der Stimmen von denen, die sonst nicht wählen gehen. Eine Ungültig–Wahl bietet daher die Möglichkeit, einen alternativen Protest zu wählen.
Wir sollten daher aktiv Widerstand leisten, und schlagen anlässlich der Bundestagswahl vor, diese Wahlen zum Protest zu nutzen. Gegen das System und seine verschiedenen gefärbten Vertreter in den Parteien, die am Ende alle das Gleiche machen müssen, wenn sie gewählt werden. Ungültig wählen ist die einzige Chance, die das Wahlvolk hat. Wahlzettel durchstreichen, zerreißen oder mit netten Kommentaren versehen sind abgegebene Wahlzettel, welche als ungültig gezählt werden müssen (im Gegensatz zu nicht abgegebenen Stimmen)! Jede ungültige Stimme zeigt einen konsequenten Schritt des Protests. Der Erfolg dieser Ungultig–wählen–Kampagne kann später in der Wahlkreisanalyse nachgelesen werden. So kann jeder sehen, wie viel Leute im eigenen Wahlkreis diesen Protest genutzt haben.
Bereits zur Abgeordnetenhauswahl 2001 in Berlin hatte die Ungültig-wählen-Kampagne einen nachweisbaren Erfolg. In den von uns bearbeiteten Stimmbezirken in Nordneukölln und SO36 konnten wir durchschnittlich fünf Prozent der Stimmen als ungültig abgegeben in den Statistiken sehen. Sonst lag der Prozentsatz bei etwa 1,5 Prozent, da ist der Erfolg leicht zu vermelden. Außerdem ist uns aufgefallen, dass zu Beginn die Anzahl der ungültigen Stimmen bei 37000 lag, am Ende wurden jedoch nur noch 27000 gezählt. Es fehlten also nachweisbar mindestens 10000 ungültige Stimmen, die anscheinend als nicht abgegeben verbucht wurden. Die Manipulation des Wahlergebnisses von Berlin konnte daher recht einfach nachgewiesen werden, ein weiterer Punkt, den die radikale Linke nutzen kann, um die Legitimation dieses Systems infrage zu stellen.
















                                                                                                                                                                                                                                     

























































































          
































































































































































































































































 
                                                    
                                                                                                                                                                                          
Buschtrommeln im
Berliner Großstadtdschungel



                            
Von Emily Davis

Treffen sich zwei Haifische in der Spree. Sagt der eine: Du, ich hab neulich einen Antiimp gefressen. Er war so voller Inhalte, ich kam drei Tage lang nicht vom Grund hoch. Sagt der andere: Ich hab neulich einen Autonomen gefressen. Der war so hohl, ich kam drei Tage lang nicht mehr runter.

Am 22. Mai beehrte der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland mit einem zweitägigen Besuch. Schon Wochen und Monate vorher war ein Rauschen im linken Flugblätterwald zu vernehmen. Es war klar, dass etwas im Busch war. Auch auf den Gegendemonstrationen hielten diverse Gruppen und Aktivbürger mit ihren Meinungen nicht hinterm Busch, sei es als Rede, Transparent, Brezel oder eben erwähntes Schriftstück. So viel Inhalt wurde lange nicht gesehen in der Berliner Szene; manch ein Haifisch schwamm nach dem Verzehr so vieler Flugblätter tief am Boden der Spree, anstatt wie üblich von leichter Kost einen Blähbauch zu bekommen.
Auch in den Mainstream-Medien war keine Ruhe. Diverse Politpromis und so genannte Meinungsmacher fühlten sich genötigt, wegen linker Schriftstücke auf die Buschtrommel zu schlagen. Es werde offen zu Gewalt aufgerufen, Antiamerikanismus und Antisemitismus würden sich breit machen, und überhaupt: habe man doch auch als Linker dankbar zu sein, dass die USA uns vor dem bösen Russen gerettet hätten. Sogar die harmloseste Kritik wurde als antiamerikanisch und antisolidarisch eingestuft, bis sich kritisch eingestellte Amerikaner die Köpfe vor Verwunderung schütteln mussten.
Auch die Gruppe Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) machte der breiten deutschen Linken in einem Aufruf zur Gegen-Bush-Demonstration den Vorwurf des Antiamerikanismus. Wir nahmen uns die Zeit, einem Querschnitt der Aufrufe auf den Busch zu klopfen, nachdem sich die AktivistInnen schon längst in die Büsche geschlagen hatten.
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Die AAB war so nett und hat alle Überschriften amerikanerfreundlich auf Englisch geschrieben: Der Rest ist auf schnödem Deutsch verfasst. Sie stellt richtigerweise fest, dass die heutige Kriegsdynamik nicht mit der simplen Formel "Krieg für Öl" zu erklären ist, obwohl alle Kriege nach dem Ableben des Realsozialismus einem gleichen Muster folgen. Die Gruppe stellt eine logische Erklärung für zwei Aspekte der gegenwärtigen amerikanischen Haltung zum Rest der Welt dar: Erstens, es sei eine logische Folge der Gründungsgeschichte der USA, dass sie sich als Hüterin der Freiheit und Demokratie betrachteten. Allerdings sei diese "die Freiheit der Warenbesitzer, des Warenverkehrs und die Freiheit, seine Arbeitskraft verkaufen zu müssen". Und zweitens, dass ihre angenommene Position als "Weltpolizist" eine Folge des Konkurrenzkampfes im Kapitalismus sei – die USA hätten sich in jeglicher Hinsicht als erfolgreicheres Modell als die ehemaligen Kolonialmächte durchgesetzt, auch militärisch. Die einzige Perspektive für eine bessere Zukunft sei die Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse.
Vor diesem soliden theoretischen Hintergrund prescht die AAB in die Offensive, und zwar gegen die deutsche Linke. Als Erstes stellt sie fest, es wäre früher schon o.k. gewesen, gegen die USA zu sein, weil sie ja gegen die Sowjetunion waren, die zwar fehlerhaft, aber trotzdem die bessere Option gewesen sei. "Kann man die antiamerikanische Positionierung während der Blockkonfrontation noch verteidigen, verblasst die linke Verortung dieses Standpunktes gegen die USA spätestens mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion", argumentiert die AAB. Also wenn die bessere Option nicht mehr in konkreter (fehlerhafter) Form zur Verfügung steht, darf man nicht gegen die schlechtere Option sein? Oder, um ihre eigenen Termini zu übernehmen: kein Gut = kein Böse? An dieser Stelle wirft die Berliner Gruppe der deutschen Friedensbewegung fragwürdige Allianzen vor und konstatiert, deren "Amerikahass" habe mehr mit der nicht bewältigten Niederlage im Zweiten Weltkrieg zu tun als mit der Überwindung des Kapitalismus. Eine Entfernung vom Antisemitismus sei von diesem Standpunkt aus unmöglich. Der Beweis: fehlende Kritik an Joseph Fischer in der Allgemeinbevölkerung.
An späterer Stelle kehrt die AAB halbwegs zur Vernunft zurück: Sie stellt fest, dass eine Personifizierung eines Gut/Böse-Schemas an Staaten oder Personen nicht als Erklärungsformel dienlich sei und antisemitischen Denkmustern ähnele. Letztendlich existiere keine Möglichkeit, sich im revolutionären Sinne für irgendeine Seite zu positionieren.
Die AAB hatte sicherlich noch nie Angst davor, jemandem auf den Schlips zu treten. Doch diesmal waren die Anfeindungen dem "eigenen Lager" gegenüber (die AAB rief zusammen mit der Friedensbewegung zur Großdemo auf) überraschend deutlich formuliert, obwohl im bei weitem längsten Flugblatt unseres Querschnittes versteckt. Da bleibt nur ein Ausweg: Nachlesen bei den "Einfacherklärern" und "Antisemiten".
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Angefangen beim Großbündnis Achse des Friedens: Und tatsächlich wird man hier schnell fündig. In dem kurzen Aufruf im Namen der de Friedensbewegung wird die Rolle der deutschen Politik nur im Nebensatz erwähnt, und auch der Titel "Wir wollen Ihre Kriege nicht, Herr Präsident!" lässt Scheuklappen vermuten, wenn es um die BRD geht. Letztendlich macht der Herr Präsident "seine" Kriege nicht alleine und besuchte auch nicht umsonst Berlin. Immerhin wird gefordert, dass die Bundeswehr aus den Kriegsgebieten abgezogen wird. Trotz fehlender Kritik an Fischer und Kohorten ist es aber unmöglich, anhand dieses Schriftstücks einen "Amerikahass" aus Gram über den verlorenen Weltkrieg festzustellen. Im Gegenteil: Der Krieg als solcher wird als Terror beschrieben, und an keiner Stelle werden verallgemeinernd die USA oder deren Politik dargestellt. Aber es wird schnell klar, dass die Friedensbewegung keine revolutionäre Perspektive oder Ansprüche zu bieten hat: "Wir wollen Frieden – einen gerechten Frieden, der den Menschen in aller Welt gleiche Rechte und Chancen garantiert." So wird der Frieden zur allgemeinen Rettung der Menschheit, der nur einmal pusten muss, um alle Wunden der Erde zu heilen. Wer sich nicht mit den Hintergründen des Krieges auseinander setzt, sieht ihn vielleicht als das Böse an sich, ohne welches alles gut wäre. Doch ganz schön einfach.
Weiter zum nächsten Aufruf. Wie der Name schon sagt, hat die Gruppe Kein Krieg für Öl einige einfache Erklärungsmuster parat. In diesem gut recherchierten Flugblatt stehen viele Fakten und Informationen über Ölpipelines, Schiffsrouten, Erdölvorkommen und -vermutungen, usw. Das ist alles nicht falsch, überschätzt aber die Rolle des Rohstoffs und der "US-Ölkonzerne". Natürlich haben die USA den Wunsch, die Interessen ihrer Ölindustrie im Ausland zu schützen und durchzudrücken, genau wie andere kapitalistische Länder (die hier übrigens durchgängig mit in die Verantwortung gezogen werden). Jedoch spielen andere Faktoren genauso eine Rolle: die Sicherung zuträglicher Handelspartner, Ausbau der Einflusssphären nach dem Ende des Kalten Krieges, und letztendlich auch innenpolitische Interessen. Wenn die Gruppe schreibt: "Von der Pipeline hängt das Fortbestehen der amerikanischen Vorherrschaft in der Weltwirtschaft ab", dann hat sie die Kreativität und Anpassungsfähigkeit des kapitalistischen Wirtschaftssystems unterschätzt. Hier aber wieder enttäuschend: keine Spur von Antiamerikanismus!
Das nächste Flugblatt war von Attac. In einer Riesenauflage, die ganz Berlin überflutete und der Stadtreinigung bestimmt Kopfschmerzen bereitete, liest sich die "Bushtrommel" wie sozialdemokratische Wahlkampfliteratur von vor 20 Jahren. Als hätte Attac Sponsorengelder von Bill Clinton bekommen, wird jeglicher Aspekt amerikanischer Politik auf George Bush zurückgeführt. Sogar europäische Regierungen werden scheinbar fehlgeleitet durch den "großen Bruder": "Die Senkung von Einkommen-, Erbschaft- und Körperschaftsteuer unter der Bush-Administration findet ihre Fortsetzung in der rot-grünen Steuerpolitik." Aber Moment mal – war nicht Rot-Grün schon dran, bevor Bush überhaupt gewählt wurde? Attac ist schon in der Lage, die Rolle der Wirtschaft als treibende Kraft zu erkennen, schätzt sie aber scheinbar ohne historisches Verständnis ein. So wird von "transnationalen Konzernen und Finanzanlegern" geschrieben, "durch deren zunehmenden politischen Einfluss die Grundfesten unserer Demokratien in Gefahr geraten". Spielten wirtschaftliche Interessen nicht schon immer in der internationalen Politik eine Rolle, von der Kolonialisierung Asiens und Amerikas über den Kalten Krieg bis heute? Das Flugblatt hat aber eine Antwort auf diese dunkle Bedrohung: Regulierung der Märkte und Wiederaufbau der europäischen Sozialsysteme. Klassische Sozialdemokratie eben. Von Sozialdemokraten kann man keinen Antiamerikanismus erwarten, und man findet ihn auch nicht. Attac's Protest ist ausdrücklich "nicht gegen Amerika an sich, wohl aber gegen die derzeitige amerikanische Politik" gerichtet. Puh.
Also mal zu was ganz anderem gegriffen: der Aufruf der Kommunistischen und Autonomen Gruppen. Hier kriegen die deutschen Politiker auch durchaus ihr Fett weg. Schröder und Scharping werden strengstens kritisiert, aber am schlechtesten ist Joseph Fischer dran, auf den "die Bush-Administration noch in vollem Maße" baue. Man kann tatsächlich Tendenzen in Richtung Personifizierung von Gut und Böse in diesem Flugblatt erkennen, allerdings nicht wie die AAB es sich vorstellt. Fischer wird zur Marionette in den Händen der CIA stilisiert: "Mit Fischers Akte in der CIA-Zentrale, die man immer noch in der Hinterhand hat, lässt sich nach wie vor einiges aus US-Sicht in die richtige Richtung führen." Trotz der Vereinfachung auf die Person Fischers vermittelt dieses Flugblatt ein gefestigtes Wissen um die Hintergründe des Krieges und die historischen Zusammenhänge. Vermutlich war es die Beschreibung des militanten Widerstandes bei vergangenen Präsidentenbesuchen, die die Presse so aufgeregt hat. Man kann aber auch hier beim besten Willen keinen rabiaten Antiamerikanismus erkennen.
Das letzte Flugblatt des Querschnittes ist ein kleines Schmuckstück. Smash the system stellen fest: "Frieden zu fordern in kapitalistischen Verhältnissen ist illusorisch: Erstens, weil unterdrückende Länder und Klassen immer auch militärische Auseinandersetzungen brauchen, um ihre Einflusssphären zu sichern, und zweitens, weil mensch nicht von Frieden sprechen kann, wenn große Teile der Weltbevölkerung den herrschenden kapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen ausgesetzt sind und viele diese nicht überleben." Damit wäre alles gesagt. Super Einschätzungen, super Rundumschlag, schön kurz und verständlich gefasst für satte Haifische.
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Nach mühevoller Analyse steht also fest: Es wird viel Müll geschrieben, aber zwischendrin sind Lichtschimmer. Die Vorwürfe des Antiamerikanismus oder gar des Antisemitismus im Vorfeld des Bush-Besuches werden zumindest anhand dieser Flugblätter nicht bestätigt. Allerdings haben viele Leute einfache Erklärungen und einfache Lösungen vorzuschlagen, besonders was die Macht der "US-Multis" angeht. Das hinterlässt auf jeden Fall einen bitteren Nachgeschmack.