Thesen zur Diskussion
im
Anti-Hartz-Bündnis
Vom Gegeninformationsbüro
Mit der Umsetzung der Konzeption der Hartz-Kommission beginnt der einschneidenste
arbeitsmarkt- und sozialpolitische Angriff von Oben in der bundesrepublikanischen
Nachkriegsgeschich-
te.
Der innenpolitische Systemwechsel beinhaltet, daß die klassische
Sozialdemokratie und mit ihr das System des bürgerlichen Sozialstaats
die Bühne des Zeitgeschehens verlassen.
In seiner Regierungsrede am 29.10.02 erklärt Bundeskanzler Schröder:
der Wohlfahrtsstaat steht zur Disposition. Wörtlich sagte er: "Zur
Reform und Erneuerung gehört auch, manche Ansprüche, Regelungen
und Zuwendungen des deutschen Wohlfahrtsstaates zur Disposition zu stellen.
Manches, was auf die Anfänge des Sozialstaates in der Bismarck-Zeit
zurückgeht und vielleicht noch vor 30, 40 oder 50 Jahren selbstverständlich
und berechtigt gewesen sein mag, hat heute seine Dringlichkeit und damit
seine Berechtigung verloren."
Dieser Angriff beinhaltet:
1. Die Zerschlagung des bisherigen - in über hundert Jahren
erkämpften - sozialen Sicherungssystem. Die ersten Schritte waren der
Beginn der stufenweisen Privatisierung der Kranken- und der Rentenvorsorge.
Nun beginnt die schrittweise Abschaffung der sozialen Grundsicherung.
Mittel dazu sind:
- Sozialgeld nur noch für Arbeitsunfähige
Alle Arbeitsfähigen, die bisher Sozialhilfe bezogen haben, werden
in Höhe der bisherigen Sozialhilfe in das neue Arbeitslosengeld II
eingestuft.
- Senkung des Arbeitslosenhilfeniveaus
Die neuen Kriterien der Mitwirkungspflicht werden so hoch geschraubt, dass
dadurch die stufenweise Absenkung nicht vermittelbarer Arbeitsloser auf
Sozialgeldniveau erreicht werden kann. Wer aufgrund von Verletzung der Mitwirkungspflicht
ganz aus dem ALGII rausfliegt, hat keinen Anspruch auf Sozialgeld.
- Neuregelung der Anrechnungskriterien bei Arbeitslosen- und
Sozialhilfe
Die Neuregelungen der Anrechnungen des Einkommens und Vermögens von
Lebenspartnern sowie der Absenkung der Freibeträge sollen nach einer
Berechnung der Arbeitnehmerkammer Bremen - je nachdem welches Modell durchkommt
- allein dadurch 27,1 bis 39,7%, also 460.000 bis 630.000 Arbeitslose aus
dem Bezug von Arbeitslosenhilfe rausfallen.
- Anreize zum freiwilligen Verlassen der Sozialkassen mittels
"Ich-AG"
Das, was bisher als Scheinselbständigkeit deklariert und gesetzlich
verboten war, soll nun staatlich gefördert werden. Das bedeutet nicht
nur, dass die neuen "Selbständigen" nach einer Übergangszeit von
drei Jahren keine Ansprüche mehr aus der Arbeitslosenversicherung geltend
machen können, es heißt auch, dass sie sich privat kranken- und
rentenversichern müssen - was zur Folge hat, dass die öffentlichen
Versicherer weitere Einnahmeausfälle haben werden und ihre Leistungen
noch mehr einschränken müssen.
- Senkung des Rentenniveaus durch Abdrängen Älterer
in Billig-Jobs oder in mit Taschengeld entlohnte "gemeinnützige Arbeiten"
Laut Daniel Kreutz, Referenz für Sozialpolitik in NRW werden angehende
Rentner durch das sogenannte Bridge-System 18-%-ige Rentenabschläge
hinnehmen müssen. Die vorübergehende Bezuschussung über 50-jähriger
als Anreiz zur Annahme von Billig-Jobs und das Abschieben in "gemeinnützige
soziale Tätigkeiten" endet für die Betroffenen mit einer noch
viel weitergehenderen Senkung der Rentenhöhe.
2. Aushebelung des Koalitions- und Tarifrechts und partielles
Unterlaufen des Betriebsverfassungsgesetzes in kleineren und mittleren Betrieben.
Mittel dazu sind:
- Der Zwang unter Tarif zu arbeiten
Die neuen Zumutbarkeitskriterien fordern von vornherein die Annahme von
Stellenangeboten, die unter Tarif bezahlt werden. Das wird zwangsläufig
dazu führen, dass zukünftig kein Unternehmer mehr tarifliche Entlohnung
überhaupt nur anbieten wird. Bereits seit ein paar Jahren hören
viele Arbeitsuchende den Spruch: "Wer zahlt denn heute noch Tarif?" Das soll
von nun an mit staatlichem Zwang flächendeckend durchgesetzt werden.
- Die Aufhebung des Kündigungsschutzes
Bereits in den letzten Jahren haben die Lockerungen der gesetzlichen Beschrän-kungen
für Zeitarbeitsverträge dazu geführt, dass viele nur noch
befristete Arbeitsverträge bekommen. Ein weiterer Punkt ist, dass mittlerweile
Probezeiten bis zu einem Jahr zugelassen sind. Die weitere Aufhebung von
Beschränkungen wird dazu führen, dass sich kein Unternehmen mehr
mit Kündigungsschutzbestimmungen mehr auseinandersetzen muß.
- Der Zwang zu Leiharbeit
Der Austausch von weiten Teilen der Belegschaften in den Betrieben mit
bis zu 50 % Ich-AG-ArbeiterInnen sowie Leiharbeitern wird dazu führen,
dass viele mittlere und kleinere Betriebe die Stammbelegschaften so zusammenschrumpfen
können, dass sie keine Betriebsräte mehr zulassen müssen.
Außerdem gelten für Leiharbeiter - übrigens entgegen den
vielzitierten Regelungen in Frankreich und den Niederlanden - nicht die Tarifbestimmungen
des Entleihbetriebes. Für die Scheinselbständigen der sogenannten
Ich-AG's gelten eh' keinerlei Auflagen.
3. Forcierung der seit 10 Jahren andauernden Umverteilung von
Unten nach Oben.
Mittel dazu sind:
- Einstieg in den Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung der
Sozialversicherungskosten
Unternehmen, die eine positive Beschäftigungsbilanz aufweisen, d.h.
keine Leute entlassen, bekommen von den Sozialversicherungskassen einen
"Bonus" auf die Arbeitslosenversicherung. Des weiteren sind Abschläge
auf die Sozialabgaben älterer Arbeitnehmer geplant.
- Umverteilung der Einsparungen der Sozialkassen in die weitere
Bezuschussung der Unternehmen u. a. durch den Job-Floater
Die Einsparungen über die Senkung der Sozialleistungen sollen über
Maßnahmen wie den Job-Floater als indirekte Subventionshilfe an die
Unternehmen weitergegeben werden.
4. Aufhebung der Persönlichkeitsrechte
Totale Erfassung durch sogenanntes Profiling und zentrale Datenbank
Durch Erstellung von Persönlichkeitsprofilen, die nicht mehr nur arbeitsmark-trelevante
Daten sondern auch "private" Verhältnisse erfassen sollen und über
zentrale Datenbanken den Unternehmen direkt zur Verfügung gestellt
werden sollen, wird der Datenschutz faktisch abgeschafft.
- Soziale Entwurzelung durch Mobilitätsanforderungen
Durch den Zwang, sich bundesweit vermitteln zu lassen - übrigens auch
bei befristeten Arbeitsangeboten ab 6 Monaten - werden soziale Bindungen
zerstört.
- Abdrängen von Frauen in Billig-Jobs oder an "Heim und
Herd"
Die Neuregelungen der Anrechnung des Einkommens und Vermögens von
Lebenspartnern werden verstärkt Frauen vom "Familienlohn" des Mannes
abhängig machen.
5. Recht auf Bildung nur noch für Reiche
- Last but not least wird der Ausstieg aus dem dualen Bildungssystem durch
das "Ausbildungszeit-Wertpapier" angegangen. Neben zahlreichen anderen Maßnahmen
wie dem Anheben der Studiengebühren wird dies verschärft zu einer
Zwei-Klassen-Bildung beitragen.
- Die Einführung der Mini-Ausbildung (sog. Arbeitsmarktfähige
Ausbildungsberufe) und des damit verbundenen Modulsystems (die sog. Qualifizierungsbausteine)
in der Berufsausbildung wird ebenso wie das AZWP all jenen die nicht genug
Geld in den Taschen haben der Zugang zu Bildung versperrt. Aus(Bildung)
wird verstärkt zur kaufbaren und damit auch zur verkaufbaren Ware!
Ende Oktober gab Bundeskanzler Schröder die Einsetzung eines Steuerungskreises
bekannt.
Am 13. November diesen Jahres wird einen bundesweite Unterstützerkampagne
- von Wolfsburg aus - gestartet. Diese Werbekampagne für die Vorschläge
der Hartz-Kommission hat das Ziel, eine positive Zustimmung und Bewusstseinsänderung
in der Bevölkerung zu erreichen. Trotz aller zu erwartenden Nebelkerzen
werden weitere Etappen drastischer Einschnitte bis zur endgültigen
1:1-Umsetzung folgen.
Sie sind Vorboten einer darüber hinaus gehenden Veränderung.
Denn die Vorschläge der Hartz-Kommission laufen - im Sinne einer Weichenstellung
- auf eine Veränderung hinaus, die in letzter Konsequenz die totale
Privatisierung der Vermittlung ebenso wie die private Arbeitslosenversicherung
im Visier haben. Nach der Privatisierung der staatlichen Betriebe, dem Einstieg
in die Privatisierung der Gesundheits- und Rentenversorgung folgt nun die
Privatisierung des Arbeitsamtes und der dazugehörigen marktinteressanten
Bereiche wie Vermittlung, Versicherung und Verwaltung.
Die aktuellen innenpolitischen Entwicklungen: Arbeitsmarktreform, Gesundheitsreform,
Rentenreform - ebenso wie die Normalisierung des Kriegszustands als Friedensmission
des modernen Kolonialismus - forcieren einen innenpolitischen Systemwechsel,
der der Logik der außenpolitischen Veränderungen entspricht.
Dieser Wandel des Staates von der vermittelnden Instanz zwischen "Arbeitgeber
und ArbeitnehmerInnen" hin zum Modernisierer des Wirtschaftstandorts Deutschland
führt in letzter Konsequenz zum Ende jeder Sozialpartnerschaft. Und
das alles geschieht unter Zustimmung der Gewerkschaftsspitze: Das heißt:
Der Vorstand der Gewerkschaft zerschlägt die Gewerkschaft!
Der forcierte Systemwechsel wird verschärfte kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse,
zunehmende Konkurrenz und soziale Ungleichheit, sowie eine gesellschaftliche
Formierung - in der jede/r an seinen Platz verwiesen wird - hervorbringen
und grundlegende gesellschaftliche Veränderungen nach sich ziehen.
Dies geschieht unter Einbindung der bereits vorhandenen rassistischen, sexistischen
und ausbeuterischen Strukturen. Die Dimension des einschneidendsten arbeitsmarkt-
und sozialpolitischen Angriffs von Oben muss Teil der einschätzenden
Debatte sein, auf deren Grundlage wir unsere Ansätze und Perspektiven
für einen Widerstand von unten ableiten.