Es wird in der radikalen Linken gerne als gegeben angenommen, dass die
Entwicklung hin zu einem Krieg wirtschaftliche Ursachen hat. Die Slogans
der verschiedenen Antikriegsmobilisierungen sind dabei ein Ausdruck dieses
Standpunkts. Meist jedoch werden die wirtschaftlichen Ursachen eines Krieges
nur sehr oberflächlich betrachtet, etwa als Mittel zur Ausschaltung
eines Konkurrenten oder zur Aneignung verschiedener Rohstoffquellen. Das Motto
„Kein Krieg für Öl“ im zweiten Golfkrieg steht exemplarisch für
diese Sicht. Eine andere, die erste These zuspitzende Sicht ist die Dominanz-These,
der zufolge ein Zentrum versucht, auch mit dem Mittel des Kriegs der Peripherie
seine Hegemonie aufzuzwingen. Diese aus den antiimperialistischen Positionen
der sechziger und siebziger Jahre entstandene Sicht entfaltet sich ebenso
wie die erste These nur an der Oberfläche und dient allenfalls, den
US-amerikanischen Überfall auf Grenada zu erklären oder, in einer
Kombination aus beiden, die Bombardierung Jugoslawiens. Beide Thesen besitzen
sicherlich ihre Richtigkeit, warum eine Gesellschaft aber zu einem gewissen
Zeitpunkt Krieg führt, können beide Sichtweisen nur unzureichend
beantworten.
Neben den geopolitischen und strategischen Bedingungen, wie sie in der
Rohstoffsicherung, der Ausschaltung eines Konkurrenten oder eben in den Hegemonialbestrebungen
zum Ausdruck kommen, gibt es immer sowohl soziale Beweggründe innerhalb
der Krieg führenden Gesellschaft als auch rein wirtschaftliche Ursachen,
die einen Krieg notwendig machen. Diese schon von Marx benannten Folgerungen
scheinen heute in der radikalen Linken kaum noch beachtet zu werden, die
an sich richtige antiimperialistische Kritik begrenzt die Sicht auf die Oberfläche,
obwohl eine tiefer gehende Betrachtung kein Widerspruch, sondern eine Ergänzung
zur Imperialismuskritik darstellen könnte.
Wenn wir heute die Zeit vor dem 11. September Revue passieren lassen,
sind zwei Aspekte von einer wesentlichen Bedeutung, von denen einer heute
immer noch im Bewusstsein vorhanden ist, der andere jedoch fast verdrängt
wurde. Die meisten erinnern sich heute kaum noch daran, dass der kubanische
Staatschef Fidel Castro schon Ende der achtziger Jahre den Zusammenbruch des
kapitalistischen Wirtschaftssystems für die nächste Dekade vorausgesagt
hatte und diese Mutmaßung auch zum Jahrtausendwechsel wiederholte.
In der Presse der damaligen Zeit werden diese Annahmen meist belächelnd
kommentiert, der alte Unverbesserliche von der Insel müsse halt weiterhin
kritisieren, um nach 1989 nicht seine Orientierung zu verlieren. Doch jenseits
dieser Geringschätzung stellt sich die Frage, was war geschehen? Die
meisten erinnern sich sicherlich noch an den zweiten Aspekt, den Zusammenbruch
der Aktienkurse vor allem im High-Tech-Sektor, dem eine extrem überhöhte
Euphorie vorausgegangen war.
Dieser Aktiencrash macht deutlich, dass es der Wirtschaft zumindest nicht
so gut ging, wie bis zum Jahr 2001 überall zu lesen und zu hören
war. Obwohl sämtliche Kommentatoren, sowohl der Presse als auch der
Wirtschaft und der Politik, die New Economy als neue Ideologie präsentierten,
als ein Abbild völlig freier Individuen, die nur sich selbst verantwortlich
seien, vervierfachte sich die Goldnachfrage von Mitte 1999 bis Ende 2000.
Gold jedoch ist die ultimative Währung, das Metall, das die höchsten
Kurse in Krisenzeiten erzielt. Eine steigende Nachfrage nach Gold ist deshalb
für alle Wirtschaftsinstitute ein untrüglichen Zeichen für
eine bevorstehende Krise. Wenn auch bis weit ins Jahr 2001 meist allen voran
die Währungshüter agierten, kann nicht darüber hinweggetäuscht
werden, dass eine Wirtschaftskrise mindestens seit 2000 vorhanden war. Seitdem
fallen die Kurse an den Börsen, seitdem haben viele ihr in Aktien umgesetztes
Sparguthaben verloren. Die Währungshüter traten dabei meist mit
Zinssenkungen auf, die zum einen die Kredite weiter verbilligten und damit
vermehrten, zum anderen aber die Inflation anschoben. Einige wenige Unternehmen
wurden zudem mit Aktienkäufen soweit unterstützt, dass der Zusammenbruch
der Börsen mit einem Blick auf den allgemeinen Index verschleiert wurde,
die Gewinne weniger Unternehmen glichen die Verluste der Mehrheit aus und
stabilisierten die Indizes auf hohem Niveau.
Die Gründe für diese Krise liegen im Finanzsystem der kapitalistischen
Weltwirtschaft, die im September 1971 mit dem so genannten Smithsonian-Abkommen
erreichte, dass alle Staaten beziehungsweise deren Regierungen keine Rücksicht
mehr nehmen mussten auf Geldreserven. Im Gegenteil konnten sie die Ausgaben
beliebig hochfahren, war kein Geld mehr vorhanden, wurden Schulden aufgenommen,
war auch diese Strategie an ihr Ende gelangt, wurden die Schulden einfach
inflationiert in der Form, dass das Geld einfach nachgedruckt wurde, das
heißt, der Inflation der eigenen Währung wurde zu Gunsten erhöhter
Ausgaben Tür und Tor geöffnet. Seitdem haben die Regierungen aller
Staaten von dieser Verschuldungsstrategie Gebrauch gemacht.
Der politische Hintergrund dieser Entscheidung ist in der Blockkonzentration
zu finden, Ende der sechziger und zu Beginn der siebziger Jahre stand die
Sowjetunion mit ihren abhängigen Staaten vergleichsweise gut da. Die
westlichen Industrienationen sahen sich nicht nur mit einem wachsenden Unmut
in den unterdrückten, rohstoffliefernden Ländern konfrontiert,
die überwiegend nach einer gerechteren Wohlstandsverteilung verlangten
und beispielsweise das Recht forderten, die Preise für ihre Rohstoffe
selbst bestimmen zu können. In vielen dieser Länder waren Befreiungsbewegungen
entstanden, die die Macht der imperialistischen Staaten bedrohten. Aber selbst
in den Metropolen wurden Forderungen immer lauter, am gesellschaftlichen
Reichtum teilzuhaben. In vielen westlichen Industriestaaten kam es zu Massenprotesten,
die oft nur mit großer Brutalität unterdrückt werden konnten.
Nicht nur die tägliche Berichterstattung aus Vietnam, Militärputsche
im Kongo, in Indonesien, verbunden mit dem Abschlachten Hunderttausender,
oder aber in Griechenland, der fast schon alltägliche Einsatz der US-amerikanischen
Nationalgarde zur Niederschlagung von Ghettoaufständen ließen
viele erkennen, dass die westlichen Reden über Demokratie nichts weiter
als bloße Rhetorik waren: Der Westen hatte ein handfestes Imageproblem,
das heißt ein Problem der Legitimierung. Um die Legitimierung wenigstens
etwas wieder anzuheben, wurde beschlossen, die Bevölkerung ein wenig
am Reichtum zu beteiligen. In der Tat sind Anfang der siebziger Jahre immense
Lohnsteigerungen in allen westlichen Industriestaaten zu verzeichnen ebenso
wie eine Ausweitung der Investitionen in die Infrastruktur, in fast allen
größeren Städten boomte die Bauindustrie, Schwimmbäder
und U-Bahnen entstanden.
Aber kommen wir zurück zum Smithsonian-Abkommen. Da eine Verschuldung
den Nachteil besitzt, Gelder für die Kredittilgung zu binden, die ansonsten
in Investitionen angelegt werden könnten, ist eine natürliche Grenze
die Überschuldung, das heißt der Zustand, wenn ein Staat seine
Schulden nicht mehr bedienen, also nicht mal mehr die Zinszahlungen leisten
kann. Dieser Zustand wird zurzeit bei immer mehr Staaten erreicht. Anstatt
in diesem Fall eine wirkliche Sanierung durchzuführen, wird jedoch
zu einer weiteren Verschuldung gegriffen, was zur Folge hat, dass das Land
nie mehr aus der Schuldenmisere herausfindet. Anstatt das Feuer abzustellen,
wird in einem Land, in dem die wirtschaftliche Lage überzukochen droht,
einfach der Deckel weiterer Kredite draufgesetzt. Diese Strategie geht so
lange auf, wie die Kredite weiterhin bedient werden, und so ist es nicht
verwunderlich, dass heute jede staatliche Institution unmissverständlich
erklärt, keinen großen Kredit platzen zu lassen. Trotzdem aber
sind weltweit zahlreiche Finanzsysteme zusammengebrochen, so in Asien seit
den neunziger Jahren, aber auch in Lateinamerika und in Osteuropa wie zum
Beispiel in Albanien. Zur Bedrohung wuchsen sich diese Krisen jedoch nicht
aus, da das Zentrum noch nicht betroffen war. Wie prekär jedoch die Wirtschaftslage
im Zentrum ist, wollen wir im Folgenden aufzeigen.
Unbestritten nehmen die USA den ersten Platz in der Weltwirtschaft ein.
Doch trotz dieser zentralen Position finden sich auch hier dieselben bedrohlichen
Merkmale, die die anderen Volkswirtschaften kennzeichnen. So wird in den
USA spätestens seit 1997 von einer Finanzkrise gesprochen. So wuchs allein
in den zwölf Monaten von September 1997 bis September 1998 die Verschuldung
der Unternehmen und der Privathaushalte in den USA um 72 Prozent. Viele Unternehmen
haben ihre Produktion erheblich abgebaut. Als Beispiel soll hier einer der
größten US-Konzerne, General Electrics, dienen. War noch 1980
die Geschäftstätigkeit dieses Konzerns zu 85 Prozent auf die Produktion
bezogen und nur zu 15 Prozent auf Finanzen und Dienstleistungen, so drehte
sich das Verhältnis mit 25 zu 75 Prozent bis zum Jahr 2000 fast um.
Dieselbe Entwicklung zeigt sich auch im Arbeitsplatzabbau, von Mitte 1997
bis Mitte 1999 wurden über 400 000 Arbeitsplätze in der Produktion
abgebaut. Wie stark die Krise die US-Wirtschaft getroffen hat, zeigt auch
das Beispiel von S&P, dessen Unternehmensgewinne allein in den beiden
Quartalen I und II/2000 um 20 Prozent zurückgegangen sind. Gleichzeitig
schrumpften die als Indikator für Investitionen fungierenden Unternehmenskredite
in den ersten beiden Monaten 1999 um 48 Mrd. Dollar – ein Rückgang,
wie er seit 20 Jahren nicht mehr verzeichnet wurde. Die einzigen Sektoren,
die die labile US-Wirtschaft noch stützen können, sind der Aktienmarkt
und der Konsum. Brechen beide Stützen weg, reißen sie nicht nur
die US-Wirtschaft und ihr Finanzsystem, sondern das gesamte Weltfinanzsystem
mit sich in den Abgrund. Spätestens seit Ende der neunziger Jahre wird
daher alles Erdenkliche getan, um einen Zusammenbruch der Börsen und
einen Einbruch des Konsums zu verhindern.
Ein wesentlicher Faktor zur Ankurbelung der Aktiennachfrage war die Ausweitung
der Aktienkäufe auf einen Großteil der Konsumenten. In der Tat
erleben wir seit den neunziger Jahren eine Entwicklung weg von den Sparguthaben
und hin zu den Aktienpaketen. Diese Ausweitung der Käuferschaft bewirkte
vor allem den rasanten Anstieg der Börsenindizes seit Mitte der neunziger
Jahre. Der Käuferboom wurde jedoch vielfach mit Krediten bewerkstelligt,
in der Zeit von 1991 bis 1998 stiegen die Konsumentenkredite in den USA um
59 Prozent auf 430 Mrd. Dollar. Da die Konsumentenausgaben um 115 Mrd. Dollar
oder 36 Prozent niedriger liegen, kann davon ausgegangen werden, dass dieser
Überschuss in Aktien angelegt wurde. Wie wenig aber dieser Besitz real
gedeckt ist, zeigen die weiteren Zahlen: Schon 1995 ergab eine Umfrage,
dass 40 Prozent aller US-Haushalte über weniger als 1000 Dollar liquide
Mittel verfügten. 1998 wurden zudem 54 Prozent aller Hauskäufe
mit weniger als zehn Prozent Eigenkapital getätigt. Kommt es an den
Börsen zu einem erheblichen Einbruch, sind 50 Prozent aller Haushalte
direkt betroffen, die Kaufkraft sinkt rapide und fällt als Stabilisierungsfaktor
weg. Eine Rezession wäre die Folge. Beim großen Aktiencrash 1929
waren übrigens nur drei Prozent aller US-Haushalte betroffen. Oder anders
ausgedrückt: Die durchschnittliche Verschuldung dieser Haushalte beträgt
heute 48 Prozent des verfügbaren Einkommens, insgesamt 1,5 Billionen
Dollar an Konsumentenschulden und 1,7 Billionen an Immobilienschulden. Die
am stärksten wachsende Schuldenkategorie der Privathaushalte sind dabei
die Aktienkredite, die sich im Laufe des Jahres 1999 auf 228 Mrd. Dollar,
im Januar 2000 schon auf 244 Mrd. Dollar erhöhten.
Die Kerndaten der US-amerikanischen Wirtschaft sahen im Jahr 2000 wie
folgt aus: Die Gesamtverschuldung der privaten Haushalte stieg bis Ende
1999 auf 6 Bio. Dollar, die der Unternehmen auf knapp 13 Bio., die öffentlichen
Haushalte sind mit ebenfalls 6 Bio. dabei. Diese 25 Bio. Dollar (
2001: 32 Bio.)
machen 300 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der USA aus, zu denen jedoch
noch einmal 60 Bio. Dollar hinzugerechnet werden müssen, die US-amerikanische
Banken an kurzfristigen Verbindlichkeiten aus sog. Finanzderivaten anhäuften.
Gegenwärtig wächst die Verschuldung in den USA drei Mal schneller
als das Sozialprodukt. Nicht nur die Privathaushalte geben mehr aus, als
sie einnehmen, auch die US-Wirtschaft verbraucht mehr Güter, als sie
selbst produziert. So lag das Handelsdefizit zu Beginn der neunziger Jahre
bei 50 Mrd. Dollar, Mitte des Jahrzehnts lag es schon bei 100 Mrd., 1998
wuchs es auf 169 Mrd. und schnellte 1999 auf 271 Mrd. Dollar hoch (2000: 449
Mrd.).
Die Clinton-Regierung wird oft als die Administration bezeichnet, die
das Haushaltsdefizit der USA nicht nur stoppen, sondern in sein Gegenteil
verkehren konnte. So lag das offizielle Ergebnis 1999 bei einem Haushaltsüberschuss
von 124 Mrd. Dollar. In einer Rede vor dem Kongress zu seinem letzten Haushaltsplan
2001 sagte Clinton zudem den Abbau der Staatsverschuldung bis spätestens
zum Jahr 2015 voraus. Allerdings verschwieg Clinton, dass 99 Prozent oder
123 Mrd. Dollar seines Überschusses aus dem erstmals aufgelegten staatlichen
Rentenfonds, dem Social Security Trust Fonds, stammen. Diese Gelder sind
jedoch gebunden und müssen in ca. 30 Jahren als Renten zurückgezahlt
werden. Mittlerweile gibt selbst das Weiße Haus zu, dass es sich bei
den bis 2015 prognostizierten Einnahmen zu 60 Prozent um diese Rentenbeiträge
handelt. Diese jedoch sind Beiträge der geburtenstarken Jahrgänge
von 1945 bis 1967, die jetzt ihre höchsten Einkommen erzielen. Nach
2015 werden diese Einnahmen also automatisch abnehmen.
Doch die Berechnung der Haushaltslage ist nicht nur wegen der Berücksichtigung
der Rentenbeiträge absurd. Die restlichen 40 Prozent kommen zumeist
aus einer einfachen statistischen Extrapolation der momentanen Steuerlage
zustande, was bedeutet, dass die Regierung das derzeitige überaus hohe
Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 5,8 Prozent zum Maßstab ihrer
Berechnung für die nächsten 15 Jahre nimmt. Wie absurd diese Berechnung
ist, zeigt das Beispiel eines Paares, das in den ersten beiden Jahren zwei
Kinder bekommt und nun hochrechnet, dass es in den nächsten 30 Jahren
30 weitere Kinder haben wird, und also schon mal das Kindergeld beantragt.
Außerdem wurde bei der Veranschlagung der Wachstumsrate übersehen,
dass die 1999 erreichten 5,8 Prozent einzig deshalb zustande kamen, weil die
Notenbank permanent die Leitzinsen senkte und ständig Geld druckte und
auf die Märkte warf, weil sonst das weltweite Finanzsystem zusammengebrochen
wäre. Die 5,8 Prozent sind also überwiegend der Inflation geschuldet.
In der zweitstärksten Wirtschaft Japan ist die Situation nicht wesentlich
anders, vielmehr ist spätestens seit der Asienkrise bekannt, dass es
um die japanische Wirtschaft extrem schlecht bestellt ist. Die gesamten japanischen
Schulden belaufen sich auf 450 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das staatliche
Rentensystem weist ein Defizit von 2,9 Bio. Euro, das der betrieblichen
Renten von 610 Mrd. Euro aus. Die Firmenzusammenbrüche sind in Japan
im ersten Halbjahr 2000 um 19,6 Prozent angestiegen, die dabei hinterlassenen
Konkursschulden haben mit einem Zuwachs von 50 Prozent den höchsten
Stand seit dem Zweiten Weltkrieg erreicht. Diese faulen Kredite belasten
zunehmend das japanische Finanzsystem, mehrere Banken wie beispielsweise
die Hokkaido Takushoku Bank mussten aufgrund der astronomischen Summe an
faulen Krediten bereits selbst Konkurs anmelden. Der Kreislauf von Konkursen
und faulen Krediten, die das Wirtschaftssystem weiter belasten, ist 1997
zuerst in Japan sichtbar geworden, da die Regierung sich nicht mehr in der
Lage sah, eine Garantie zur Bedienung der Schulden abzugeben. Obwohl der
Staat mittlerweile einige Finanzspritzen zur Abdeckung der Schulden auflegte,
kann von einer Beruhigung nicht gesprochen werden. Vielmehr lassen eine weiterhin
nachlassende Binnennachfrage, die erlahmte Konjunktur, vor allem aber der
Wertverfall von Aktien und Immobilien die Schuldenberge der Kreditinstitute
weiter anwachsen.
Diese faulen Schulden sorgten schließlich dafür, dass trotz
aller Interventionen der Notenbanken ab Mitte 2000 die Börsen weltweit
ins Minus drehten. Sinkende Aktien aber drücken sofort auf die schon
labilen Bilanzen der Unternehmen. Kein Wunder also, dass in einigen Ländern
Obergrenzen für Tagesverluste an den Börsen erlassen wurden wie
zum Beispiel in Taiwan, wo diese Grenze bei 3,5 Prozent erreicht ist. Danach
wird der Handel einfach ausgesetzt und die Börse schließt. Obwohl
diese Regelungen sogar dem postulierten Ideal eines freien Handels widersprechen,
konnte auch mit ihnen der weitere Zusammenbruch nicht verhindert werden.
In Japan stürzten mehrere renommierte Versicherungsunternehmen ab, der
Nikkei befand sich schon im Oktober 2000 auf einem 20-Monats-Tief. Der spektakulärste
Zusammenbruch war freilich außerhalb Asiens zu finden: der Zusammenbruch
Argentiniens im zweiten Quartal 2001. Allerdings ist es beispielsweise um
Mexiko und Brasilien nicht wesentlich besser bestellt.
Trotz dieser schon gravierenden Krisen in Asien und Mittel- und Südamerika
bildete die Kombination aus immer noch hohen Aktienkursen des Jahres 2001
und explosionsartig angestiegenen Unternehmensschulden in Europa und den
USA bis zum 11. September eine nicht minder starke Bedrohung für das
weltweite Finanzsystem. In den USA stand der Dow Jones Ende 2000 noch immer
bei der Marke von 11 000 Punkten, die problematischen Kredite stiegen im gleichen
Jahr um 45 Prozent, die uneinbringlichen, also abgeschriebenen Kredite erhöhten
sich sogar um 300 Prozent. Gleichzeitig sanken die Risikorücklagen der
Banken auf den niedrigsten Stand seit 50 Jahren.
Damit das Finanzsystem nicht in sich zusammenbricht, wurde den Anlegern
bis weit nach dem 11. September 2001 suggeriert, dass die Kurse wieder steigen
würden. Obwohl 2002 diese Illusion nun zunichte gemacht wurde, kommen
aus der einschlägigen Branche immer noch Phrasen, nach denen das „Ende
des Tunnels“ erreicht sei und bald schon alles wieder nach oben ziehen werde.
In der Tat geht es dem Dow Jones auch noch verhältnismäßig
gut, er sank um nicht einmal 30 Prozent, der Dax hingegen verlor mehr als
zwei Drittel seines Wertes, steht aber auch immer noch um das Doppelte höher
als zu Beginn des Aktienbooms Anfang der neunziger Jahre. Diese ungleiche
Entwicklung erreichte die US-Notenbank mit einer ständigen Senkung der
Leitzinsen. Von Oktober 1998 bis Ende 2000 senkte die Federal Reserve (Fed)
fünf Mal die Leitzinsen, in den acht Monaten bis zum 11. September kamen
weitere sechs Senkungen hinzu. Allein im Zeitraum von Oktober 1998 bis Januar
1999 stieg die Geldmenge um sagenhafte 25 Prozent. Alle sprachen damals
vom absoluten Limit, das erreicht sei, die Notenbank hätte nun die
Inflation einschränken müssen. Aber die Ereignisse vom 11. September
gaben ihr die Möglichkeit, weitere Senkungen vorzunehmen bis zum heutigen
Niveau von 1,25 Prozent.
Aber nicht nur mit Zinssenkungen und diversen Durchhalteappellen oder
mit Aufkäufen von Aktienpaketen kann eine Stabilität vorgegaukelt
werden. Der wohl anschaulichste Betrug ist die offizielle Inflationsrate
in den USA, die Ende 2000 bei 2,3 Prozent lag. Als würden US-Konsumenten
weder essen noch Auto fahren, werden Lebensmittel und Erdölprodukte
seit den siebziger Jahren schon aus der offiziellen Ermittlung der Preissteigerung
herausgerechnet. Beim Erdöl wurde dies mit der Opec-Krise 1973/74 begründet,
da damals in kürzester Zeit die Ölpreise um 400 Prozent anstiegen.
Der damalige Fed-Vorsitzende Arthur Burns ließ daraufhin den Ölpreis
einfach herausrechnen, denn er meinte: „Es ist systemfremd, es hat nichts
mit dem inhärenten Trend des amerikanischen Wirtschaftszyklus zu tun.“
In gleicher Weise wurde 1974 verfahren, als eine schwere Dürre die US-Landwirtschaft
extrem traf. Werden beide Produkte miteinbezogen, liegt die Inflationsrate
bei über 10 Prozent.
Doch
trotz aller Bemühungen brechen seit Mitte 2000 die Börsen weltweit
ein. Vor allem die neuen Märkte der Hochtechnologietitel erleben
dabei eine wahre Katastrophe. Microsoft verlor von März 2000 bis März
2001 40 Prozent an Wert, Oracle 56,3 Prozent, Amazon 82 Prozent und Yahoo
80 Prozent. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Bis zum zweiten
Quartal 2001 konnten die Verluste jedoch relativ gut kaschiert werden, obwohl
85 Prozent der Titel vom Einbruch betroffen waren. Die restlichen 15 Prozent
verbuchten aber einen derartigen Anstieg, dass sie die Verluste der Mehrheit
in einer Gesamtdarstellung wieder wettmachten. So verloren zwar die meisten
Anleger ihre Einlagen, das Halten der Börsenstände auf hohem Niveau
ließ aber niemanden von einer Krise sprechen. Seitdem aber half auch
diese psychologische Beruhigung nicht mehr weiter. Die von Fidel Castro aufgrund
der Verschuldungsspirale schon Ende der achtziger Jahre ausgemachte Krise
war nicht mehr zu verdecken.
Damit der Börseneinbruch sich nicht zu einem Crash ausweitet und
neben den Anlegern auch die Gläubiger, die die Aktienpakete als Sicherheit
genommen haben, mit sich reißt, muss eine rigide Ordnung eingeführt
werden. Der 11. September bot dabei die nötige Basis, um jedes erdenkliche
Gesetz zum Schutz der Wirtschaft zu erlassen. Streiks wie der der Hafenarbeiter
an der Westküste werden nun per Präsidentendekret für wirtschaftsgefährdend
erklärt und beendet. Aufkommende soziale Unruhen werden mit den neuen
Sicherheitsgesetzen bekämpft. Gleichzeitig wird ein Fremder zum Schuldigen
erkoren, an dem jeder seine Wut ablassen kann – der moslemische Terrorist.
In den USA wird eine dermaßen starke Militarisierung durchgeführt,
dass sich selbst die Demokratische Partei bei den letzten Kongresswahlen
veranlasst sah, darauf hinzuweisen, dass Bush zwar wirtschafts- und innenpolitisch
keine Lösungen anzubieten hat, dies aber mit seinem Kriegskurs zu verschleiern
vermag. Die Staaten der EU wiederum nutzen die Gunst der Stunde, den erkämpften
Standard an sozialen Rechten abzubauen, einem möglichen aufkommenden
Protest ist mit den neuen Sicherheitsgesetzen schon im Vorfeld ein nützliches
Instrumentarium entgegengesetzt.
Die Kriegssituation nach dem 11. September nützt aber nicht nur im
Inneren. Außenpolitisch erreichten die USA die Stationierung ihrer
Truppen in fast allen zentralasiatischen Staaten, also in Gebieten, die einst
zur Sowjetunion gehörten und somit den USA versperrt waren. Gleichzeitig
bieten sie die größten noch vorhandenen Erdölvorkommen.
Allerdings ist die strategische Rohstoffsicherung wie zu Anfang erwähnt
nur ein Aspekt für die Kriegswilligkeit, es gibt noch einige andere.
Wirtschaftspolitisch sind mehrere Staaten nicht mehr existent, neben Argentinien
sind dies vor allem Brasilien und die Türkei, die einzig deshalb noch
weiter existiert, da sie mit Incirlik über den zurzeit strategisch
wichtigsten Flughafen verfügt. Ein Ausbrechen, eine Aufkündigung
der weiteren Bedienung der Schulden, aus den IWF-Restriktionen würde
das gesamte Finanzsystem zusammenbrechen lassen. Für diesen Fall ist
mit der kaum beachteten so genannten Bush-Doktrin schon jetzt die Basis geschaffen
worden, diese Staaten überfallen zu können – womit wir beim eigentlichen
Grund eines Krieges angelangt sind.
Ein Krieg wurde noch immer geführt, um neue Märkte zu erobern,
wobei es für das Kapital gleichgültig war, ob diese Märkte
in dem Sinne neu waren, dass sie zuvor nicht im Einflussbereich der jeweiligen
Industrien lagen, oder schon lange zum angestammten Absatzmarkt zählten,
der nun aber derart gesättigt war, dass keine Produkte mehr abgesetzt
werden konnten. In diesem Fall helfen die zerstörerischen Folgen eines
Krieges, die Nachfrage anzukurbeln, wie es beispielsweise in der BRD nach
dem Zweiten Weltkrieg der Fall war. Die jetzigen Feldzüge in Afghanistan
und demnächst im Irak bieten aber mit Sicherheit nicht den Absatzmarkt,
den das Kapital sich wünscht. Hier verdienen nur wenige Firmen im Rüstungs-,
Erdöl- und Telekommunikationsbereich. Anders sieht es jedoch in einem
Land wie Südafrika aus, das vor der Euro-Umstellung über die zwölftwichtigste
Währung verfügte. Seit dem Einbruch der Börsen wird aus Südafrika
kontinuierlich das Kapital abgezogen, das Land finanziell praktisch ausgesaugt.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch hier die Krise die türkischen
oder auch argentinischen Ausmaße annimmt. Da die Bush-Doktrin vorsieht,
gegen jedes Land – möglicherweise sogar mit atomaren Präventivschlägen
– vorzugehen, das sich der kapitalistischen Verwertung beispielsweise mittels
einer unabhängigen Finanzpolitik widersetzt, wird sicherlich ein Grund
gefunden werden, in Südafrika einen weiteren „Schurkenstaat“ auszumachen,
der entweder Terroristen unterstützt oder sich aufmacht, Massenvernichtungswaffen
zu produzieren. Dies wird in dem Moment akut, wenn Südafrika eine Politik
beginnt, die das Kapital im Land belässt. Südafrika bietet jedenfalls
den Vorteil, bei Zerstörung der recht gut entwickelten Wirtschaft einen
breiten Absatzmarkt vorzufinden. Jedoch wird Südafrika aller Wahrscheinlichkeit
nach keinen finanzpolitisch unabhängigen Weg einschlagen. Aber eine
ähnlich entwickelte Wirtschaft findet sich auch auf der koreanischen
Halbinsel. Ein Krieg zur Verhinderung der koreanischen Atombombe wird daher
sehr einträgliche Geschäfte mit sich bringen. Auch Kuba wird aufgrund
seiner geographischen Nähe zur USA ein begehrter Markt für in Nordamerika
ansässige Unternehmen.
Allerdings sind die derzeit möglich erscheinenden Feldzüge kaum
dazu geeignet, das Kapital entscheidend aus der Krise zu führen. Es
erscheint daher eher wahrscheinlich, dass die hoch entwickelten Staaten eine
Entwicklung einschlagen, wie sie Karl Marx in seinem „18. Brumaire“ für
Frankreich nach der gescheiterten Märzrevolution von 1848 darstellte.
Die Anzeichen für eine diktatorische Entwicklung existieren mittlerweile
zuhauf. So wollte schon Ronald Reagan im Falle einer US-Invasion in Mittelamerika
250 000 Menschen in 25 Konzentrationslager einsperren lassen und die Verfassung
außer Kraft setzen. Die Sicherheitsgesetze im Zuge des 11. September
haben der Bush-Administration nun ein weitreichendes Instrumentarium in die
Hand gegeben, mit dem beliebig die so genannten Bürgerrechte aufgehoben
werden können. Jimmy Carter hatte unlängst deshalb beklagt: „Einst
waren wir ein Vorbild in Bezug auf Menschenrechte, heute sperren wir Menschen
ohne Anklageschrift ein.“
Doch nicht nur in den USA wird der vermeintliche Rechtsstaat immer mehr
beschnitten. Im spanischen Staat sind mittlerweile über 2000 Menschen
auf der Flucht, denen teilweise auch offiziell nur vorgeworfen wird, als
Angehörige von politischen Gefangenen Gefangenenhilfe zu leisten. In
Deutschland ist eine Zunahme von Demonstrationsverboten und Häuserräumungen
festzustellen. Gleichzeitig werden mehrere Linke zur Abgabe eines Gentests
gezwungen, die ersten Verhaftungen nach Paragraf 129a sind unlängst
in Magdeburg vollzogen worden.
Am anschaulichsten aber ist die Verschärfung in Italien zu greifen.
Während mehrere Verhaftungswellen die radikale Linke nicht erst seit
Genua überzogen, wird im staatlichen Fernsehsender RAI unverblümt
das alte faschistische Kampflied „Faccetta Nera“ gesungen. In Deutschland
wird man sich vielleicht damit begnügen, „nur“ alle drei Strophen des
„Deutschlandlieds“ zu singen. Grade die sich selbst als antifaschistisch
bezeichnenden Antideutschen sollten bei dieser Entwicklung aber endlich begreifen,
dass ihre Unterstützung des Kriegskurses direkt in einen neuen Bonarpartismus
führt.