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Eugen Roth

Khalil Gibran-
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Erde


O Erde, du bist so schön und erhaben!
Vollendet bist du ein Diener des Lichts
und unterwirfst dich mit Würde der Sonne!
Du bist so lieblich, wenn dich die Schatten umhüllen,
dein Antlitz erfüllt uns mit Wonne,
wenn Dunkelheit es vor uns vebirgt.

Wie sanft ist das Lied deines Morgens,
wie streng der Gesang deiner Nacht!
Wie vollkommen bist du, o Erde, und wie erhaben!

Ich hab`deine Eb`nen durchwandert und deine felsigen
Berge erklommen. In deine Täler stieg ich hinab
und fand den Eingang zu deinen Höhlen.
Deine Träume entdeckte ich in der Ebene, auf dem Berg
deinen Stolz und im Tal deine Ruhe.
In den Felsen sah ich deine Entschlossenheit, und in den
Höhlen spürte ich dein Geheimnis.

Du bist schwach und du bist stark, bescheiden und auch stolz.
Du bist biegsam und bist starr, sichtbar, aber auch verhüllt.
Ich habe deine Meere befahren und deine Flüsse erkundet,
ich bin dem Lauf deiner Bäche gefolgt.
Durch Flut und Ebbe vernahm ich den Gesang der Ewigkeit,
von deinen Hügeln klang das Echo deiner Lieder aus
vergang`ner Zeit.
In deinen Bergen und an deinen Hängen hört`ich das Leben
nach dem Leben rufen.
Dein Frühling weckte mich und führte mich auf deine Felder,
wo gleich dem Weihrauch voller Duft dein Atem schwebt.
Ich hab`die Fülle deines Sommers wahrgenommen
und sah dein Blut als Wein im Herbste fließen.

Dein Winter trug mich in dein Bett, in dem der Schnee von
deiner Reinheit kündete.
Im Frühling bist du duftende Essenz, im Sommer gnadenreich,
im Herbst die Quelle aller Fülle.
In einer ruhigen klaren Nacht stieß ich die Fenster und die
Türen meiner Seele auf und trat hinaus, um dich zu seh`n;
mein Herz schlug schnell vor Wonne und Verlangen.
Ich sah dich zu den Sternen blicken; sie lächelten auf dich
hrab. Da warf ich meine Fesseln fort, denn nun ward mir
bewußt: der Seele Wohnstatt liegt in deinem Raum.
Und ihre Wünsche wachsen mit den deinen, ihr Friede
liegt in deinem Frieden, ihr Glück in jenem gold`nen Staub,
den dir die Sterne auf den Körper streuen.

Nach dem Dunkel der Nacht, als der Morgen schon graute,
war meine Seele voll Angst und matt.
Da trat ich zu dir hinaus,
und du glichst einem Riesen,
der mit Stürmen bewaffnet war,
in denen die Gegenwart mit dem Vergangenem kämpft,
die Altes mit Neuem tauschen und
an die Stelle des Schwachen das Starke setzen.

So lernte ich, daß das Gesetz der Menschen
auch dein Gesetz ist,
daß der, dess dürre Äste
nicht im Sturme brechen, ermattet sterben wird,
und der, der sich nicht auflehnt, um seine trockenen Blätter
abzustreifen, langsam zugrunde geht.
Wie gebefreudig bist du, Erde, und wie sehr sehnst du dich
nach deinen Kindern, die zwischen dem verloren sind,
was sie erhalten haben, und dem, was sie nicht haben
können.
Wir klagen, und du lächelst; wir fliehen,
doch du bleibst!
Wir fluchen, und du segnest,
wir schänden, und du heiligst.
Wir schlafen ohne Träume, jedoch du
träumst in ewigem Erwachen.

Mit Schwert und Speer durchbohr`n wir deine Brust
du aber pflegst mit Öl und Balsam unsre Wunden.
Wir pflanzen deinen Feldern Knochen und auch Schädel ein,
du lässt daraus Zypressen
und die Weidenbäume wachsen.

Wir leeren unsern Abfall auf dein Antlitz,
du füllst mit Weizengarben uns`re Scheunen
und mit Trauben uns`re Keltern.
Wir rauben dir die Elemente, um Bomben
und Kanonen zu erzeugen, du aber schaffst aus unserm Stoff
nur Lilien und Rosen.

Wie duldsam bist du, Erde, und wie gnädig!
Bist du ein Staubkorn, das der Fuß des ew`gen Gottes
hochwarf, als er vom Osten her zum Wesen seines
Universums ging?
Bist du ein Funke, den die Ewigkeit
aus ihrem Herde warf?
Bist du die Saat, die auf das Feld des Himmels fiel,
um Gottes Baum zu werden und mit starken Zweigen das
Firnament zu überragen?
Bist du ein Tropfen Blut
in eines Riesen Adern, ein Tropfen SchweiŽß
auf seiner Stirn?

Bist du die Frucht, die in der Sonne reift?
Wächst du am Baum des absoluten Wissens,
der Wurzeln hat, die sich zur Ewigkeit erstrecken,
und dessen Äste bis zur Unendlichkeit sich schwingen.

Bist du ein Edelstein, den einst der Gott der Zeit
dem Gott des Raumes in die Hand gelegt?

Wer bist du, Erde, und was bist du wohl?
Du bist ich, o Erde!

Du bist mein Auge und mein Urteil,
bist mein Wissen und mein Traum;
du machst mir Hunger und läßt mich dürsten,
bist meine Freude und meine Not,
meine Erkenntnis und meine Verblendung, die
Schönheit, die mein Auge trinkt.
Du bist die Sehnsucht meines Herzens
und meiner Seele ewiges Leben.

Du bist mein Ich, o Erde.
Und wärest du nicht für mich erschaffen,
so würdest du nicht sein.
   
   
   
   
 

 

 

 
     

 

   © 2003 by Ute und Andreas •  liebe_liebe07@yahoo.de