Inhalt
Illustrations
Vorwort
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Nachtrag

 



Gotische Pforte am alten Bergfried von Kuckuckstein
gez. Von Frau M. von Carlowitz
 

4.  Friedrich von Hardenberg (Novalis) und Hans Georg von Carlowitz

tarken Einfluß auf die Weiterentwicklung Hans Georgs übten die in der Studentenzeit geschlossenen Freundschaften, wie die mit zwei Grafen Vitzthum, dem Grafen Friedrich August von Schulenburg=Klosterode, dem späteren Diplomaten, einem Herrn von Kommerstedt, einem Grafen von Schweinitz (s. S. 30), vor allem aber mit dem Dichter Friedrich von Hardenberg (Novalis) und seinen Brüdern (s. m. Aufsatz im 15. Jahrbuch der Goethe=Gesellschaft 1929, S. 185—200).  Diese Freundschaft wurde in Leipzig geknüpft, als sich Novalis dort nach Michaelis 1791 mit seinem soeben von Schulpforta abgegangenen Bruder Erasmus immatrikulieren ließ.  Vermittelnd mögen dabei die alten Beziehungen gewirkt haben, die die Miltitz von Siebeneichen sowohl mit denen von Carlowitz als auch mit denen von Hardenberg unterhielten.  Erasmus, der Vater des Novalis, war einer der Vormünder des Dietrich von Miltitz, sein Bild, von Graff gemalt, hängt im Schlosse Siebeneichen.

Der junge Erasmus von Hardenberg war damals 17 Jahre alt, sein Bruder Novalis und Hans Georg waren 19jährig, beide im Jahre 1772 geboren.  Novalis aber war weit über sein Alter gereift.  Als er sich anschickte, nach Leipzig zu gehen, schrieb er:  „Ich werde in drei Wochen nach Leipzig abgehen und dort nach einer gänzlich veränderten Weise zu leben anfangen.  Jurisprudenz, Mathematik und Philosophie sollen die drei Wissenschaften sein, denen ich diesen Winter mich mit Leib und Seele ergeben will und im strengsten Sinne ergebe.  Ich muß mehr Festigkeit, mehr Bestimmtheit, mehr Plan, mehr Zweck mir zu erringen suchen, und dies kann ich am leichtesten durch ein strenges Studium dieser Wissenschaften erlangen.  Seelenfasten in Absicht der schönen Wissenschaften und gewissenhafte Enthaltsamkeit von allem Zweckwidrigen habe ich mir zum strengsten Gesetz gemacht.  „Lerne Dich selbst erkennen!” soll mein memento mori sein, und „Lebe verborgen!” der Wahlspruch meines praktischen Lebens.  Schiller zeigte mir höhere, reizendere Zwecke in dem Studium dieser ernsteren Wissenschaften, für die jeder nur einigermaßen an Kopf und Herz gesunde und unverdorbene Mensch sich feurig und lebhaft interessieren muß.”  Er traf in Hans Georg einen verwandten Feuergeist, an den er sich eng anschloß; und Hans Georg sah in Novalis, er ihn an Selbständigkeit des Denkens noch übertraf, schon damals eine ganz außergewöhnlich glänzende Erscheinung, später den zu den höchsten Leistungen berufenen Reformator des religiösen, geistigen und politischen Lebens (s. S. 44 f.).  Durch Novalis gewann er Beziehungen zu Friedrich Schlegel, durch ihn wurde er selbst, wenigstens für seine Jünglings= und ersten Mannesjahre, ein wichtiges Glied des Kreises der Frühromantiker.  Auch abgesehen von der Gleichaltrigkeit und der Zugehörigkeit zu demselben Staate zieht sich durch das Leben der beiden Freunde ein gewisser Parallelismus.  In den Köpfen beider spukten die Gärung der französischen Revolution, die „Leiden des jungen Werthers” und Schillers „Kabale und Liebe”.  Beide wünschten deshalb 1793 in der Umgebung seines Bruders Carl Adolf, Rittmeisters bei den Sächsischen Gardes du corps, an der Belagerung von Mainz teilgenommen.  Hardenberg konnte die Erfüllung seines Wunsches vom Vater nicht erlangen.  Hier trennten sich also einmal die Wege beider Freunde, aber nur für kurze Zeit.  Denn als Mainz am 23. Juli 1793 kapituliert hatte und der Vater der Carlowitzschen Brüder am 26. Juni 1793 gestorben war, kehrten diese nicht viel später aus dem Felde zurück.  Wir Finden beide schon Anfang Dezember wieder in Sachsen mit den umfänglichen Vorbereitungen beschäftigt, die zum Antritt der väterlichen Erbschaft notwendig waren.

Novalis hatte unterdessen im Wittenberg studiert, aber schon im Frühjahr 1794 sind die Fäden eines vertrauten Verkehrs mit Hans Georg von Carlowitz wieder geknüpft.  Am 2. Mai 1794 schreibt Novalis an seinen Bruder Erasmus nach Hubertusburg:  „Ich schreibe Dir von Düben aus und schicke Dir einen Expressen, den Du aber bezahlen mußt.  So wie Du ihn erhältst, so nimm Dir einen Gaul und komme sogleich nach Leipzig . . . Ich bin sogleich von Wittenberg heimlich abgesegelt, um alle zu überraschen.  Du mußt kommen, wenn Du Erasmus bist — der Teufel soll Dich aber holen, wenn Du nicht Sonntag bei guter Zeit in Leipzig bist und bei Carlowitz Dich meldest oder im ,Schiff‘.  Wir reiten zusammen …” (Novalis, Schriften, Bibl. Inst. IV, S. 66).  Weitere Zeugnisse des engen Verhältnisses zwischen Novalis und Carlowitz enthält der Brief an Friedrich Schlegel vom I. August 1794 (a. a. O. S. 67):  „Was macht denn Schweinitz und Carlowitz?  Auch nicht ein Wort schreibst Du.  Mich interessiert jetzt zehnfach jeder übergewöhnliche Mensch — denn ehe die Zeit der Gleichheit kommt, brauchen wir noch übernatürliche Kräfte”, und der Brief des Hans Georg aus Leipzig vom 29. Oktober 1794 an seinen Bruder Carl Adolf von Carlowitz:  „Hardenberg (empfiehlt sich Dir), der gestern bei mir war und mir unter anderem erzählte, daß die Frau v. Bose Deine Heirat mit der Fräulein Kommerstädt in Zeitz öffentlich deklariert habe.”

Fast gleichzeitig traten die beiden Freunde auch in den wirklichen Staatsdienst: Carlowitz hatte sich, schon bevor er sein Examen bestanden hatte, auf Wunsch des Vaters bei der Regierung um Zulassung als Auditor beim Oberhofgericht in Leipzig bewerben müssen.  Er erhielt sie und wurde Michaelis 1794 Assessor an diesem Gericht, Novalis wurde am 8. November 1794 im Kreisamt zu Tennstedt als Aktuarius verpflichtet.  Carlowitz erweiterte seinen amtlichen Pflichtenkreis, indem er sich am 6. Mai 1794 um Anstellung als Supernumerar=Amtshauptmann im Erzgebirgischen Kreise bewarb (HStA. Loc. 22743 General.Nr. 826) und diese unbesoldete Stellung am 22. April 1795 mit dem Amtsbereich in den Ämtern Dippoldiswalde, Altenberg, Frauenstein und dem Kammergut Rechenberg erhielt, während Novalis am 20. Dezember 1795 die Genehmigung bekam, als Akzessist in die Salinendirektion zu Weißenfels einzutreten.

Nun kommt für beide die Zeit, wo sie, nebenher von vielerlei Skepsis auf dem Gebiete der Religion, der Philosophie und der Staatslehre hin= und herbewegt, dem leichtfertig von Blume zu Blume flatternden Eros entsagen und dafür von einer ernstlichen Liebe gepackt werden:  Novalis zu Sophie von Kühn, Carlowitz zu Lili v. Schönberg.

Die Geschichte der Liebe Friedrichs von Hardenberg zu der 13jährigen Sophie von Kühn in Grüningen, die er, als sie 15 Jahre alt war, am 19. März 1797 durch den Tod verlor, darf wenigstens in ihrem äußeren Verlaufe als bekannt vorausgesetzt werden.  Von der Liebe des Hans Georg von Carlowitz zu Lili v. Schönberg aber berichten nur seine unveröffentlichten Briefe.  Sie lesen sich in ihrem reichen Wechsel spannender Schicksale und aufregender Szenen von bisweilen grotesker Romantik wie eine Novelle aus „Sturm und Drang”.

Karoline (Lili) Christiane Eleonore von Schönberg (geb. 27. 11. 1779 zu Mühltroff i. Sachsen, gest. 17. 3. 1864 zu Weimar) war die Tochter des kursächsischen Kammerherrn, Obersteuer= und Zolldirektors Friedrich Alexander von Schönberg (1754—1803) auf Börnichen, Wingendorf, Hainichen und Wegefarth b. Freiberg in Sachsen.  Ihre Mutter, eine geb. Maximiliane Erdmuthe von Kospoth (1759 bis 1833) lebte um 1795 geschieden in Tromlitz (ö. Weimar), später war sie wieder verheiratet mit Heinrich Wilhelm Freiherrn von Bibra.  Lili von Schönberg verheiratete sich am 28. Juli 1799 in Tromlitz mit dem späteren Weimarischen Kammerherrn und Oberforstmeister Freiherrn von Linker (Lynker) u. Lützenwiek (geb. 18. 10. 1772 in Tromlitz (Goth. Geneal. Taschenbuch der Adl. Häuser 1904, S. 739 f.).  Nach seinem Tode war sie Herrin auf Denstedt und Tromlitz.  Von ihrem Vater hatte Hans Georgs Vater am 18. Juli 1784 Oberschöna mit Oberreichenbach und Kirchbach gekauft (Carlowitz=Buch S. 56f.).

Carlowitz hatte sich im Sommer 1795 in Dresden in Lili verliebt, der Vater des Mädchens und die Großmutter begünstigten das Verhältnis, die Mutter war dagegen und veranlaßte die Tochter, ehe es zu einer förmlichen Verlobung kam, nach Weimar zu kommen.  Hier muß Lili in der Hofgesellschaft eine Meine Rolle gespielt haben.  Sie kehrte erst im Juni 1796 nach Dresden zurück, eine neue Liebe zu dem Kammerjunker von Linker (Lynker) im Herzen.  Trotzdem gab sie den Hans Georg nicht frei, sondern bat ihn um Zeit, „sich mit sich selbst wieder zu vereinigen”.  Im Dezember erlangte Carlowitz auch die mütterliche Einwilligung zur Verlobung; aber nun begann das Ränkespiel gegen den Bräutigam erst recht.  Ich übergehe die einzelnen Phasen dieses peinlichen Verhältnisses.  Als Carlowitz 1798 sich in Weimar persönlich Klarheit verschaffen wollte, erfuhr er, daß sich eine Anzahl Kavaliere, vom Herzog Carl August selbst begünstigt, verschworen hätten, ihn wegen seines Auftretens gegen Lili zu fordern.  Carlowitz kam ihnen zuvor, indem er diese Forderungen hervorrief und selbst noch die Gebrüder von Linker forderte.  Das Duell sollte am nächsten Vormittag um 9 Uhr im Parke unter den schärfsten Bedingungen stattfinden.  „Dabei forderte ich ihnen ihr Ehrenwort ab, nicht eher vom Platze zu gehen, bis ich erschollen wäre.  Sie stutzten, und in der mit Sehnsucht erwarteten Stunde war keiner, der sich für wert hielt, einem Manne gegenüber zu stehen, . . . und so verließ ich Weimar verzweifelt, als ob man mir eine nahe Seligkeit entrissen hätte.”

Ganz zerbrochen von diesen Aufregungen und Kämpfen kehrte Hans Georg schließlich auf sein Gut Oberschöna zurück.  Hier erfaßte ihn eine Gemütskrankheit.  Da wurde Hardenberg sein Retter.  Wir erfahren über diese noch unbekannte Episode seines Lebens Genaueres aus neuerdings aufgefundenen Briefen Hans Georgs an seinen Freund Bouc in Leipzig, einen französischen Emigranten.  Bouc besaß Hans Georgs volles Vertrauen, seitdem er in einem früheren Liebesverhältnis Hans Georgs als Postillon d’amour gedient hatte.  An Bouc schrieb Hans Georg am 29. April 1798, auf die tollen Fahrten zurückblickend, die er um Lilis Ehre willen unternommen hatte, folgendes:  „Ich floh nach Erfurt und versuchte es da acht Tage lang vergebens, mir Ruhe zu verschaffen, — nach Weimar, wo ich sie auf ewig gefunden hätte, wenn anderen die ihrige nicht zu lieb gewesen wäre, — nach Gera und endlich spät genug hierher.  Hier wurde ich aus Verdruß krank, ernsthafter als man nach dem Dogma der Zeichenlehre hätte glauben sollen, und ich verließ meine Klause erst, da mein Freund Hardenberg die Kunst verstand, mich in etwas zu beruhigen.  Wir reisten nach Liebstadt und über Dresden zurück.  Hardenberg ist bei mir — ein edler vortrefflicher Mann, den Sie genauer kennen lernen sollten, ganz dazu gemacht, um mit wenigen Funken ein alles verzehrendes Feuer zu verbreiten, um das scheue Auge vom verderblichen Abgrunde weg in eine schöne Ferne zu locken, weil es verdienstlicher ist, mit Bewußtsein zu fallen.  Wie soll ich dem Himmel für einen Mann danken, der mich rettete, da alles außer mir mich verließ, da ich in mir nur noch die Schlacken eines verkohlten Geistes, Unmut und Unentschlossenheit fand, der mich mir selbst zurückgab, ohne meine Exaltation zu unterbrechen.  — Nehmen Sie dieses für die Entschuldigung eines gebesserten Schwärmers.”

Das Amt rief schließlich den „Schwärmer” nach Leipzig zurück.  Aber auch hier verfolgten ihn die „Kabalen und Intriguen” seiner Gegner, so daß er sich genötigt sah, nach Oberschöna überzusiedeln, und als ihm auch hier der Boden zu heiß wurde, unter dem Vorgeben, er reise nach Prag, über Kroptewitz, das Gut seines Bruders Friedrich, auf das Gut seines Onkels Schulenburg nach Leipnitz bei Grimma zu flüchten, wo er sich in einem merist verschlossenen Zimmer hinter seinen Akten verschanzte, nur bemüht, daß er den alten Schulenburg „von der Perlustration und Kassation” der ausgelegten Akten abhalte.  Bevor Hans Georg am 29. August bald nach Mitternacht von Oberschöna wegritt, hatte er an den Kammerherrn von Schönberg, Lilis Vater, endlich den Brief geschrieben, in dem er das Verlöbnis mit Lili aufkündigte.  Ein Expresser trug den Brief an den Ort seiner Bestimmung.  Der Kammerherr war „wie vom Donner gerührt”, erkannte aber in seinem Antwortschreiben die Schuld der Tochter an und fügte die Bitte hinzu, daß Carlowitz, wenn auch die Partie mit seiner Tochter zerstört werden solle, welches er jedoch nicht glauben könne, ferner sein Freund bleiben möchte.

Auch während dieser Krisis im Leben Hans Georgs hat ein Meinungsaustausch mit Novalis stattgefunden.  Dieser war gegen Mitte August von der Badekur in Teplitz nach Freiberg zurückgekehrt und hat um den 16. August Hans Georg in Oberschöna besucht; denn er schreibt an diesem Tage an Friedrich Schlegel, er solle auf 8 Tage von Dresden nach Freiberg kommen:  „An Bequemlichkeit soll Dir’s nicht fehlen.  Carlowitz in Oberschöna wird sich sehr freuen, Dich zu sehen” (Novalis IV, S. 235).  Außerdem gedenkt auch Hans Georg selbst in einem Brief aus Kroptewitz vom 1. September 1798 an seinen Bruder Carl Adolf, der Unterredung mit Novalis.  Er will nämlich von seinem Bruder wissen, was die Standesgenossen über sein „sonstiges und jetziges Verhältnis mit Lili” sprechen, und fährt fort:  „Nur sage mir nicht, was Hardenberg von meiner Abreise spricht[1], dies weiß ich leider schon, und Du weißt, daß ich sein Urteil über Dinge, die mit der Liebe in Bezuge stehen, nicht anerkenne, so sehr ich auch sonst seinem großen Genie Gerechtigkeit widerfahren lasse.”

So hatte also Novalis seine Braut im Frühling 1797 und wenige Wochen später auch seinen Bruder Erasmus durch einen frühzeitigen Tod, Carlowitz die seine im Sommer 1798 durch Umtriebe and Untreue verloren.  Novalis schrieb damals an seinen jüngeren Bruder Carl:  „Sei getrost, Erasmus hat überwunden, die Blüten des Lebenskranze lösen sich hier einzeln auf, um ihn dort schöner und inniger zusammenzusetzen.”


 


[1] Es muß also damals auch zwischen Novalis und Carl Adolf v. C. ein mündlicher oder schriftlicher Meinungsaustausch stattgefunden haben.  Durch Herrn Georg v. Carlowitz in Liebstadt habe ich neuerdings auch einige Briefe des Bruders von Novalis, Carl von Hardenberg, an Carl Adolf v. C. erhalten, s. S. 93f.