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Vorwort
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Nachtrag

 

 „Vielleicht verschafft mir diese Verlängerung meines hiesigen Aufenthaltes das Glück, Euer Exzellenz und Ihrer Frau Gemahlin bey Gelegenheit Ihres Ausflugs nach Coblenz und in die Bäder meine Verehrung zu bezeugen, wodurch ich für die Entbehrung, der ich mich unterwerfen muß, entschädigt würde.
Mit denen Gesinnungen der ausgezeichnetsten Hochachtung habe ich zu seyn die Ehre Euer Excellenz gehorsamster Diener                             Karl Freiherr vom Stein.“

Schluß eines eigenhändigen Briefes des Reichsfreiherrn  vom  Stein  an  Hans  Georg von Carlowitz aus dem Juni 1822.
 

12.  Carl Adolf am der Spitze des Kriegsdepartements und des Banners der freiwilligen Sachsen. — Hans Georg Rat im Gouvernement; beide in Verbindung mit dem Minister vom Stein und Dietrich von Miltitz. — Carl Adolfs Heimkehr

ie nächsten Briefe Hans Georgs führen uns mitten hinein in die Geschäfte, die der Wiederaufbau Sachsens nach der Befreiung von der französischen Fremdherrschaft mit sich brachte.  Obwohl das Land durch den Riesenkampf, der sich zuletzt fast allein auf seinen Fluren ausgetobt hatte, und außerdem durch pestartige Krankheiten, die infolge des Kriegselends auftraten, in beispielloser Weise ausgesogen und heruntergekommen war, stand doch die Fürsoge für die Wiederherstellung der Wehrkraft bei den Einsichtigen im Vordergrund alles Schaffens, weil ohne diese das der eigenen Regierung und des Königs beraubte Land — Friedrich August I. war Kriegsgefangener in Berlin — weder imstande zu sein schien, in den Kampf gegen Napoleon einzutreten, noch irgendwo bei künftigen Entscheidungen seines Schicksals irgendwie ein Gewicht in die Waagschale zu legen.  Selbst der Reichsfreiherr vom Stein und der russische Fürst Repnin konnten sich dieser Erkenntnis nicht entziehen.  Infolgedessen wurde der jetzt russische Generalleutnant v. Thielmann mit der Verstärkung des sehr zusammengeschmolzenen Heeres auf 20 000 Mann, Generalmajor von Vieth mit der Aushebung einer Landwehr von 22 000 Mann beauftragt, und am 31. Oktober unterzeichnete Repnin den Aufruf für die Bildung des „Banners der freiwilligen Sachsen” und veröffentlichte ihn am 8. November.  Nach seinem und Steins Plane sollte der Generalmajor Carl Adolf v. C., mit der Leitung des Kriegsdepartements im Gouvernement betraut, dieses Korps sächsischer Freiwilliger ins Feld führen.  Auch Hans Georg war für das Banner begeistert, wenn er sich auch selbst nicht mehr die körperliche Rüstigkeit zutraute, in dieses Freikorps einzutreten.  Außerdem beschäftigte ihn der Plan, wie die von dem Gouvernement verlangte Kriegssteuer von zwei Millionen Talern am schonendsten aus dem ausgesogenen Lande zusammengebracht werden könne, und der teilweise trostlose Zustand der Carlowitzischen Güter, Hören wir ihn selbst.

Hans Georg an Carl Adolf v. Carlowitz.

Dresden, 19. 11. 1813.  „… Der Kammerherr und Oberforstmeister zu Lomza in Polen, Reitzenstein, ingleichen die Kammerund Jagdjunker Preuß, Carlowitz und Treyden wollen sich bei Dir zum Eintritt in den Banner melden und bitten mich um Empfehlung an Dich.  Reitzenstein überbringt Dir diesen Brief.  Viele andere junge Leute, besonders Jäger, werden ihrem Beispiel folgen.  Sie werden Dich bitten, die gelernten Jäger beisammen zu lassen und Kompagnien aus ihnen zu formieren, weil sie sich von dieser Truppe, bei der sie gern Unteroffiziere sein würden, viel versprechen.

Auch der Hofrat von Thümmel, Sohn des großen Dichters und Bruder des Obersten, ein Mensch von viel Kopf, bittet mich um Empfehlung, weil er sich zum Banner gemeldet hat.  Endlich trägt mir der Kammerherr Bibra ein gleiches Anliegen vor.  Bibra hat mich wahrhaft gerührt, er muß ein Mann von 60 Jahren sein, hat einen starken Bruch und ist daher zum Felddienste untüchtig; um aber dem Vaterlande zu dienen, will er gern das mühselige Geschäft übernehmen, die hiesige Landwehr dressieren zu helfen.  Er war 10 Jahre Offizier, eine Zeitlang Adjutant und ist in der Feder sehr geübt.

Daß Manteuffel, Brand, Burgsdorff und der Oberstleutnant Haak von den Russen verhaftet und nach Theresienstadt abgeführt worden sind, wirst Du gehört haben und ebenso, daß die Prinzen und Prinzessinnen die Reise nach Prag angetreten haben.

Zu Deinem Avancement wünsche ich Dir von ganzem Herzen Glück.  Du bist nach meiner Überzeugung ein geborener General, ich finde also in Deiner Ernennung nur das ausgesprochene Anerkenntnis dessen, was Dir jeder schuldig ist, der Deine Dienste braucht.

Anton bessert sich täglich, obschon langsam, und sagt Dir nebst meiner Frau ebenfalls die herzlichsten Glückwünsche.”

*

Dresden, 21. 11. 1813.  „Tausend Dank für die Freunde, die Dein freundschaftlicher Brief mir gemacht, und für die Hoffnung, die er mir wieder gegeben hat.  Hier sagt man, Du würdest eine Division Landwehr kommandieren, und diese Nachricht tat mir leid.  Zwar ehre ich die Truppe, zu der ich selbst treten werde, sobald die Aushebung in Freiberg erfolgen wird, aber Deine Brauchbarkeit für die Sache der Menschheit schiene mir durch das Kommando einer Division noch nicht erschöpft.  Du bist eigens gemacht, um als militärischer Diplomat zu wirken, in kritischen Fällen des Augenblicks als Staatsarzt zu raten und in einem Korps Freiwilliger den Geist einer schönen Vorzeit zu wecken und zu befestigen, den Geist, der mehr als alle Armeen die Freiheit von Europa verbürgt.  Diese Meinung von Dir ist nicht etwa meine alleinige Meinung, nein, sie ist hier die allgemeine.  Jeder, der nur von Dir gehört hat, spricht sie laut aus, und es ist mir rührend gewesen, als seit einigen Tagen Menschen, die ich in meinem Leben nicht gesehen hatte, mich in meiner Wohnung und auf dem Kollegio auffuchten, ja überall auf der Gasse anhielten, um zu fragen, ob Du denn wirklich nicht die Freiwilligen anführen würdest, zu denen sie treten wollten, sobald Du angekommen sein würdest.  Alle diese braven Menschen sind mißvergnügt von mir gegangen, weil ich es nicht anders wußte, als daß Du Landwehr kommandieren würdest, und ich werde, wenn ich ihre Gesichter wiedererkenne, nunmehr sie anhalten, um ihnen zu sagen, daß Du sie kommandieren wirst.

Gern träte auch ich unter die Fahnen meines ältesten und liebsten Freundes, aber ich will mir nicht mehr anmaßen, als ich leisten kann.  Zu einer solchen Truppe fehlt mir die Körperkraft und besonders der Atem.  Desto brauchbarer werde ich sein, wo der Wille mehr als die Kraft entscheidet, zur Verteidigung von Posten, wo man sich mit höchster Resignation totschlagen lassen kann, ohne vorher große Sprünge machen zu müssen.  Gott verhüte es nun, daß Ihr den Staatsdiener nicht etwa von der Teilnahme am Kriegsdienste ausschließt.  Der Staatsdiener im Zivil ist Bürger, der Edelmann ist ein geborener Soldat, und ich möchte einem Staate weder im Zivil noch im Militär dienen, wo man diesen Zentralgesichtspunkt aus den Augen setzt.  Wer vom Zivil kein Herz hat, mag sich durch andere vertreten lassen, aber wer sich und den Staat zu würdigen weiß, darf auch nicht ausgeschlossen werden von dem Ruhme, an einem Feldzuge wie dem jetzigen teilzunehmen.

Du bist einer von den wenigen Soldaten, die sich frei vom Zunftgeiste erhalten haben und den Adels= und Bürgerstand in jeder Form der Wirksamkeit mit Gerechtigkeit und Liberalität würdigen, benutze also Deinen großen Einfluß auf die jetzigen Schritte des Gouvernements, um diesen Ständen ihre ursprünglichen Rechte wiederzugeben.  Die ersten Verfügungen in den preußischen Staaten sind das Vollendetste, was ich in dieser Art gesehen habe, diese wolle man auf uns übertragen, um zwei nachbarliche Völker zu verbrüdern.

Daß der große, edle Stein in der Zeit der Gefahr sich meiner erinnert hat, ist mir wirklich rührend gewesen.  Das Schicksal hat nicht gewollt, daß ich wieder in eine nähere Beziehung mit ihm kommen soll, und ich bin darüber beruhigt, sogern ich auch dem Vaterlande in jedem Verhältnisse meine äußersten Kräfte widme.  Durch den General Tolstoi hat man nichts an mich gelangen lassen.

Die Aufbringung von 2 Millionen Talern im Gouvernement Sachsen wird nicht schwer sein, um so mehr muß ein Freund der guten Sache wünschen, daß sie mit Gleichheit, Ordnung und ohne Druck und Willkür erfolge.  Ob der bekanntgemachte Plan diesen Forderungen Genüge leistet, will ich der Entscheidung eines jeden überlassen, der ihn mit Unbefangenheit liest …

In der von mir verfaßten ständischen Schrift an den König (S. 104 f.) ist die Sache vollständig entwickelt.  Überhaupt ist zu bedauern, daß in einem Lande, wo man nicht ganz fremd in Finanzsachsen ist, ein so wichtiger Plan gerade in die Hände des Bürgermeisters [Ferber] einer Landstadt [Zwickau] fallen mußte, der ohne System, ohne sachliche Übersichten, ohne irgendeine andere Quelle als Herbs (?) elende Schriften, nur alles aus sich selbst entwickeln will.  Auf die Mitwirkung des edlen [Moritz v.] Schönberg bei der Kommission in Leipzig hatte ich noch meine einzige Hoffnung für dieses Geschäft gesetzt, doch diese Stütze unseres Vaterlands wird uns in dem entscheidenden Momente entrissen.  Schönberg hat, schon krank, seine Geschäfte Tag und Nacht mit der gewohnten Lebhaftigkeit betrieben, bis er vorgestern dem General Cha[s]teler ohnmächtig in die Arme sank.  Jetzt liegt er an einer Krankheit zu Bette, die wahrscheinlich das Nervenfieber werden wird.  Ich bin einen Teil des gestrigen Tages bei ihm gewesen und habe ihm den Arzt geschickt, der Antonen gerettet hat …

Der Plan zur Aufbringung der 2 Millionen ist vom Minister [Stein] genehmigt und publiziert, also im wesentlichen nicht mehr zu ändern, dies ist aber auch nicht nötig, vielmehr kann durch Instruktion der Behörden zur Ausführung der Sache nachgeholfen werden.  Da die 2 Millionen nicht die einzige Kriegssteuer sein werden, welche aufgebracht werden muß, so ist es um so wichtiger, gleich jetzt richtige Fundamente zu legen, die auch für die Folgezeit brauchbar sind.”

Dresden, 28. 11. 1813.  „… Gestern waren Bauern aus Herbergen bei Anton, um ihm zu melden, daß wenn nicht die Einquartierung ermäßigt und zu einem besseren Benehmen veranlaßt würde, vorerst 8 Wirte im Begriff stünden, ihre Wohnungen zu verlassen und auszuwandern.  Anton hat sie für den Augenblick zu trösten gesucht, aber helfen können wir hier nicht, wenn nicht von seiten des Generalgouvernements Hilfe erfolgt.  Überhaupt sind längs der böhmischen Grenze hin bereits mehrere Dörfer gänzlich verlassen, und das Unglück nimmt mit jedem Tag überhand.  Es ist in jeder Hinsicht die höchste Zeit, daß das Gouvernement seinen Sitz hierher verlegt, alle Geschäfte stocken, keine Straße ist mehr sicher, in der Dämmerung wird auf den Straßen der Stadt geplündert, und die Gegend muß zuletzt eine Einöde werden.  Du weißt, daß ich nicht geneigt bin, zu klagen oder ängstlich zu sein, aber die Wahrheit kann ich doch auch nicht verkennen.  Die Russen haben einen anderen Begriff von Kultur, Eigentumsrechten und bürgerlichen Verhältnissen, als man in Sachsen hat, und daher kommt, daß dies an sich rechtliche und gutmütige Volk bei seinem Mangel an allen Bedürfnissen des Lebens, überall, wo nicht die strengste Aufsicht geführt wird, Schritte tut, die uns verderblicher sind, als sie es ahnen.

Ich hätte Dir die Bestellung der Order sogleich gemeldet, wenn nicht Anton versprochen hätte, es zu tun, und wirklich versichert er mich, es getan zu haben.  Anton macht heute seit 9 Wochen den ersten Versuch, aus dem Hause zu gehen, ist aber immer noch sehr geschwächt.  Er kann, wenn er nur erst völlig wiederhergestellt sein wird, dem Gouvernement als Soldat, besonders aber in Verpflegungssachen von größter Brauchbarkeit sein.  Dem Meißner Kreise hat er als Chef der Kreisdeputation durch seine klugen Veranstaltungen während der Anwesenheit der Franzosen Tonnen Goldes erhalten, und sowohl Einsiedel, als Schönberg — Leute, die gewiß nicht über die Gebühr loben, — versichern laut, daß er, als Verpflegungsdirektor, einzig sei.  . . .

Leider erschöpft noch immer die drückende Einquartierung alle Kräfte, und so habe ich noch heute in Oberschöna 600 österreichische Pferde, ohne die zugehörige Mannschaft.  Jeder Tag kostet mich 60 Taler.  Auch in Rücksicht Deiner Güter prophezeit Anton nichts Gutes.  Er glaubt, daß Du im nächsten Jahre gar keine Einkünfte von ihnen haben wirst, weil vieles wiederhergestellt und angeschafft werden muß und die Untertanen weder Dienste leisten, noch Zinsen entrichten können.”

 

Dresden, 3. 12. 1813.  „… Anton meldet Dir den verdammten Exzeß, der in Herbergen vorgegangen ist.  Ich schreibe Dir also nur noch die Resultate meiner Unterredung mit dem General Tolstoi und Gurief [Gourieff].  … Der General Tolstoi war äußerst freundlich, sagte mir aber, daß er mir nicht helfen könne, weil die in Liebstadt stehenden Truppen nicht unter seinen, sondern unter des Generals Gurief Befehlen stünden.  … Nun ging ich zum Gurief, Kommandanten der Stadt und aller russischen Depots in der Gegend.  Während ich ihm meine Bitte in eben dem Maße, wie dem Tolstoi, vortrug, bemerkte ich, daß ihm das Blut ins Gesicht stieg und seine Augen zornig wurden.  Er ließ mich nicht ganz ausreden, sondern nahm gleich das Wort ohngefähr mit folgenden Äußerungen:

Ich kenne den Exzeß, dessen Sie erwähnen, er ist mir gemeldet worden.  Es herrscht ein unverantwortlicher Geist in der Gegend.  Auch die Bürger in Dohna haben auf meine Truppen geschossen und deren getötet.  Dieser Geist muß ausgerottet werden.  Der Exzeß war auf einem Dorfe bei Liebstadt.  Was hatte die Liebstädter Bürgergarde dort zu schaffen?  Es ist unerhört, daß diese Bürgergarde auf meine Truppe gefeuert hat, und unbegreiflich, daß der kommandierende russische Offizier nicht gleich die ganze Stadt an vier Ecken anzünden ließ.  Ich werde die strengste Untersuchung anordnen und die Strafbaren — hier zeigte er mir von weitem einen russisch geschriebenen Zettel, den ich weder recht erkennen, noch lesen konnte — niederschießen lassen.

Auf diese unerwartete Antwort stellte ich vor, daß die Bürger keineswegs geschossen hätten, daß sie zur Assistenz eines österreichischen Sicherheitskommandos herbeigerufen worden wären …

Gurief erwiderte:  Ich werde tun, was ich Ihnen gesagt habe, und nun vorerst die Einquartierung in Liebstadt verdoppeln.

Ich:  Ihre Truppen werden dort vor Hunger sterben.

Er:  Die Einwohner werden es auch …

Eben bin ich nach Hause und schreibe Dir den Erfolg meiner Bemühung.  Du verzeihst, daß es unzusammenhängend und mit zitternder Hand geschieht, aber ich bin angegriffen, denn mich greift alles im Innersten der Seele an, was ich nicht für recht halte.

Tue jetzt für Deine Untertanen und die unglückliche Gegend, was Du kannst, ich kann nichts tun!  Nur die Ankunft des Generalgouvernements kann diese Gegend retten und den Gewalttätigkeiten Einhalt tun, die das allgemeine Elend vollenden.

*

   Der die Existenz von Liebstadt und das Leben der Bürger bedrohende Handel wurde schließlich durch Repnins Eingreifen geschlichtet.  Etwa am 4. Dezember kam Carl Adolf selbst nach Liebstadt und von da nach Dresden.

 

Über die Geschichte des „Banners der freiwilligen Sachsen” hat Rudolf Müller im IX. Bd. Der Schriften des Vereins f. d. G. Leipzigs auf Grund der Akten und Briefe mehrerer Archive berichtet.  Im folgenden ist noch eine wichtige, von Müller nicht benutzte Quelle herangezogen worden:  die mehr als 50 Briefe, die Dietrich v. Miltitz in den Angelegenheiten des Banners an Carl Adolf v. C. geschrieben hat.  Ich fand sie im Kuckucksteiner Archiv, und sie wurden mir von dem damaligen Schloßherrn freundlichst zur Benutzung und zur Veröffentlichung überlassen.  Diese Briefe sind besonders wichtig zur Kenntnis der Ideen, die bei der Gründung dieses Freikorps maßgebend waren.

Hätte es sich bei dem Aufruf zur Bildung des Banners nur um die Vermehrung der Streitkräfte gehandelt, die gegen Napoleon ins Feld geführt werden sollten, so hätte man dasselbe Ziel auch erreicht, wenn man die reguläre sächsische Armee oder die Landwehr um ein oder zwei Regimenter vermehrt hätte.  Aber den Männern, die den Banner gründeten, Stein und Repnin, Carl Adolf von Carlowitz und Dietrich von Miltitz schwebten noch zwei andere Ideen vor:  der Banner sollte eine Pflanzstätte werden für die deutschnationale Gesinnung, die Stein bei einem großen Teile der Sachsen bisher zu vermissen geglaubt hatte, und anderseits sollten treffliche militärische Leistungen und Blutopfer des Banners der Preis sein, für den Sachsen seine Erhaltung als selbständiger Staat inmitten des werdenden deutschen Bundes erkaufen konnte.  Stein betonte mehr den ersten Gedanken, Carlowitz und Miltitz mehr den zweiten.  Denn wir wissen, daß Stein bei Beginn der deutschen Erhebung gegen eine Volksbewaffnung Sachsens eingenommen war, weil eine russisch=preußische Verständigung über Sachsen schon verfügt hatte (S. 109).  Aber was Stein während des Sommerfeldzugs in Sachsen von den Leiden und Opfern des Volkes für die gute Sache erlebt hatte und noch mehr vielleicht der lange Verkehr mit so deutschgesinnten Männern wie mit den Brüdern Carlowitz, Miltitz, Oppel und Moritz von Schönberg, hat ihn etwas umgestimmt.  Am 8. März 1814 schreibt Miltitz an Carlowitz:  „Höchst wichtig ist, daß Minister Stein sehr für das Projekt, den Banner mit der Leibgarde zu vereinigen, war.  Und daß er es für ein Mittel ansah, die künftige Existenz von Sachsen zu sichern.”

Anderseits stand auch bei Carlowitz das großdeutsche Ziel hoch über den naturgemäßen Rücksichten auf sein engeres Vaterland.  In welchem Geiste er sich in den Dienst der Steinschen Ideen stellte, dafür ist das Schlußwort seines Briefes an den Minister vom 13. Februar 1814 ein klassisches Zeugnis:  „Ich hoffe zu Gott, daß er den Ereignissen eine Wendung geben wird, die mögliche Versuchungen ausschließt; — ich baue auf den festen deutschen Sinn und die Weisheit von Euer Exzellenz, die uns einem gemeinschaftlichen deutschen Verein näher führen wird, und wären es nur einige Schritte — wären es nur die Tracen, auf denen unsere jetzt kriegerisch und frei gebildete Jugend einst bis zur Vollendung fortbauen kann.  Es ist der einzige Zweck, der wert ist, für ihn gelebt zu haben, für ihn zu sterben.”

Preußen war zwar der einzige ernsthafte, aber doch nicht der einzige Bewerber um Sachsen.  Auch der Herzog Carl August von Weimar trat als solcher auf.  (Müller, S. 27 des Sonderabdruckes.)  Um diese Pläne zu vereiteln, kam der Fürst Repnin mit Carlowitz und Miltitz überein, beim Kaiser Alexander zu bewirken, daß der Banner nicht, wie ursprünglich geplant war, dem in Holland kommandierenden Herzog von Weimar unterstellt, sondern unter die russische Garde aufgenommen würde.  Da auch Stein auf ihre Seite trat, wurde am 23. Februar 1814 ein Brief Repnins mit der genannten Bitte durch dessen Adjutanten, den Rittmeister Hans Adolf Heinrich Job von Carlowitz, einen Stiefbruder des Generals Carlowitz, an der Kaiser Alexander nach Chaumont geschickt, dieser genehmigte die Bitte, und am 11. März wurde die Erhebung des Banners zur russischen Garde im Gouvernementsblatt Nr. 33, S. 350 veröffentlicht.  In der Nacht vom 11. Zum 12. März 1814 kam der Rittmeister von Carlowitz aus Chaumont zurück nach Sittichenbach, wo damals die Reiterei des Banners stand, und Miltitz schrieb umgehend an Carlowitz:  „Ich teile aufrichtig Deine Freude und freue mich doppelt, daß Du einmal eine hast” (a. a. O.).  Gleichzeitig hatte der Kaiser dem Banner Darmstadt als vorläufiges Marschziel bezeichnet.

Am 24. März 1814 konnte der Banner endlich in einer Stärke von 2 Bataillonen, 4 Schwadronen und einer Batterie Artillerie, im ganzen etwa 2900 Mann, von Sangerhausen aufbrechen, leider ohne seiner erkrankten Führer.  Am 4. April wurde die bayrische Grenze, am 8. Würzburg erreicht; am 12. Ertranken in der Nähe von Miltenberg beim Übersetzen Über den Main 62 Freiwillige, am 19. kamman in Darmstadt an. Hier stieß endlich der eigentliche Führer, General von Carlowitz, zu den Truppen und übernahm das Kommando.  Aber unterdessen hatte Paris vor den Verbündeten kapituliert (16. März), und am 31. März kam dort der erste Pariser Friede zustande.  Napoleons Machtbereich wurde auf die kleine Insel Elba an der Toskanischen Küste beschränkt, und der Banner erhielt, da der Krieg beendet schien, Befehl in die Heimat zu marschieren, ehe er in der Lage gewesen war, eine Waffentat zu vollbringen.  Carlowitz sah seine wichtigsten Absichten gefährdet und eilte nach Paris zum Kaiser Alexander, um die Zurücknahme dieses alle seine Hoffnungen niederschlagenden Befehls zu erwirken.  Seine Verstellung beim Kaiser hatte Erfolg.  Der Banner wurde angewiesen, unter dem Oberbefehl des Herzogs Ernst von Sachsen=Gotha sich an der Belagerung der von den Franzosen noch besetzten Festung Mainz zu beteiligen.  Noch am 29. April bezog die Infanterie des Banners Vorposten vor Mainz und war in den folgenden Tagen auch in kleinen Gefechten tätig.  Aber schon am 4. Mai kapitulierte die Festung, und der Banner zog an der Spitze der Belagerungstruppen in Mainz ein.

In den nächsten Wochen tat der Banner in der Festung Garnisondienste, aber noch vor der Kapitulation von Mainz war Carlowitz abermals nach Paris geeilt, um durch Verhandlungen mit dem Zaren, der ihm am 3. Mai eine Audienz gewährte, und mit Stein (Gouvernementsblatt Nr. 55 vom 24. 5. 1814) die Zukunft des Banners sicher zu stellen.  Mit der Erhaltung des Banners als einer Pflegstätte deutsch=vaterländischer Gesinnung schien auch jetzt noch die Erhaltung der Selbständigkeit Sachsens zusammenzuhängen.  Stein muß in Paris auch hierüber dem General Carlowitz Versicherungen gegeben haben, die seinen in März getanen Äußerungen entsprachen.  Carlowitz schrieb darüber an seinen Bruder Hans Georg.  Der Brief ist verloren.  Aber wir besitzen das begeisterte Echo des Empfängers in der wohl in der ersten Hälfte des Mais 1814 geschriebenen Antwort Hans Georgs (S. 141).

Nebenher sei erwähnt, daß Miltitz am 12. Mai 1814 von Mainz aus beim Fürsten Repnin darum nachsuchte, daß die Mainz befindlichen im Zeitalter der Koalitionskriege von den Franzosen erbeuteten 87 sächsischen Geschütze dem Banner überwiesen würden.  Der Brief wurde dem Fürsten durch dem Major Grafen zu Solms und den Leutnant von Kleist, beide Mitglieder des Banners, in Paris übergeben und hatte den gewünschten Erfolg (Müller, S. 27 [139], Anm. 6).

*

Hans Georg an Carl Adolf v. C.

Dresden, [erste Hälfte Mai 1814] „… Meinen herzlichsten Dank für den Beweis Deines wohlwollenden Andenkens aus einem fernen, im innersten meiner Seele mir so fremden Lande!  Dein Brief hat mich unendlich erfreut und die Nachricht, daß unser gemeinschaftlicher Wunsch für das künftige Wohl unseres Vaterlandes doch wohl noch in Erfüllung gehen könnte, mir — Du kennst meine Gefühle — ein neues Leben und neue Tätigkeit gegeben.  Der große Stein hat das Glück von Europa gegründet, und an Dir ist es jetzt, das Deines Vaterlands gründen zu helfen.  An Dir ist’s, ein Verdienst zu erwerben, das Dich unsterblich macht und an das die mühevollsten Bestrebungen aller Sachsen zusammengenommen nicht hinanreichen.  Benutze den Moment und werde unser Retter!  Auf Dich setze ich mein ganzes Vertrauen, und ich wollte lieber nicht leben als mich getäuscht sehen …

Hier geht alles in seinem gewöhnlichen Gange, und ich glaube, man muß in Paris wie hier mit dem Gouvernement zufrieden sein.  Es ist eine auffallende Erscheinung, daß eine fremde provisorische Regierung mehr für ein Land tut, als die eigene seit Jahrhunderten je getan hat.  Die Nation scheint mit dem Gouvernement sehr zufrieden, und nur ein kleiner Teil ist es nicht, der welcher in der vorherigen sogenannten Ordnung der Dinge seinen Wohlstand und seine Bequemlichkeit fand …

Deinen Brief nach Liebstadt habe ich gleich nach dessen Empfang bestellt.  Deine Frau und Kinder sind sehr wohl, und die Wirtschaft fängt allmählich wieder an, in Gang zu kommen.  Der ehrliche Anton gibt sich in Deinen Angelegenheiten große Mühe.  Dieser wirklich seltene Mensch ist jetzt für den Staat auf seinem wahren Posten, er hat die Generalkontrolle der gesamten Militärwirtschaftsangelegenheiten ausschließend übertragen bekommen, und Du kannst Dir denken, wie sein administratives Genie wirkt.  Mit einem wahrhaft israelitischen Scharfsinn bringt er Klarheit, Ordnung und Sparsamkeit in einen Verwaltungszweig, der in tiefster Finsternis lag, und wo an allen Enden ungestraft im großen und kleinen gestohlen wurde.  Man fängt allmählich an, sich teufelmäßig für ihn zu fürchten …”

Erst am 1. Juni kehrte Carlowitz zu seinem Korps zurück.  Am 16. Juni trat der Banner den Rückmarsch in die Heimat an.  Er war zu spät ausgerückt, um noch etwas Wesentliches zu den kriegerischen Erfolgen der Feldzüge von 1814 beitragen zu können.  Aber die Verspätung war nicht die Schuld der leitenden Offiziere, sondern sie lag in den Verhältnissen des durch die Kriegslasten und durch Krankheiten völlig entkräfteten Landes, das zu gleicher Zeit die Neuaufstellung einer Armee von 20 000 Mann, einer Landwehr von 22 000 Mann und die Ausstattung des Banners zu leisten hatte.  Wie ein mildern Abendstern leuchtete über seinem tragischen Schicksal die glänzende Revue, die der Kaiser von Rußland am 17. Juli in Wurzen über den Banner abnahm, wobei er in einem Zelte mit Carlowitz und den Stabsoffizieren speiste und laute Anerkennung im Munde führte, der keine Tat folgen konnte.  Damals, wenn nicht schon am 3. Mai (s. S. 140) ist wohl das Wort des Zaren gefallen, auf das sich Carlowitz noch am 10. Dezember 1814 beruft:  „Sachsen solle Sachsen, seine Grenzen unverletzt bleiben” (s. meine „Freiheitskriege”, S. 115).  Am nächsten Sonntage (24. Juli) war der feierliche Einzug in Dresden, wobei der Banner vom Generalgouverneur, dem Magistrat der Stadt, der Landwehr und der Bürgergarde bewillkommnet wurde.  Bald darauf wurde der größte Teil der Mannschaften und der Offiziere beurlaubt.

Carlowitz und Miltitz bemühten sich redlich, den Banner als einen Hort vaterländischer Gesinnung, zugleich aber auch als eine in Bedarfsfalle schnell wieder aufzufüllende Quelle kriegerischer Kraft zu erhalten.  Dieses Programm war aber um so schwieriger durchzuführen, als sich im Laufe der Zeit eine Spannung zwischen den Führern des Banners und denen der Armee (v. Thielmann) und der Landwehr (v. Vieth) herausgebildet hatte.  Diesen Männern galt der Banner als eine Art Fremdkörper oder als eine militärische Spielerei, die schon wegen der Kosten sobald wie möglich abgeschafft werden müsse.  Die damalige Lage Carl Adolfs v. Carlowitz wird durch zwei Briefe seiner Frau beleuchtet, aus denen man zugleich etwas von den wirtschaftlichen Verhältnissen Sachsens erfährt.

*

Maria Josefa v. Carlowitz an ihren Mann.

Liebstadt, 21. 6. 1814.  „Lieber guter Mann!  Ich habe Deine beiden Briefe, aus Bodenheim datiert, in Händen, tausend Dank dafür.  Herzlich froh war ich, daß Du Paris verlassen hattest — obzwar ich es herzlichst wünschte, daß Du mit nach England gereist wärest — das Land der Freiheit und Selbständigkeit zu sehen.  — Aber daß Du Frankreich im Rücken hast, ist mir unaussprechlich lieb — Deutsche gehören nicht dahin.

Dein Vaterland ruft Dich, guter teurer Mann — wie glücklich bist Du — daß so viel gute Menschen das innigste Zutrauen zu Dir haben — und daß Du auf dem Posten, wo Du bist — so viel Gutes und Gemeinnützliches wirken kannst.  — Man wünscht Dich und Miltitz zurück.  Ich bin so froh, daß Du endlich Nachricht von mir hast — es geht uns immer noch recht wohl, ohngeachtet der Sommer kalt und unangenehm ist — auch haben wir keine gute Ernte zu erwarten — und es ist noch alles hier sehr zurück.  Was Du mir über Dich selbst schreibst — ist mir sehr einleuchtend — denn ich kenne Dich, glaube nicht, daß ich Dich verdamme — ich hoffe auf Gott — der gerecht ist — und, wie wir jetzt sehen, allmächtig.

Gern würde ich noch den ganzen Banner beisammen sehen — ehe er auseinander geht — kämst Du etwa noch nach Dresden mit dem Zug, so ließ es sich wohl machen — am vernünftigsten, glaube ich, wäre es, er bliebe nicht beisammen — die Menschen haben alle ihre Bestimmung, und da sie bloß für das allgemeine Wohl kämpften — so hört nun auch ihre Bestimmung auf — und alles wäre abgemacht.

Wieviel werden wir uns gegenseitig zu sagen haben, guter Mann!  Schreibe mir doch wieder, wann Du glaubst in Sachsen sein zu können — verzeih, ich eile heute so sehr, diesen Brief zu schließen — damit Du recht bald erfährst, daß wir uns wohl befinden und mit herzlicher, herzlicher Liebe an Dich denken.”

Maria Josefa v. C. an ihren Mann.

Liebstadt, 30. 6. 1814.  „Guter teuer Mann!  Ich habe mich sehr herzlich nach einer Nachricht von Dir gesehnt — mein guter teurer Mann!  Und jetzt, da ich sie habe, erfüllt sie mich mit Traurigkeit — und Deine Stimmung tut mir weh.  — Wer so das Gute stets gewollt hat wie Du — der sollte sich nicht wundern, Hindernisse zu finden.  — Das Böse findet überall Helfershelfer, aber dem redlichen Mann stellt sich überall Kabale entgegen.  — Doch vor der Sonne der Wahrheit zerschmilzt auch jede Ränkesucht, und ich habe die sichere Überzeugung, daß Du in aller Herrlichkeit dastehen wirst — und diese niedrigen Seelen werden ihr Nichts fühlen — und Beschämung wird sie treffen —so wie jetzt der Fluch des Landes ihr Los ist.  O mein teurer Mann!  Dein Vaterland bedarf Deiner — was auch über uns verhängt ist — Du mußt ausharren — und durchgreifen.  — Ich habe von so vielen Vernünftigen gehört, daß Du und Miltitz ihre einzige Stütze seid.  — Wenn ihr aber nicht durchgreifen wollt — dann hätte man sich ja in euch betrogen.  — Ich würde, ohne jemand gerade schaden zu wollen, meinen Weg ruhig fortgehen — bloß nach meiner Überzeugung handeln — und so würde das Gaukelspiel eines selbstsüchtigen Narren in sein Nichts zurücksinken[1].  — Du stehst auf einer hohen Stufe — und Dein Vaterland fordert mich auf, Dir zu sagen, den Mut nicht sinken zu lassen; wo man so viel leisten kann, da muß man die hunderterlei Verdrießlichkeiten nicht achten; Du hast Dein Schicksal selbst in Händen, möchte ich sagen — aber warum benutzt Du es nicht besser — warum suchst Du Dich nicht fest zu setzen?  — dann kannst Du frei und ungehindert wirken; mögest Du Dir auch den Haß einzelner zuziehen — wenn Du fürs Ganze wirkst und Gutes tust — dann bitte ich Dich sehr, nicht hinter Dir zu sehen.  — Wir haben jetzt das Beispiel an dem besten, edelsten der Menschen, den das Jahrhundert gebar, und der mit seiner himmlischen Güte dem Ganzen vielleicht ungeheuer geschadet hat[2].  — Warum aber, warum hat niemand den Mut, dahin zu treten und die höchst traurige Lage des armen bedrängten Sachsens offen und gerade darzustellen — warum macht man immer und ewig Komplimente — und läßt Hunderte zugrunde gehen?  Wäre ich ein Mann — und das Schicksal würde es so wohl mit mir meinen, mich dorthin zu werfen, wo ich Gehörfinden muß, so würde ich mit Nachdruck reden — und schon in dieser Überzeugung, meine Pflicht erfüllt zu haben, einigen Trost finden.

Was Du mir über die politischen Verhältnisse schreibst, schwebt noch dunkel vor meiner Seele, doch bin ich über alles, was da kommen mag, ziemlich ruhig; nur der jetzige Druck und die höchst traurige Lage des armen Landes beunruhigen mich.  Wir gehen auf diese Art ganz zugrunde.  Wenn Du mit dem Minister Stein zu reden kämst, so stelle ihm doch unsere Lage vor.  Die Engländer haben sich so großmütig bewiesen und wirklich Summen hergegeben, die aber sehr ungerecht ausgeteilt werden.  Der Leipziger Gegend, die im ganzen nicht lang gelitten hat, wird so geholfen, und die unsrige hier, die so lange unter dem Druck geseufzt hat und [deren] Grund und Boden ruiniert ist, trachtet vergebens nach Hilfe.  Das Pirnsche Amt ist ungerecht oder faul, und Deine Untertanen sowohl wie in der ganzen Gegend sind Bettler geworden …”

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Je trüber es im Lande aussah, um so mehr waren die Augen aller Sachsen nach Wien gerichtet, wo auf dem Kongresse die endgültige Lösung auch der sächsischen Frage gefunden werden mußte.

Doch schon ehe der Kongreß zusammentrat, mußte Stein den Widerständen entgegenarbeiten, die sich im sächsischen Truppenkorps gegen ein Aufgehen Sachsens in Preußen erhoben, Widerstände, die teils auf der Anhänglichkeit der Offiziere und Soldaten an ihren König, teils auf den Bemühungen der sächsischen Gesandten von Watzdorf und von Zeschau beruhten, unter den verbündeten Monarchen Stimmung zu machen für die völlige Erhaltung Sachsens (Flathe III, S. 261 f.).  Die Abneigung gegen eine Einverleibung in Preußen verstärkte sich im sächsischen Heere, als das 3. Deutsche Armeekorps, zu dem die Sachsen gehörten, aus der Gegend von Koblenz nach Marburg verlegt wurde, um den Kurfürsten von Hessen dafür zu bestrafen, daß er seine Truppen eigenmächtig auf Friedensfuß gesetzt hatte.  Unter diesen Umständen erhielt General von Carlowitz Anfang August 1814 von Stein den Auftrag, in das sächsische Lager zu reisen und durch Verhandlung mit dem General von Thielmann und mit dem Feldmarschall Grafen Kleist von Nollendorf, dem Kommandeur des 3. Armeekorps, die Stimmung und Haltung der Sachsen zu verbessern.  Dieser Auftrag Steins an General Carlowitz war bis jetzt nicht bekannt.  Aber in einem von mir in einer Kuckucksteiner Mappe gefundenen Briefe Carlowitzens an Oppel [Dresden, August 1814] schreibt dieser:  „Ich übernehme den Auftrag des Ministers Stein sehr ungern, weil es mir wieder als eine Feindschaft gegen die Armee ausgelegt werden kann.  Du wirst Dich überzeugen, daß ich ihn als einen Befehl annehmen mußte und unmöglich ablehnen konnte … Über die früheren ähnlichen Verhältnisse, hoffe ich, denkt man jetzt anders — wenigstens bin ich mit Zezschwitzen, den ich so sehr verfolgt haben soll, sehr freundschaftlich und zufrieden auseinander gegangen.  Ebenso mit Astern in Mainz, gegen den ich nie ein Wort gesagt habe, dem man doch aber auch Verdacht eingeflößt hatte …”  Auch das Vorhandensein von 17 Briefen des Feldmarschalls Kleist, dreier Briefe Steins und eines Briefes des Fürsten Hardenberg an den General v. Thielmann, in denen diese Verhältnisse besprochen werden, in den Papieren des Generals Carlowitz läßt sich kaum anders erklären, als daß Carlowitz diese wichtigen Dokumente von General v. Thielmann zur Einsicht erhalten habe.  Die eben genannten Briefe Steins an Thielmann offenbaren ein sehr freundschaftliches Verhältnis zwischen beiden Männern, aber auch zu Frau von Thielmann, einer Tochter des Bergrats von Charpentier in Freiberg und Schwester der Braut des Novalis.  Stein schreibt aus Nassau am 17. August 1814:  „Ich wünsche Sie und Ihre liebenswürdige Familie vor meiner Abreise [zum Wiener Kongreß] noch zu sehen.  Was die Mission von H. v. Z(ezschwitz) anbetrifft, so erinnere ich mich des Wortes:  „je serois barre de fer“.  Alle Bewohner des hiesigen Tals grüßen Ew. Exzellenz herzlich, und ich wiederhole die Versicherung meiner hochachtungsvollen Anhänglichkeit.”  Der Kanzler Fürst Hardenberg schreibt am 13. Sept. 1814 aus Dresden an Thielmann:  „Jetzt eile ich nach Wien und hoffe, daß über Sachsens Schicksal bald entschieden werden wird.  Der Zustand der Ungewißheit, in der das Publikum noch ist, hat allerdings übele Folgen, so unbezweifelt es auch ist, daß Sachsen an Preußen übergeht.  Ew. Exzellenz guten Gesinnungen und Ihrer erleuchteten Einsicht wird es glücken, bei der Armee Schritte zu verhindern oder zu modifizieren, die nur Nachteile hervorbringen würden, ohne in der Sache selbst irgend etwas zu ändern.  Die Armee wird sich gewiß des besonderen Schutzes und der Fürsorge des Königs Majest. zu erfreuen haben, und Ew. Exzellenz insbesondere können gewiß einer Ihren anerkannten Verdiensten angemessenen ehrenvollen Bestimmung entgegensehen.”

Am 8. September wurde das sächsische Korps aus Hellen nach Koblenz zurückverlegt und am 9. September durch den Generalstabschef General von Müffling die Subordination wiederhergestellt.  Aber die Unbotmäßigkeit der Sachsen brach später noch einmal hervor, und zwar in schärferer Form am 30. April 1815 in Lüttich, als der König von Preußen, ehe noch die Teilung Sachsens (Friede vom 18. Mai 1815 s. S. 152 f.) förmlich beschlossen und angenommen war, verlangte, daß das Heer nach der geplanten Grenzlinie in eine preußische und eine sächsische Abteilung auseinandergerissen werden sollte.  Der alte Blücher mußte vor den Meuterern flüchten und beschwor in seinem berechtigten Zorn „Gottes Gericht über den, der es verschuldet hat”.  Militärisch betrachtet war die Meuterei von Lüttich zweifelsohne ein Verbrechen und ist demgemäß mit Blut gesühnt worden, aber rein menschlich angesehen war sie nur die Reflexbewegung eines mißhandelten Körpers (s. Freiheitskriege S. 111).

Wann Carlowitz von seiner Sendung zur sächsischen Armee zurückkehrte, ist mir nicht auf den Tag bekannt.  Doch setzen die Grüße, die ihm Miltitz am 12. Oktober 1814 von Wien aus für Oppel und seinen Bruder Hans Georg von Carlowitz auftrug, voraus, daß er spätestens um die Zeit wieder in Dresden war.  Er war damals als Chef des Kriegsdepartements in Dresden unabkömmlich, weil er allein über viele das sächsische Kriegswesen betreffende Anfragen der preußischen Behörden sowie über die Verwendung der dafür bewilligten Gelder Auskunft geben konnte, wobei ihn seine Brüder, Hans Georg als Mitglied des Geheimen Finanzkollegiums und Anton als Rat der Kriegsverwaltungskammer, unterstützten.  Dagegen wurden, gewissermaßen als Ersatz für Carlowitz, Miltitz und später auch Oppel von Stein aus Dresden nach Wien berufen, um ihm dort als Kenner der sächsischen Verhältnisse zur Seite zu stehen.  Ehe Miltitz und Oppel in Wien eintrafen, hatten Stein und Hardenberg über das zukünftige Schicksal Sachsens die Formel gefunden, die sowohl den preußischen Ansprüchen wie den etwas schonenderen Absichten des Zaren Alexander zu entsprechen schien.  Am 28. September erklärte Hardenberg, die Absicht des Königs von Preußen sei:

1. Sachsen nicht wie eine Provinz seinen anderen Staaten einzuverleiben, sondern es damit zu vereinigen, indem er ihm den Namen „Königreich Sachsen” läßt;

2. ihm für immer seine Integrität zu bewahren;

3. es alle Privilegien, Rechte und Vorteile genießen zu lassen, die die deutsche Verfassung den Ländern Deutschlands zusichern wird, indem es teilnimmt an der preußischen Monarchie;

4. unterdessen nichts an seiner gegenwärtigen Verfassung zu ändern.

Dieses Protokoll wurde unterzeichnet von Nesselrode, Stein, Hardenberg und Humboldt und am 18. Oktober 1814 vom Kaiser Alexander bestätigt.

Hiernach legte Repnin auf den Befehl seines Kaisers am 8. November seine Stellung als Generalgouverneur von Sachsen nieder.  An seine Stelle trat ein preußisches Gouvernement unter dem Minister von der Reck und dem Generalmajor Gaudi, dem ehemaligen Erzieher des preußischen Kronprinzen.  Stein hätte es lieber gesehen, wenn statt seiner Prinz Wilhelm (1787—1851) die interimistische Verwaltung übernommen hätte.  In der Tat hat das preußischen Beamten, die Sachsen von vornherein als festen preußischen Besitz behandelten, bald auch bei Männern wie den Brüdern Carlowitz, Oppel und Miltitz Anstoß erregten.

Am 8. Oktober war Miltitz in Wien angekommen und erstattete durch Briefe vom 12., 17. Und 22. Oktober an Carlowitz ausführlichen Bericht.  Diese Briefe (Kuckucksteiner Archiv) enthalten auf der Rückseite in Alaunschrift, die erst nach Erhitzung sichtbar wird, Notizen über intimere Vorgänge und vertrauliche Äußerungen der Minister und des Königs von Preußen.  So liest man als Nachschrift zu dem Briefe vom 12. Oktober z. B.:  „Sachsen wird in wenigen Tagen von Preußen provisorisch in Besitz genommen werden.  Dieses hat mir der Fürst Hardenberg und Stein und Streckfuß offiziell erklärt.  Der Prinz Wilhelm wird erst dann kommen, wenn die förmliche und bestehende Verbindung erfolgt.  Dermalen übernimmt Minister von Reck das Zivilgouvernement, für die militärischen Angelegenheiten werden in Dresden General Bismarck, für Leipzig General Dobschütz zugegeben.  Es kommen nur 3 Bataillone ins Land, eins nach Leipzig, zwei nach Dresden.  Die Unteilbarkeit Sachsens und seine Selbständigkeit auch in Namen und Verfassung sind dekretiert.”  Die sächsische Frage war nach der Ansicht Steins und seiner Gehilfen im preußischen Sinne glatt, geradlinig und endgültig gelöst.  Aber es kam anders, als man dachte.


 


[1] Vielleicht ist General v. Thielmann oder General v. Vieth gemeint, vgl. S. 142.

[2] Kaiser Alexander von Rußland (?).