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Vorwort
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Nachtrag

 

Le Maréchal d’empire, Prince de Pontecorvo ordonne à Monsieur de Carlowitz, officier saxon, de se rendre en toute diligence au grand quartier géneéral pour affaires de service.
Les autorités civiles et militaires sont invitées à lui prêter au besoin aide et assistance.
St. Pölten, 14. Juin 1809.                                                                               I. B. Bernadotte.
                      Paß für Carl Adolf von Carlowitz von Marschall Bernadotte.
 

10.  Sachsen unter der Geissel Napoleons; Carl Adolf im Heeresdienst; Hans Georgs Stellung zur Heeresreform und seine Arbeit an der Besserung der Steuerwesens.  Sein Verhältnis zu Goethe

achsen hatte zunächst im Bunde mit Preußen drei Jahre lang (1792—95) gegen die Ausbreitungsgelüste des revolutionären Frankreichs im Kampfe gestanden.  Aber als Preußen unter dem unheilvollen Einflusse des Grafen Haugwitz und Lucchesinis am 8. April 1795 im Frieden von Basel die Verteidigung des deutschen Volksbodens der Verfolgung selbstsüchtiger Vergrößerungspläne aufgeopfert hatte und später sogar der Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich zustimmte, mußte auch das mit Preußen verbündete Sachsen den weiteren Kampf gegen Frankreich aufgeben.  Auch an der zweiten Koalition gegen Frankreich nahm Preußen nicht teil, und als es, von Napoleon mehrfach verletzt und verhöhnt, endlich am 3. November 1805 (Vertrag zu Potsdam) in die dritte Koalition mit Österreich, Rußland und England eintrat, geschahen seine Kriegshandlungen so langsam und zaudernd, daß Napoleon am 2. Dezember bei Austerlitz über die Österreicher und Russen einen glänzenden Sieg erfocht und danach nicht nur Österreich, sondern auch Preußen, dem als Judaslohn Hannover zufallen sollte, zu einem schimpflichen Frieden zwingen konnte.

Endlich, als Napoleon fortfuhr, Preußen wie eine besiegte Macht zu behandeln, und im Sommer 1806 sogar mit England über die Rückgabe Hannovers verhandelte, raffte sich König Friedrich Wilhelm III. zur Mobilisierung seines Heeres und zum Waffengange mit Frankreich auf.  Es war zu spät, denn Preußen hatte während des langen Hinabgleitens auf der schiefen Ebene seiner undeutschen Politik die innere Würde, das Vertrauen seiner früheren Freunde und die Achtung, die der Staat Friedrichs des Großen ehedem auch seinen Feinden eingeflößt hatte, gründlich verloren.  In Sachsen waren diese Vorgänge mit großer Sorge und berechtigtem Ingrimm von der deutschfühlenden höheren Beamtenschaft und den Spitzen des Heeres verfolgt worden; das Echo dieser Stimmen klingt uns aus den Briefen Hans Georgs von Carlowitz an seinen Bruder Carl Adolf klar und scharf entgegen (s. S. 21).  Ein kleines Stimmungsbild dazu gibt Hans Georg auch in einem Briefe vom 21. April 1806 an seinen Bruder:  „Daß Prinz Heinrich von Preußen hier gewesen sei, sich allenthalben gauche benommen, dem Feldhauptmann Zezschwitz (Flathe II, 642), Minister Low und General Felgenhauer den roten Adler mitgebracht, die ebenfalls mitgebrachten 3 schwarzen Adler aber wieder mitgenommen habe, wirst Du wissen.  Übrigens hat hier die Sperre der Nordsee gegen England in merkantilistischer und der in Weimar bereits angesagte Vormarsch von 20 000 Franzosen in prophetischer Hinsicht viel Sensation gemacht.”  Trotzdem trat damals der Kurfürst Friedrich August, seiner früheren Bundespflicht getreu, als einziger der norddeutschen Fürsten dem schwer gefährdeten Nachbar zur Seite und ließ seine Truppen (22 000) Mann unter dem General von Zeschau) als einen Teil der Armee Hohenlohes zum Schutze des preußischen und des sächsischen Staates in Thüringen mit aufmarschieren.  Der Schrekkenstag des 14. Oktobers zerbrach auf den Schlachtfeldern von Jena und von Auerstedt die preußische und die sächsische Kriegsmacht.  Aber ihre Trümmer weiß der Korse klug zu trennen und die erst seit wenigen Jahrzehnten entschlafene Eifersucht zwischen Preußen und Sachsen wieder zu wecken.  Den fast 200 gefangenen sächsischen Offizieren schenkt er sofort die Freiheit und entläßt sie mit der Botschaft an den Kurfürsten, er sei nicht gekommen, Sachsen zu unterjochen, sondern es vom preußischen Joche zu lösen.  Wenn ihn Friedrich August in Dresden friedfertig erwarte, werde er ihn als seinen Freund Schützen und fördern, entfliehe er aber aus der Stadt, so werde er die Dynastie Sachsen bis auf den Namen vernichten.  Diese Kundgebung wurde durch einen persönlichen Gesandten Napoleons, den sächsischen Major von Funck (S. 87), ja sogar durch den König von Preußen unterstützt, der von Magdeburg aus dem Kurfürsten durch einen Offizier sagen ließ, er möge nach eigenem Ermessen für sein und des Landes Wohl sorgen.  Daraufhin wurde das schon in der Richtung auf Breslau vorausgeschickte Gepäck des sächsischen Hofes nach Dresden zurückbeordert, General Zezschwitz wurde angewiesen, die wieder gesammelten Trümmer der sächsischen Armee in ihre Garnisonorte zurückzuführen, und der Kurfürst blieb in seiner Residenz.  Er glaubte, von Napoleon die unumschränkte Neutralität seiner Person und seiner Staaten erlangt zu haben und begann, die einfachen Formen seines Lebens wieder nach dem Zuschnitt des Friedens zu gestalten.

Aber bald zeigte es sich, daß die freundschaftlichen Gebärden des Siegers nur die schnelle Entwaffnung Sachsens bezweckten, daß der Friede selbst aber nur zu einem wesentlich höheren Preise, dem der Knechtschaft, zu haben war.  Die geforderte Kontribution von 25 (später 30) Millionen Franks und die Konfiskation aller englischen Waren und Guthaben in Leipzig waren nur das Vorspiel.  Am 26. Oktober stellte sich der französische Oberstleutnant Thiard beim Kurfürsten als Stadtkommandant von Dresden, ein Artillerieoffizier als Verwalter des Zeughauses, ein Genieoffizier als der neue Festungsbaumeister der Stadt, ein Zivilbeamter du Molart als Intendant des Meißner und des Erzgebirgischen Kreises vor.  Sie alle hatten von ihren Herrn und Meister die Weisung:  „Beaucoup de formes, beaucoup de procédés, beaucoup d’honnêtetés; mais en réalité s’emparer de tout, surtout des moyens de guerre sous prétexte que l’Electeur n’en a plus besoin.“  Der Kurfürst war auf das tiefste betroffen, er mußte nun förmlich um Frieden bitten, aber ehe es zum Abschluß kam (Friede zu Posen II. Dez. 1806), mußte er einen bitteren Kelch der Demütigung nach dem anderen leeren (s. die Briefe S. 87 u. 88), bis er endlich auf Napoleons Befehl die Erhebung zum König von Sachsen mit dem Eintritt in den Rheinbund erkauft hatte.

Die Carlowitzischen Briefe enthalten keine Nachrichten über die Katastrophe von Jena, wohl aber über ihre Folgen.  Der Kurfürst hatte am 26. November den schweren Bittgang nach Berlin angetreten, aber als er dort ankam, war Napoleon schon nach Posen weitergereist.  So mußten statt des Kurfürsten seine Bevollmächtigten, Minister von Bose und Major von Funck, dem Imperator nachreisen und vermittelten den Frieden, der Sachsens Knechtschaft unter gleißenden Formen bestätigte.  Sie wurde zunächst vom größeren Teile des Volkes nicht als etwas Unerträgliches empfunden, weil das Nationalgefühl noch nicht genügend erwacht war.  Außerdem wirkte die durch N. verfügte Absperrung Sachsens gegen englische Waren günstig auf die einheimische Produktion, und die nach dem Tilsiter Frieden am 22. Juli 1807 durchgeführte Vereinigung des Herzogtums Warschau und des Kottbusser Kreises mit Sachsen belebte den seit 1763 schlummernden Gegensatz zu Preußen.  Allerdings erwies sich die Vergrößerung Sachsens durch das Mittelstück der Niederlausitz als ein bloßer Tausch, denn der König v. S. mußte dafür am 19. März 1808 ein gleichgroßes Gebiet in Thüringen (Gommern, Teile der Grafschaften Barby und Mansfeld und der Vogtei Dorla) an den König Jérôme von Westfalen abtreten.

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Hans Georg an Carl Adolf v. Carlowitz.

Dresden, 6. 12. 1806.  „. . . Der Kurfürst ist wieder hier, ich weiß aber, da ich seitdem nicht vom Schreibtisch aufgestanden bin, nichts Näheres über den Erfolg der Reise.  Er hat gestern durch einen Kurier den Befehl hierher geschickt, daß ihm gleich bei seiner Reise durch Moritzburg vom Minister die Rechnungen über alle an französische Behörden bezahlten Gelder vorgelegt werden sollen.  Die Kreise haben zu dem Ende ihre Liquida an letztere abgegeben.  Im allgemeinen hofft man viel Gutes, doch mußte noch gestern vom Meißner und Gebirgischen Kreise die Summe gezahlt werden, welche an Erfüllung der zweiten 100 000 Taler für jeden fehlte . . . Glogau ist nach einem zweistündigen Bombardement an die Württemberger übergegangen.  Vandamme hat die Belagerung, wenn man sie so nennen will, kommandiert.  Die Nachricht davon hat Tiard gestern durch einen Kurier offiziell erhalten.  Warschau soll besetzt sein, sonst weiß man von Militaribus nichts . . .”

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Dresden, den 7. 12. 1806  „. . . Der Kurfürst ist glücklich zurückgekehrt und heiter.  Mit Tayllerand haben allerdings Verhandlungen stattgehabt, die, wie versichert wird, auf der Ratifikation des Reiches[1] beruhen.  Bose und Funck sind nach Posen, um diese Ratifikation beizubringen.  Anfangs hoffte man den Abzug der Intendantes, Receveurs [Tributeinnehmer] etc., aber sonderbar ist, daß erst nach des Kurfürsten Abreise von Berlin unsere Salinen und die Alaunwerke in Schwemsal [n. Düben] in Beschlag genommen worden sind.  Den Bericht wegen Beschlagnahme der Salinen und Verkauf des vorrätigen, über 30 000 Taler betragenden Alaunes[2] erhielten wir erst heute nacht durch Estaffette . . . Den Krieg zwischen Frankreich und Österreich hält man für unvermeidlich.  Schon schimpfen die Pariser Journale, und man weiß, was das sagen will.  Thiard hat neulich Viethen ein solches Blatt mit dem Worten gegeben:  Voici la guerre contre l’Autriche! — Im Torzettel stand gestern unter den Auspassierten ein franz.  Ingenieur=Offizier nach Purschenstein!  Schönberg hat fast den Tod darüber gehabt und gleich einen Boten nachgeschickt, um zu sehen was werden solle.  — Polen wird von Dombrowsky revolutioniert . . . Die Bauern von Oberschöna haben zwei franz.  Traineurs [= Marodeurs] aufgehoben und geschlossen hierher geliefert, welche unter anderem Gewehre mit gehacktem Blei geladen hatten.  Die Kerls sind löwenbrau gewesen, und Tiard ist von ihnen ganz enchantiert.  Es gibt wahrhaftig noch Menschen unter uns, nur zu wenig unter den vornehmen Ständen.  Die Traineurs haben gedroht, das Dorf anzubrennen, und ich sähe daher gern, wenn sie beiläufig erschossen würden.  Wäre ich in Schöna, so wäre das vermutlich schon geschehen.”

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Dresden, ohne Datum, noch vor dem Sturze des Ministers Grafen Low (18. Nov. 1806).

„Der Minister Low wünscht Dich angelegentlichst zu sprechen und hat Watzdorfen aufgetragen, Dich davon zu benachrichtigen.  Watzdorf hat Dich heute hier aufsuchen lassen, und da er mich eben bei Hopfgarten fand, gebeten, daß ich Dich sofort hierher zitieren möchte.  Erst heute nachmittag hat Dich Low verlangt, es ist also auf keinen Fall zu spät, wenn Du morgen zu ihm kommst.  Ich fertige diesen Boten in der Nacht ab in der angenehmen Hoffnung, daß Dir die Einladung erwünscht sein wird und daß ich Dich morgen bei guter Zeit recht vergnügt sehen werde.  Von der Einladung weiß außer Watzdorf und mir niemand.  Zugleich habe ich Dich zu benachrichtigen, daß Broizem morgen nachmittag zu Fuß nach Liebstadt gehen will.  Auf den Dienstag gehe ich auf 14 Tage nach Leipzig.  Der Bote geht sogleich ab und hat mit Deiner Erlaubnis Auftrag, Dich aus dem Bett zu jagen.”

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Dieser eilige Brief hängt vermutlich mit einer beabsichtigten Berufung Carl Adolfs auf einen militärischen oder diplomatischen Posten zusammen, die, vielleicht infolge der veränderten Verhältnisse, nicht zustande kam.  Daß beide Brüder auch in der Not des Vaterlands nicht aufhörten, ideale Ziele zu unterstützen, zeigt ihre Anteilnahme an den Bestrebungen und Schicksalen des Pädagogen Dinter (vgl. S. 62), der 1807 wegen Krankheit, aber wohl auch wegen der ungünstigen Zeitverhältnisse von der Leitung des ersten sächsischen Lehrerseminars zu Dresden=Friedrichstadt zurückgetreten war.  Hans Georg schreibt an Carl Adolf:

 

Dresden, 6. 2. 1807.  „. . . Dinter hat, weil er dem bevor stehenden Unwesen nicht zusehen will, eine Predigerstelle in einem Dorfe bei Borna [in Görnitz] angenommen und wird sie im Oktober antreten.  Sein Plan ist, dort ein kleines Institut zu errichten, das nur aus 6 Knaben zwischen 8—15 Jahren bestehen soll, die in den gewöhnlichen Elementarkenntnissen, dem Zeichnen, Lateinischen und Französischen unterrichtet werden.  Sollte Dir diese Gelegenheit, einen Deiner beiden ältesten Söhne eine gewiß gute Erziehung außer dem Hause geben zu lassen, annehmlich erscheinen, — eine Gelegenheit, von der ich auch künftig noch Gebrauch machen werde —, so würde ich raten, Deine Entschließung mir bald wissen zu lassen, damit ich für Dich auf eine Stelle Beschlag nehme.  Dinters verdienter Ruf und seine große Uneigennützigkeit lassen vermuten, daß die Stellen bald besetzt sein werden.  Er verlangt für Wohnung, Unterricht und Wäsche jährlich 150 Taler.  Das Dorf, wo er das Institut etabliert, liegt 1 Stunde von Borna, 3 Stunden von Altenburg abwärts von der Straße.

Eben war Adolf [3] bei mir, um Abschied zu nehmen.  Er tut mir recht leid, und wenn ihm in diesem ungerechten Kriege etwas begegnet, so kann ich’s für ein Unglück rechnen, das mich betrifft, da ich ihn zu dem Regimente gebracht habe, in dem er jetzt marschiert.

Morgen wird in Bezug auf den Frieden hier viel gepredigt, gesprochen und getanzt werden.  Ich gehe nicht auf den Hofball, und meine Frau will auch zu Haus bleiben . . .”

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In den folgenden Jahren der Knechtschaft hatte Hans Georg von Carlowitz fast keinen Einfluß auf den Gang der sächsischen Politik, die, soweit sie der König nicht selbst bestimmte, in den Händen des ehemaligen Oberkammerherrn Grafen Bose lag, eines Günstlings Marcolinis, und als Bose im Herbst 1809 gestorben war, in den Händen des Grafen Senfft, der zwar insgeheim ein Gegner Napoleons war (s. m. Aufsatz i. D. Meißn.=Sächs. Forschungen 1929, S. 232), zunächst aber keine Möglichkeit hatte, diese Gesinnung zum Ausdruck oder gar zur Wirkung zu bringen.  Unter diesen Umständen hat auch Hans Georg amtlich bei reichlicher Arbeit im Finanzkollegium wenig Freude gehabt.  Die Liebe zu seiner Frau und den Kindern und das ausgezeichnete Verhältnis, in dem er zu seinem Bruder Carl Adolf stand, hielten ihn aufrecht.  Doch mußte seine Gattin schon damals in Rücksicht auf ihre Gesundheit die Sommermonate meist in Oberschöna verleben, und diese langen Trennungen verursachten, wie seine Briefe bezeugen, seinem schwärmerischen und zärtlichen Herzen manche Betrübnis und eine schwer stillbare Sehnsucht nach der geliebten Frau. Außerdem litt er unter der Zwangspolitik, die Napoleon auch über Sachsen verhängte, ebenso unter der veralteten, unbeholfenen Regierungsmaschinerie und unter den propagandistisch=katholischen Tendenzen des Hofes.  Als sein jüngerer Bruder Friedrich (Fritz, 1774—1841) in München zur katholischen Kirche übergetreten war und seine beiden 1798 und 1800 geborenen.  Katholisch erzogenen Söhne in das Dresdener Kadettenkorps und zugleich als Pagen an den Hof bringen wollte, schrieb Hans Georg in bitterer Ironie an seinen Jugendfreund Carl von Hardenberg, den Bruder des Novalis, am 3. 5. 1808:  „Fritz ist jetzt hier, nächstens kommen seine Söhne als heißkatholische Pagen an den hiesigen Hof.  Du kannst denken, wie angenehm mir das sein würde, da ich bigott wie ein Spanier und seit dem Religionsedikte, dem Edikt von Nantes, noch zehnmal schlimmer worden bin.”  In der Tat wurden Carl Ludwig und Hans Albrecht Joh. Von Carlowitz am 2. März 1810 in das Sächsische Kadettenkorps aufgenommen.  Als „Edikt von Nantes” bezeichnet Hans Georg spöttisch die durch den Frieden von Posen bewirkte Gleichstellung der Katholiken und Protestanten in Sachse.  Überdies hatte Hans Georg schon im Juni 1809 die längst schwebende Scheidung seines Bruders Fritz von seiner Frau, einer geb. V. Freywald, zustande gebracht.  Fritz war in zweiter Ehe mit Henriette von Kracht vermählt und besorgte in Greiz die Etappengeschäfte des Fürsten Reuß.

Hans Georgs Vermögensverhältnisse müssen in dieser Zeit günstig gewesen sein, denn er dachte schon im Jahre 1805 daran, das damals Gräflich Bünausche Schloß Bärenstein im Müglitztal mit seinen umfangreichen, wertvollen Wäldern zum Preise von 80 000 Talern für Jeanette zu kaufen.  Doch ist aus dem geplanten Kaufe nichts geworden.  Sehr bezeichnend für die romantischen Stimmungen der Zeit ist der Grund, der die Gräfin bewog, das schöne Bergschloß zu verkaufen.  Hans Georg schreibt im Frühsommer 1805 an seine Frau:  „Die Gräfin ist, wie ich durch geheime Nachrichten weiß, von einem Gespenst beunruhigt worden und ist gleich tags nachher von Bärenstein weggegangen mit dem Entschluß, nie wieder hinzukommen und es sobald als möglich zu verkaufen.  Laß Dir hierbei nicht bange sein, ich weiß auch schon, wer das Gespenst war und habe es sogar gesehen.”  Die Sage von der Frau, die einst lebendig eingemauert, im Schlosse umgehen soll, ist noch heute in Bärenstein lebendig.  Das Bild der Frau hängt in Lebensgröße im Treppenhause (vgl. M. Aufsatz im Dresd. Anz. 1933, W. Beil. S. 54f.).

Ein Gesamtbild der Stimmung Hans Georgs in den Jahren 1808 bis 1809 liefern der am 4. Juni 1808 (?) geschriebene Brief an Jeanette und das schon genannte Schreiben an Carl von Hardenberg vom 3. Mai 1808 (S. 91), in dem er sich sehr schmerzvoll über den Tod seines erst 28jährigen Bruders Franz ausspricht, mit dem er durch dessen unbegründete Klagen wegen Übervorteilung bei der väterlichen Erbschaft auseinander gekommen war (S. 62).  Die Art, wie er den Schmerz über den Tod des dennoch geliebten Bruders auskostet, der Sektion der Leiche beiwohnt, die dabei mit seinem Blut befleckten Handschuhe selbstquälerisch trägt, den mit Blut besudelten Rock an der Tür seines Zimmers hängen läßt, beweisen, daß er damals eine Art von Rückfall in die von Novalis in ihm wachgerufene Todessehnsucht erlitt, zu der wohl auch die Erniedrigung seines geliebten Heimatlandes das ihrige beitrug.  Sehr bezeichnend ist auch die Mahnung, die er durch Jeanette in dem oben erwähnten Brief an seinen jüngeren Bruder Anton richtet:  „Sage ihm, er soll seine Medizin ordentlich brauchen, aber was mehr als das alles wirkt, den Tod verachten lernen.  An seinem Platze würde ich alle Leichen sehen, Gift bei mir tragen und fest an der interessanten Idee hängen, daß das Leben ein veräußerliches Gut, der Tod der Endpunkt aller Gewalt sei.  Wenn er den Tod verachtet und das Leben richtig würdert, werden ihn keine Visionen erschreckten, und erschrecken sie ihn nicht, so werden sie auch bald von selbst aufhören.”

*

Eine frischere Luft begann zu wehen, als sich im Frühjahr 1809 auch in Mitteleuropa die ersten Anzeichen eines Wiedererwachens der völkischen Kraft und des völkischen Freiheitswillens verheißungsvoll regten.  Der Erhebung Tirols folgt der glänzende Sieg des Erzherzogs Karl über die Franzosen bei Aspern und Eßling (21. U. 22. Mai 1809).

Mit Spannung verfolgte damals Hans Georg das Verhalten seines Bruders Carl Adolf.  Dieser hatte als Privatmann in höherem Grade als der durch Staatsämter in Anspruch genommene Hans Georg die Verbindung mit den Dichtern und Schriftstellern der Romantik aufrechterhalten können.  Ein Brief an ihn (Weißenfels, 7. Februar 1808) von dem Dichter Carl v. Hardenberg (1776—1813), einem jüngeren Bruder des Novalis, dankt für „die überaus erquickliche und erfreuliche Erneuerung und gibt uns dann folgendes für die Stimmung dieser Zeit bezeichnende Weltbild:  „Wir wandeln nur noch auf den Ruinen einer herrlichen Vorzeit, und die wenigen Gestalten aus diesem Altertum, die uns hier begegnen, sind dem sehnsüchtigen Gemüt Boten des nahen Frühlings, der Wiederverjüngung, Bürgen einer erfreulichen Zukunft.  Laßt uns, während wir die schöne Vergangenheit betrauern, mit Seher=Augen in eine heitere Ferne blicken, die über blauen Gebirgen uns entgegenzieht, und die Erfüllung, die Novalis nur im Grabe fand, möchte uns leicht noch hier zuteil werden.  Er konnte nicht leben bleiben, weil er alles wußte und ahndete, und alle Geister dieser Welt zogen ihn hinunter, weil er nahe daran war, sie zu fesseln … Uns ist nun überlassen, das angefangene Werk weiterzuspinnen und der Vollendung näherzubringen.  Glaube mir, mein teurer Freund, die Erfüllung ist uns näher als wir vielleicht glauben … Laß die Bösen tanzen, sie werden sich schnell genug in das eigene Tarantel=Netz verstricken, und wenn die wild angefachte Glut die Sonne [das ist Napoleon] verzehret hat und diese als Schlacke herabfällt, dann ist die Erlösung nahe … Wenn der alte Mensch in Staub zerfallen ist, die Stolzen versunken sind, der eherne König in eigener Unbehilflichkeit und Armseligkeit zusammenbricht, dann ist die Brücke erbaut, die alte Hütte wächst zu einem leuchtenden silbernen Tempel empor, und das alte Reich ruht wieder auf himmlischer Grundfeste.”  Aus demselben Brief geht hervor, daß Hardenberg und Carlowitz beide mit Gotthilf Heinrich v. Schubert (1780—1860), dem Verfasser der „Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft” und der „Symbolik des Traums” befreundet waren.  Auch Franz Xaver Baader (1765—1841), der romantische Physiker, war in diesem Kreise heimisch (Brief C. v. H. an Carlowitz, Meiningen, 4. Febr. 1809).

Aber bei Carl Adolf setzten sich die romantischen Empfindungen nicht in Gedichte und Abhandlungen um, sondern in den Entschluß, den im Jahre 1794 verlassenen Kriegsdienst (S. 15) wieder aufzunehmen.  Mit Beginn des Jahres 1809 trat er nach fast 15jähriger Zivilstandschaft wieder in das sächsische Heer ein, und als Kleists unsterbliches Lied „Germanien an ihre Kinder” allen vaterländischen Deutschen heißen Ingrimm im Herzen erregte, focht er gegen die Österreicher erst bei Linz und dann bei Wagram und gewann das Vertrauen des Marschalls Bernadotte, der ihn in dienstlichen Angelegenheiten am 14. Juni 1809 von St. Pölten ins Große Hauptquartier abordnete (s. den erhaltenen Paß S. 84).

Wie verträgt sich das mit der Freundschaft für Kleist und mit dem Haß gegen die französischen Unterdrücker?  Der Ausgleich dieses scheinbaren Widerspruchs ist wohl in dem sicheren Gefühl zu suchen, daß Carl Adolf, um überhaupt etwas zu wirken, Mitglied der sächsischen Armee sein mußte.  Es war ja nicht unmöglich, daß der Herzog von Braunschweig, der sich wochenlang mit seinen Freischärlern in der Umgegend von Dresden hielt, die sächsischen Bürger und Bauern zum Kampfe mit fortriß und daß Napoleon den Anprall des ersten großen neuzeitlichen deutschen Volkskrieges zu bestehen hatte.  Dann würde wohl auch der König die Verbindung mit Frankreich gelöst und die mit Österreich wieder gesucht haben.  Aber Wagram (5.—6. Juli) entschied für den Fortbestand und die Verstärkung der französischen Tyrannei.

Einige Zeit nach der Heimkehr aus dem Feldzuge rückte Carl Adolf (1809, 20. 8.) zum Major auf und erhielt 1810 nachträglich das Ritterkreuz des Sächs. Heinrichsordens.  Deutlicher noch drückte sich das Vertrauen seines Königs darin aus, daß der junge Major von ihm unter dem 31. August 1809 beauftragt wurde, ein „Jägerkorps” aus den nötigen Chargen und 100 gelernten Jägern zu errichten und zu befehligen.  Es war allerdings nur eine kleine Heerschar von insgesamt 126 Mann mit 4 Pferden (5 Offiziere, 1 Feldwebel, 1 Sergeant, 11 Oberjäger, 100 Jäger), an deren Spitze er stand, aber es war eine auserlesene Truppe von besonderer Wichtigkeit.

Einen Begriff der häuslichen Verhältnisse Carl Adolfs in Liebstadt=Kuckuckstien gibt uns ein Brief, den die Hausfrau, Frau Josefa von Carlowitz, auf einer im August 1810 nach Prag unternommenen Reise an ihren Gatten schrieb.  Die ganze Anschauungs= und Ausdrucksweise verrät die Österreicherin, aber zugleich sieht man, wie gut sie sich in Sachsen eingewöhnt hatte.

Prag, 9. 8. 1810.  „… Glücklich und wohlbehalten sind wir nun hier angekommen, um ½4 Uhr waren wir in Tor; es ging alles gut — die Leute waren so artig — dem ohngeachtet mußten wir lange warten, bis wir expediert waren — im Roten Haus stiegen wir aus — nein so ein Lärm und Spektakel, davon hat man keine Idee; es war table d’hôte, wir mußten bei den Herren defilieren, die ziemlich unartig waren; unten am Hause standen schon der Lohnbediente, den ich gleich nach Carln Schickte — der Hausjude, eine Menge Mädchens, Marqueurs pp. Wir kriegten 2 sehr schöne Stuben, alles parquettiert — Spiegels, Meubles, recht hübsch — die Leute so bei der Hand — daß es anfing mir zu gefallen; — da kam aber unser guter prächtiger Carl — die Freude des Wiedersehens kannst Du Dir denken — er weinte, und ich auch — es ist noch immer der gute sanfte Mensch — — sein edles Gesicht trägt das Gepräge von dem, was er selbst ist.  — Wie freue ich mich, daß er mir ähnlich sieht — genug, der kam und nahm uns sogleich für die Sweerts in Beschlag, die uns ihr Hotel hatte einräumen lassen, wo wir nicht nur die äußerste Pracht, sondern was die Franzosen opulence nennen fanden, sie selbst ist nicht hier — weiß aber schon, daß ich komme, und wird heute wahrscheinlich hier sein; — ich habe mir es schon ausgebeten, einige Tage hier zu bleiben, bis ich meine Geschäfte arrangiert habe.  Heute will ich zu Maders [Rechtsanwalt der Frau v. C.] gehen und dort das übrige besorgen.  — Du glaubst wohl, daß ich bei der Pracht hier Regungen von Neid fühlte — ach nein! Guter bester Mann — ich sehnte mich so nach Dir — nach Liebstadt, nach meinem schwarzen Kanapee in der grünen Stube; — überhaupt gefällt mir Prag gar nicht mehr, die vielen engen schmalen Gassen — der Kontrast von den Palästen gegen die ganz schlichten Häuser, die man gleich daneben wieder sieht, — die vielen mit Lumpen bedeckten Menschen und dann wieder die schönsten Kostüme, alles das tut dem Auge und dem Herzen weh.  —

Ach, da lobe ich mir Sachsen — wo das Verhältnis der Stände nicht in so einem empörenden Kontrast sieht; — ich bitte Dich, sage Leysers nicht, daß es mir so wenig gefällt; sie könnten es Carln wiedersagen, und der gibt sich so viele Mühe, uns alles zu verschaffen, was wir nur brauchen können; er hat mich schon beschenkt und mir zwei lange Schnuren schöner roter Perlen gegeben.”

Im Juni 1811 verweilte Hans Georg einige Zeit als Kurgast in Karlsbad.  Dieser Aufenthalt gab ihm Gelegenheit, auch Goethe dort zu sehen und sich eingehender mit seinen Dichtungen zu beschäftigen.  Er schreibt am 6. Juni 1811 aus Karlsbad an Jeanette (A. O.):  „Die Gesellschaft ist noch ziemlich schwach, wird aber täglich zahlreicher.  Die Bekannten sind Löben, Manteuffel[4], Nietschwitz[5] mit seiner Familie, der Oberhofmeister Gablenz, der Graf Edling, die Generalin Besser … Leute, die ich zum Teil wenig kenne, aber aus Langeweile kennenlernen muß.  Eine Bekanntschaft, die ich angelegentlich suche und ganz gewiß noch machen werde, ist die des Geh. Rats Goethe aus Weimar, des ersten Schriftstellers unserer Zeit, der auch von Dir, Du gelehrtes Kind, gekannt ist.”

Die zweite Stelle steht in einem 13 Tage später, am 19. Juni 1811 aus Karlsbad geschriebenen Briefe:

„Jetzt lese ich, da ich nun doch einmal keine Akten bei der Hand habe, ein Buch von Goethe, das mir die Liebe erklären soll, diese alles umfassende, alles umschaffende Leidenschaft, die mich schon dreizehn Jahre festhält, ohne daß ich weiß, wie es zugeht.  Ich bin höchst neugierig, ob ich denn endlich der Sache auf den Grund kommen werde; habe ich die Liebe erst selbst verstanden, dann will ich versuchen, sie auch Dir zu erklären.  Gestern kaufte ich Goethes ‚Meister‘ in der Buchhandlung, vier Bände für zwei Gulden.  Ich trug meine Beute gleich nach der Promenade und las da drei Stunden so vertieft, daß ich das Einnehmen und Umziehen darüber vergaß”

Die dritte Stelle findet sich auf demselben Briefbogen, ist aber am folgenden Tage, dem 20. Juni, geschrieben:

„Gestern ging ich noch in die Papiermühle ohnweit des Hammers, wo ich wider alle Erwartung vortreffliches Papier fand.  Ich kaufte gleich ein halbes Ries superbes kleines Briefpapier, Papier=Velin, ohne Wasserzeichen und nicht glatt für mein kleines liebes Weibchen, um ihm recht viele Gelegenheit zum Schreiben an mich zu geben.  Auf dem Rückwege begegnete ich dem Paczkofsky wieder, mit dem ich in die Stadt schlich.  Abends war meine Badestunde.  Ich wartete sie ruhig ab, indem ich in Goethes Buche las und vertiefte mich im Lesen so, daß ich die Lektüre bis um 2 Uhr im Bett fortsetzte.  Goethe ist ein wahrhaft einziges Genie, und wenn ich ihn lese, vergesse ich Schlaf, Essen und Trinken.  Es ist unglaublich, wie ein solcher Geist andere Geister ergreift und festhält.  Ich sollte Dir, mein Drache, dies Geständnis meiner Lesesucht nicht machen, aber ich muß aufrichtig gegen Dich sein, da Du es in manchen Fällen auch gegen mich bist.”

Carlowitz beendete seine Kur in Karlsbad am 28. Tage seines dortigen Aufenthalts, am 2. Juli 1811, und kehrte über Oberschöna nach Dresden zurück, wo er spätestens am 12. Juli seinen Dienst wieder aufnahm.  Von einem Zusammentreffen mit Goethe ist in den Karlsbader Briefen aus dieser Zeit nicht mehr die Rede; man muß also annehmen, daß sich eine Gelegenheit, Goethes nähere Bekanntschaft zu machen, dieses Mal für Hans Georg v. Carlowitz nicht ergeben hat.  Den Grund werden wir später erfahren (S.102).  Den Badeaufenthalt benutzt H. G. auch, um seine äußere Erscheinung neuzeitlich zu gestalten.  Er schreibt darüber an Jeanette:

Karlsbad, 17. 6. Montags [1811].  „… Weil ich aus sehr anschaulichen Gründen nicht unfrisiert ausgehen konnte, so mußte ich früh eine halbe Stunde eher als andere Menschen aufstehen, um Fellern Zeit zu seinen Künsten zu geben.  Dies inkommodierte mich, und zudem war ich unter dreihundert Menschen, die um 5 Uhr auf dem Neubrunnen zusammenkamen, der einzige gepuderte.  Ich wurde darüber auf allen Seiten zur Verantwortung gezogen, und endlich drang man darauf, daß ich ungepudert gehen solle.  Dohnas wollten, ich solle dem Himmel nicht vorgreifen und, wenn ich keine Haare hätte, eine Kappe tragen, eine andere Partei bestand auf einer Tour, und endlich schickte mir der Graf Lützow einen Wiener Friseur ins Haus, der nicht eher abging, bis er alle Data zur Verfertigung einer Tour gesammelt hatte.  Gestern wurde sie fertig, und weil jedermann fand, daß sie gut stehe, so trage ich sie nun auch ganz ungehindert.  Jedermann spricht mich nun an, daß ich jünger und dicker aussähe, und beides kann ich brauchen.  Den Zopf habe ich ganz abgeschnitten und ich werde ihn Dir zu Füßen legen, da es wohl der letzte sein möchte, den ich in meinem Leben gehabt habe.  Ehe die Tour fertig war, sagte mir die Dohna, ich sollte sie, wenn ich ja darauf bestände, nur nicht aufsetzen, wenn ich zum ersten Male wieder zu Dir käme, weil so etwas allemal viel Eindruck machte, ich meinte aber, daß ich von Dir gern gesehen sein würde, wenn ich auch ohne Kopf nach Hause käme und daß wir uns einander gegenseitig sehr gewiß wären.  Ob ich recht gehabt habe, dies zu behaupten, wirst Du entscheiden; nach meiner Überzeugung hatte ich recht.  Seit die Dohna meine Tour gesehen hat, findet sie ganz unbedenklich, Dir damit unter die Augen zu kommen.”

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Diese für die Geschichte der Haartrachten wichtige Stelle wird ergänzt durch die Selbstbiographie der Tochter Hans Georgs Ottilie:  „Zu meiner frühesten Erinnerung gehört, daß mein Vater einen Sommer nach Karlsbad ging, von wo er nach Oberschöna kam; ich erkannte ihn nicht, er war mit gepuderten Haaren fortgegangen und kam mit dunkelen Haaren zurück.”

Als Carlowitz nach Dresden heimgekehrt war, beschäftigte ihn sofort die damals brennend gewordene Frage der von Napoleon schon vor dem Abschluß des Wiener Friedens (14. Okt. 1809) geforderten Reorganisation des sächsischen Heeres.  Namentlich sollte das veraltete Werbesystem durch eine geordnete „Konskription” (Aushebung) nach französischem Muster ersetzt werden.  Aber der König leistete in diesem Punkte beharrlichen Widerstand, und auch Carlowitz griff im Landtage die das Aushebungssystem empfehlenden Pläne, die ihm für das industrielle Sachsen nicht zu passen schienen, heftig an und zog sich dadurch den Unwillen der „Herren Militärs” zu, besonders des Obersten von Langenau.

Als sich das Jahr 1811, das den großen Kometen und den köstlichen Wein gebracht hatte, zu Ende neigte, konnte Hans Georg, obwohl das Joch Bonapartes noch immer schwer auf ganz Europa lastete, doch mit einer leisen Hoffnung auf eine bessere Zukunft des Vaterlandes in sein vierzigstes Lebensjahr eintreten.  Daß er vielen etwas bedeutete, das zeigt auch der Freundeskreis, der sich am 11. Dezember, seinem Geburtstage, um ihn versammelte:  die Geheimen Finanzräte von Oppel, v. Bünau, v. Zezschwitz, v. d. Planitz, Moritz von Schönberg, v. Löben, Richter, dazu der Oberst von Langenau und der Geh. Kriegsrat v. Manteuffel.  Der zweite Sohn Hans Georgs, Ernst Max von Carlowitz, hat den Wortlaut des gemeinsamen Gesangs bewahrt, den die versammelten Biedermänner nach der bekannten Weise des Matthias Claudius anstimmten.  Jeder von ihnen bekommt in einer besonderen Strophe einen leichten Hieb, aber die beiden Anfangs= und die beiden Schlußstrophen geben uns ein Bild des Gefeierten und des Freundekreises, der sich um ihn versammelt hatte:

                         Bekränzt mit Laub nicht bloß den vollen Becher,
                                   Bekränzt das ganze Faß!
                         Der Held, dem’s gilt, ist zwar kein großer Zecher,
                                   Doch er ist mehr als das:

                         Zwar sind wir andern auch nicht zu verachten,
                                   Denn Recht bleibt immer Recht,
                         Und wenn wir einzeln uns beim Licht betrachten,
                                   So sind wir gar nicht schlecht.

                                                          (von Oppel):
                        
Ich bin ein Mann, der sich nicht selber preisen
                                   Und nicht erheben mag,
                         Drum sag ich nichts von meinen weiten Reisen
                                   Und nichts vom Bergwerksfach.

                                                          (v. Bünau:)
                         So bin auch ich.  Allein mein Tun und Wandel
                                   Ist wie mein Wein so rein,
                         Und letztrer wär’ noch besser, schlüg’ der Handel
                                   Mit Pferden besser ein.

                                                          (v. Zezschwitz:)
                         Ich spreche gleichfalls im bescheidnen Tone
                                   Von mir und meinem Fleiß.
                         Ihr kennt ihn ja; und meine Lorbeerkrone
                                   Ist einst — ein Tannenreis.

                                                          (v. d. Planitz:)
                         Ich rede auch nicht gern von meinen Taten
                                   Im Amte und zu Haus;
                         Sie sprechen selbst, und nächstens wähl ich Paten
                                   Aus diesem Zirkel aus.

                                                          (von Schönberg:)
                         Ich sage gar nichts, denn ich bin im Ganzen
                                   Doch klüger, wie ihr wißt,
                         Als in der höchsten sächsischer Instanzen
                                   Itzt mein Sukzessor[6] ist.

                                                          (von Löben:)
                         Wenn alles schweigt, sprech ich!  Denn Freunde!  Sprechen,
                                   Das ist mein höchstes Glück.
                         Doch will ich mir den Stab nicht selber brechen,
                                   Drum zieh’ ich mich zurück.

                                                          (Richter:)
                         Ich bin nur erst aus Pleißathen gekommen,
                                   In euren Tatenkranz
                         Habt ihr mich gern und freundlich aufgenommen,
                                   Drum schweig ich lieber ganz.

                                                     (Obrist von Langenau:)
                         Schweigt ihr Gelehrten, tu ich’s auch; indessen
                                   Freu’ ich mich inniglich,
                         Daß ich die Landung heute nicht vergessen,
                                   Wie neulich wer und ich.

                                                 (Kriegsrat von Manteuffel:)
                         Das ging auf mich; und noch was besser oben.  —
                                   Doch laßt das Sticheln sein!
                         Die Gläser hoch!  Die Herzen hoch erhoben!
                                   Stoßt an!  Trinkt aus!  Schenkt ein!

                         Der, dem es gilt, und sei er auch kein Zecher,
                                   Wohl ist er mehr als das,
                         Er braucht zum Feuereifer nicht den Becher,
                                   Zur Salbung nicht das Glas.

                         Er lebe hoch!  Und soll so lange leben,
                                   Als unsre Freundschaft lebt,
                         Die, wenn wir ernst die letzte Hand uns geben,
                                   Kein Spaten mit begräbt.

Hans Georg hat sich dieses Gedichtes erinnert, als er am 11. Dez. 1821 seinen 50. Geburtstag feierte.  Damals hat er es wohl aus seinen Papieren herausgesucht und noch später dann und wann wieder gelesen.  Denn er schreibt am 29. Januar 1823 aus Frankfurt an Carl Adolf:

„Der Präsident Manteuffel ist mir ein sehr lieber Freund, sage ihm also von mir die herzlichsten Empfehle.  Sage ihm auch zugleich, daß ich das schmeichelhaft gottlose Gedicht mit nach Frankfurt genommen habe und zuweilen lese, was er einst bei der Feier meines Geburtstages mit Löben gemeinschaftlich ausgebrütet hatte.  Wie einen Uhu hat er mich da auf die Stange gesetzt und am Ende war darinnen ebensoviel Grund vorhanden, mich mit einer Bürgerkrone als mit Schneeballen zu verwirren …”

Seit dem Beginn des Jahres 1812 beschäftigte der große Krieg, den Napoleon mit ungeheueren Kräften nach Osten tragen wollte, die Gemüter aller Europäer.  Mehr als eine halbe Million Streiter standen marschbereit, wie es schien, gegen Rußland, aber es war nicht ausgeschlossen, daß auf dem Wege dahin auch die etwa noch widerstrebenden Mächte wie Preußen oder Bundesgenossen, die nicht willfährig genug wären, niedergetreten werden sollten.  Diese Stimmung drohenden Unheils liest man aus Hans Georgs Briefe vom 22. Januar 1812 an seinen Bruder Carl Adolf:  „Soviel ist sicher, daß man neuerlich den Ausbruch des Kriegs contre les barbares in Paris für entschieden ansehen will.  Wenn uns Sachsen nun auch nicht mehr die Ehre widerfahren kann, als eine Macht im Gegensatz zu Frankreich angesehen zu werden, und wenn wir auch nicht eigentlich Barbaren sind, so dürfte doch nebenbei auch uns der Krieg treffen.  Mancher französische Vasall in sächsischen Diensten freut sich schon auf die glänzende Zukunft, und man sieht die Welt schneller um die Achse solcher Patrioten sich bewegen.  Ich schreibe Dir dies, damit Du in Zeiten Maßregeln nehmen kannst, zu tun, was Du für das Beste hältst.”

Am 20. März meldet Hans Georg dem Bruder die Erhebung des Ministers Senfft zum Grafen, „der erste Graf, den Sachsen liefert.  Wenn die Nachfolgenden ebenso vorzüglich sind, wünsche ich unserem Adel Glück”, und fügt hinzu:  „man zweifelt aber noch immer am Ausbruch des Krieges und glaubt vielmehr an einen stärkeren Länderaustausch auf dem Wege der Unterhandlung”.

Unterdes war Carl Adolfs Jägerkorps am 1. Mai 1810 der Brigade Sahrer von Sahr zugewiesen worden, der Chef des Korps aber unter dem 6. VII. 1812 zum Oberstleutnant befördert worden.  Das Korps wurde während des Feldzugs gegen Rußland nicht mobilisiert, sondern stand während des Aufmarsches auf Postierung in Waldau.  Am 5. Juni beglückwünscht Hans Georg seinen Bruder, daß er mit seiner kleinen Jägerschar kurz vor der Durchreise des Kaisers durch Waldau aus diesem Orte nach Marklissa (am Queiß) versetzt worden und damit dem Schicksal des Regiments Johann entgangen sei, vom Kaiser noch nachträglich zur großen, nach Rußland marschierenden Armee geschickt zu werden.  Napoleon war in diesen Tagen in Dresden:  „Der Kaiser hat hier besonders den Minister Senfft ausgezeichnet.  Er hat ihm eine kostbare Dose mit dem Portrait und das große Band der Ehrenlegion geschickt, sogar das Droit des petits entrées zugestanden, das Recht, abends, wenn der Kaiser mit seiner Frau allein ist, ungemeldet zu ihm zu kommen, gewissermaßen ein Glied der Familie zu sein.  Von den öffentlichen Resultaten des hiesigen Kongresses weiß man indes noch nichts.”

Selbst die heimlichen Gegner der französischen Herrschaft wurden mit Geschenken bedacht.  So schreibt Hans Georg am 9. Juni 1812 an seine Frau:  „Von der Königin von Westfalen hat Adolf einen Ring bekommen, der ziemlich gute Steine hat, ob er schon schlecht gefaßt ist.  Der Jude rechnet ihn 250 Taler, und vermutlich wird sich die Schwägerin ein Kollier=Schloß daraus machen lassen”

Jeanette war damals zur Kur in Karlsbad.  Hans Georgs Brief an sie vom 13. Juni 1812 vervollständigt das Bild seines inneren Verhältnisses zu Goethe (s. S. 81):  Um Goethes Bekanntschaft könnte ich Dich beneiden.  Er ist der erste Kopf in Deutschland und, in manchen Beziehungen, in der ganzen jetzigen Zeit.  Weit entfernt, von Weibern wissenschaftliche Vollendung zu verlangen, achtet er durchaus sie nach ihrer Weiblichkeit und zwar über alles, was achtenswert auf der Erde ist.  Einem Manne würde es freilich schwerer sein, dem großen, einzigen Goethe gegenüber zu stehen.  Mir ist es nicht geglückt, ihn näher als von Ansehen kennenzulernen.  Achte auf das, was er sagt, er ist unter allen mir bekannten Menschen der einzige, der das Verhältnis der Menschen richtig in allen seinen Beziehungen würdert, und aus seinen Schriften habe ich nebenbei mehr Menschenkenntnis gelernt als durch eine dreißigjährige Erfahrung.  Soviel ich Dich, das Muster eines weiblichen Engels, kenne und ihn, muß er in Dir ein großes Interesse finden, und es kommt auf Dich an, ob Du es auch in ihm finden willst.  Seine Frau ist zwar vielleicht etwas gemein, aber gut, und die Nichte, welche sie bei sich hat — ich weiß ihren Namen nicht —, soll ein sehr gutes und verständiges Mädchen sein.  Gegen die Goethe sei ja recht artig, um die Meinung von dem Ton der Dresdener Damen zu berichtigen, die die Lubinitzka und die Burgsdorff vorm Jahre veranlaßt haben.”

*

Die „Nichte” ist die Gesellschafterin der Frau Goethes, Karoline Ulrich, die spätere Gattin Riemers, die Lubinitzka die Gattin des S. Kammerherrn von Lubinizky, die Burgsdorff die des Geh. Referendars im G. Konsilium Ludwig Christoph von Burgsdorff.  (Vgl. meinen Auffatz „Goethe und Hans Georg v. C.” im Jahrb. D. Goethe=Gesellschaft 1931, S. 210ff.)

Es ist erfreulich zu sehen, wie der hochgebildete Sachse, Hans Georg von Carlowitz, der aus dem ersten Romantikerkreis erwachsen war und wohl als der vertrauteste Freund Friedrichs von Hardenberg gelten muß, mit zunehmender Reife die universelle Bedeutung Goethes für Dichtung und Menschlichkeit frei und unbefangen erfaßte und sich seine aus den Tiefen einer mitschwingenden Seele geschöpfte Begeisterung durch kein Modegeschwätz trüben ließ, vielmehr in Goethes Dichtungen und Schriften die Lösung der wichtigsten Probleme zu finden suchte.  Die Gesamtbeurteilung Goethes, die Hans Georg in dem Briefe aus Dresden vom 13. Juni 1812 an seine Gattin nach Karlsbad schrieb, darf künftig in keiner Sammlung zeitgenössischer Urteile über den größten deutschen Dichter fehlen.

Wie sehr Hans Georg selbst in der hohen Auffassung vom Wert und der Würde des Weibes Goethes Gesinnungsgenosse war, offenbart außer vielen anderen Äußerungen von ihm die schöne Stelle aus dem Briefe an Jeanette vom 26. Juni 1812:  „Was Du, himmlisches Weib, allen den Deinigen bist, sieht man nie besser, als wenn Du ihnen fehlst.  Allen bangt nach Dir, einer sucht bei dem anderen Trost, und was ich aus bloßer Pflicht bin, das bist Du aus einem höheren, nur dem weiblichen Herzen eigenem Gefühle.”  Wunderbar stimmt mit Hans Georgs Meinung auch das Urteil überein, das zwei Menschenalter später Wilhelm Raabe ausgesprochen hat:  „Goethe ist der deutschen Nation gar nicht der Dichterei usw. Wegen gegeben, sondern daß sie aus seinem Leben einen ganzen, vollen Menschen von Anfang bis zum Ende kennenlernt.  Keinem andern Volke ist je ein solches Geschenk von den Himmlischen gemacht worden.”

Vom Kriegsschauplatz hatte am 13. Juni Leutnant Schulenburg als Kurier den Tod des Generals Gutschmid, des Divisionärs der Kavallerie gemeldet — er starb nach einem Manöver am Nervenfieber.  Als sein Nachfolger kommt Funck oder Thielmann in Betracht.  „Funck hat mehr Aussichten, nicht weil man ihn liebt, sondern weil man Thielmann haßt und mit Kabalen verfolgt.”  Auch der Generalstabschef der Kavallerie, Oberstleutnant v. Zezschwitz, muß dann abtreten, und für diesen Fall wünscht Hans Georg, daß Funck seinen Bruder nunmehr an sich zöge, „da Ihr beiden Leute Euch als Freunde in Freude und Leid bewährt habt und als gelehrte Männer in einem innigen geistigen Verkehr steht.  Was Funcken fehlte, hättest Du, und ich dächte, ein solches Kompositum von höheren Kräften müßte wenigstens diejenigen Kraftäußerungen aufwiegen, welche zeither vom Generalstabe — versteht sich mit nüchternem Verstande — ausgegangen sind”.  Wir finden hier wieder bei Hans Georg dieselbe hohe Meinung von den strategischen Talenten seines Bruders wie in anderen Briefstellen (S. 133).

Am 27. Juni kann Hans Georg seinem noch immer in Markissa stehenden Bruder mitteilen, daß ihn der König hat rufen lassen und mit ihm und Senfft sehr freundlich und zustimmend über das von Hans Georg entworfene neue Steuersystem gesprochen hat:  „mich freut dabei nur die Hoffnung, doch einmal etwas zur Wirklichkeit kommen zu sehen, was ich mit wohlgemeinter Absicht auf das Papier geschrieben habe”.  Genauer wird die Unterredung mit dem König geschildert in dem Briefe an Jeanette.

Dresden, 21. 6. 1812.  „… Gestern nachmittag um 4 Uhr ließ mir der König sagen, daß ich um 6 zu ihm kommen solle.  Ich machte sogleich meine Toilette und kam gerade ins Schloß, als der König von Pillnitz eintraf.  In der Garderobe mußte ich warten, weil eben Marcolini beim Könige war.  Inmittelst kam Gutschmid, der für seine Schwägerin (Witwe des in Polen verst. Generals S. 103) um eine Pension bitten wollte, und Manteuffel, der dem Könige Extrakte zu bringen hatte.  Beide wollten ihren Augen nicht trauen, wie sie mich sahen.  Gutschmid ist dreimal um mich herumgegangen, ehe er glaubte, daß ich es auch wirklich wäre.  Nun wollten sie durchaus wissen, was ich beim König solle, zum Glück wußte ich es aber selbst nicht.  Wie Marcolini herauskam, ging Gutschmid, dann Manteuffel hinein, und indes wurde es halb 7. Inmittelst unterhielt ich mich mit Marcolini, der erstaunend freundlich war und mir über meine Geschäftsführung eine Menge verbindliche Sachen sagte.  Endlich wurde ich gerufen.  Der König saß am Tische, nötigte mich gleich beim Eintritte, mich auf einen Stuhl neben ihm zu setzen und fing gleich damit an, daß er meine Schriften über das Steuersystem mit vielem Interesse gelesen habe, daß er danach das Steuerwesen einrichten lassen wolle, daß er aber, ehe er sich über einige ihm beigegangene Zweifel entscheiden könne, erst noch mit mir umständlich sprechen müsse.  Nun kam er nach und nach auf 8 zweifelhafte Punkte.  Jeder wurde umständlich besprochen, und ich behauptete bei allen meine Meinung.  Ob ich den König in allen überzeugt habe, weiß ich freilich nicht, denn wenn ich ausgesprochen hatte, fing er einen anderen Punkt an, ohne sich weiter zu erklären.  Er war ganz überaus gnädig, und ich bin gegen dreiviertel Stunden bei ihm gewesen.

Ich werde es nicht erfahren, aber wissen möchte ich schon, was er von mir denkt, denn ich habe in keinem einzigen Punkte nachgegeben und war auch eben gar im mindesten nicht ängstlich.  Heute bin ich absichtlich nicht aus dem Hause, am wenigsten nach Hofe gegangen, weil mich alle Leute angeschrien haben würden, weil es so etwas sehr Seltenes ist, daß der König über Landesangelegenheiten mit jemand anderen als den Ministern und allenfalls den Präsidenten spricht.”

*

Was der König zu Hans Georgs Gesetzentwurf meinte, erfuhr dieser wenige Tage später.  Er schrieb am 26. Juni 1912 an Jeanette:  „Senfft sagt mir, daß der König mit seiner Unterredung mit mir sehr zufrieden scheine und geäußert habe, er sei von all dem überzeugt, was ich ihm gesagt habe, wolle nun auch die Sache ganz nach meinen Ansichten anordnen.  Geschieht letzteres, so habe ich mir ein Verdienst um die Mit= und Nachwelt in meinem Vaterlande erworben, das alle meine schwere Mühe aufwiegt und noch unseren Kindern den Segen unserer Nation zuwenden wird.”  Hans Georg von Carlowitz hatte ein Recht dazu, in einem vertraulichen Briefe an die Gattin so zu schreiben, denn er war der erste, dem es gelungen war, die in mittelalterlicher Lehnsgebundenheit wurzelnden veralteten Anschauungen des Königs über die Besteuerung durch neue echt volkstümliche Ideen zurückzudrängen.

Der Gesetzentwurf bezweckte vor allem eine neuzeitliche Grundsteuer, die auch die Rittergutsbesitzer zu bezahlen hatten, die aber durch eine Stempel=, Kapitalien=, Personen= und Gewerbesteuer und ein Schutzgeld so ergänzt werden sollte, daß das Grundeigentum nicht mehr 29 Dreißigstel, sondern höchstens 50% zu den außerordentlichen Staatsbedürfnissen beizutragen hatte.  Am 13. September sollten die neuen Steuergesetze auf einem Ausschußtag den Ständen zur Begutachtung vorgelegt werden.  Durch diese Angaben werden die nur ganz allgemein gehaltenen Mitteilungen Flathes (III, 181f.) wesentlich ergänzt.

Hierzu schrieb Hans Georg am 30. Juli 1812 seinem Bruder:  „Da Du mein ältester Freund und literarischer Gönner bist, so sende ich Dir hier das eben aus der Presse gekommene Mandat wegen der neuen Grundabgabe.  Für diesen Augenblick werde ich noch seinen Dank von euch großen Grundbesitzern verdienen, denn das Mandat sieht, allein betrachtet, aus wie ein Leichenstein des fonciairen Nationsvermögens im Lapidarstile.  Aber wenn erst mein Mandat über den Stempel, die Kapitaliensteuer, das allg.  Schutzgeld, die Personensteuer und die Gewerbesteuer erschienen sein werden, dann, hoffe ich, soll man gerechter über meine Tendenz urteilen.  Das Grundeigentum soll künftig nicht mehr 29/30=Teile zu den außerordentlichen Staatsbedürfnissen beitragen, — allerhöchstens nur die Hälfte.

Auf den 13. September ist ein Ausschußtag anberaumt, wo man jene Gesetze im Entwurfe den Ständen noch zur Begutachtung vorlegen wird.  Seit Bestimmung dieses Ausschußtages arbeite ich Tag und Nacht, um mit den Steuerarbeiten fertig zu werden, und zu dem Ende habe ich mich auch von den Sitzungen des Collegii dispensiert.”

Als Hans Georg dies am 30. Juli seinem Bruder schrieb, war dieser zum Oberstleutnant befördert (S. 101), aber nicht in den Generalstab der Kavallerie berufen, sondern an der Spitze des Jägerkorps belassen worden.  Seit dem 29. Juli sprach man in Dresden „von einer fünftägigen Schlacht und daß die Alliierten ein Stück zurückgehen, um nicht Mangel an Subsistenz zu leiden”.  Gemeint sind die Kämpfe bei Kobryn und Brzesc, die sich an die Rückberufung österreichischer Truppen aus Litauen anschlossen, an deren Stelle die Sachsen die Rückendeckung der französischen Armee übernehmen sollten.  Dabei geriet die zu weit vorgeschobene sächsische Brigade Klengel (etwa 2000 Mann) nach langer tapferer Gegenwehr am 27. Juli 1812 in die Kriegsgefangenschaft der Russen. (Flathe, III, S. 84f.).

Von hier an (30. Juli 1812) klafft im Briefwechsel der beiden Brüder bis zum 13. November 1813 eine Lücke, die sich zum Teil daraus erklärt, daß beide seit dem 26. August 1812 wieder in Dresden vereint waren, bis der König im Frühjahr 1813 auch das Jägerkorps unter dem am 22. 1. 1813 zum Obersten ernannten Carl Adolf von Carlowitz in die Festung Torgau beorderte (S. 116f.)  Die Lücke im Briefwechsel der beiden Brüder wird einigermaßen ausgefüllt durch die Briefe Hans Georgs an seine Gattin Jeanette aus den Jahren 1812 und 1813, wozu noch ergänzend die Tagebücher der Tochter Ottilie treten, der späteren Frau von Altenbockum.

Die Versammlung der zur Beschlußfassung gewählten Deputation, in der zum ersten Male ritterschaftliche und städtische Deputierte zusammen tagten, kam auch unter dem Vorsitz Carlowitzens zustande (s. Pölitz, Friedrich August II., S. 125) und nahm seine Vorschläge an, aber sie wurden „von den Ereignissen überholt”.  Denn ehe diese Carlowitzische Steuerreform, die die Staatslasten in vorurteilsfreier Bewertung der vorhandenen Kräfte und in ausgleichender Gerechtigkeit auf alle tragfähigen Schultern verteilen wollte, in die Tat umgesetzt werden konnte, stiegen unter dem Todesschrei der Tausende und aber Tausende, die in der Sommerglut und dem Wintereis des Ostens für Napoleons Weltherrschaftspläne dahinsanken, die ersten Umrisse eines neugeordneten Europas empor.  Erfolgreicher, als es selbst Goethe zu ahnen vermochte, rüttelten die Völker an ihren Ketten, und vorzugsweise aus deutscher Geistesarbeit, aus deutscher Not und deutschem Blut erwuchs seitdem, wenn auch erst nach langen Kämpfen und zahllosen Enttäuschungen, das heißersehnte Geschenk der Freiheit und des Selbstbestimmungsrechtes für alle die Nationen, die den festen Willen bewahrten, ihr Volkstum hochzuhalten.  Vergebens versuchte der bisherige Protagonist des Welttheaters mit seinem 29. Bulletin:  „Die Armee ist verloren, aber die Gesundheit Seiner Majestät war niemals besser als jetzt”, das über ihn hereingebrochene Gottesgericht zu verhöhnen.  Er und seine Schöpfungen wurden von höheren Gewalten zermalmt.

In dem großen Strudel des Geschehens, der dazu nötig war, sah sich unser Sachsen in die gefährlichste Mitte gestellt, nach der alle gierigen Hände langten, und so kam es, fast auf ein Drittel seines früheren Bestandes zusammengeschnitten, verarmt und entvölkert aus dem großen Strudel heraus.  Da war zunächst nicht an durchgreifende Reformen zu denken:  statt dessen gab es ein verzichtendes, ruhiges Stillhalten, bis sich die ärgsten Wunden geschlossen hatten und die Kräfte wieder den leisen Beginn eines kleinen Aufstiegs zu gestatten schienen.  Auch in dieser Epoche, während der Freiheitskriege, hat Hans Georg von Carlowitz seinem Vaterlande die wertvollsten Dienste geleistet.


 


[1] Da Kaiser Franz II. Am 6. Aug. 1806 die Krone des H. R. Reiches d. N. niedergelegt hatte, ist hier das Kaiserreich Napoleons gemeint.

[2] Alaun war früher in der Kriegsmedizin ein vielverwendetes blutstillendes Mittel.

[3] Hans Adolf Heinrich Job. V. C., der Stiefbruder Hans Georgs, geb. 1787 zu Großhartmannsdorf, seit 1803 Sousleutnant im Kürassierregiment Kurfürst, focht in diesem in der Schlacht bei Friedland (14. Juni 1807) gegen die Preußen.  Sein Regiment wurde danach wegen besonderer Tapferkeit zur Leibkürassiergarde erhoben.  Auch an den Kämpfen gegen Österreich (1809) und Rußland nahm er teil, 1814 aber trat er in den von seinem Stiefbruder organisierten Banner der freiwilligen Sachsen ein und starb als Begründer des Falkenhainer Zweiges und Geschlechtsvorsitzender 1865 auf Falkenhain bei Wurzen.

[4] v. Löben und v. Manteuffel sind beide Amtsgenossen Hans Georgs im Sächsischen Geheimen Finanzkollegium.

[5] Obergerichstrat und Kreishauptmann Christian Gottfried Heinrich v. Nitzschwitz.

[6] Vermutlich der Geh. Kriegsrat von Manteuffel.