Inhalt
Illustrations
Vorwort
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
Nachtrag

 

9.  Kurfürst Friedrich August der Gerechte und die erstem Kämpfe um eine Kuneuzeitliche Staatsverfassung.  Theaterverhältnisse.  — Hans Georgs Familie

aß Friedrich August III. Von Sachsen eine sittlich einwandfreie, das Beste des Landes und seiner Untertanen ernsthaft wollende Persönlichkeit war, ist noch von keiner urteilsfähigen Seite bezweifelt worden.  Selbst Treitschke sagt von ihm (D. G. III, 497f):  „Streng gerecht, gewissenhaft, arbeitsam brachte er seinen heimgefuchten Untertanen wieder den Segen einer sorgsamen Landesherrschaft, der ihnen seit den Zeiten des Kurfürsten August gefehlt hatte.  Er machte der Schwelgerei des Hofes ein Ende, stellte die gelockerte Zucht im Beamtentum wieder her, ordnete die Finanzen so gründlich, daß nachher selbst durch die Stürme des napoleonischen Zeitalters der Staatskredit nicht auf die Dauer erschüttert werden konnte, berief tüchtige Männer in die Geschäfte, vor allem seinen Lehrer Gutschmidt — seit unvordenklicher Zeit den ersten Bürgerlichen, der in dem Vetterschaftswesen dieser Adelsherrschaft durch würdiges Verdienst, nicht durch Lakaienkünste zu den höchsten Würden aufstieg — und schloß sich in der deutschen Politik, die gefallene Entscheidung achtend, verständig an Preußen an.”

Auch auf dem Gebiete des wirtschaftlichen Lebens wurden bedeutende Fortschritte erzielt.  Der Steinkohlenbau im Plauenschen Grunde und im Zwickau=Chemnitzer Becken, ebenso der Braunkohlenbau in einigen thüringischen Ämtern wurden verständnisvoll gefördert.  Eingeführte Baumwolle lieferte den Rohstoff für die in Chemnitz und der näheren und weiteren Umgebung dieser Stadt betriebene Kattundruckerei und Strumpfwirkerei.  Das Bestreben, gleichwertige Maschinen wie die der Engländer zu erfinden, wurde der Ausgangspunkt der Chemnitzer Maschinenindustrie.  Spinnmühlen mit hohem Mansardendach siedelten sich in den Flußtälern der Zschopau und der Göltzsch und anderwärts an.  Durch die Steigerung der Industrie des südlichen Sachsens wuchs die Bedeutung der Leipziger Messe.  So begannen unter pflichtgetreuer Mitarbeit des Kurfürsten und der neugeordneten Beamtenschaft die Wunden, die der Siebenjährige Krieg dem Wirtschaftsleben des Landes geschlagen hatte, verhältnismäßig rasch zu vernarben.  Auch in Dresden verschwanden allmählich die brandgeschwärzten Ruinen, die das Bombardement Friedrichs des Großen (1760) hinterlassen hatte.  Als der Sachse Lessing in seiner „Emilia Galotti” mit scharfen Strichen das Bild eines fürstlichen Wollüstlings zeichnete, und als Schillers Feuergeist 12 Jahre später (1784) in „Kabale und Liebe” den verbrecherischen Minister eines deutschen Kleinstaates an den Pranger stellte, brauchte sich in Sachsen niemand mehr getroffen zu fühlen.  Ja, Schiller fand, als ihn die schwäbische Heimat von sich stieß (1785), in Sachsen ein Asyl.  Das Wort des Marquis Posa:  „Sire, geben Sie Gedankenfreiheit” ist auf unseren Fluren geprägt, und „Sachsen rettete diesen kostbaren Genius der Sturm= und Drangperiode aus den trüben Fluten der Leidenschaften und der Armutei in jene beglückenden Gefilde, auf denen er allmählich das Weltbürgertum überwand und sich vorbereitete, es mit einem starken und freiheitlichen Nationalgefühl zu vertauschen” (Kurs. Streifzüge VI, S. 67 f.).

Als Friedrich August am 15. September 1788 auf eine 20jährige Regierung zurückblickte, sah er sich im Mittelpunkte eines kunstvollen Staatsbetriebes, in dem kein Rädchen leerlief, und sein mit Besonnenheit und Gerechtigkeit geleitetes Volk vermißte in seiner Gesamtheit unter den Segnungen des wiederwachsenden Wohlstandes kaum die Teilnahme an der Regierung, die nach der damaligen Ordnung der Dinge nur den alteingesessenen Ständen adeliger Geburt und den Magistraten der landtagsfähigen Städte zustand.

Als aber im Frühjahr 1789 in Frankreich eine Umwälzung ihren Anfang nahm, die wir unter dem Ausdruck der Französischen Revolution zusammenfassen, begann die zweite längere und unglücklichere Hälfte der Regierung Friedrich Augusts III.  Gerade das kulturell so hoch entwickelte Sachsen war für die neuen Ideen der „Menschenrechte” besonders empfänglich.  Die Bauernrevolution des Sommers 1790 enthüllte eine langverhaltene Wut gegen die Gerichtshalter der Gutsherren.  Als im Herbst 1792 Goethe von der Niederlage der Preußen bei Valmy am Wachtfeuer das denkwürdige Wort prägte:  „Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen”, als einen Monat später Mainz vor dem französischen Gesindel des Generals Custine kapitulierte und die ganze Westgrenze des Reichs auf das schwerste bedroht war, mußte auch Sachsen sein Kontingent zum Reichskriege stellen.  Deshalb forderte ein Dekret der Regierung vom 18. 1. 1793 vom Landtage einen jährlichen Beitrag von 800 000 Talern zu den Heeresbedürfnissen.  Diese unabweisbare Forderung wurde erhoben in einem Augenblicke, wo die Bürgerschaft der Städte, von der seit 30 Jahren rücksichtslos durchgeführten Abzahlung der Schulden des Siebenjährigen Krieges etwas ermüdet, eher eine Steuererleichterung als eine Steuervermehrung erwartete.  Die großeren Städte, ebenso die erzgebirgischen und vogtländischen, in denen eine starke Fabriktätigkeit den Erwerb gehoben hatte, waren allerdings besser daran, als die von Handwerk und Ackerbau lebenden mittleren und kleineren Städte des Niederlandes.  Als Wortführer dieser letzteren trat der Abgeordnete von Prettin a. E., der Akzisinspektor und Stadtschreiber Schmorl, auf.  In einer „Vorstellung an die Herren Abgeordneten des städtischen engeren Ausschusses” vom 23. Januar beantragte er, „daß die Ritterschaft hinkünftig zu den gemeinen Staatsbedürfnissen alljährlich wenigstens 1 Million Taler mehr als seither … beizutragen sich geneigt finden lassen sollte”.  Die Schrift war in temperamentvoller, fast leidenschaftlicher Sprache abgefaßt, wies auf das Beispiel der Staatsumwälzung in Frankreich hin und erregte großes Aufsehen.  Denn die Gesamtheit der Rittergutsbesitzer hatte bis dahin, weil sie in früherer Zeit mit ihren Waffen und ihrem Blut das Land vor feindlichen Einfällen gedeckt hatte, das Privilegium der Steuerfreiheit gehabt und, abgesehen von der allgemeinen Personalsteuer, nur ein von ihr selbst festgesetztes „Geschenk” (Donativ) in die Staatskasse gezahlt.  Jetzt beantragte ein Vertreter der Städte das Aufhören dieses Privilegs.  Das Ergebnis war, daß der Kurfürst im Verein mit den Ständen ein Auskunftsmittel fand:  die neuen Heereslasten wurden aus der Steuerkreditkasse gezahlt, die unter pünktlicher Fortzahlung der Schuldzinsen die weitere Schuldentilgung für einige Jahre aussetzte; die noch fehlenden Summen beschaffte der Kurfürst aus eigenen Mitteln.  Zur Steuererleichterung erbot sich die Ritterschaft freiwillig, jährlich 100 000 Taler zu zahlen, aber ihr Privilegium der Steuerfreiheit hob der Kurfürst nicht auf.  Schmorl, der seine Schrift verbreitet und damit die Geheimhaltung der Landtagsverhandlung verletzt hatte, erhielt eine scharfe Verwarnung, er reiste infolgedessen aus Dresden ab.  Aber die von ihm gestellte Forderung und andere Reformideen wurden in einer großen Reihe von Flugschriften weiter erörtert, die natürlich besonders dann in großer Zahl erschienen, wenn ein neuer Landtag bevorstand:  1799, 1805, 1811.  In der ersten Epoche erregte die Schrift eines Dresdner Juristen Christian August Arndt, der beim Grafen Einsiedel Hauslehrer war, Aufsehen.  Sie ist betitelt:  „Über die Beförderung des Zutrauens zwischen Regenten und Untertanen.” Rousseausche Ideen sind hier mit im Spiele.  Der Idealzustand, allgemeine Menschenliebe, ist praktisch unerreichbar, also soll wenigstens zwischen den Bürgern eines Staates Bruderliebe herrschen.  Echter Patriotismus, der zum Todesopfer bereit ist, finde sich nur in Republiken, in Monarchien gäbe es nur eine Vaterlandsliebe zweiten Ranges, aber selbst diese sei in Sachsen erstorben, da den Untertanen nur die Vorstellung geblieben sei, einerseits von einer möglichst wenig in Erscheinung tretenden hochgebietenden Herrschaft, andererseits von blindlings und unbedingt gehorchenden Untertanen.  Die Vaterlandsliebe müsse belebt werden durch Erweckung des Zutrauens zwischen Regenten und Untertanen.  Der Fürst müsse den Untertanen Rechenschaft ablegen und seine Zwecke offen darlegen, außerdem müsse Pressefreiheit, Steuergleichheit, Gleichheit der Stände walten kein Mißtrauen der Regierung gegen die Regierten, kein Mißtrauen der Klassen gegeneinander.  „Seid einig!  Dies allein kann uns rette.”

Gegen diese Flugschrift trat kein Geringerer auf als der Älteste der Konferenzminister Friedrich Ludwig Wurmb, der schon 1762 zur Restaurationskommission gehört hatte, mit seinem „Grabmal des Leonidas”.  Seine Grundgedanken sind:

1. Die Regierung besitzt das Zutrauen der Untertanen.

2. Es ist besser, die alte Verfassung zu lassen, denn Neuerungen werden die Revolution heraufbeschwören.

3. Die bestehenden Verhältnisse sind nicht ungerecht, weil sie von jeher waren.  Insonderheit ist die Steuerfreiheit der Ritterschaft wohl begründet durch den ursprünglichen Lehnsvertrag, vermöge dessen der Fürst ein ohnehin steuerfreies Kammergut dem Lehnsträger wieder steuerfrei überließ.”

Es ist klar, daß durch Wurmb der Kurfürst selbst sprach.  Unter den Entgegnungen trägt die bedeutendste den Titel:  „Was hat Kursachsen den Adspekten nach von dem Landtage des Jahres 1799 zu erwarten?”  Diese Schrift zeigt von allen sächsischen Flugschriften jener Zeit die beste Kenntnis der Ideen, die zur Französischen Revolution führten, aber sie sind hier durch einen Hauch deutscher Philosophie, besonders der Philosophie Fichtes, verklärt.  Die wahre Vaterlandsliebe entspringe der Vernunft und dem Nachdenken.  Sie finde sich bei einem aufgeklärten Volke als Anhänglichkeit an die Verfassung eines Landes, wo jedermann die Verfassung kenne und in ihrer Güte Grund finde, sie zu lieben.  Die höhere Vaterlandsliebe sei bei den Kursachsen nicht möglich, denn dem allergrößten Teile von uns sei unsere Verfassung ein unzugängliches Sanktuarium, ein vor unseren Augen fast gänzlich verborgenes Mysterium.  Sie müsse als veraltet und verworren abgeschafft und durch die Gleichberechtigung der Bürger ersetzt werden.  Jede landständische Verfassung sei verwerflich, ebenso das ganze Lehnssystem.  Man dürfe nicht sein Alter zu seinen Gunsten anführen.  Denn die Menschen seien doch nicht um der Verfassungen, sondern die Verfassungen um der Menschen willen da.  Mit seiner Forderung eines radikalen Staatsneubaues wirft der Verfasser der Regierung den Fehdehandschuh hin.

Die Schrift erschien namenlos, und bis heute ist der kühne Verfasser nicht bekannt.  Ich möchte aber aus gewissen Gründen die Vermutung aussprechen, daß Dietrich von Miltitz auf Siebeneichen (Kurs. Streifz. III, 316ff.) oder ein ihm nahestehender Mann der Verfasser sein könnte.

Von ausschlaggebender Bedeutung in diesem erregten Streit der Meinungen war die Stellungnahme des Kurfürsten.  Friedrich August der Gerechte blieb unentwegt auf seinem Standpunkte, er sei nicht berechtigt, die uralten Verträge mit der Ritterschaft zu brechen oder um der Steuererleichterung willen die jährliche Schuldentilgungssumme herabzusetzen.  Er fühlte sich dem altständischen Rechte wie den Versprechungen gegenüber, die er den Staatsgläubigern gegeben hatte, wie durch ein persönliches Ehrenwort gebunden.  So geriet er in einen inneren Gegensatz zu einem großen Teile seines Volkes und auch zu jenem kleineren, aber geistig bedeutenderen Teile des Adels und der Beamtenschaft, der den neuzeitlichen Ideen ergeben war.  Diese Stellungnahme war die Tragik seines Lebens.  Er war eben gar kein Politiker im neuzeitlichen Sinne des Worts, sondern nur ein schlichter Ehrenmann, der der höchsten Aufgabe des Regenten, auch in der Neugestaltung der politischen Verhältnisse der Führer seines Volkes zu sein, nicht gewachsen war.  Er verdient wegen der Lauterkeit seines Wesens und wegen seines redlichen Willens unsere Achtung, aber wir können die Entschlüsse, die er faßte, nicht billigen.

Auch auf dem Gebiete des geistigen und künstlerischen Lebens, z. B. auf dem des Theaters, zeigte sich ein auffallender Stillstand.  Der Hof beschränkte sich nach wie vor auf die Förderung der italienischen Oper und einer wenig hochstehenden Komödie; die Aufführung der klassischen Dramen Lessings, Goethes, Schillers blieb Privatgesellschaften wie der Secondaschen Truppe vorbehalten.  Am 10. September 1805 schrieb Hans Georg von Carlowitz an seine junge Frau:  „Für einen Platz für Dich im Schauspiel wird gesorgt, wenn nur auch für das ganze Schauspiel gesorgt würde.  Der Rat in Leipzig ist schon beim Kabinette eingekommen, um sich ein eigenes Theater zu halten, und wenn der Kurfürst nicht zulegt, wie dies vermutlich nicht geschieht, so wird man bald in der Residenz keins haben.”

In den Familienverhältnissen Hans Georgs trat damals insofern eine Änderung ein, als Heinrich von Schönberg auf Pfaffroda, der Bruder Jeanettens, am 17. Juli 1806 sich mit Auguste Johanne von Woydt aus dem Hause Oberforchheim (geb. 24 Mai 1783, gest. 18. März 1825) verheiratete.  Hans Georg und wohl auch seine Frau waren mit dieser Eheschließung zunächst nicht einverstanden, deshalb fragte Jeanette bei ihrem Manne in Dresden an, ob sie etwa durch Verreisen dem bevorstehenden Besuche des jungen Paares ausweichen solle.  Er riet ihr, den Besuch gleichmütig zu empfangen, aber nicht zu erwidern und zwar mit der unhaltbaren Begründung:  „Die Höflichkeit im Hause ist eine so allgemein geltende Pflicht, daß daraus nichts gefolgert werden kann, aber die Höflichkeit aus seinem Hause heraus in andere Häuser zu tragen, dazu ist niemand verbunden.” (Brief vom 14. Juni 1806.)  Überdies ist später ein herzliches Verhältnis mit dem Schwager und der Schwägerin eingetreten, denn in dem Kriegsjahr 1813 fand Jeanette mit ihren Kindern längere Zeit in Pfaffroda Zuflucht vor den Schrecken des Krieges (S. 110).

Die Frage der Staatsverfassung Sachsens war durch die oben (S. 78 ff.) geschilderten Verhandlungen in Fluß gekommen, sie machte auf den Landtagen von 1793, 1799, 1805 und 1811 ihre erste Krisis durch, aber eine Lösung wurde nicht gefunden.  Daran war freilich nicht nur die Art des Fürsten schuld, sondern auch der gewaltige Strudel Äußerer Ereignisse, die, alle inneren Fragen zurückdrängend, seit 1806 über Sachsen hereinbrachen.