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Jahreswechsel |
"Ein Mahnmal bringt meine Familie nicht zurück""Schmerz läßt nicht nach": Tochter des beim Brandanschlag getöteten türkischen Ehepaars im MZ-lnterviewVon unserer Redakteurin Isolde Gietl SCHWANDORF. Die Nachricht, daß in Schwandorf möglicherweise kein Mahnmal an die Opfer des Brandanschlags erinnern wird, hat Leyla K. nicht überrascht. Irgendwie habe sie so etwas schon erwartet. Leyla K., geborene Can, hat vor zehn Jahren ihre Eltern und ihren damals l2jährigen Bruder verloren. Einen Gedenkstein - die heute 29jährige hätte ihn. gerne am Schlesierplatz gesehen. Enttäuscht über die Entscheidung sei sie jedoch nicht. "Ein Mahnmal bringt mir meine Familie nicht zurück." "Zehn Jahre wie zehn Tage"Die Erinnerung an den Brandanschlag schmerzt die dreifache Mutter noch heute. "Mir kommt es so vor, als sei es erst vor zehn Tagen und nicht vor zehn Jahren passiert", erzählt sie im MZ-Interview. Leyla K. war im sechsten Monat schwanger, als der damals l9jäh-rige Josef Saller den Brand im "Habermeier Haus" legte. "Ich hörte die Sirenen und mußte plötzlich an meine Familie denken." Ein "komisches Gefühl" habe sie ahnen lassen, daß etwas Schreckliches passiert sei. Der jungen Schwandorferin kommen noch immer die Tränen wenn sie über den gewaltsamen Tod ihrer Angehörigen spricht. Niemand werde je verstehen können, wie weh ihr die Erinnerungen tun." Meine einjährige Tochter kann jetzt Opa sagen - wie hätte sich mein Vater gefreut, wenn er es noch hören könnte." Ihren Kindern - die beiden Söhne sind zehn und elf Jahre - hat sie erzählt, daß die Großeltern und der Onkel Opfer eines Brandanschlags geworden sind. Den Namen und das Motiv des Täters hat sie jedoch für sich behalten. "Ich will nicht, daß meine Kinder irgendwann Haß auf diesen Menschen empfinden." "Zwiespältige Gefühle"Leyla K.s Gefühle für den Brandstifter sind zwiespältig. "Einerseits hasse ich ihn, andererseits empfinde ich große Angst, wenn er in zwei Jahren aus der Haft entlassen wird." Verstehen werde sie die Tat nie. Die zwölfjährige Haftstrafe für Josef Saller hält Leyla K. für viel zu milde. "Wenn jemand einen Raub begeht, wird er auch in diesem Maße bestraft", erklärt sie. Dennoch schränkt sie ein: "Auch 30 oder 40 Jahre Haft für Saller bringen meine Eltern nicht zurück. Vielleicht hätte das meine Schmerzen etwas gelindert." Vom Kinderzimmerfenster aus kann Leyla K. auf ihr früheres Elternhaus blicken. "Im ersten Jahr nach dem Anschlag bin ich Umwege gelaufen, um nicht an der Unglücksstelle vorbeizukommen." Trotzdem hat sich an ihrer Liebe zur Stadt Schwandorf nie etwas geändert. "Ich lebe seit 20 Jahren gerne hier, es ist meine zweite Heimat." Auch zur Mutter des in den Flammen umgekommenen Deutschen habe sie nach wie vor Kontakt. Über das Mahnmal seien sie unterschiedlicher Auffassung, sagt Leyla K. Die 29jährige trägt sich mittlerweile mit dem Gedanken, die Oberpfalz zu verlassen und in die Türkei zurückzukehren. Das habe nichts mit dem Anschlag oder der Debatte um das Mahnmal zu tun. "Ich kenne so viele nette Schwandorfer - immer wieder wird mir gesagt, wie sehr man sich für die Tat von Saller schäme." Wieso sollte sie also den Deutschen die Schuld am Anschlag geben, sagt Leyla K. "Anschlag nie vergessen"Dennoch wünscht sich die 29jährige, daß Schwandorf den rassistischen Brandanschlag niemals vergißt. Das Mahnmal hätte ihrer Ansicht nach dazu beitragen können. Kritisch sieht Leyla K. die Kostendebatte, die die Stadt bereits im Vorfeld führte. "Meine Eltern haben jahrelang Steuern gezahlt, aber 1700 Mark für einen Gedenkstein will die öffentliche Hand jetzt nicht übernehmen." Mittelbayerische Zeitung Schwandorf v. 10.12.1998 |